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(1) Einleitung :
"Dem hochverehrlichen Publikum" . . . . .

Dem hochverehrten Publikum, den Damen und Herren mit Kunstverstand und musikalischer Kultur bieten wir im Folgenden eine wahre Geschichte, die in dieser Form garantiert erstmalig und exklusiv dem Druck übergeben wurde. Etwa 100 Helden der Tönenden Künste, höchst verehrungswürdige Herrschaften der Internationalen Phonographie, versammeln sich zur REVUE eines halben Jahrhunderts.

Sie erleben in der ersten Abteilung
kühne Erfinder und strebsame Mechaniker, königliche Kauf leute und bürgerliche Walzenfabrikanten; Männer mit abendfüllenden Vollbärten sowie einige recht hübsche Damen des Sekretariats.

In der zweiten Abteilung sodann
ehrgeizige Chansonetten und huldreiche Primadonnen, unvergeßliche Männer mit Klavier und Geige, dazu singende Evangelisten und unerschrok-kene Tierstimmen-Imitatoren.

In der dritten Abteilung
treten ganze Negerchöre auf und erleben Sie ferner die berühmtesten Helden des Hohen C sowie das allezeit heitere Völkchen der leichtgeschürzten Muse.

Wir führen Sie durch Bühnen und Boudoirs, Kneipen und Fabriken, Schuppen und Paläste, wobei alles inklusive zu besichtigen ist. Der Wahrheit Rechnung tragend, muß aber auch von Hinterzimmern die Rede sein, von lasterhaften Ludimagistern, Gauklern, Patentdieben und - leider auch - Quartalssäufern.

Der einsichtige Leser weiß ohnehin, daß Musik nicht nur eitel Harmonien verströmt und daher auch der kakophonischen Nebengeräusche nicht entbehren kann.

Der politisch Gebildete wird außerdem das honorige Vergnügen haben, Seiner Majestät dem Kaiser zu begegnen, ferner dem Zaren aller Reußen, dem Reichskanzler Bismarck, dem Staatspräsidenten Jan Ignaz Paderewski sowie anderen hohen Persönlichkeiten des Vaterländischen Lebens.

Mit dem Auftreten solcher Prominenz vermitteln wir zugleich eine in kürzester Zeit verständliche Methode des Eindringens in das . . . . . . . .

Das GEHEIMNIS der schwarzen Scheibe

Wir beleuchten das Labyrinth der Phonographie und blicken den Trichtergrammophonen kühn in den Rachen. Bevor wir das hochverehrliche Publikum jedoch in das Odeon der Tönenden Künste bitten, nennen wir an dieser Stelle einige Hauptpersonen im voraus, deren Namen sich der kluge Leser nachhaltig einprägen wird.
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  • Der berühmte Alles-Erfinder THOMAS ALVA EDISON, der als erster auf den Trichter kam,
  • Der außerordentliche EMIL BERLINER, der bald darauf in die Breite ging,
  • Der hochachtbare ELDRIDGE JOHNSON, der aus dem Nichts eine Weltfirma zauberte,
  • Der alleweil zielbewußte WILLIAM BARRY OWEN, der die Sache mit Europa richtig anpackte,
  • Der hellhörige FRED GAISBERG, der alles, was er hörte, zu Zink & Schellack machte,
  • Die findigen PATHE-BRÜDER, die die Begleitmusik einer ganzen Epoche lieferten,
  • Der verehrungswürdige BRUNO SEIDLER-WINKLER, der so kundig in der Phono-Sprache dolmetschte.

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(2) EDISON LÄSST DIE MASCHINE SPRECHEN

Mit einem »Hallo« fing die Geschichte der Schallplatte an. Es war kein Menschenmund, der dieses Wort sprach; es war ein kaltes künstliches Gebilde aus Gußeisen, Blech und Paraffin. Es war das erste Wort, das durch die Aufzeichnung des Schalls festgehalten und wieder hörbar gemacht wurde.

HALLO
»Hallo«, sagte eine Maschine und strafte das prophetische Wort des Fabelfürsten Lafontaine Lügen: »Und der Höhepunkt des Schreckens: die Maschinen sprachen.«

1877

Am l8. Juli 1877 notierte Edison wie an jedem Tag seine Arbeit in einem Werkbuch. Die Uhr zeigte schon nach Mitternacht. In die geschäftigen Labors und Werkhallen von Menlopark war Ruhe eingekehrt. Während der Rauch seiner Zigarre in dünnem Faden gegen die Decke stieg, schrieb der Dreißigjährige:

»Habe soeben mit einer Membran experimentiert, die mit einer Stichelspitze versehen ist und gegen ein rasch vorbeiziehendes Wachspapier gehalten wird. Die Sprachschwingungen werden hübsch eingraviert, und es besteht kein Zweifel darüber, daß ich imstande sein werde, die menschliche Stimme in vollkommener Weise zu konservieren und zu beliebiger Zeit automatisch zu reproduzieren.«

Die Stichelspitze an der Membran war eigentlich nur ein Notbehelf, eine zufällige Ergänzung seiner Versuche, die er im Auftrag der Western Union mit dem Fernsprecher anstellte, da die Erfindung Alexander Graham Bells noch sehr verbesserungbedürftig war. Doch die Arbeit wollte und wollte nicht weitergehen.

Die Theorie

Theoretisch war alles klar, aber Edison konnte seinem Gehör nicht trauen, das ihm ein jähzorniger Schotte durch eine Ohrfeige ruiniert hatte. Wie sollte er also die feinen Summtöne hören, die die in Schwingungen versetzte Membran ausstrahlte ? Wie schon so häufig, brachte auch hier Edisons logisches Denken die Erleuchtung.

Er ließ von Werkmeister Kruesi eine Nadel auf die Membran löten und konnte nun mit dem Finger genau feststellen, ob die Membran in Schwingungen geriet. Schwingungen, die durch die menschliche Stimme hervorgerufen wurden... Edison wollte zu seiner Zigarre greifen, doch auf der feuerfesten Tischplatte lag nur noch eine Walze weißgrauer Asche.

Edison sagt »Hallo«

Während der nächsten Tage ging Edison der Gedanke "an eine kleine Maschine, mit der man eine gesprochene Botschaft festhalten und später weitergeben konnte, nicht aus dem Kopf. Diese Maschine mußte eine wunderbare Ergänzung des Telegrafen und auch für den neu erfundenen Fernsprecher gut zu gebrauchen sein. Diese Idee bestimmte sein ganzes Arbeitspensum und formte sich immer mehr zu einer festen Gestalt, bis sich der Erfinder in sein Zimmer einschloß und den Versuch vom 18. Juli wiederholte.

Er baute sorgfältig die Membran mit der Nadelspitze vor sich auf, nahm einen mit Paraffin überzogenen Papierstreifen und zog ihn schnell an der Nadel vorbei.

Dazu sprach er laut und deutlich »Hallo« gegen die Membran. Im gleichen Moment klopfte es an seiner Tür, und Werkmeister Carman fragte: »Haben Sie gerufen, Chef?«

... und die Membran antwortete ihm

Edison legte den Papierstreifen vorsichtig auf den Tisch, sagte durch die geschlossene Tür: »Nein. Gute Nacht, Carman!«

Dann nahm er das Papier und führte es mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der er es vorhin an der Nadel vorbeigezogen hatte, wieder über die Nadelspitze. Er konzentrierte seinen ganzen Willen auf sein krankes Gehör. Und wie aus einer anderen Welt flüsterte es von der Membran: »Hallo.«

Es war seine eigene Stimme!

Der nüchterne Rechner, der Mann, der das Erfinden zum Handwerk gemacht hatte, erschauerte. Er hatte keinem seiner Mitarbeiter etwas von diesen Versuchen gesagt. Im letzten Winkel seines frommen Herzens hatte er selbst den Versuch, die menschliche Stimme zu reproduzieren, als Gotteslästerung betrachtet. Jetzt aber war es geschafft.

Alles war genauso geschehen, wie er es sich ausgerechnet hatte: die Schallwellen der menschlichen Stimme waren von der Membran auf die Nadel und von der Nadel auf die Paraffinfolie übertragen worden. Die dort entstandene Schwingungskurve hatte wiederum die Nadel und diese die Membran in Schwingungen versetzt, und zwar in die gleichen Schwingungen, die vorher hineingesprochen worden waren. Folglich tönte aus der Membran das gleiche Wort zurück.

Edison hatte die menschliche Sprache konserviert! Nicht durch Teufelsspuk oder Gotteslästerung, sondern durch die folgerichtige Anwendung physikalischer Gesetze. Sorgsam skizzierte er eine Walze auf ein Stück Papier, die man mit einer Kurbel unter einem Stift wegdrehen konnte, der wiederum mit einer Membran verbunden war. Mit feineren Strichen setzte er noch einige Details an den Rand und verschloß das Blatt in seinem Schreibtisch.

Ein Bastard von Telefon und Drehbank

Am nächsten Tag ließ Edison seinen Schweizer Werkmeister John Kruesi kommen.

»Machen Sie mir diese Maschine fertig, John«, sagte er und schob Kruesi die Skizze zu, auf deren Rand er noch schnell die "Unkosten" mit achtzehn Dollars angab.

Kruesi schaute sich die Skizze an: Walze, Kurbel, Membran, Nadel. Vierzehn bis fünfzehn Dollars würde die Herstellung kosten. Es blieben ihm also drei bis vier Silberne. Ein guter Nebenverdienst, den ihm sein Chef immer zuschob: Kalkulation abzüglich der echten Herstellungskosten - der Rest für den Werkmeister.

Nüchtern besah sich Kruesi die neue seltsame Maschine, diesen Bastard von Telefon und Drehbank. »Was wird denn das, Chef?« fragte er beim Hinausgehen. »Das wird die Maschine, die sprechen kann«, antwortete Edison seelenruhig und zog an seiner Zigarre.
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Ein neue Maschine und die Wette

Kruesi grinste und machte sich an die Arbeit. Einen Tag später trug er bereits das sorgfältig gearbeitete Gerät, das die anderen in der Werkstatt »Narrenwalze« getauft hatten, in das Zimmer des Chefs und stellte es auf den Schreibtisch.

»Hier ist die Maschine, die sprechen kann, Chef«, feixte der biedere Schweizer. Und Werkmeister Carman, der sich mit acht anderen Mitarbeitern auch in den Raum gedrängt hatte, platzte heraus:
»Ich wette, daß das Ding stumm bleibt, wie andere Maschinen auch!«
»Eine Kiste Zigarren, Carman«, sagte Edison, »ich halte die Wette!«

Dann schob er das Gerät zurecht, legte mit ruhigen Händen ein Stanniolblatt um die Walze, rückte die Membran gerade gegen seinen Mund, räusperte sich und sprach, während er die Kurbel langsam und gleichmäßig drehte, den Vers eines alten Kinderliedes: »Mary had a little lamb...«

Es funktioniert - Wette verloren

Er schaute seine schweigenden Mitarbeiter nicht an, sondern beobachtete gespannt, wie die Nadel ihre Rillen in das Stanniol grub: die gleichen schwingenden Linien, die sie auf dem Paraffinblatt gezeigt hatte.

Dann hob Edison die Nadel an, drehte die Walze zurück, verstellte die Membran und holte einmal tief Luft. Während er seine Mitarbeiter anblickte, drehte er gleichmäßig die Kurbel, und aus der Membran tönte hell und deutlich seine Stimme: »Mary had a little lamb...«.

In das bewundernde, gebannte Schweigen hinein sagte Edison: »Carman, Sie haben die Kiste Zigarren verloren!«

Die Spannung, die Betroffenheit der Männer, die in Menlopark schon manches Erstaunliche erlebt hatten, löste sich in einem frohen, befreienden Gelächter. Impulsiv schüttelten sie ihrem Chef die Hände, und Werkmeister Kruesi sagte schlicht: »Mister Edison, Sie sind ein Zauberer!«

In der Redaktion des "Scientific American"

Doch weder Edison noch seine Männer ahnten in diesem Augenblick, daß sie an der Wiege einer der größten Industrien der Welt standen.

Das offizielle Datum dieser epochemachenden Erfindung ist der 12. August 1877. Die erste Verlautbarung in der Presse erschien jedoch erst am 22. Dezember. Am 24. Dezember ersuchte Edison um die Patenterteilung. Am 19. Februar 1878 wurde sie ihm gegeben.

Eines schönen Tages fuhr Edison, seine sprechende Maschine säuberlich verpackt unter dem Arm, von Menlopark nach New York. Während der vierzig Kilometer langen Fahrt malte er sich die Überraschung aus, die er in der Redaktion des Scientific American hervorrufen würde. Doch seine Phantasie blieb weit hinter der Wirklichkeit zurück.

Eine Revolution kündigt sich an

Im Büro des Chefredakteurs 87 Park Row packte Edison John Kruesis Modell aus und stellte es wortlos auf den glänzenden Schreibtisch.

»Was hast du denn da für ein Spielzeug gebaut, Thomas ?« fragte der Journalist und streckte seine Hand nach der Kurbel aus.

Edison zog die Maschine zu sich heran und begann selbst die Kurbel zu drehen. Eine Weile schauten sich die beiden Männer an, da sagte plötzlich die Maschine mit heller, gequetschter Stimme:

»Wie geht es Ihnen? Was halten Sie vom Phonographen? Mir geht es gut! Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«

Verduzzt, verblüfft, erschrocken

Der Chefredakteur der größten populärwissenschaftlichen Zeitschrift Amerikas starrte den Phonographen fast erschrocken an. Dann zog er die Walze zu sich heran und drehte weiter. Und die Maschine sang: »Mary had a little lamb . . .«

Er winkte Edison ab: »Keine Erklärungen jetzt!« - und brüllte: »Smith, Foster, Shapiro, kommt alle schnell mal her.«

Ungefähr ein Dutzend Redakteure drängte sich in das Allerheiligste. Edison drehte wieder die Walze, und wieder sagte die Maschine: ». . .Was halten Sie vom Phonographen?«

Während alle Angestellten des Zeitungsverlages in den Gängen zusammenliefen, um wenigstens einen Blick auf den »Zauberer von Menlopark« und seine sprechende Maschine zu werfen, hielten unten vor dem Haus die ersten Kutschen mit den Reportern der Tageszeitungen.

Gute Freunde im Scientific American hatten sie angerufen, um ihnen diese Sensation mitzuteilen. Edisons Erklärungen über Schallwellen und schwingende Membranen interessierten sie nur wenig; davon verstanden sie nichts. Sie ließen sich nur die »Teufelsmaschine« vorführen und schauten dabei argwöhnisch im Zimmer umher, ob nicht irgendwo ein Bauchredner heimlich seine Possen trieb.

Der Bischof und die sechzehn Propheten

Unter den zahllosen Besuchern, die - durch die spaltenlangen Zeitungsartikel verlockt - mit Sonderzügen nach Menlopark kamen, um den Wundermann und seine wundersame Maschine zu betrachten, befand sich auch Bischof Vincent von New York. Der hohe Besucher wurde von Edison und Assistent Johnson in das Laboratorium geführt.

»Ich habe von Ihrem Phonographen gehört«, sagte der Bischof, »würden Sie so freundlich sein und ihn mir vorführen?« Edison legte sorgfältig ein Stanniolblatt um die Walze und sprach einige Sätze in das Membranmundstück. Dann drehte er die Kurbel, und klar und deutlich erklangen die Sätze wieder.

Der Bischof nickte mit dem Kopf: »Ausgezeichnet, Mister Edison, doch darf ich auch einige Worte in die Maschine sprechen ?«

Edison richtete die Walze für eine neue Aufnahme und sagte: »Selbstverständlich! Bitte sprechen Sie, Hochwürden.«
»Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Daniel, Hosea, Joel, Arnos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi.« Mit rasender Geschwindigkeit rasselte der Bischof die Namen der Propheten herunter. Dann holte er aufatmend Luft.

»So, Mister Edison, jetzt spielen Sie mir das doch bitte vor!«

Edison schob lächelnd die Nadel vor, schaltete um, und im Tonfall des Bischofs, mit der gleichen atemraubenden Geschwindigkeit, näselte die Maschine: »Jesaja, Jeremia . . . Maleachi.«

Als der Bischof dies hörte, schüttelte er Edison die Hand und sagte: »Meine Zweifel sind zerstreut. Diese Maschine kann sprechen! Sie sind kein Bauchredner, Mister Edison! Denn kein Mensch auf der Welt kann mir die Namen der Propheten so schnell nachsprechen. Ich werde ein guter Fürsprecher Ihres Phonographen sein.«
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Europa - Paris ... und die vergängliche Musik erhalten können

Ungefähr zur gleichen Zeit saßen in einer Kneipe in Paris an der Rue des Saules, unweit der Place du Tertre, zwei Männer an einem Tisch. Der eine, in schmutzigem Überrock und mit tatarischem Schnurrbart, starrte teilnahmslos in sein Absinthglas, während der andere mit weitausholenden Gesten auf ihn einredete.

»Jetzt habe ich der Akademie gesagt, sie sollen mein Kuvert öffnen, das ich am 30. August dort deponiert habe. Die Zeitungen sind voll von der Erfindung dieses Edison aus Amerika. Dieser Erfindung, die auch ich gemacht habe! In meiner Denkschrift habe ich alles schon vor einem halben Jahr beschrieben: die Wachswalze, auf der man die Schwingungen der menschlichen Sprache nicht nur aufzeichnen, sondern von der man sie auch wieder abtasten kann. Jawohl, ich habe gewußt, daß man die Wachswalze wieder zum Klingen bringen kann! Stell dir vor, Paul, ich habe den flüchtigen Schall meiner Herrschaft unterworfen.«

Verlaine, der Dichter, philosophiert

Er packte seinen Nachbarn Paul Verlaine an der Schulter und rüttelte ihn: »Hörst du mir überhaupt zu?« Verlaine, der Dichter, schaute seinen Freund Charles Cros mit einem Blick an, der von weit her kam, fern aus den Tiefen des Absinthmeeres.

»Eine Maschine, die sprechen kann?« flüsterte er. »Eine Maschine, die uns das Sprechen erspart? Wo ist sie?«

Charles Cros  spricht weiter : »Dieser Edison hat sie gebaut. Der Amerikaner! Weil ich kein Geld hatte, das Patent anzumelden. Weil ich niemanden fand, der mein Paleophone bauen wollte. Weil sich hier niemand dafür interessierte, die menschliche Stimme zu verewigen! Hör zu, höre diese Verse, Paul. Ich habe sie nicht nur als Gedicht gemeint, sie sollten für mich auch ein praktisches Programm sein.

Comme les traits dans les camees
J'ai voulu que les voix aimees
Soient un bien qu'on garde ä jamais,
Et puissent repeter le reve
Musical de l'heure trop breve
Le temps veut fuir, je le soumets.«

»Die geliebte Stimme für immer bewahrt«, sprach ihm Verlaine nach und trank mit einem Ruck sein Glas leer, »wann kommt diese Maschine nach Paris?«
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In der "Academie des Sciences von Paris"

Verlaines Frage wurde bald beantwortet. Vor einem Kollegium schwarzgekleideter, würdiger Herren,  Mitgliedern der Academie des Sciences von Paris, führte ein Vertreter Edisons die Sprechmaschine vor. Er drehte die Kurbel, und der Apparat hielt seine erste offizielle Ansprache:
»Der Phonograph begrüßt die Herren Mitglieder der Akademie der Wissenschaften. Der Phonograph hat die Ehre, der Akademie der Wissenschaften vorgestellt zu werden . . .«

Da sprang ein Mann auf, ein ehemaliger Leibarzt Napoleons III. Er fuchtelte mit den Armen und rief, hochrot im Gesicht: »Da ist ein Bauchredner im Saal! Er soll verschwinden! Über die Akademie darf sich niemand lustig machen! Ich . . .«

Seine Nachbarn zogen ihn auf seinen Sitz zurück: »Mäßigen Sie sich, Doktor Bouillaud, wir werden alles prüfen.«

Doch der erregte Arzt wollte sich nicht beruhigen: »Ich kann unmöglich glauben, daß ein schäbiges Metall den edlen Klang der menschlichen Stimme wiedergeben kann!«

Kurze Zeit später standen im Zimmer des ständigen Sekretärs der Akademie Professoren und Gelehrte um die kleine Maschine, legten neue Stanniolfolien auf, riefen in den Sprachtrichter, was ihnen gerade in den Sinn kam, und freuten sich wie die Schulbuben, wenn der Phonograph ihre Worte wiederholte. Die Herren Gelehrten waren von Edisons Erfindung überzeugt und begeistert.

Zurück in Menlo Park - Das Zehn-Punkte-Programm

Nachdem Edison die Anerkennung der Wissenschaft errungen hatte, beschloß er, mit seiner Erfindung Geld zu machen. Anfang 1878 gründete er die Edison Speaking Phonograph Company, die seinen Phonographen herstellen und vertreiben sollte. In der North American Review veröffentlichte er wenig später ein Zehn-Punkte-Programm über die Möglichkeiten der Phonographie:
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  • 1. Aufnahme von Briefen und alle Arten von Diktaten ohne die Hilfe eines Stenographen.
  • 2. Phonographische Bücher, die Blinden den Inhalt eines Buches ohne fremde Hilfe vermitteln.
  • 3. Erteilung von Sprachunterricht.
  • 4. Wiedergabe von Musik.
  • 5. Klingendes Familienarchiv: eine Sammlung von Aussprüchen und Erinnerungen der Familienmitglieder mit ihren eigenen Stimmen und die letzten Worte der Sterbenden.
  • 6. Musikboxen und Spielzeug.
  • 7. Uhren, die mit deutlicher Stimme mitteilen, wann es Zeit ist, nach Hause zu gehen, das Essen einzunehmen usw.
  • 8. Festhalten verschiedener Sprachen mit richtigem Akzent.
  • 9. Hilfsmittel für den Unterricht: Erklärungen des Lehrers können dem Schüler immer zur Verfügung stehen.
  • 10. Unterstützung des Telefons, damit dieses nicht ein Instrument augenblicklicher Übermittlung bleibt, sondern wichtige und bleibende Mitteilungen für immer aufbewahren kann.

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Von diesen Punkten erfüllte sich zunächst nur der sechste: Der Phonograph wanderte in die Schaubuden der Jahrmärkte. Kunstpfeifer und Entertainer wurden die Walzenstars.
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(3) MISTER TAINTER VERBESSERT DIE WALZE

In überschwenglicher Begeisterung hatten die Zeitungen geschrieben, daß der Phonograph eine absolut perfekte Wiedergabe der menschlichen Stimme biete, doch schon die Versuche, Briefe zu diktieren oder für die Blinden eine klingende Ausgabe von Dickens' »Nicholas Nickleby« zu schaffen, scheiterten kläglich.

Die Leipziger Illustrierte schrieb denn auch im August 1878:

  • »In seiner gegenwärtigen Gestalt ist der Phonograph kaum mehr als ein interessanter Versuch. Vor allen Dingen ist die Wiedergabe der einzelnen Sprachlaute eine sehr ungleiche. Während einzelne mit großer Deutlichkeit erscheinen, klingen andere so dumpf und undeutlich, daß sie kaum zu verstehen sind ..... Von einem ewigen Konservieren der Stimmen einer Lucca und Patti ist also gar keine Rede. Mit voller Kraft der Lungen gesprochene Sätze lauten etwa wie die Sprache eines heiseren Menschen. Und die Wiedergabe längerer Reden ist wohl nur ein frommer Wunsch. (Die Spieldauer einer Walze betrug damals genau eine Minute.) Somit dürfen zunächst alle die weitgehenden Hoffnungen und überschwenglichen Pläne sich noch als ins Gebiet der Luftschlösser gehörig erachten lassen.«

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Es kam aber auch Kritik

Auch der unbestechliche englische Kritiker Sir W.H.Preece, der sich nach von Edison gekabelten Angaben einen Phonographen bauen ließ, untersuchte ihn auf Herz und Nieren und stellte dann fest:

  • »Dieser Apparat hat noch lange nicht die Fähigkeit, die Stimme einer Patti aufzunehmen, genauer gesagt kann er nur die Parodie einer menschlichen Stimme reproduzieren. Es sind vor allem einige Konsonanten, bei denen es besonders hapert. D und t klingen völlig gleich, genauso das m und n. Während man ein s mitten im Wort kaum verstehen kann, verschwindet es völlig, wenn es am Beginn oder Ende eines Wortes steht.«

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Bittere Erfahrung - Diktiergeräte für Washington

Eine bittere Erfahrung mußten auch ein Mister Easton und ein Mister Cromlin aus Washington machen. Sie hatten die Columbia Phonograph Company gegründet und in gutem Glauben ihre Lizenzgebühren an Edison bezahlt, um mit Diktiergeräten für die Regierung ein Geschäft zu machen.

Beide waren Stenographen am Obersten Gerichtshof und glaubten, daß der Phonograph ein großartiger Ersatz für die Kurzschrift sei. Guten Gewissens und voller Unternehmerdrang lieferten sie mehrere hundert Apparate ins Weiße Haus, bekamen aber nach kurzer Zeit die gesamte Lieferung zurück, da sie völlig unzureichend war.

Der gerettete Traum

Ihr Traum vom Reichtum schien zerronnen. Sie sahen bereits ihre Firma vor dem Ruin, da kaufte ihnen ein findiger Veranstalter, der Jahrmärkte und Badeorte mit einer Kuriositätenschau bereiste, fünfzig Apparate und einige hundert Walzen ab.

»Bauen Sie mir die Dinger um, mit zehn Hörrohren, die man sich in die Ohren stecken kann, dann zahle ich bar«, sagte der Show-Mann und zog sein Scheckbuch.

Und bald darauf las man auf grellen Plakaten:
»Hier hören Sie die sprechende Maschine. Große Künstler aus allen Ländern der Welt sprechen und spielen für Sie! Für fünf Cents erleben Sie die Sensation unseres Jahrhunderts: der Apparat, der die Welt verrückt macht!«

Das Geschäft florierte, überall sah man Gruppen von zehn Menschen lachend und staunend um den Phonographen sitzen, die Knöpfe von Gummischläuchen in den Ohren.
Die Columbia war gerettet, und die beiden unternehmenden Gerichtsstenographen blieben weiter im Phonographengeschäft. Ihre Firma wurde später einer der weltbeherrschenden Schallplattenkonzerne.

Mister Tainter trinkt Tee und erfindet

Mit einer Lupe vor dem Auge saß am Drehtisch eines Uhrmachers Charles Sumner Tainter in seinem Arbeitsraum im Volta-Laboratorium. Dieses Labor hatten sich Graham Bell und er mit den zehntausend Dollars eingerichtet, die sie von der Pariser Akademie der Wissenschaften als Preis für die Erfindung des Telefons bekommen hatten.

Inmitten dampfender Tassen voll aromatischen Chinatees, von dem er als Engländer Unmengen trinken konnte, experimentierte Tainter an der Verbesserung seines Graphophons.

Wachs anstelle von Staniol

Dieses Gerät arbeitete mit einer Wachswalze, die an die Stelle der Stanniolfolie Edisons getreten war, der zu dieser Zeit die Weiterentwicklung seines Phonographen links liegen ließ, da ihm viel mehr an der Vollendung der Kohlenfadenglühlampe lag.

Außerdem war der Schneidestichel Tainters kein starrer Metallstift mehr, sondern ein auf eine federnde Glimmermembran montierter Saphir. Die Walze wurde wie eine Nähmaschine mit einem Fußpedal bewegt, dadurch wurde die Gleichmäßigkeit der Walzenbewegung viel besser garantiert als bei der Handkurbel des Phonographen.

Und schon träumte er von Hifi

Während Tainter den Winkel der Membran zum Schneidstift einstellte, sprach er in den Schalltrichter: »Cäsar, Cäsar, können Sie hören, was ich sage? Dies, das, ssss.« Und dann spielte er sich diesen Satz vor und war glücklich, wenn die Zischlaute hörbar wurden, so glücklich, daß er sich eine neue Tasse Tee spendierte.

Dieser »Cäsar-Satz« hatte sich als Probe viel wirkungsvoller erwiesen als Hamlets »Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumen läßt, Horatio«, mit dem Bell und Tainter die ersten Wachswalzen ausprobiert hatten. Denn mit »Cäsar« konnte man die verhängnisvollen Zischlaute kontrollieren, eine der vielen Achillesfersen des Phonographen.

Fred Gaisberg wechselt die Walzen

An diesem Tag hatte der dicke Ire Dan Donovan, ehemaliger Stationsausrufer der Potomac-Eisenbahn, zum dreiundvierzigsten Mal »After the Ball was over« in die zwanzig Schalltrichter gesungen, die in einem Raum des Labors ihre schwarzen Öffnungen auf ein Klavier richteten, hinter dem ein blasser, siebzehnjähriger Junge saß. Bei einer Aufnahme schrieben also zwanzig Saphire die Melodie dieses Liedes in zwanzig verschiedene, mit Wachs überzogene Papierrollen, die vierundzwanzig Zentimeter lang und zwei Zentimeter dick waren.

»Los, Fred, wechsle die Walzen«, dröhnte Donovan, »ich muß um sechs Uhr weg, und wir wollten heute siebzig Aufnahmen machen.«

Der Knabe Fred Gaisberg, der später einer der führenden Schallplattenleute der Welt werden sollte, spannte schwitzend zwanzig neue Walzen ein, setzte sich hinter sein Klavier und intonierte »After the Ball was over«, während Donovan seine Stimmbänder mit einem kräftigen Schluck irischen Whiskys geschmeidig machte.

Diese Riesenlieferung von eintausend vierhundert Walzen war für die Chikagoer Weltausstellung bestimmt, auf der Tainter Grapho-phon-Automaten aufgestellt hatte, in die man nur ein Fünf-Cent-Stück werfen mußte, um dieses köstliche Lied zu hören.

Kurze Zeit später standen die auf der Weltausstellung bewährten Automaten in vielen Biergärten, Bars und Salons der Stadt.
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Die ersten "Walzen"-Künstler

Die Columbia-Leute einigten sich mit Bell und Tainter und verwendeten nun ebenfalls Wachs. Ihre Walzen waren jedoch massiv und konnten, wenn sie abgespielt waren, abgeschliffen und zu neuen Aufnahmen verwendet werden.

Die Künstler der damaligen Zeit waren der Kunstpfeifer Billy Golden mit seiner Erfolgsnummer »Mocking Bird«, die US-Marine-Band mit Märschen von Sousa, der Schauspieler John York Attlee, der Shakespeares »Freunde, Römer, Mitbürger« und das »Vaterunser« rezitierte, und der Neger George W. Johnson, der mit »The Whistling Coon« und »The Laughing Song« reich wurde. Sein Pfeifen klang wie ein Mezzosopran, und das war damals ganz außergewöhnlich, da Frauenstimmen und Geigen nur als Piepsgeräusche wiedergegeben werden konnten.

Diese ersten »Künstler-Aufnahmen« wanderten zur Hauptsache in die Schaubuden auf den Jahrmärkten und in die Musikautomaten, die in besonderen Hallen aufgestellt wurden. In allen Städten Amerikas gab es damals diese Automatic Phonograph Parlors. Mehrere Jahre hindurch waren diese Vorfahren der heutigen »Nickel-Odeons« und Musikboxen ein großes Geschäft.
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Len Spencer - der Genius des Phonographen

Der erste Walzen-Star hieß Len Spencer, und man nannte ihn den der Genius des Phonographen. Sein Vater hatte die verschnörkelte Spencerianische Handschrift entwickelt und besaß eine Handelsschule in Washington. Len verdiente sich sein Taschengeld, indem er in Schnörkelschrift Visitenkarten für Neger schrieb, die das halbe Dutzend zehn Cents kosteten. Als Gehilfe seines Vaters mußte Len von der Columbia immer neue Walzen holen, da in der modernen Spencerschen Handelsschule Columbia-Diktiermaschinen benutzt wurden.

Eines Tages besang Len mit seinem schönen Bariton eine Walze, wozu er sich selber auf dem Klavier begleitete. Seine Stimme gefiel, und sieben weitere Walzen folgten. Für jede Walze bekam er zehn Cents, und da diese Abmachung auch noch galt, als man Duplikate dieser Walzen herstellte, schien ihm das ein weit besseres Geschäft, als Visitenkarten für Neger zu schreiben.

Len Spencer hatte nicht damit gerechnet, daß er weltbekannt und reich werden würde. Doch seine Nationalhymnen, seine Limnericks und Kinderlieder wurden der Columbia aus der Hand gerissen.

1896 schrieb The Phonoscope über ihn:

»Mister Spencer ist der Urheber des dunklen Schreies auf der Walze. Seine Negro-Songs wurden damit berühmt. Sein Repertoire besteht aus sechshundert verschiedenen Liedern, und er verkaufte insgesamt zweiundsechzigtausend Walzen. Er kann auch trefflich Kastagnetten, Tamburine und Glocken nachahmen, ja, er macht überhaupt die merkwürdigsten Geräusche am Trichter . . .«

Zuletzt spezialisierte sich Len Spencer auf die »Reden berühmter Männer«. Mit seiner »Letzten Rede des letzten Präsidenten William McKinley« versetzte er die ganze Nation in Aufregung. Jeder glaubte, es spreche der Präsident selbst, der 1901 in Buffalo ermordet worden war.

1904 - Len und die hübsche Blondine Ada Jones

1904 engagierte Len die hübsche blauäugige Blondine Ada Jones als Assistentin seiner Phonoproduktion. Sie stammte aus Manchester in England und war schon als Baby in die Staaten gekommen. Mit sieben Jahren sang sie im Nationaltheater von Philadelphia, später im Huberts-Museum, New York. Hier hatte Len ihre wunderschöne Stimme gehört.

Ada wurde nach Berliners Erfindung durch ihre Schallplatten der erste weibliche Plattenstar mit Weltbedeutung, vor allem durch ihre sentimentalen tränentriefenden Balladen.

Sie bekam Liebesbriefe aus aller Welt: australische Kneipenwirte, Goldsucher aus Alaska, Plantagenbesitzer in Afrika und norwegische Kapitäne beteten sie als »Traum-Girl« an. Doch niemand hatte je ihr Foto gesehen, niemand wußte, daß sie an Epilepsie litt. Ihre Anfälle wurden immer schlimmer, immer häufiger. Doch ihre Plattenfirma, die North American Phonograph Company, dementierte alle aufkommenden Gerüchte. Selbst als Ada Jones am 2. Mai 1922 in High Point starb, wurde ihr Tod verheimlicht. Noch ein Jahrzehnt lebte sie für ihre Plattenfreunde weiter.

1889 Nähe Berlin - Fürst Bismarck und die Sprechmaschine

Noch ehe die ersten Aufnahmen von Ada Jones existierten, wurde im einsamen Schloß Friedrichsruh im Sachsenwald dem Reichskanzler Fürst Bismarck die Sprechmaschine vorgeführt.
Am Morgen des 7. Oktober 1889 schob der Reichskanzler seinen Sessel vom Frühstückstisch zurück, wischte sich mit der Serviette sorgfältig die letzten Reste Eigelb aus seinem Schnurrbart und sagte:

»Jetzt möchte ich die vielgerühmte Maschine kennenlernen, von der behauptet wird, daß sie sprechen und musizieren kann.«

In seinem altmodischen Rock, das weiße Tuch statt eines Kragens um den Hals geschlungen, begab sich der Fürst mit seiner Gemahlin in den Salon.

Die American Trading Company aus Hamburg führt vor

Auf einem Ziertischchen stand der Apparat. Der Vertreter der American Trading Company aus Hamburg dienerte tief: »Wenn Euer Durchlaucht geruhen wollen . . . Zunächst den Radetzkymarsch, den am 14. September Musiker des Kaiser-Franz-Regiments für unsere Walzen gespielt haben.«

Während der Kanzler sich in einem der mit bunter Cretonne bezogenen Sessel niederließ, begann der Marsch dünn, aber unverkennbar aus dem schwarzen Trichter zu ertönen.

Es war warm in dem großen Zimmer, denn der greise Fürst fror leicht und ließ deshalb immer stark einheizen. Mit bernsteinfarbenen, aufmerksamen Augen verfolgte die riesige schwarze Dogge zu Füßen des Kanzlers jede Bewegung des Phonographenmannes. Wieder hatte er einen Zylinder gewechselt, und aus dem Trichter schallte die von Frau Lilli Lehmann vorgetragene Arie aus »Norma«. Die Dogge spitzte ihre Ohren und knurrte tief und drohend. Bismarck, der versonnen zugehört hatte, lächelte und strich dem Hund über den Kopf:
»Ruhig, Tyras, du bist ein Banause!«

Der Durchbruch durch Fürstin Johanna

Als der Pariser Sänger Paulus »La tour de valse« sang, beugte sich Fürstin Johanna zu ihrem Mann und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Als die Nadel durch ihr Kratzen anzeigte, daß Monsieur Paulus mit seinem Liedchen fertig war, stand der Kanzler auf. Er ging zu dem Tischchen hinüber und sagte zu dem in leichter Habacht-Stellung dastehenden Vertreter, den er um Haupteslänge überragte:
»Wirklich erstaunlich, ganz erstaunlich! Und jetzt möchte ich meine Stimme einmal hören!«

Nach einem tiefen Bückling verwandelte der Herr aus Hamburg mit einigen Handgriffen seinen Apparat in ein Aufnahmegerät, legte eine jungfräuliche Wachs walze ein und flüsterte: »Bitte, Euer Durchlaucht, in diesen Trichter!«

Mit seiner klaren, hohen Stimme rezitierte Bismarck auf die sich drehende Walze:
»In good old colony times . . .«

Dann räusperte er sich und begann fast eine Tonlage tiefer sprechend: »Als Kaiser Rotbart lobesam ins Heilige Land gezogen kam . . .«

Auf die nächste Walze schmetterte er mit jugendlich-mächtiger Stimme: »Gaudeamus igitur ...«

Bismarck und auch sein Hund waren begeistert

Als die erste Strophe des alten Studentenliedes durch den Raum schallte, kam der »Reichshund« Tyras von seinem Ruheplatz und rieb seinen Kopf an des Kanzlers Knie.

Dann legte Bismarck seine Hand auf den Phonographen, und während er bestätigend auf den Apparat klopfte, sagte er anerkennend :

»Ich bewundere die Kunst, den Fleiß und die ungeheure Arbeit der Männer, die der Natur solche Erfolge abgerungen haben. Ich halte diesen Apparat für eine sehr bedeutsame Entdeckung, und er kommt mir beinahe so vor wie eine Verwirklichung der Münchhausengeschichte, wo der Ton in dem Horn festfror und später aufzutauen begann. Doch dieser Apparat geht noch über Münchhausen, denn man kann dasselbe zehntausendmal hören. Wir danken Ihnen, daß Sie uns dieses Vergnügen bereitet haben.«

Das sagte Fürst Bismarck, vier Wochen bevor Emil Berliners Grammophon im Elektrotechnischen Verein zu Berlin vorgeführt wurde. Jene neue Sprechmaschine, die den Phonographen bald verdrängte.

Ein kaiserlicher Walzen-Star

Noch auf einen Phonographen sprach Kaiser Wilhelm II. jene denkwürdigen Worte, die für das Nationalmuseum und die Con-gressional Library in Washington bestimmt waren. Die Walzen, original besprochen von Seiner Majestät, dem Kaiser, brachten der American Trading Company viel Geld, dem Kaiser aber eine Menge Karikaturen in ausländischen Zeitungen ein.

Inmitten seiner Fahrtgesellen, die ihn auf seinen Jachtfahrten in griechische Buchten und nordische Fjorde zu begleiten pflegten, sprach S. M. (also der Kaiser) in den Aufnahmetrichter der Walze. In friderizianischen Sesseln sitzend, lauschten Graf Waldersee, Graf Wedell und der Amateur-Tierstimmen-Imitator Graf Goerz den Worten ihres Herrn:

»Stark sein in Schmerzen, nicht wünschen, was unerreichbar oder wertlos, zufrieden sein mit dem Tag, wie er kommt, in allem das Gute suchen und Freude an der Natur und den Menschen haben, wie sie nun einmal sind, für tausend bittere Stunden sich mit einer einzigen trösten, welche schön ist, und beim Schaffen und Können immer sein Bestes geben, wenn es auch keinen Dank erfährt, wer das lernt und kann, der ist ein Glücklicher, Freier und Stolzer; immer schön wird sein Leben sein . .-.«

Verwundert hörten die Herren diese sanften, ungewohnten Worte aus Allerhöchstem Munde. Der Text der Phonographenwalze, die der Hohenzoller der Harvarduniversität zugedacht hatte, war ihnen viel vertrauter:

»Vor hundertundfünfzig Jahren hat auf den Gefilden von Döberitz Friedrich der Zweite - schon von seinen Zeitgenossen der Große genannt - einen erheblichen Teil seiner Armee zusammengezogen, um sie für die gewaltigen Kämpfe, welche er mit seinem weitschauenden Blick im Geiste vorhersah, zu üben und zu stählen . . .«

Diese beiden Walzen waren ein Trumpf in dem harten Kampf, der inzwischen auf dem phonographischen Markt ausgebrochen war. Hie Walze, hie Schallplatte lautete das Feldgeschrei, und der Krieg wurde mit allen Mitteln ausgetragen.

Beinahe wie Krieg : Walze oder Schallplatte

Phonoscope, die erste Fachzeitschrift für Sprechmaschinen, schrieb über die Schallplatte:
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  • ».... zuerst klingt es wie eine wahnsinnig gewordene Dampfmaschine. Wenn Sie dann die Hoffnung hegen, gleich würde es besser, dann vernehmen Sie als nächstes das Rumpeldipumpel eines schwerbeladenen Fuhrwerks. Zum Schluß, wenn der Versuch, eine menschliche Stimme wiederzugeben, beginnt, wird man, ob man will oder nicht, dazu gezwungen, das Geräusch des Grammophons für den Liebesschrei eines wilden Esels zu halten.«

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Der Vertriebschef der Schallplattenleute, Seaman, schlug zurück. Seine Anzeigen operierten mit dem Begriff der »Wiedergabetreue«. Sie behaupteten:
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  • »Während der Phonograph nur ein Fünftel der wirklichen Tonqualität der Trompete wiedergibt, wird mit dem Grammophon der gesamte Tonbereich und das echte Klangvolumen eines Instrumentes wiedergabegetreu reproduziert.«

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Doch das Grammophon mußte erst erfunden werden ...

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