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07 Wie universell kann ein Mikrofon sein?

Vortrag, gehalten auf der 19. Tonmeistertagung 1996.

Der Aufsatz erklärt zunächst Grundlagen der Signal­verarbeitung. Dann wird dem theoretisch idealen Mikro­fon das reale Mikrofon gegenübergestellt, das durch seine Fehler in bestimmten Fällen Vorteile bei der An­wendung bieten kann. Abschließend wird ein neuer Gedanke beschrieben, wie ein Mikrofon an alle Wün­sche angepasst werden kann. Das patentierte System wurde weiterentwickelt und auf der Tonmeistertagung 1998 vorgestellt /8/. Etwa seit 2003 hat das Prinzip auch den Namen „PolarFlex“.
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Bedingungen für universelle Über­tragungselemente

Damit ein Übertragungselement universell eingesetzt werden kann, muss es Signale unverändert übertra­gen. Ein universelles Mikrofon muss also ein akusti­sches Ereignis in ein äquivalentes elektrisches Signal wandeln (Abb. 1a). Nachrichtentechniker sprechen von einer “verzerrungsfreien” oder auch “bildgetreuen” Übertragung.

Die Bedingungen für verzerrungsfreie Übertragung sind konstanter Amplitudenfrequenzgang und linearer Phasengang (Abb. 1b) /1/, /2/. Durch diese beiden Pa­rameter kann ein Signal bzw. dessen Zeitverlauf ein­deutig beschrieben werden. Es wird nichts anderes übertragen, keine dritte oder vierte Dimension oder gar Magie, wie mancher HiFi-Freak zu glauben scheint.

Es kann daher auch irreführend sein, wenn Herstel­ler durch die alleinige Angabe von Zeitfunktionen den Eindruck erwecken, sie wären der Zeit voraus. Es ist lediglich so, dass bei bestimmten Messungen, wie z.B. von Einschwing- oder Impulsverhalten, die Zeit­funktion zur Betrachtung besser geeignet ist.

Während die Forderung nach konstantem Frequenz­gang einleuchtet, ist der lineare Phasengang eher erklärungsbedürftig. Es gibt Toningenieure, die vom ide­alen Phasengang erwarten, dass er so konstant ver­läuft wie der Amplitudenfrequenzgang. Das trifft nicht zu.

Zunächst muss die Phase bei 0° beginnen, denn der Grenzfall tiefster Frequenzen endet bei 0Hz, also Gleich-Verhältnissen. (Einen Phasenwinkel zwischen beispielsweise zwei Gleichspannungen gibt es nicht).

Im weiteren Verlauf ist ein beliebig großer Phasen­winkel bei gegebener Frequenz ohne Bedeutung, so­fern er nur doppelt so groß ist bei doppelter Frequenz, dreimal so groß bei dreifacher, usw. Auch dies lässt sich anschaulich erklären:

Eine kurze Schallstrecke kann praktisch als ideales Übertragungselement betrachtet werden. Wenn man sich in einem ebenen Schallfeld ohne Einfluss von Reflexionen beispielsweise 17cm vor- oder zurück­bewegt, so ändert sich das Klangbild praktisch nicht. Dennoch beträgt die Phase zwischen diesen beiden Punkten bei 1kHz eine halbe Wellenlänge, entspre­chend 180° Phasenwinkel. Bei 2kHz passt zwischen die beiden Punkte aber bereits eine ganze Wellenlänge, es besteht also ein Phasenwinkel von 360°. Die For­derung linearer Zunahme des Phasenwinkels mit der Frequenz für verzerrungsfreie (bildgetreue) Abbildung ist erfüllt. (Die mathematische Ableitung der Phase nach der Frequenz ist die so genannte Gruppenlauf­zeit; sie muss konstant sein: .= d..d.= konstant.)

Die Übertragungskette

Abb. 2 zeigt eine vollständige Übertragungskette, die mit einem Mikrofon beginnt. Die meisten Elemente dieser Kette werden universell eingesetzt.

Selbst Anwender, die ihre Ausrüstung besonders sorgfältig aussuchen und sogar Kabel philosophischen Betrachtungen unterziehen, produzieren und hören nach einmal erfolgter Wahl durchweg mit derselben Anlage. Die Idee, für unterschiedliche Arten von Musik jeweils andere Aufnahmegeräte, Bandmaterial, Kabel usw. einzusetzen, wäre für Industrie und Wirtschaft gewiss reizvoll, aber sie wird sich nicht durchsetzen.

Wie kommt es dann, dass es Toningenieure gibt, die in bestimmten Fällen das Mikrofon in Abhängigkeit vom Instrument wählen? Sind Mikrofone weniger uni­versell als andere Übertragungselemente?

Unterschiede zwischen Wandlern und Vierpolen

Der wesentliche Unterschied zwischen Mikrofonen bzw. elektroakustischen Wandlern und den anderen Elementen einer Übertragungskette besteht darin, dass Wandler mit dem Schallfeld verknüpft sind, wäh­rend elektrische Übertragungselemente einfach als Vierpole mit zwei Ein- und Ausgängen beschrieben werden können.

Durch das Schallfeld kommen Parameter ins Spiel, die es bei Vierpolen nicht gibt. Die wichtigste Funktion hat dabei das Richtdiagramm:

Erstens bedeutet eine Frequenzabhängigkeit des Richtdiagramms, dass der Frequenzgang je nach Einfallswinkel des Schalls anders aussieht /3/.

Zweitens nutzen alle richtenden Mikrofone den mit der Frequenz linear abnehmenden Druckgradienten, so dass tiefste Frequenzen von derartigen Wandlern stets etwas geschwächt übertragen werden /4/.

Der Tiefenabfall kann durch den Nahheitseffekt nur in Sonderfällen kompensiert werden. Die im Vergleich zu Druckempfängern (Kugeln) schwächere Tieftonüber­tragung der Druckgradientenempfänger wird dagegen noch durch den Vektorcharakter des Druckgradienten verschärft: Es können nur die Schnellekomponenten aus dem Schallfeld aufgenommen werden, die in Rich­tung der Hauptachse des Mikrofons liegen. (Die Schall­schnelle ist proportional zum Druckgradienten.)

Die existenten Mikrofone

Befürworter von Kondensatormikrofonen mit Kugel­charakteristik können sich durch die zuletzt gemach­ten Ausführungen bestätigt fühlen. Andererseits zei­gen sogar Druckempfänger mit kleinem Durchmesser bei hohen Frequenzen eine immer noch beachtliche Abweichung von der idealen Kugelcharakteristik. Der Bedarf an mehreren verschiedenen Modellen (bei SCHOEPS derzeit vier Typen) ist damit zu erklären, dass man je nach den Komponenten des direkten und des diffusen Schallfelds am Aufnahmeort den jeweils geeigneten Typ wählen muss. Besonders uni­versell sind diese Mikrofone also nicht.

Ein weiterer Nachteil von Kugeln zeigt sich in der Praxis: Aus verschiedenen Gründen kann man nicht immer so nahe an die Schallquelle herangehen, wie es beispielsweise die Hallbalance verlangt. Die Aus­blendung von Störschall oder zu viel Raumanteilen an einem vorgegeben Ort ist auch nicht möglich. So ist die Richtwirkung von Mikrofonen eine sehr wün­schenswerte Eigenschaft, die sich im wahrsten Sinne des Wortes gezielt einsetzen lässt.

Bei kleinen Druckgradientenempfängern kann das Richtdiagramm im Vergleich zu Kugeln im Bereich mitt­lerer bis hoher Frequenzen eine bessere Konstanz auf­weisen. Daraus erklären sich die recht universellen Einsatzmöglichkeiten kleiner Kondensatormikrofone mit den Richtcharakteristiken Breite Niere, Niere und Superniere.

Große Mikrofone weisen prinzipiell die stärkste Fre­quenzabhängigkeit des Richtdiagramms auf. Sie sind daher am wenigsten universell, können aber bei be­stimmten Anwendungen durchaus Vorteile haben, wie später noch an einem Beispiel erklärt wird.

Das Bündelungsmaß

Der Frequenzabhängigkeit des Richtdiagramms ent­sprechen, wie schon festgestellt, unterschiedliche Fre­quenzgänge für Schall aus verschiedenen Richtungen. Obwohl es sich durchaus lohnen kann, Frequenzgänge für verschiedene Schalleinfallswinkel zu untersuchen, ist das natürlich eine mühsame Angelegenheit. Eine übliche Vereinfachung besteht darin, neben der Fre­quenzgangmessung im schalltoten Raum auf der Ach­se des Mikrofons auch noch den Frequenzgang im diffusen Schallfeld zu ermitteln. Dies ist der gemittelte Frequenzgang über alle Richtungen.

Die Differenz der Frequenzgänge im direkten und im diffusen Schallfeld wird als Bündelungsmaß bezeich­net (ausgedrückt in dB). Sein Frequenzgang ist ein Hin­weis darauf, wie sich die Richtwirkung in Abhängigkeit von der Frequenz ändert.

Betrachtung von Mikrofonen unter­schiedlichen Charakters

Die Abb. 3-5 zeigen Frequenzgänge im direkten und diffusen Schallfeld, sowie die des Bündelungsmaßes verschiedener Mikrofone, wie sie früher z.B. grundsätz­lich in den Mikrofonkennblättern des IRT veröffentlicht wurden /5/. Folgende Aussagen lassen sich aus den Darstellungen ableiten:

Abb. 3a/b: Ihrer jeweiligen Bestimmung entspre­chend (Freifeld/Diffusfeld), haben die beiden Kugeln unterschiedliche Frequenzgänge im direkten Schallfeld. Da sie weitgehend gleich aufgebaut sind, ist ihre Ab­weichung von der kugelförmigen Richtcharakteristik bei hohen Frequenzen jedoch gleich und damit auch der Verlauf ihrer Bündelungsmaße über der Frequenz. Der Klang diese beiden Wandler könnte daher ohne großen Nachteil durch einen guten Equalizer in den des jeweils anderen überführt werden.

Wie Praktiker wissen, gelingt es sonst fast nie, den Klang eines Mikrofons durch Einsatz eines Equalizers in den eines anderen Modells zu ändern. Die Ursache liegt in der unterschiedlichen Frequenzabhängigkeit der Richtdiagramme verschiedener Mikrofone, auf die man natürlich mittels elektrischer Korrektur keinen Ein­fluss nehmen kann.

Abb. 4a/b: Die beiden Nieren haben den gleichen Frequenzgang im direkten Schallfeld. Bei nahen Schall­quellen auf der Hauptachse der Mikrofone ist daher kein Unterschied hörbar, aber sobald die Mikrofone ent­fernter aufgestellt werden, gewinnt Schall aus allen anderen Richtungen an Einfluss, und der Unterschied macht sich bemerkbar.

Das Mikrofon der Abb. 4a wird bei großem Abstand zur Schallquelle ein mattes, etwas dumpfes Klangbild vermitteln, da der durch den Abstand erhöhte Diffus­feldanteil an Bedeutung gewinnt: Wie der Abbildung entnommen werden kann, überträgt dieses Mikrofon oberhalb 10kHz nur wenig Höhen aus dem diffusen Schallfeld.

Das Mikrofon in Abb. 4b hat auch im diffusen Schall­feld einen bemerkenswert konstanten Frequenzgang. Sein Richtdiagramm ist relativ wenig frequenzabhängig. Es wird auch bei größerem Abstand zur Schallquelle zufrieden stellen und ist recht universell einsetzbar. Ein derartiger Wandler ist gut geeignet für eine Nutzung
z.B. im ORTF-Mikrofon. Es wird selten so nah aufge­stellt, dass die reflektierten Schallanteile keine Rolle spielen.

Es ist unmöglich, die beiden Mikrofone mittels Equa­lizer klanglich gleich zu machen, da die Frequenzab­hängigkeit ihrer Richtdiagramme dadurch unverändert bleibt.

Abb. 5 zeigt Frequenzgänge eines etwas exotischen Großmembran-Mikrofons, das nach grundsätzlichen

Betrachtungen als unausgeglichen bezeichnet werden kann. Bei Frequenzen zwischen 5kHz bis 9kHz verliert dieses Mikrofon an Richtwirkung.

Beim Einsatz in einem bei hohen Frequenzen über­bedämpften Sprecherstudio, kann die kugelähnlichere Übertragungseigenschaft aber mehr von der schwa­chen Raumakustik übertragen und dadurch positiv bewertet werden. Die überzogenen Höhenfrequenz­gänge tragen darüber hinaus dazu bei, dass der Klang bestimmt nicht “muffig” wirkt, selbst wenn das Studio so klingt, als ob man in ein Kopfkissen spricht.

Der stark vom Schalleinfallswinkel abhängende Fre­quenzgang spielt keine Rolle, da der Sprecher höchst­wahrscheinlich auf der Mikrofonachse bleibt.

Nutzung von Merkmalen nicht­ idealer Wandler

Die beschriebenen Beispiele ließen sich fortsetzen und belegen einmal mehr, dass theoretische Schön­heitsfehler in der Praxis nutzbringend eingesetzt wer­den können. Von einem wirklich universellen Mikrofon müsste man daher erwarten, dass es über die oben vorgenommene Definition eines “verzerrungsfreien” Übertragungselements hinaus auch gezielte Abwei­chungen davon ermöglicht.

So stellt sich die Frage, ob man nicht ein Mikrofon bauen kann, bei dem die Frequenzabhängigkeit des Richtdiagramms einstellbar ist. Damit wäre ein wahr­lich universeller Einsatz möglich, bis hin zu Sound-Wünschen, die sonst nur durch spezielle Mikrofone erzielt werden können. Für den Anwender wäre damit der nützliche Nebeneffekt verbunden, dass er erkennt, welche Frequenzabhängigkeiten ihm erwünschte Ef­fekte bringen. So kann er gezielt vorgehen und muss nicht die zufällig in Form von bestimmten Mikrofonen vorliegenden Merkmale suchen, die in aller Regel nicht hinreichend genau dokumentiert sind.

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