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Compact Disc - Digital Audio - eine Herausforderung für den Tonmeister

von Jürg Jecklin im Frühjahr 1983

Neue Techniken haben schon immer neue Anforderungen an die Tonaufnahme gestellt. Das ist bei der jüngsten studiotechnischen Umwälzung, der Digitalisierung, nicht anders. Sollen die Vorzüge digitaler Aufzeichnung tatsächlich voll genutzt werden, so sind nach den Anstrengungen der Techniker nun die Tonmeister gefordert, die besseren „Werkzeuge" so zu gebrauchen, daß sich klangliche Verbesserungen daraus ergeben.

Jürg Jecklin, Tonmeister in Basel und Autor dieses Beitrags, kann aus einem reichen Fundus eigener Erfahrungen mit der Digitaltechnik schöpfen.

Die Zukunft hat bereits begonnen

Jürg Jecklin - Die Kunst, Mikrofone aufzustellen

Im professionellen Bereich hat die digitale Audiozukunft bereits begonnen. Die großen Schallplattengesellschaften setzen bei allen wichtigen Aufnahmen seit einiger Zeit PCM-Aufzeichnungsgeräte ein. Für den Endverbraucher beginnt das PCM-Zeitalter aber erst jetzt, mit der Einführung der Compact Disc auf dem Markt.

Über die Vor- und Nachteile der PCM-Technik ist schon viel (und oft mit erstaunlich wenig Fachkenntnis) diskutiert worden. Die Meinungen sind kontrovers. Unbestritten ist der „meßtechnische" Vorteil der PCM-Technik. Der HiFi-Freak und Musikfreund ist aber nicht primär an besseren Meßdaten interessiert. Er erwartet und erhofft sich von der Compact Disc besser klingende, natürlichere und vielleicht auch musikalisch "richtigere" Aufnahmen.

Eine neue Ära

Die Entwicklungsleute haben die Basis für eine neue Ära geschaffen. Die Tonmeister müssen jetzt der neuen Technik zum Durchbruch verhelfen.
Diese Situation ist nicht neu. In der Anfangszeit der Schallplatte gab es, den technischen Möglichkeiten entsprechend, sowohl schlechte als auch hervorragende Schellack- „Direktschnittplatten". Das gleiche läßt sich von den späteren Mono- und schließlich den Vinyl-Stereoaufnahmen sagen. Die Eigenschaften und Möglichkeiten der Technik waren immer eine Sache und das, was der Tonmeister damit anzufangen wußte, eine andere!

Jede technische Neuerung bedeutet für den Tonmeister eine Herausforderung, denn für ihn hat die Technik so etwas wie „Werkzeugcharakter". Der Tonmeister muß mit den jeweiligen technischen Möglichkeiten optimale Ergebnisse erzielen. Er muß die Vorteile der Technik nutzen und dafür sorgen, daß sich die Unzulänglichkeiten nicht bemerkbar machen.

Die Unzulänglichkeiten der Analogtechnik

Die Unzulänglichkeiten der Analogtechnik sind bekannt, vor allem die der Bandaufzeichnung mit ihren Gleichlaufschwankungen (Flutter), dem Grund- und Modulationsrauschen, der schlechten Aussteuerbarkeit im hohen Frequenzbereich etc. Trotz der Verbesserungen der letzten Jahre (Einsatz von Geräuschvermindungsverfahren wie Dolby-A, TelCom und dbx) sind die Eigenschaften der Analogbandaufzeichnung in vielen Beziehungen um eine oder zwei Zehnerpotenzen schlechter als die der elektronischen Geräte der Übertragungsanlage. Gehörmäßig wirken sich Analogbandeigenschaften beim Vergleich Vorband / Hinterband vor allem als Verschleierung des Klangbildes und als Impulsverflachung aus.

Die seit einiger Zeit übliche „halbanaloge" Technik (Kombination PCM-Bandaufnahme / herkömmliche Schallplatte) hat die Unzulänglichkeiten des
Analogbandes beseitigt. Geblieben ist aber bei dieser Kombination die Problematik der herkömmlichen Schallplatte: zum Beispiel die Notwendigkeit einer Pegelbegrenzung im tiefen Frequenzbereich (Rillenauslenkung), all das, was beim Überspielen und bei der Fertigung passiert, schließlich die Schwierigkeiten bei der Abtastung der fertigen Schallplatte durch den Tonabnehmer.

Die Compact Disc verändert die Welt der Musik

Und nun die durch die Compact Disc veränderte Situation: Der Konsument kann zum ersten Mal in der Audiogeschichte sicher sein, daß er genau das in seine Stube geliefert bekommt, was auf dem Masterband vorhanden ist.

Der Tonmeister aber wird es in Zukunft nicht einfacher haben. Auf der einen Seite wird die Schuld an nicht optimalen Aufnahmen voll ihm angelastet werden. Technische Unzulänglichkeiten wird er zur Entschuldigung nicht mehr geltend machen können. Auf der anderen Seite kann er aber seine bisherige Erfahrung nur zum Teil auf die Arbeit mit der neuen Technik übertragen. Der Tonmeister hat ein neues, besseres Werkzeug bekommen, das er zuerst kennenlernen muß.

Was ist anders bei CD ?

Beim Arbeiten mit der neuen Technik muß er folgende Unterschiede berücksichtigen :
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  • • Analog: Die Aufnahmen sind leicht verschleiert und weichgezeichnet. PCM: Die Aufnahmen sind klar, neutral, eher kalt.
  • • Analog: Impulse werden entschärft und verflacht. PCM: Impulse werden unverfälscht festgehalten.
  • • Analog: Die nutzbare Dynamik ist nicht ausreichend (Schallplatte). PCM: Die nutzbare Dynamik erlaubt Aufnahmen ohne Dynamikeinengung.

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Diese Unterschiede ziehen unterschiedliche Arbeitsweisen nach sich:

  • • Bisher war es sinnvoll, weiche Aufnahmen zu machen. Bei PCM-Aufnahmen muß man die Möglichkeit der größeren Klarheit nutzen.
  • • Bisher war es oft notwendig, einzelne verdeckte Instrumente aus dem leichten Schleier mit Hilfe von Stützmikrophonen herauszuheben. Bei PCM-Aufnahmen ist die Verdeckungsgefahr kleiner, dafür werden aber Stützmikrophone viel eher als solche wahrgenommen.
  • • Bisher konnte man auf eine Dynamik-Einengung oft nicht verzichten. Bei PCM-Aufnahmen ist sie nicht mehr notwendig.
  • • Bisher wurde der Grundgeräuschpegel in erster Linie von den Speichergeräten bestimmt. Das Problem bei PCM-Aufnahmen ist das Grundgeräusch vom Mikrophon und den Mikrophoneingängen des Mischpultes. Der Einsatz von vielen Mikrophonen ist problematisch, da sich das Grundrauschen addiert.
  • • Bisher wurde künstlicher Nachhall oft extensiv eingesetzt. Bei PCM-Aufnahmen ist das gefährlich, denn künstlicher Nachhall wird viel eher als solcher wahrgenommen. Die Konsequenz: kein künstlicher Nachhall oder bessere Hallgeräte.

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Zumindest etwas geht aus dieser Zusammenstellung hervor:
Zum Tragen kommen die Vorteile der PCM-Technik nur, wenn sie genutzt werden. Das wird aber nur der Fall sein, wenn der Tonmeister einen Teil seiner bisherigen Erfahrungen über Bord wirft und neu beginnt.

Blick in die Vergangenheit

Mit technischen Herausforderungen in der Vergangenheit sind die Tonmeister manchmal besser, manchmal schlechter fertig geworden.

Die Probleme der (Schellack-) Direktschnitt-Anfangszeit wurden gut gemeistert. Zum Beispiel wurden die Geigen durch sogenannte Stroh-Geigen (Geigen mit einem Trichter und ohne Resonanzkörper) ersetzt, die bei der mechanischen Plattenwiedergabe noch hörbar reproduziert wurden.

Die Einführung der elektrischen Aufnahmetechnik in den zwanziger Jahren brachte eine „meßtechnische" Verbesserung. Auch die Aufnahmen wurden schlagartig besser. Es gibt Monoaufnahmen, die in ihrer Art optimal sind und sich heute noch hören lassen können.

Dann kam als neue Herausforderung die zweikanalige Stereophonie. Eingeführt wurde sie mit spektakulären Aufnahmen, die die Möglichkeiten und den Sinn der neuen Technik demonstrierten. Diese spektakulären Aufnahmen wurden aber auch kritisiert und als Effekthascherei abgetan. Es folgte eine Zeit von flauen Aufnahmen, bei denen die Stereomöglichkeit vermeintlich „verantwortlich" eingesetzt wurde.

Die nächste Stufe war die Polymikrophonie (kritiklos übernommen von der U-Musik-Aufnahmetechnik), die zu unnatürlichen und manipuliert klingenden Aufnahmen führte.

Heute

Heute ist das ganze Spektrum an Möglichkeiten auf Platte zu haben, wobei festgestellt werden muß, daß gerade die Großen der Branche nicht immer durch überzeugende Aufnahmen hervorstechen.

Leider nur ein Intermezzo war die Quadrophonie, die sich nicht durchsetzte. Schuld daran waren zum Teil technische Probleme und eine fehlende Norm, zum Teil aber auch die Tatsache, daß keine überzeugenden Quadroaufnahmen auf den Markt kamen. Die Tonmeister wußten mit den neuen Möglichkeiten nichts anzufangen, oder sie wollten vielleicht auch nichts damit anfangen. Der Entwicklungsleiter einer namhaften amerikanischen Firma, die voll auf Quadrophonie gesetzt hatte und daran fast pleite ging, hat das drastisch ausgedrückt: „Die Quadrophonie ist an der Ignoranz der Tonmeister gescheitert."

Dann kam als Teilverbesserung die PCM-Technik als Ersatz der analogen Bandaufzeichnung. Erstaunlicherweise wurden die Aufnahmen aber nicht generell besser. Es gibt nur wenige wirklich hervorragende PCM-Aufnahmen auf Schallplatte, bei denen die Kombination PCM-Band/Schallplatte einen Sinn hat.
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Um es noch einmal zu sagen: Dieser geschichtliche Überblick zeigt deutlich, daß eine bessere Technik eine Sache ist, und das, was man damit macht, eine ganz andere!

Plädoyer für einen Neuanfang

Bis jetzt habe ich versucht, die Situation objektiv darzustellen. Ich möchte subjektiv und vielleicht sogar polemisch schließen. Ich habe mir PCM-Bandaufnahmen aller großen Hersteller und rund zwanzig der ersten Compact Discs angehört.

Das Ergebnis hat mich enttäuscht. Bei den meisten dieser Aufnahmen wurde einfach am Ausgang des Mischpultes statt einer Analog- eine PCM-Maschine angeschlossen; im übrigen wurden die Aufnahmen gemacht wie bisher: manipuliert, mit vielen Mikrophonen, undefiniert weich, mit einem häßlichen „Hallschwanz" nach jedem Schlußakkord.

Bei der U- und Popmusik hat man in den letzten Jahren zu einer adäquaten und richtigen Aufnahmetechnik gefunden. Es wäre jetzt an der Zeit, auch bei der klassischen „Konzertsaalmusik" so weit zu kommen.

Diese Musik wurde vom Komponisten für eine Konzertaufführung in einem Saal mit Publikum geschrieben. Unter idealen Verhältnissen stimmt für das Publikum im Saal klanglich und musikalisch alles. Der Tonmeister müßte also nur noch das bereits richtig Vorhandene richtig aufnehmen. Es ist nicht einzusehen, wieso man ein Orchester in Sektoren unterteilt, diese mehr oder weniger getrennt mit vielen Mikrophonen aufnimmt und dann am Mischpult das in natura bereits richtig vorhandene Klangbild wiederherstellt.

Braucht es einen neuen Grundsatz

Man müßte endlich zu folgendem Grundsatz finden:

Natürliche Musik muß auch „natürlich" aufgenommen werden!

Konkret heißt das:

  • • Aufnahmen nur in akustisch geeigneten Räumen ohne künstlichen Nachhall.
  • • Aufnahmen mit der optimalen Orchesteraufstellung und möglichst nur mit zwei oder drei geeigneten Mikrophonen in einer geeigneten Stereoanordnung.
  • • Falsche Balance sollte nicht mit Hilfe von zusätzlichen Mikrophonen, sondern durch eine andere Aufstellung der Musiker korrigiert werden. (Die Tonregiearbeit verlagert sich so vom Mischpult ins Studio oder in den Saal.)
  • • Eventuell doch noch notwendige Stützmikrophone müssen vorsichtig eingesetzt werden.

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Ich plädiere also für einfache, unmanipulierte und natürliche Aufnahmen, für Aufnahmen, wie man sie schon immer hätte machen sollen, wie sie aber erst dank der PCM-Technik und der Compact Disc möglich geworden sind.

Jürg Jecklin

 

Das Bild fehlt noch
Korpuslose Geigen mit Trichter, wie sie der Deutsche Augustus Stroh 1899 zum Patent angemeldet hatte, wurden zu Beginn dieses Jahrhunderts für Schallaufnahmen verwendet.

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