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1981 - Das Wissen um die Kompromisse bei Tonabnehmern

Das hier sind mehrere Artikel aus 1981 über die Schwächen und Kompromisse bei der Entwicklung und Fabrikation von Tonabnehmern der hohen Preisklassen. Der Autor der Artikel Franz Schöler befragt diejenigen, die täglich damit konfrontiert sind und sich mit den Feinheiten auskennen. Manche bislang wenig beachtete Randbedingungen werden plausibel und verständlich erläutert. Zum globalen Verständnis sollten aber noch weitere Artikel hier im Museum über die Beurteilung von Abtastdiamanten bzw. deren Spitzen angelesen werden.

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Mikromechanik zwischen Präzision und Kompromissen - Teil 1

So klein und unscheinbar Tonabnehmer äußerlich sind, soviel technischer Aufwand steckt in ihnen. Was man diesen kleinen Hi-Fi-Komponenten nicht ansieht, nämlich die hohe Präzision ihres Innenlebens, die aufwendige Bearbeitung, die Probleme mit Fertigungstoleranzen und das in Jahrzehnten „gereifte" Know-how der Hersteller - all das kommt in diesem Beitrag zur Sprache. Von Franz Schöler in KlangBild 6/1981.

Wenn die Genies sich und ihr Produkt loben . . .

Es gibt bekanntlich jeden Tag mindestens drei neue Lautsprecher-Entwickler, die sich für Genies halten und allen Ernstes glauben, nun endlich den perfekten Lautsprecher konstruiert zu haben.

Selbstverständlich hegen sie alle die Hoffnung, übermorgen in aller Hi-Fi-Freaks Munde und bald auch Millionäre zu sein. Aus eben diesem Grunde gibt es so viele Anbieter von Lautsprechern, die Stein und Bein auf ihre einzigartige Klangphilosophie schwören und meinen, die Gesetze der Physik überlistet oder ausgetrickst zu haben.

Das Geschäft mit Konstruktion und Fertigung von Abtastern

Ein entschieden spezialisierteres Geschäft, in dem sich weit weniger „Genies" betätigen, ist die Konstruktion und Fertigung von Tonabnehmern.

Noch bis vor zehn Jahren (also bis etwa 1970/72) waren es allenfalls ein Dutzend Firmen, die mit ihren Abtastern den Markt beherrschten und 90 Prozent des weltweiten Umsatzes kontrollierten. Seit die Japaner in dieses Geschäft einstiegen und ebenfalls Tonabnehmer zu fertigen begannen, hat sich die Zahl der einschlägigen Hersteller vervielfacht.

Die technologischen Fortschritte sind unverkennbar, waren aber auch nötig, weil die Platten immer höhere Anforderungen an die Abtastsysteme stellten. Man experimentierte mit neuen Materialien und neuartigen konstruktiven Anordnungen, weil die praktikablen Wandlerprinzipien im Grunde alle bekannt waren. Einige der besten Ideen wurden nicht unbedingt in den Labors der führenden Hersteller ausgebrütet, aber deren Entwickler schliefen natürlich auch nicht.

Das sogenannte Industriegeschäft

Im Industriegeschäft - das heißt bei der Erstbestückung von Plattenspielern und Komplettanlagen - behaupteten sich meistens jene Firmen, die zu den billigsten Preisen eine gerade noch passable Qualität bieten konnten. In der Kostenkalkulation für Kompaktanlagen beispielsweise durfte der Tonabnehmer nur mit 4 bis 20 Mark zu Buche schlagen. Was der Hauptgrund dafür ist, daß immer noch so viele eigentlich ziemlich miserable Abtaster im Gebrauch sind.

Es sprach sich erst langsam herum ....

Daß der Tonabnehmer gleich nach den Lautsprechern und der Akustik des Raums der kritischste Punkt für die Wiedergabequalität einer Hi-Fi-Anlage ist, sprach sich erst langsam herum.

Spricht man heute mit Tonabnehmer-Entwicklern, dann hört man generell: Mit der analogen Wandlertechnologie hat man heute etwa 85 Prozent des Machbaren erreicht. Jede weitere Verbesserung ist sowohl konstruktiv als auch finanziell so aufwendig, daß man sich ernsthaft fragen muß, ob das Kosten-Nutzen- Verhältnis noch sinnvoll ist. Der neuralgische Punkt, so betont man, sind weniger die Wandler selber als vielmehr die Tonarme, mit denen sie kombiniert werden, und die Tonträger, bei denen die Entwicklung nicht im selben Tempo fortgeschritten ist.

Die oder "meine" Konstruktionsphilosophien

Erstaunt hat mich bei den Gesprächen, die ich in den letzten Monaten mit Tonabnehmer-Entwicklern geführt habe, aber etwas anderes: Man huldigt bei manchen Firmen ähnlich wie bei Lautsprecher-Konstrukteuren immer mehr bestimmten Konstruktionsphilosophien, die man geradezu verbissen als die theoretisch angeblich Besten verteidigt.

Bekannt ist die Debatte zwischen den Anhängern und Verächtern des „moving coil-Prinzips. (Der Tag, an dem Shure einen „dynamischen" MC-Tonabnehmer herausbringt, ist wohl sehr fern oder der St. Nimmerleinstag. In Japan dagegen gibt es Dutzende von Abtaster-Modellen, die nach dem Prinzip der bewegten Spule arbeiten.) Aber auch in vielen anderen Punkten gehen die Meinungen der Gelehrten mehr denn je auseinander, was den optimalen Wandleraufbau betrifft. Das beginnt bei der Anordnung der Spulen und endet noch längst nicht damit, daß man sich über die optimale Nadelgeometrie durchaus uneins ist.

Die „Anti-Fraktion" - ich bin gegen alles . . . .

Da gibt es beispielsweise die erklärte „Anti-Fraktion", die gegen Bor, Beryllium, Saphir, Rubin, Diamant und ähnlich „exotische" Materialien für den Nadelträger ist und diese als Werbegag hinstellt, weil das jahrelang bewährte Aluminium kostengünstiger und besser zu verarbeiten sei. Daß die Kosten eine entscheidende Rolle spielen, leugnet niemand ernsthaft.

Trotzdem hatte ich bei manchen Gesprächen das Gefühl, daß für die Tonabnehmer-Industrie jetzt erst richtig das Zeitalter der Glaubenskriege begonnen hat, nachdem man jahrelang halbwegs friedlich koexistierte.

Den Begriff der "Schnelle" sollte man vorher verstehen lernen

Wie man begründet, der Tonabnehmer X könne gar nicht gut klingen, weil seine effektive Masse um 100 Mikrogramm höher sei als die des eigenen Top-Modells, klingt manchmal schon köstlich. Es ist keine Frage, daß zur verzerrungsfreien Abtastung hoher "Schnellen" die effektive Masse der bewegten Teile so gering wie möglich gemacht werden sollte. Aber in der Praxis stellt diese nur einen Parameter dar, und am Ende stellt sich immer nur die Frage: Wie gut „klingt" denn der meßtechnisch angeblich nachweisbar bessere Abtaster wirklich?

Die Zahl der Musikliebhaber, die ihren Hörraum konstant auf 20°
Celsius temperieren, um exakt die normgerechte Meßtemperatur zu haben und ihren Tonabnehmer bei dieser Temperatur zu betreiben, dürfte vermutlich verschwindend gering sein!

Wo werden Kompromisse gemacht?

Wissen wollte ich bei meinen Gesprächen mit den Tonabnehmer-Entwicklern nicht, wie perfekt ihre besten Konstruktionen in der Praxis arbeiten, sondern wo sie aus irgendwelchen Gründen Kompromisse machen beziehungsweise machen müssen, weil wir's in dieser realen Welt nun mal mit Schallplatten und nicht dem perfekten Tonträger zu tun haben. Da spielt die Alterung der Gummiteile (durch mechanischen Verschleiß und chemische Einwirkungen) eine ebenso entscheidende Rolle wie der Nadelverschleiß, der mit der ersten Minute des Abspielens beginnt.

1200 Spielstunden noch keinerlei merklichen Abschliff

Um die Probe aufs Exempel zu machen, ließ ich acht Tonabnehmer unter dem Stereomikroskop untersuchen. Einer (ein Denon DL-303 mit der Weinz'schen Trigon-Nadel) wies nach 1200 Spielstunden noch keinerlei merklichen Abschliff der Kontaktzonen auf, während ein anderer noch teuerer dynamischer Abtaster nach einer Betriebsdauer von 300 Stunden schon zu verzerren begann, weil er - bei optimaler Justage und korrektem Auflagedruck! - schon Diamantabschliff aufwies.

Wer den Werbeslogans der Hersteller nicht unbesehen glaubt

und größten Wert auf verzerrungsfreie und die Schallplatten schonende Wiedergabe legt, sollte folgendes bedenken:
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  • • Der Tonabnehmer ist das Verschleißteil parexcellence in jeder Hi-Fi-Anlage, und er altert durch Gebrauch schneller als jeder andere Wandler, weil er durch die unvollkommene Schallplatte in vergleichsweise extremer Weise beansprucht wird. Denn die Kräfte, denen er ausgesetzt wird, sind im Verhältnis zu anderen Technologien unglaublich groß.
  • • Unter anderem wegen der Winzigkeit der Bauteile sind Qualitätsstreuungen innerhalb der Serie bei Tonabnehmern nach meinen Erfahrungen weit höher als bei praktisch allen anderen Komponenten der Hi-Fi-Anlage. Manche sind schon in der Verpackung defekt, weil die Endkontrolle nicht sorgfältig genug war, andere spielen nicht mal eine Stunde.
  • • Das theoretische Konzept des Wandlers kann völlig unterschiedlich sein. Der eine wickelt seine Spulen direkt auf den Nadelträger - wie etwa die kleine deutsche Firma Clearaudio - und erzielt damit hervorragende Resultate, andere wickeln ihre Spulen nach dem „moving coil"-Prinzip von Ortofon und machen ausgezeichnete Produkte, und dann gibt es wieder Firmen wie JVC, die ihre Spulen gar nicht mehr wickeln, sondern in Form eines gedruckten Plättchens auf dem Nadelträger im Luftspalt der Magneten anordnen. Was zählt, ist nur das gehörmäßige Klangergebnis. Die beste Konstruktion nützt nichts, wenn sie mechanisch anfällig ist. Das Wickeln der Spulen ist besonders zeit- und arbeitsaufwendig.
  • • Den Problemen der kapazitiven Belastung (bei Magnetabtastern - MM) sowie des optimalen Impedanzwertes (für den Abschluß von dynamischen Systemen - MC) wird bei Herstellern wie Konsumenten noch zu wenig Beachtung geschenkt. In beiden Punkten sind die Empfehlungen vieler Anbieter nicht nur ungenau, sondern geradezu falsch, sofern sie überhaupt gegeben werden.
    Dasselbe gilt für die optimale Auflagekraft. Und leider auch für die Kapazitäts- und Impedanzwerte der Verstärkereingänge, über die man als Hi-Fi-Liebhaber (bis auf die „normgerechten" 47 kOhm Impedanz der Phono-Magnet-Eingänge) herzlich wenig erfährt. Wenn kleine, engagierte Firmen - darunter auch deutsche wie Audiolabor oder DatAkustik - ihren Kunden die Möglichkeit bieten, durch Zusatzstecker eine optimale Anpassung des Tonabnehmers an ihre Verstärker zu erreichen, dann ist das die Ausnahme.
  • • Zweifellos gibt es auch preiswerte und „erschwingliche" Abtaster, die in der Serie eine gleichbleibend hohe oder zumindest doch durchaus akzeptable Qualität aufweisen. Aber es gibt noch viel mehr, bei denen schon Geometrie, Schliff und Einbau des Abtastdiamanten von äußerst zweifelhafter Qualität sind, von der mechanischen Qualität und dem Plattenverschleiß ganz zu schweigen.

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Fragen an fünf Entwickler von drei Spezialherstellern :

Wie es um die Qualität der Tonabnehmer heute und die Grenzen dieser analogen Wandler-Technologie bestellt ist, fragten wir fünf Entwickler von drei renommierten Spezialherstellern, nämlich
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  • Ib Petersen, den technischen Direktor bei Ortofon, Frits Nygaard, Entwicklungschef für Tonabnehmer allgemein und die Schneidapparaturen der Firmar und Henrik Thymann, verantwortlich für die Entwicklung der „moving coil - Abtaster von Ortofon.
  • George Alexandrovich, Vizepräsident und Leiter der Entwicklungsabteilung bei der Stanton Magnetics Inc.
  • Werner Fidi, den technischen Direktor der AKG in Wien.

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Offene Worte

Die Antworten auf die manchmal durchaus etwas polemisch gemeinten Fragen - alle drei Firmen bieten sowohl billige als auch teure Tonabnehmer an und müssen sich infolgedessen vorher auch ein paar Gedanken über die Qualität gemacht haben, die sie bieten - fielen recht freimütig aus, und es war nicht so, daß man den Schwarzen Peter nur der Plattenindustrie zuschieben wollte.

Trotz der Dämmerung des digitalen Audio-Zeitalters sind die befragten Entwickler davon überzeugt, daß man auch bei den herkömmlichen Wandlern noch Fortschritte erzielen kann und daß die schon bei ihren Top-Modellen gemachten Fortschritte langsam auch in die billigeren Systeme einfließen werden.

Über den in der Praxis heikelsten Punkt, nämlich den Verschleiß von Gummi und Diamant, war man sich dann doch nicht eins. Denn hier leben die Hersteller mit der stark schwankenden Qualität, die ihnen die Zulieferanten andienen, und da es weltweit nur wenige gut ausgerüstete spezialisierte Diamantschleifer von Tonabnehmer-„Nadeln" gibt, sind die Firmen von diesen ähnlich abhängig wie die Plattenindustrie von den wenigen Lackfolien-Herstellern. Mit den Schallplatten, die von diesen Folien gemacht werden, müssen nicht nur wir, sondern auch die Tonabnehmer-firmen leben.

Die erste Frage :

Darum lautete meine erste Frage an die Entwickler regelmäßig, ob ihnen die Probleme der Schneidapparaturen und der Schallplatten heute geläufig sind und ob sie längere Untersuchungen (auch statistischer Natur) darüber gemacht hätten, was denn neuerdings alles in der Tonrille passiert, weil's die Schneidtechniker nun mal so wollen.

Dazu Frits Nygaard von Ortofon:

Wir produzieren selber Schneidapparaturen, und unser System verfügt über
die größte Bandbreite. Mit den Testplatten, die wir für unsere Zwecke schneiden, können wir darum auch sehr gut überprüfen, was die besten Tonabnehmer heute überhaupt können und wo ihre Grenzen liegen.

Informationen darüber, was heute in die Lackfolie geschnitten wird, bekommen wir von den Schneidstudios, mit denen wir in Kontakt stehen. Denn es passiert oft genug, daß Probleme auftreten, weil der Schneidkopf nun mal nur bestimmte Auslenkungen machen kann, und dann bekommen wir Bänder, die kritischen Stellen von Bändern oder Folien, damit wir den Anwendern sagen können, wie sie ihre Probleme am besten lösen.

Mit der Schneidtechnik vertraut

Auch George Alexandrovich ist mit der Materie Schneidtechnik bestens vertraut und sagt:

Ich bin sehr wohl vertraut mit dem, was Schneidapparaturen können und nicht können. 1957 entwickelte ich die erste stereophone Schneidapparatur für Fairchild, mit der man Platten schneiden konnte, die kompatibel für Mono- und Stereoabtastung waren. Wir verkauften davon 3.000 Anlagen. (Das andere weitverbreitete System in den USA war damals Westrex.) Aus der Beschäftigung mit den Schneidapparaturen konnte ich eine Menge über mögliche Konstruktionen von Tonabnehmernlernen.

Die berüchtigte Telarc-Aufnahme der „1812 Ouvertüre" war nicht die erste Platte, die den Tonabnehmer-Herstellern einiges Kopfzerbrechen bereitete. Abtastprobleme traten schon früher bei manchen Platten auf, vorzugsweise bei den neuerlich nach uralter Direktschnitt-Methode aufgenommenen LPs.

Dazu Stanton-Entwicklungschef Alexandrovich:

Unsere Untersuchungen über möglicherweise mangelhafte Schallplatten begannen vor etwa drei Jahren (also etwa 1978), als man uns davon unterrichtete, daß auf dem Markt Platten angeboten würden - vornehmlich Direktschnitte -, die auch unsere besten professionellen Tonabnehmer nicht abtasten konnten. Wir benutzten für diese Untersuchungen unser Elektron-B-Mikroskop und waren in der Lage, Fotos der problematischen Plattenrillen zu machen.

Gemessen und fotografiert wurden von uns Rillen, in denen Frequenzen von über 40kHz mit Schnellen von 100cm/s aufgezeichnet waren. Das ist jenseits all dessen, was man normalerweise in die Tonrille geschnitten hatte. Über Lautsprecher waren die hohen Verzerrungen, welche die Tonabnehmer dort produzierten, kaum hörbar, wohl aber über ausgezeichnete Kopfhörer. Normalerweise testen wir Tonabnehmer nur mit Schnellen von 5, 10 oder 30cm/s, um die Hochton-Verzerrungen festzustellen. Aus den von uns gemachten Fotos konnten wir aber Schnellen von 102,4cm/s bei 2kHz errechnen, die tatsächlich in der Rille vorkamen. Von da an intensivierten wir unsere Forschungsarbeiten über diese Probleme ganz erheblich.

Wenn Platten wirklich platt wären . . . .

Die optische Inspektion der Rille unter dem Interferenzmikroskop, so Ortofon-Techniker Petersen, ist die einzig korrekte Methode um herauszufinden, was tatsächlich in der Rille passiert. Das gilt insbesondere für Testplatten - ein heikler Komplex, auf den wir noch zurückkommen werden. Laut Petersen könnte man im übrigen noch entschiedene Fortschritte in der Abtaster-Technologie erzielen, gäbe es nicht einige schier unüberwindliche praktische Probleme.

Die Frage : Schwere Tonarme oder leichte Tonarme

Hätte man es zum Beispiel nicht mit verwellten Platten zu tun, dann wären nämlich sehr schwere Tonarme die besten:

Von unserer Warte aus gesehen stellen nicht die Tonabnehmer und ihre noch zu erweiternden Möglichkeiten bezüglich Abtastfähigkeit das wirkliche Problem dar, sondern das Equipment, mit dem zusammen sie benutzt werden, also die Plattenspieler, Tonarme und Schallplatten. Rein theoretisch gesehen ist es optimal, angesichts der Plattenverwellungen einen leichten Tonarm mit Tonabnehmern geringer effektiver Masse zu kombinieren, und in Zukunft werden wir auch weiter in diese Richtung gehen. Dazu steht nicht im Widerspruch, daß wir auch „moving coil"-Tonabnehmer bauen. 85 Prozent unserer MC-Abtaster werden nach Japan exportiert, und dort benutzt man noch vorzugsweise schwerere Tonarme. Von dieser Philosophie will man in Japan auch nicht abgehen. Aber wir haben schon Prototypen von „low-mass"-Abtastern, die nach dem Prinzip der bewegten Spule arbeiten, und wir werden auch daran weiterarbeiten.

Der 3 Gramm Tonarm "Infinity Black Widow" hatte nicht funktioniert

Als vor wenigen Jahren Tonarme mit extrem geringer effektiver Masse auf den Markt kamen - so zum Beispiel der Infinity Black Widow, der eine dynamische Masse von ganzen 3 Gramm besaß, mittlerweile aber nicht mehr gebaut wird -, waren die auch nicht die Lösung für die Tonabnehmer-Hersteller. In Labormessungen stieß man auf das schon vom Nadelträger her bekannte Problem Masse versus Steifigkeit: Die Leichtest-Tonarme aus „exotischen" Materialien wie Karbonfiber wurden bei bestimmten Frequenzen zu Eigenvibrationen angeregt, die dann natürlich den Klang verfälschten.

Dazu Petersen:

Die meisten Tonarme heute haben nur mittelmäßige Qualität vorzuweisen. Sie sehen vielleicht gut aus fürs Auge, aber vom technischen Standpunkt aus betrachtet sind sie nicht allzu gut. Wenn man dann diese Tonarme mit unseren „low-mass"-Tonabnehmern testet, erkennt man Unregelmäßigkeiten im Frequenzgang, die durch die Tonarme verursacht werden. Es ist beweisbar, daß sie flexibel sind und daß die Tonarmlager Störungen verursachen.

Viele weisen erhebliche Resonanzen im Hörbereich auf und sind schlecht gedämpft. Weil die Tonarme so sind, wie sie sind, werfen sie für den Tonabnehmer-Hersteller beträchtliche Probleme auf. Damit meinen wir etwa 50 bis 60 Prozent aller Tonarme auf dem Markt heute. Die wenigen guten Leicht-Tonarme, die man kaufen kann, sind sehr teuer, und nur wenige Leute können sich die leisten. Als Standardausrüstung findet man sie nie.

Glamour statt Funktion

Nach Meinung von George Alexandrovich gibt es heute noch keine hinreichenden Untersuchungen darüber, in welchem Maße das Gros der Tonarme zu Eigenschwingungen neigt. Er beklagt, daß man bei der Konstruktion auf eine „sexy" aussehende Optik mehr Wert legt als auf die optimale Funktionsweise:

Tonarm-Hersteller verfolgen oft nicht die bestmöglichen Konstruktionsideen, sondern kommen den Käuferwünschen entgegen, indem sie glamourös aussehende Dinge mit viel überflüssigem Schnickschnack anbieten. Natürlich ist es nicht falsch, einen hübsch und kompliziert ausschauenden Tonarm verkaufen zu wollen.

Aber was soll's ? Viele der sogenannten Super-Leichttonarme, die vor einigen Jahren erstmals auf den Markt kamen, haben beträchtliche Probleme. Sie erwiesen sich bei Anregungen als unstabil und flexibel. Die Industrie kaprizierte sich, ausgehend von japanischen Einflüssen, immer mehr darauf, teure exotische Dinge wie Silberkabel, Tonköpfe aus speziellen Legierungen usw. anzubieten und dem Musikliebhaber zu erzählen, diese Dinge würden eine Verbesserung des Klangs bringen.

Das größte Problem heute sind Tonarm und Abtaster

Die Eigenvibrationen, die man beispielsweise den Tonköpfen andichtete, traten nach unseren Messungen meistens in der Aufhängung des Gegengewichts, in den Antiskating-Vorrichtungen und im Nadelträger-Aufbau auf. Sicher ist das größte Problem heute, Tonarm und Abtaster optimal zu kombinieren. Aber das macht man heute meist noch experimentell durch Hörversuche und nicht aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen. Insofern hat das noch viel mit Voodoo-Zauber zu tun.

Auch bei AKG hat man, wie Werner Fidi sagt, noch nicht genügend Untersuchungen über eine breite Palette von Tonarmen gemacht. Daß immer noch die wenigsten Tonarme über spezielle Dämpfungsvorrichtungen mittels Magneten, Silikonöl, Wirbelstrombremsen etc. verfügen, hält er generell für ein entscheidendes Manko, denn:

Rein von der Theorie her sind möglichst wenig Dämpfung beim Tonabnehmer und ein gut gedämpfter Tonarm wünschenswert. Das ist die technisch sauberste Lösung. Die Tiefenresonanz sollte zwischen 10 und 14 Hz liegen und der Tonarm keine Eigenresonanzen aufweisen. Aber es ist kaum möglich, eine generelle Aussage über den Standard der Tonarme heute zu machen, einfach, weil wir darüber noch nicht genügend wissen.

Plattenfräsen en gros

Viele Abtastsysteme der unteren Preisklasse sind von höchst zweifelhafter Qualität. Was da an „Plattenhobeln" mit vielen Komplettanlagen angeboten wird, erweist sich oft schon nach kurzer Benutzung als regelrechte Fräs-Maschine für die Tonrillen: Anstatt die Platte abzuspielen, schneidet man sie gleich neu und wundert sich dann über fehlende Höhen und verzerrte Mitten.

Ortofon - wir müssen beide Kunden bedienen

Dem allgemeinen Konkurrenzdruck, der mit dem Aufmarsch der Japaner auf dem Tonabnehmer-Sektor noch zugenommen hat, muß auch eine Spezialfirma wie Ortofon Rechnung tragen, und Ib Petersen gibt das unumwunden zu:

Wir müssen auch preiswerte Tonabnehmer für mittelmäßige oder unterdurchschnittliche Anlagen anbieten, andernfalls wären wir bald aus dem Geschäft. Andererseits haben wir bei Ortofon auch einen Vorteil: Wir sind nicht gezwungen, billigste Massenware anbieten zu müssen, weil man unsere Tonabnehmer meistens als den zweiten Tonabnehmer in seine Anlage einbaut, wenn man einen besseren als den billigen japanischen Standard-Abtaster haben will. Unsere Kunden sind also Zweitkäufer.

Die Meinung über japanische Massenware

Die großen japanischen HiFi-Firmen machen ihre eigenen Tonabnehmer für ihre Komplettanlagen, und viele von ihnen sind sehr schlecht in der Qualität. Der Wettbewerb ist sehr hart, aber auch in Japan genießen unsere Produkte einen sehr guten Ruf, selbst wenn sie vergleichsweise um etliches teurer sind. Nur durch Fortschritte und Vorsprung im technologischen Know-how können wir unsere Position behaupten und ausbauen, auch wenn Pioneer, Sony, Technics und die anderen japanischen Giganten ihre eigenen Tonabnehmer bauen.

Die modernen Anforderungen jenseits von Normen

Von modernen Tonabnehmern wird eine extrem hohe Abtastfähigkeit verlangt, denn beim Schneiden der Folien richten sich viele Techniker schon längst nicht mehr nach den IEC- oder DIN-Empfehlungen. Immer häufiger kommen in der Tonrille Auslenkungen und Schnellen vor, bei denen auch die besten heute erhältlichen Abtaster zu verzerren beginnen, weil die Nadel buchstäblich aus der Rille geschleudert wird oder kurzzeitig den Kontakt zu den Rillenflanken verliert.

Ein bekanntes Beispiel ist die „1812 Ouvertüre" von Telarc (vgl. KlangBild, April 1981), aber extrem hohe Schnellen bei mittleren und hohen Frequenzen sind leider auch keine Seltenheit mehr. In der Qualitätskontrolle bei den Plattenfirmen werden die dadurch produzierten Verzerrungen nur in krasseren Fällen erkannt.

Zweifache Abtastfähigkeit

Bei der sogenannten „Trackability" - ein von Shure in der Werbung immer wieder betonter Begriff seit vielen Jahren - muß man zwei Dinge unterscheiden, nämlich zum einen, die Abtastfähigkeit der Tiefen.

Hier kommen derzeit Rillenauslenkungen bis zu etwa ±70 Mikrometer in Extremfällen vor. Wieweit die Nadel solchen Modulationen folgen kann, ohne zu verzerren, hängt von der Nadelnachgiebigkeit des Systems ab.

Die Fachbegriffe „Trackability und "Schnelle"

Wieweit große Schnellen bei hohen Frequenzen noch verzerrungsfrei abgetastet werden können, hängt zum anderen von der effektiven Masse des schwingenden Wandlersystems ab. Einen optimalen Kompromißwert muß man als Entwickler auch hier finden. Man könnte die schwingenden Teile immer noch winziger und leichter gestalten, würde dann aber Gefahr laufen, daß das ganze System instabil und bei der ersten Plattenverwellung oder einem größeren Seitenschlag defekt wird.

Es geht noch „leichter"

An die technologische Schallmauer ist man aber laut Frits Nygaard von Ortofon in puncto effektive Masse noch nicht gekommen:

Die Grenze, bis zu der hin die effektive bewegte Masse eines Tonabnehmers reduziert werden kann, ist noch nicht abzusehen. Neue Materialien und Verarbeitungsweisen werden erfunden.

Dinge, die vor zwei Jahren nur als Stäbchen erhältlich waren, kann man plötzlich als Röhrchen kaufen, ohne daß man sich damit eine geringere Steifigkeit einhandeln würde. Also kann man die Masse verringern. Bessere magnetische Materialien werden gefunden, so daß man einen höheren magnetischen Fluß erhält und die Masse des bewegten Systems verringern kann. Kleinere Diamanten können produziert werden - all das kommt zusammen.

Ich glaube, es wird noch einige Jahre dauern, bis man bezüglich der bewegten Masse des schwingenden Systems an eine technologische Grenze gekommen sein wird. Viele Hersteller geben als bewegte Masse nur das Gewicht des verwendeten Diamanten an, und das ist natürlich falsch und irreführend.

Wenn der Käufer wissentlich belogen wird

Den letzten Punkt hält auch Stanton-Entwicklungschef George Alexandrovich für eine glatte Lüge gegenüber dem Käufer, allerdings eine sehr werbewirksame:

Die Angaben, die manche Hersteller in ihren Anzeigen über angeblich drastisch verringerte effektive Masse ihres neuen Abtasters machen, weil sie einen kleineren Diamant verwenden, sind völlig irreführend. Im Durchschnitt macht der Diamant, wie man kalkulieren kann, nur 20 Prozent der dynamischen Tip-Masse aus. Aber das steht dann da schwarz auf weiß, und so belügt man die Verbraucher.

Man wird die effektive Masse bis auf knapp unter 200 Mikrogramm verringern können. Allerdings sind in der Praxis Toleranzen bis zu 25 Prozent unvermeidlich. Eine Grenze ist deswegen gegeben, weil unter der Reduzierung der Masse die Stabilität und Steifigkeit der Konstruktion nicht leiden darf. Zu dünne Nadelträgerröhrchen würden sich schon beim ersten Abspielen einer leicht verwellten Platte für immer verbiegen.

Der Schlüssel ist die dynamische Masse des Systems

Derselben Meinung ist auch Werner Fidi. Auch wenn man "perfektere" ?? Dämpfungs- vorrichtungen bei vielen Tonarmen hätte, müßte man immer noch versuchen, die dynamische Masse des Systems herunterzusetzen:

Wenn heute die effektiv bewegte Masse unter 0,5 Milligramm liegt, ist das schon ein sehr guter Wert. Es ist natürlich unseriös und kompletter Unsinn, als effektive Masse das Gewicht des Abtastdiamanten anzugeben. In der Fertigung wird man künftig die effektive Masse vielleicht bis auf etwa 200 Mikrogramm reduzieren können. Aber dann ist man auch an der Grenze angelangt. Trotzdem ist natürlich die effektive Masse ein ganz wesentliches Kriterium, weil von ihr die Abtastfähigkeit der Höhen abhängt. Man kann sich natürlich mit Dämpfungsvorrichtungen behelfen, aber die bewegte Masse sollte trotzdem unbedingt so klein wie möglich gehalten werden.

Womit wandeln?

Durchaus uneins waren sich die befragten Techniker, wie ich schon eingangs ausführte, in der Frage des optimalen Wandlersystems.

Bei Ortofon baut man bekanntlich hochwertige dynamische Abtaster mit geringem Innenwiderstand, die einen brummunanfälligen Vor-Vor-Verstärker oder Trafo benötigen, aber auch Magnetsysteme nach dem patentierten VMS-Prinzip (VMS = variable magnetic shunt), die eine hohe kapazitive Belastung von 400 Picofarad benötigen.

AKG baut ausschließlich „moving iron"-Tonabnehmer, obwohl man als renommierter Mikrofon-Hersteller sowohl mit dynamischen Wandlern als auch mit dem Kondensator-Prinzip bestens vertraut ist. Trotzdem wollte man in diesem Hause bisher keine „moving coil"-Systeme auf den Markt bringen.

Ausschließlich Magnetabtaster bietet Stanton an, weil man - genauso wie bei AKG - der Meinung ist, mit diesem Prinzip die geringstmögliche effektive Masse erreichen zu können.
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