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Dieser in der Überschrift referenzierte Artikel umfaßt ein Interview mit dem Physiker und Lautsprecher-Entwickler Dr. Oskar Heil aus USA, der wenige Jahre danach verstorben war. Dr. Müller ist Mitgründer des Lautsprecherherstellers Backes und Müller aus dem Saarland.

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EIN ABSOLUTES PRINZIP GIBT ES NICHT ....

Zum KlangBild-Interview (Dez. 1976) mit dem Lautsprecherentwickler Dr. Oskar Heil nimmt Dr. Friedrich Müller (von Backes & Müller) Stellung.

Zum Hintergrund : Beim Studium der Physik lernte Friedrich Müller den Studenten Wolfgang C. Backes kennen. Unzufrieden mit den vorhandenen Lautsprechern, begannen sie, selbst zu entwickeln. Mit Erfolg: ihre Box „Monitor 5" gehört zu den am meisten beachteten auf der hifi '76. Dem Problem der Resonanzdämpfung begegnen Backes & Müller mit Elektronik.

Die Aufforderung, zu dem Interview mit Herrn Dr. Heil Stellung zu nehmen, ist für den Autor Müller nicht leicht zu erfüllen, denn der Respekt vor dem Mann, der in den dreißiger Jahren einen Feldeffekt-Transistor erfunden hat, persönliche Sympathie sowie landsmannschaftliche Verbundenheit als Pfälzer sind geeignet, eine objektive Betrachtung zu stören.

Es sei trotzdem eine unvoreingenommene Stellungnahme versucht.
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Die Ausführungen im Einzelnen

Die von Franz Schöler gestellten Fragen passen so gut zu den dort gegebenen Antworten, daß die angesprochenen Themen zwar vollständig, jedoch nicht in der durch die Fragen vorgegebenen Reihenfolge behandelt werden sollen.

Dr. Heil betrachtet, im Gegensatz zu den meisten anderen Lautsprecherbauern, die auftretenden Probleme von einer höheren Warte aus und erwähnt Einzelheiten der technischen Ausführung nur als Beispiele („Sirup dranschmieren"). Dabei wird die Gefahr geringer, in vielen Kleinigkeiten den Überblick zu verlieren, und das übliche Verwirrspiel mit zwar richtigen, aber völlig irrelevanten Konstruktionsmerkmalen ist nicht möglich.

Über die Wirkungsgrade von Lautsprechern

Zur Frage des Wirkungsgrades von Lautsprechern ist zu ergänzen, daß dieser durch Hornkonstruktionen drastisch erhöht werden kann; eine Lösung, die von Dr. Heil, wohl wegen der damit verbundenen Klangverfärbungen, gar nicht erst erwähnt wurde.

Der Kampf gegen die Dämpfung (bis hin zur elektrischen Bedämpfung durch den Endverstärker) spielt bei Dr. Heil eine große Rolle. Allerdings führt nicht die Dämpfung selbst zu Verzerrungen, sondern höchstens die Art, wie sie üblicherweise erzeugt wird.

Warum aber sind Membranen mit starker innerer Dämpfung so weit verbreitet?

Die Antwort ist einfach: sie sind der bequemste Weg zu einem gut aussehenden Amplitudenfrequenzgang.

Beschreibung eines schwingungsfähigen Gebildes

Wohlgemerkt: zwischen „gut aussehend" und nicht „gut" ergibt sich ein erheblicher Unterschied, wie kurz erläutert werden soll:

Amplitudenfrequenzgang und Phasenfrequenzgang zusammen bilden eine vollständige Beschreibung eines schwingungsfähigen Gebildes, d. h., es werden ausnahmslos alle Eigenschaften erfaßt. Zwei Einschränkungen gehören aber unabdingbar dazu: Einmal beschreiben die genannten Messungen ein einziges schwingungsfähiges Gebilde und nicht ein gekoppeltes System aus Hunderten davon, wie es ein Lautsprecherchassis darstellt.

Zum anderen heißt der physikalische Terminus „vollständige Beschreibung" nicht, daß die Beschreibung auch verständlich ist. Wollte man aus den genannten Frequenzgang-Diagrammen auf den Klang eines Lautsprechers schließen, so müßte man jede darin enthaltene Einzelheit genau analysieren.

Es gibt in der Physik eine Menge Fragen ohne eine Antwort

Die Betrachtung eines Frequenzganges würde zu einem Forschungsprogramm ohne gültiges Ergebnis werden, da wegen der ersten der oben erwähnten Einschränkungen bereits die Messung keine eindeutigen Aussagen enthält.

Das dilettantische Verfahren, ein Lineal anzulegen und die eine oder andere Resonanz zu vermuten, erlaubt nicht einmal ein ungefähres Urteil. Eine gültige Beurteilung kann derzeit nur durch das Gehör erfolgen, wobei die Meßtechnik unverbindliche Hinweise geben kann. Geübte Lautsprechertester wissen das. In der Industrie hat es sich noch nicht allgemein herumgesprochen.

Völlig konträr : Ohr kontra Messmikrofon

Man benutzt in der Lautsprechermeßtechnik hervorragende Mikrofone und schließt daran eine ganz minderwertige Auswertung an, während das menschliche Gehör mit einem schlechten „Mikrofon" arbeitet, aber eine hervorragende Auswertung der empfangenen Signale im Gehirn vornimmt.

Eine Meßanordnung, die zu solcher Leistung in der Lage wäre, könnte auch, an eine Fernsehkamera angeschlossen, ein Automobil selbständig durch den dichtesten Stadtverkehr lenken. Niemand käme auf die Idee, dies zu versuchen.

  • Anmerkung aus 2018 : Hier irrt Dr. Müller im Jahr 1976 gewaltig. Da fehlten ihm die Visionen des Dr. Heil. Die Autos der großen Hersteller und sogar von Computer-Konzernen fahren heutzutage nahezu autark. Es gibt ganze Roboter- Messen, bei denen selbstfahrende Fußballspieler und Basketballspieler Bälle ins Tor werfen und schiessen.

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Das Fachwissen von 1976

Die Auswertung, die heute (1976) bei Frequenzgängen vorgenommen wird, entspräche etwa dem absurden Verfahren, die Echtheit eines Gemäldes zu prüfen, indem man mit einer Präzisionswaage feststellt, wieviel Gramm von welcher Farbe verwendet wurden.

Daß der Phasenfrequenzgang meistens gar nicht gemessen wird, kann man da nur begrüßen.

Daß dabei das Ohr gerade die in Lautsprechermembranen (auch in stark gedämpften) auftretenden materialbedingten Eigenschaften besonders empfindlich heraushört, ist in der Tat vom Standpunkt des Audio-Ingenieurs aus betrachtet schade, war dem Menschen im Laufe der Evolutionsgeschichte aber durchaus nützlich.

Das A und O ist die Membranbewegung

Das Fazit aus den Forderungen, die Dr. Heil an die Lautsprechermembran stellt, kann man nur voll und ganz unterstützen: Man darf nicht eine unsaubere Membranbewegung zuerst zulassen und ihre sichtbaren Auswirkungen dann durch Dämpfung beseitigen, sondern man muß die Membran so gestalten, daß die Bewegung von vornherein kolbenförmig ist.

Dr. Heil betrachtet dabei völlig zu Recht nicht nur die Membran, sondern auch die anderen mit der Membran mitbewegten Teile wie z. B. die Membranaufhängung.

Aus der elasto-kinetischen Betrachtungsweise fordert er die Beseitigung aller Möglichkeiten einer unerwünschten Energiespeicherung. Ein Energiespeicher läßt sich jedoch mit mechanischen Mitteln nicht beseitigen, jedenfalls dann nicht, wenn man ohne Dämpfung auskommen will.

Manche Aussagen von damals sind nicht mehr richtig

Denn, wie Paul Klipsch sehr richtig feststellte, muß ein Lautsprecher hinten geschlossen sein, so daß sich ein elastisches Luftvolumen ergibt, gegen dessen Rückstellkraft man grundsätzlich machtlos ist. (Auf das Problem Baßreflex hier einzugehen, würde zuweit führen.)

  • Anmerkung : Alle drei - Dr. Klipsch, Dr. Heil und Dr. Müller -, haben hier seit ein paar Jahren NICHT mehr Recht. Die Linkwitz Boxen sind rund herum offen und erzeugen einen gewaltigen unverfärbten Bass.


An dieser Steile trennen sich die Wege von Dr. Heil und Backes & Müller. Heil läßt seine Membranen auch nach hinten abstrahlen, da er sie nicht in ein geschlossenes Gehäuse einbauen kann, was zu gewissen Problemen führt.

Dagegen wird bei B&W Boxen der Strahler nullter Ordnung angenähert und die verbliebene Grundresonanz mit Hilfe der Elektronik ausgeschaltet.
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Und mancher Vergleich ist sicher ein Scherz

Die Stradivari mit angehängtem Sack ist ein reizvolles Bild, war aber, da hier Klangerzeugung und Klangwiedergabe verwechselt wurden, wohl nicht ernst gemeint.

Wenn man einen Steinway in der Art wie eine Air Motion Transformer Membrane zusammenfaltet, würde er sicherlich klingen wie ein Schifferklavier.
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Dr. Heils Tieftöner-Konzeption

Die guten Eigenschaften der von Dr. Heil verwendeten Graphitstäbe (diese brandneue Konzeption des Tieftöners ist noch nicht auf dem Markt, Anm d. Red.) haben mit der Eigenbewegung der Membrane nichts zu tun.

Die Schallgeschwindigkeit von 10.000m/s gilt für eine Longitudinalwelle, die zur Schallabstrahlung nichts beiträgt. Sie überträgt ledig die Kraft von der Schwingspule zu den Membranen. Das eigentliche Problem ist aber gerade der Übergang von dieser Longitudinalwelle in eine Biegewelle.

Lautsprecherentwickler = Alchimisten oder Medizinmänner

Es ist erfreulich, nicht nur über Lautsprecher zu lesen, sondern auch über Lautsprecherentwickler. Diese werden mit Medizinmännern verglichen. Man könnte auch sagen, Alchimisten auf der Suche nach dem Stein der Weisen.

Die Fachzeitschrift „Funkschau" hat diesen Teil der Lautsprecherentwicklung „Schwarze Magie" genannt. Ein solcher Vergleich drängt sich unmittelbar auf, wenn man sich z. B. im Katalogteil des „HiFi-Jahrbuchs" oder in der Patentliteratur die Vielzahl der exotischen Lautsprecherkonstruktionen anschaut und liest, was ihre Schöpfer dazu schreiben.

Über die Unwissenheit auf beiden Seiten

Wie bei den wirklichen Medizinmännern und Alchimisten ist die Grundlage dafür eigene Unwissenheit und Unwissenheit der Käufer, die diese Arbeit bezahlen. Es gibt auch Scharlatane, die sehr wohl wissen, was sie da tun, aber das sind Ausnahmen.

Daß Unwissenheit in unserem technisch so aufgeklärten Zeitalter noch so weit verbreitet ist, liegt daran, daß einerseits eine richtige Betrachtung so schwierig ist, daß bereits ein einzelnes Lautsprecherchassis mathematisch exakt nicht mehr zu beschreiben ist, anderseits aber die technische Ausführung so einfach ist, daß jeder Bastler eine irgendwie klingende Box bauen kann.
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  • Anmerkung : Nach Aussagen von Professor Dr. Ing. Hausdörfer ist jedewede mechanische Bewegung - ja jeder physikalische Vorgang - mathematisch zu beschreiben. Es ist eine Frage der gedanklichen Kapazität (bzw. der Intelligenz) des Menschen und des damit verbundenen Aufwandes, das sauber und vollständig zu formulieren.
  • Damals um 1964-65 ging es beim professionellen Fernsehen um die elektrophysikalischen (Halbleiter-) Vorgänge im Inneren einer Super-Orthicon Bildabtaster-Röhre, deren Halbleiter-Vorgänge und Schwächen Prof. Hausdörfer mathematisch formulierte und berechnete und damit bewies, daß damit kein Farbfernsehen zu machen wäre. Und es ging wirklich nicht, leider. Deutschland West mußte 1967 mit Philips Kameras ins Farbfernsehen einsteigen, welche Blamage.

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Wer ein Fernsehgerät konstruieren will, muß sich in der Elektronik auskennen, sonst erscheint auf der Bildröhre kein Bild. Aus einer Lautsprecherbox kommen aber auch dann noch alle Tonlagen irgendwie heraus, wenn bei der Konstruktion grobe Fehler gemacht wurden. Wenn sich doch dabei wenigstens die Tonhöhe verändern würde! Dann könnte jeder auf Anhieb hören, was von manch abenteuerlicher Konstruktion zu halten ist. Die Verwirrung wird noch größer dadurch, daß jeder Händler selbstverständlich, was völlig legitim ist, das anpreist, was er am liebsten verkauft.
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Was ist Akustik wirklich ??

Die Aussage, kein Mensch habe sich überlegt, was Akustik wirklich ist, scheint dem Autor (Dr. Müller) zu streng. Vielleicht gilt für Lautsprecherbauer das, was Friedrich II. von Preußen ganz allgemein meinte:

  • Auf einen Menschen mit Verstand muß man hundert Narren und tausend Schwachköpfe rechnen.


Dr. Heil spricht nicht nur von Lautsprechern, sondern baut auch welche. Mit dem in Düsseldorf gezeigten Prototyp wurde ein Tieftöner gezeigt, der alle konkurrierenden Passivkonstruktionen deklassierte. Dieser Tieftöner ist das ideale Chassis für Boxen, bei denen eine vollständige elektronische Regelung aus finanziellen "oder urheberrechtlichen" Gründen nicht in Frage kommt. In der Herstellung wäre er kaum teurer als ein Tieftöner mit großer Membran nach herkömmlicher Bauart.
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  • Anmerkung : Es gab bei mehreren deutschen Herstellern Versuche, diese "urheberrechtlichen Fragen" (also die bereits erteilten Patente) zu "umrunden", in Japan natürlich erst recht. Insbesondere Canton hatte mit der CA Serie da mal voll daneben gegriffen. Ohne die zugehörige Beschreibung war und ist diese Regelung selbst im größeren Keis von Ingenieuren bislang nicht nachvollziehbar.

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(Anm.: Anschriften: Backes & Müller GmbH, Hixberger Weg 23-25, 6625 Püttlingen. Heil-Air-Motion-Transformer: ESS Deutschland GmbH, Mainzer Straße 50, 62 Wiesbaden.)

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