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03 Ein neues XY-Mikrofon

Die Vorstellung eines neuartigen Intensitätsstereomikro­fons wird zum Anlass genommen, XY- und AB-Aufnah­metechnik in kurzer Form einander gegenüberzustellen. Neben der Beschreibung des neuen Mikrofons werden damit wesentliche Feststellungen der ersten beiden Aufsätze wiederholt, und die AB-Technik wird besonders anschaulich dargestellt.

Verschiedene Stereotechniken

Der Abstand zwischen den beiden Kapseln eines Stereomikrofons spielt eine entscheidende Rolle. Das AB-System mit Kapselabständen von mehr als einem Meter kann man als einen Extremfall betrachten. Das andere Extrem ist die koinzidente Stereoaufnahme mit zwei dicht beieinander, meist übereinander angeord­neten Mikrofonen.Man spricht auch von „Intensität“-Stereofonie obwohl es eigentlich nur Pegelunterschiede sind, die die stereofone Abbildung ohne Laufzeitunterschiede bewirken. Die XY-Stereofonie gehört dazu.

Das ORTF-Mikrofon stellt einen gesunden Kompro­miss zwischen diesen beiden Extremen dar. Da es nicht mit den typischen Nachteilen der AB-Technik mit Mikrofonabständen von 40cm bis 80cm behaftet ist, sollte man es nicht als „AB-System“ bezeichnen. Bei einigen Anwendern, insbesondere außerhalb Frankreichs, entsteht bereits durch die Bezeichnung AB eine Abneigung. Das ORTF-Mikrofon gehört zu den Äquivalenz-Stereomikrofonen (siehe Aufsatz 2).
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Probleme mit AB

Die Kritik an AB beruht auf der bekannten Tatsache, dass zwei Mikrofone in großem Abstand zueinander in Abhängigkeit vom Schalleinfallswinkel und der Fre­quenz Signale liefern, deren Phasenlage zueinander sich ständig ändert. Dem Abstandsunterschied von der Schallquelle zu den beiden Mikrofonen entspre­chen für bestimmte Frequenzen ungeradzahlige oder geradzahlige Vielfache der akustischen Wellenlänge. Dementsprechend sind die Signale gleichphasig oder gegenphasig.

Bei Frequenzen über 2kHz spielt dies keine nega­tive Rolle, da das Richtungshören bei hohen Frequen­zen nur auf Pegeldifferenzen beruht. Bei Frequenzen unterhalb etwa 700Hz ist die Phase für die genaue Lokalisation aber von großer Bedeutung. Nur wenn die Phasenbeziehung bei tiefen Frequenzen zwischen den Kanälen gleich bleibt, kann die Lokalisation einzelner Schallquellen bei tiefen Frequenzen funktionieren /1/. Es ist ein Irrtum, wenn behauptet wird, tiefe Frequen­zen könne man generell nicht lokalisieren.

Der größte Vorteil der AB-Stereofonie besteht darin, dass damit auch Mikrofone mit Kugelcharakteristik für Stereofonie eingesetzt werden können. Prinzipbe­dingt sind sie die einzigen, die auch tiefste Frequenzen ungeschwächt übertragen, und dies auch nur, wenn es sich um so genannte „elektrische Wandler“ wie Kondensatormikrofone handelt.
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Anwendung von AB

Abb. 1

In welchem Abstand die Mikrofone eines AB-Pär­chens stehen müssen, kann man mittlerweile genau sagen /3/. Dies hängt davon ab, unter welchem Win­kel 2 man das Orchester sieht, wenn man sich genau zwischen die Mikrofone stellt. Man weiß z.B., dass eine Zeitverzögerung von ca. 1,2msec zwischen zwei Stereosignalen gleichen Pegels genügt, um eine Schall­quelle extrem links oder rechts der stereofonen Laut­sprecherbasis zu lokalisieren (Abb. 1). Dieses Kriterium ist nicht scharf und Eberhard Sengpiel /2/ rechnet z.B. mit 1,5msec.

Die Lokalisation der extrem links oder rechts sitzen­den Musiker erwartet man bei der Wiedergabe an den Rändern der Stereobasis, also in Richtung der Laut­sprecher. Die Signale der außen sitzenden Musiker müssen also zu einer Laufzeitdifferenz von besagten 1,2msec zwischen den Mikrofonen führen.

Wenn man zwecks einfacher Veranschaulichung annimmt, die Mikrofone wären so dicht am Orchester aufgestellt, dass sie mit den am weitesten links und rechts plat­zierten Schallquellen einen Winkel von 180° einschlie­ßen, so entspricht die Laufzeit zwischen den Mikrofo­nen der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Schall in Luft.
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Abb. 2

Für 1,2msec müssen die Mikrofone also ca. 40cm voneinander entfernt sein. Eine nähere Aufstellung von zwei Kugeln nebeneinander führt dazu, dass es für keine Schallquelle eine genügend lange Laufzeit gibt, um Schall in Richtung einer der Lautsprecher zu loka­lisieren. Die Stereobasis wird also nicht gefüllt.

Daher müssen Stereosyteme mit Druckempfängern (Kugeln), die in kleinerem Abstand montiert sind, aku­stische Trennkörper verwenden. Beispiele sind: La Tête Charlin, die Jecklinscheibe und das Kugelflächenmikro­fon (siehe Aufsatz 5).

Entfernt man die Mikrofone vom Orchester – bei gleichem Abstand zueinander – so wird der Laufzeit­unterschied kleiner. Um wieder 1,2msec Laufzeitdif­ferenz zu erzielen, müssen die Mikrofone weiter von­einander entfernt werden.
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Abstand zwischen zwei Mikrofonen - eine Tabelle

60° 80° 100° 120° 140° 160° 180°
  76 cm 60 cm 50 cm 44 cm 40 cm 38,5 cm 37,5 cm

Abb. 3 Eine Tabelle für den notwendigen Abstand von zwei Mikrofonen mit Kugel­charakteristik zur Erfüllung vorgegebener Aufnahme­winkel.

Dieser Tabelle kann entnommen werden, in welchem Abstand voneinander zwei Kugeln, in Abhängigkeit vom „Sicht-Winkel“ 2α aufgestellt werden müssen. Ihm muss der Aufnahmewinkel der AB-Anordnung entsprechen.
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Besonderheit der XY-Technik

Im Gegensatz zu AB gibt es beim koinzidenten Prin­zip keine Probleme mit der Lokalisation, wenn man das Stereomikrofon richtig aufstellt (siehe Aufsatz 2). Leider gibt es aber auch hier einen Nachteil: Die stereofone Abbildung erfährt eine Konzentration in der Mitte zwi­schen den Lautsprechern. Der Grund dafür besteht in der hohen Korrelation der Signale, die von zwei dicht benachbarten Nieren aus dem diffusen Schallfeld auf­genommen werden /4/. Veranschaulicht kann man sagen, dass ein Teil des diffusen Schallfelds in Mono übertragen wird.

Beim ORTF-Mikrofon ist dies weniger der Fall, weil durch den kleinen Abstand der Kapseln bereits eine Dekorrelation der Diffusfeldsignale entsteht. Andererseits kann eine Konzentration der Lokalisation in der Mitte auch sinnvoll sein. So ist es z.B. gar nicht erwünscht, wenn das Konzert eines Solo­instruments zu breit abgebildet wird. Ähnliche Verhält­nisse hat man, wenn nur eine kleine Musikergruppe aufgenommen wird. Ein besonderer Vorteil ergibt sich ferner bei der stereofonen Übertragung des Fernseh­tons. Wenn dieser verstärkt in der Mitte lokalisiert wird, ist das gut, denn dort steht der Bildschirm /5/. Bei an­deren Anwendungen, bei denen der diffuse Schall nur eine untergeordnete Rolle spielt, gibt es natürlich gene­rell keinen Schwachpunkt der XY-Stereofonie.

Das neue XY-Miniaturmikrofon

XY-Mikrofone sind bisher alle groß und unhandlich, so dass sie nicht für die Optik des Fernsehbilds ge­eignet sind. Nachdem SCHOEPS eine neue Serie von Kleinstmikrofonen entwickelt hat (Compact Conden­ser Microphones CCM#, Durchmesser 20mm, Länge 45 - 57mm), deren technische Daten ebenso gut sind wie die üblicher Kondensator-Studiomikrofone, ist es nahe liegend, auf der gleichen Technik basierend auch ein Stereomikrofon zu bauen. Bei der Serie CCM sind die Wandler die gleichen wie in den Kapseln der Serie Colette. Durch die Anwendung von  SMD- und Dickschichttechnik bei der Elektronik wird jedoch eine besonders kleine Bauform möglich.
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Abb. 4 oben: Miniaturisierung mittels der seit 1973 gebauten Serie Colette; unten: Die neue Miniaturserie zum unmittelbaren Anschluss an die Phantomspeisung.

Da auch mit der Serie Colette eine Miniaturisierung mittels des “aktiven Kabels” möglich ist, ist der Hinweis angebracht, dass das CCM# praktisch gleich aussieht, aber am Kabelende den Standard-XLR-Stecker auf­weist. Der Verstärker CMC# und das Problem, ihn ir­gendwo unterzubringen, entfallen (Abb. 4).

Die Elektronik besteht aus drei übereinander ange­ordneten, runden Platinen mit über 100 Bauelementen. Die kapselseitige Platine enthält die wesentliche Audio-Elektronik, dann kommt eine abschirmende Platine und schließlich der Gleichspannungswandler für die Polarisationsspannung. So kann trotz Miniaturisierung auf die Anwendung eines Elektrets verzichtet werden.
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Abb. 5 Frequenzgang der Monosumme für Schall aus verschiedenen Richtungen
Abb. 6 Das neue Stereomikrofon CMXY 4 V im Vergleich mit der herkömmlichen Lösung

Für das neue Stereomikrofon werden natürlich zwei dieser Module mit zwei Nieren, die der Kapsel MK 4V entsprechen, verwandt. Eine Besonderheit dieses Ste­reomikrofons ist die Anordnung der beiden Kapseln dicht nebeneinander. Zunächst scheint dies der Forde­rung nach Koinzidenz zu widersprechen, aber durch die Miniaturisierung befinden sich die beiden Wandler so dicht nebeneinander, dass sie gemeinsam gerade den Durchmesser großer Stereomikrofone erreichen (Abb. 6 unten).

Abb. 5 (rechts) zeigt den Frequenzgang der Monosumme für den ungünstigsten Fall von seitlich eintreffendem Schall im Vergleich zum Frequenzgang eines Einzelwandlers.

Die Montage der Kapseln nebeneinander hat aber einen großen Vorteil: Da die Kapseln über Zahn­räder miteinander gekoppelt sind, dreht sich bei Ände­rung der Einstellung des Hauptachsenwinkels die benachbarte Kapsel  in der entgegengesetz­ten Richtung mit. Somit bleibt die stereofone Hauptachse unverändert. Die Benutzung der bekannten XY-Mikro­fone hingegen ist vergleichsweise umständlich, da nach der Einstellung des Winkels zwischen den Kapseln jedes Mal auch die Hauptachse neu eingerichtet wer­den muss.

Das Mikrofon kann direkt auf den Tisch gestellt wer­den, wenn man das Steckerteil nach vorne oder nach hinten abwinkelt, oder man verwendet ein kleines Stativ zur Verringerung von Kammfiltereffekten durch Refexionen an der Unterlage. Die Montage kann mit dem Standard-SCHOEPS-Zubehör erfolgen, so dass es z.B. unter dem Tisch oder an einem Stativ befestigt werden kann. Einen Windschutz mit integrierter elastischer Aufhängung gibt es auch (WSR CMXY).

Die Abmessungen des Mikrofons betragen 75/30(H) x 45(B) x 20(T)mm. Sein Gewicht ist 180g. Um die Miniaturisierung zu erhalten, ist die Normalausführung mit einem 5-poligen Miniaturstecker von Binder ver­sehen. Das Kabel kann danach leicht an zwei Ein­gänge mit 12V- oder 48V-Phantomspeisung adaptiert werden.

Für Anwender, denen es auf äußerste Miniaturisie­rung nicht ankommt, steht auch eine Ausführung mit XLR-5-Stecker zur Verfügung.
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Nutzung als Mono-Mikrofon mit kontinuierlich einstellbarer Richtcharakteristik.

Eine besondere Nutzung ergibt sich, wenn man die beiden Nieren in einem Winkel von 180° zueinander einstellt und die Signale mischt.

Die Summe der beiden genügend nah beieinander angeordneten Nieren ergibt eine Kugel und die Differenz eine Acht. Durch das Mischungsverhältnis lassen sich alle Richtcharakteristika kontinuierlich am Mischpult einstellen. Die Hauptachse entspricht natürlich der der beiden Nieren. Eine richtet nach vorne und die andere nach hinten. Wenn man die nach hinten zeigende Niere in der Phase dreht und nur schwach zumischt, ergibt sich z.B. Supernierencharakteristik nach vorne.

Die Ergebnisse sind gut, /6/ aber man kann eine weitere Technik erproben, die bis heute noch nicht genügend bekannt ist. Sie wird in /7/ beschrieben, hatte zum Zeitpunkt der ersten Publikation aber noch nicht ihren heutigen Namen „PolarFlex“ (www.sengpielaudio.com/PolarFlex.pdf, www.sengpielaudio.com/PolarFlex-Bedienungsanleitung.pdf)

Bei dem Verfahren „PolarFlex“ kann man das Polardiagramm je nach Frequenz unterschiedlich einstellen, indem das Mischungsverhältnis der beiden Kanäle durch individuelle Veränderung der Frequenzgänge frequenzabhängig wird. Angenehm ist dabei auch, dass diese Einstellungen auch noch nach der zweikanaligen Aufnahme gemacht werden können. Das ermöglicht die „Wahl des Mikrofons“ im Nachhinein.

Neutral klingende Mikrofone sollten allerdings im gesamten Übertragungsbereich das gleiche Polardiagramm beibehalten, jedoch besteht der Reiz besonders klingender Mikrofone ausgerechnet darin, dass deren Polardiagramm oft recht stark mit der Frequenz variiert (siehe Datenblätter, www.microphone-data.com). Für Großmembranmikrofone ist das typisch und physikalisch erklärlich. Mit PolarFlex wird dieses Verhalten aber dosiert einstellbar.

Man kann also erproben, welche Merkmale für bestimmte Klänge nützlich sind. Der Eigenklang verschiedenster Mikrofone lässt sich simulieren und für spezielle Anwendungen sogar überzeichnen. Darüber hinaus lassen sich Merkmale einstellen, wie sie sich bei der Konstruktion großer Mikrofone nie ergeben. Das sind insbesondere Richtwirkungen, die bei tiefen Frequenzen zunehmen. Damit sind neue Anwendungen möglich.
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Literaturverzeichnis:

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  1. S.P. Lipshitz, University of Waterloo, Ontario, Canada, Stereo Microphone Techniques: Are the Purists Wrong?, AES preprint 2261 (D-5) oder J. Audio Eng. Soc., Vol. 34, no. 9, 1986
  2. E. Sengpiel, Blätter zu den Vorlesungen “Musik­übertragung” an der HdK Berlin, seit 1990, www.sengpielaudio.com
  3. M. Williams, AES Publication European Represen­tative, Unified Theory of Microphone Systems for Stereophonic Sound Recording, AES preprint 2466 (H-6), 1987, www.mmad.info
  4. G. Theile, Hauptmikrofon und Stützmikrofone – Neue Gesichtspunkte für ein bewährtes Aufnahme­verfahren, in: Bericht zur 13. Tonmeistertagung 1984, Bildungswerk des Verbands Deutscher Ton­meister, S. 170 - 184
  5. Ch. Hugonnet, Ein neues Konzept der räumlichen Kohärenz zwischen Ton und Bild bei Fernsehpro­duktionen mit stereofonem oder Surround-Ton, in: Bericht zur 19. Tonmeistertagung 1996, Bildungs­werk des Verbands Deutscher Tonmeister, S. 104 - 116
  6. Ch. Langen, Mikrofon mit frequenzabhängig einstellbarem Bündelungsmaß, Bericht zur 20. Tonmeistertagung 1988, Bildungswerk des Verbands Deutscher Tonmeister
  7. J. Wuttke, Wie universell kann ein Mikrofon sein?, Bericht zur Tonmeistertagung 1996, Bildungswerk des Verbands Deutscher Tonmeister, (entspricht Aufsatz 7 in diesem Sammelband)

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