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Aus der Funkschau 1978 Heft Nr. 21 kommt hier
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 24

von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977

Bild 133-1 Der schreibende Engel, Emile Berliners Markenzeichen

Ein Umbruch!
Die Elektroindustrie schaltet sich ein.

45 Jahre lang, von der ersten Schallaufzeichnung im Jahre 1877 an, lieferten die von der menschlichen Stimme oder von Musikinstrumenten ausgehenden Schallwellen selbst, ohne Zwischenschaltung eines elektronischen Verstärkers die Energie für den Schnitt der Tonrille - vom schreibenden Engel, Emile Berliners Markenzeichen einmal symbolisiert (Bild 133-1).
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Bild 133-2 1896 führte Frangois Dussaud sein „Mikrophonograph" genanntes Gerät mit „mechanisch elektrischem" Abtaster und Wiedergabe durch Kopfhörer in Paris in der Academie de Medicine vor und propagierte seine Anwendung für Schwerhörige (Die Lautstärke war regelbar.)

Anfang der zwanziger Jahre war die Zeit für eine neue Technik gekommen. Die nun zur Verfügung stehenden (Elektronen-) Verstärker erlaubten den Schnitt elektromechanisch von einem Mikrofon her gesteuert.

Für die Entwicklung dieser Schneidetechnik brauchte man Ingenieure, die Erfahrungen bei der Entwicklung der elektronischen Tonverstärker und Lautsprecher gesammelt hatten. Daher verlagerte sich diese Entwicklung in die Laboratorien von Firmen der Elektroindustrie.

Das war eine der Ursachen für den Trend dieser Industrie, dann auch die Herstellung von Schallplatten und Abspielgeräten aufzunehmen. Doch dem waren Grenzen gesetzt, denn jetzt meldeten sich die Inhaber von Patenten, mit denen sie die neuen Methoden der elektromechanischen Schallplattenschnittechnik blockieren konnten.

Patente, aus der Versenkung auferstanden

Bild 133-3 Der weiterentwickelte Mikrophonograph im Jahre 1897

Eigentlich hätte die elektromechanische Schneidetechnik für jedermann frei sein müssen, ebenso wie die Abnahme durch einen Wandler, der die Schallschrift wieder in elektrische Signale für den Betrieb eines Kopfhörers wandelt, also der Tonabnehmer oder Pick-Up. Beide Techniken hatte nämlich schon in den 1890er Jahren der Genfer Wissenschaftler Frangois Dussaud (1870-1953) mehrfach öffentlich vorgeführt, allerdings ohne Einschaltung eines elektronischen Verstärkers, den es damals noch nicht gab.

Über Dussauds Methoden gibt es Veröffentlichungen, z.B. [68], (Bild 133-2 und 133-3). Dussaud hat noch viele andere Beiträge zum technischen Fortschritt geliefert, sein Fernsehprojekt [69] darf man vergessen, nicht aber seine sehr frühe Demonstration einer Bildplatte; in dem entsprechenden Kapitel dieser Aufsatzreihe werde ich sie erwähnen und sie so aus der Vergessenheit herausholen.

Dussaud schreibt über Interessantes für die Geschichte der Schallaufzeichnung

Über das Leben des Wissenschaftlers Dussaud hat unter Verwendung nachgelassener Aufzeichnungen Pierre Rousseau in seinem Buch „Ces Inconnus ont fait le Siecle" [70] berichtet.

Aus diesem Buch möchte ich gestrafft zitieren, was für die Geschichte der Schallaufzeichnung interessant ist:

„Am gleichen Tag des Jahres 1892, an dem er zum Doktor der Naturwissenschaften promovierte, kam dem jungen Forscher der Gedanke, die Stromschwankungen in Bells Telefon zu nutzen. Versah man diese Einrichtung wie beim Phonographen mit einer Nadel, so würde diese die Veränderungen des Stromes als Rillen in Wachs aufzeichnen. Nichts war leichter, als später die Nadel wieder über die Rillen laufen zu lassen und erneut den ursprünglichen Strom des Elektromagneten zu erzeugen; dieser Strom würde die Membrane zum Vibrieren bringen und die Stimme reproduzieren, und damit hätte man die mechanische Aufnahme durch eine elektrische ersetzt.

Der junge Physiker schickte sich an, die Sache praktisch durchzuführen und ein Bellsches Telefon mit einer Nadel zur Eingravierung der Schwingungen auszurüsten; aber leider mußte er feststellen, daß es so nicht ging. Die Nadel drückte auf die Membrane, verzerrte ihre Schwingungen, und man erlebte die gleichen Unzulänglichkeiten wie mit dem Phonographen. Dussaud ließ sich nicht entmutigen und konstruierte eine andere Apparatur: Er befestigte den kleinen Elektromagneten direkt auf der Fassung der Membrane und ordnete in sehr geringem Abstand auf einer beweglichen Halterung - beispielsweise auf einer Feder - einen leichten Eisenkörper an, der den Kern des Elektromagenten bildete und einen Saphir trug.

Gab man dem Saphir eine spitze Form, so ließen sich die elektrischen Phänomene in Rillen gravieren; ebenso leicht konnten sie mit einem abgerundeten Stein reproduziert werden. Um den ursprünglichen Ton erneut hervorzubringen, genügte es, den Saphir der Wiedergabedose über die Rillen laufen zu lassen; dadurch entstand ein modulierter Strom, der die Membrane eines Lautsprechers zum Vibrieren brachte und so den Ton reproduzierte. Die Überlegenheit des Dussaudschen Systems bestand darin, daß die Wiedergabe mit einer vollkommen freischwingenden Membrane arbeitete. Der Pick-Up (die Wiedergabedose) war erfunden!"

In einer Vitrine des Museums für Kybernetik, dessen Konservatorin Madame Dussaud ist, sieht man die beiden historischen Stücke, die erste im Jahre 1892 gebaute Aufnahmedose und für die Wiedergabe den Pick-Up.

Durch Zufall hatte ein Pariser Gelehrter, der Physiologe J. B. Laborde, von Dussauds Arbeiten gehört und mit Bekannten darüber gesprochen. So wurde die Neugier wissenschaftlicher Kreise in der französischen Hauptstadt auf den Mikrophonographen und seinen Schöpfer gelenkt. Und eines Tages, im Winter 1896, nahm Daussaud den Zug nach Paris. Seine Apparate ließ er nicht aus der Hand. Laborde empfing ihn, brachte ihn in die Pariser Universität Sorbonne, in der der Schweizer Gelehrte die Sache zum ersten Mal vorführte, und nahm ihn am Tage darauf zu einer Sitzung der medizinischen Fakultät mit.

Der Gelehrte betrat die Aula und begann mit den Worten: „Meine Herren, in Zukunft wird man elektrische Phänomene festhalten können." Zug um Zug enthüllte er seine Geheimnisse. Dussauds Vorführungen fanden ungeheueren Widerhall. Über die Bedeutung der Tatsache, daß man in Zukunft imstande sein sollte, mit wunderbarer Präzision die verschiedensten Schwingungsphänomene aufzuzeichnen, waren sich die Wissenschaftler aller Richtungen klar, und ihre Begeisterung kannte keine Grenzen. „Es ist der Keim zu einer neuen Wissenschaft", schrieb Laborde, „das erste Mikrofon des Tones."

Boucher, der den Ministerstuhl im Post- und Telegraphenministerium inne hatte, verlangte eine Vorführung in seinen Räumen. Dussaud kam diesem Wunsche im Oktober 1897 nach, indem er einen seiner Apparate im Arbeitsraum des Ministers und einen anderen in Lille aufbaute. Das Experiment war von durchschlagendem Erfolg.

Das System interessierte die Regierung noch aus einem anderen Grund. Die außergewöhnliche Empfindlichkeit des Apparates war verblüffend. Man mußte nicht wie beim Telefonieren unmittelbar davor stehen: Selbst auf mehrere Meter Entfernung ging kein Wort verloren. Daraus leitete Dussaud eine neue Anwendungsmöglichkeit ab: ein „Spioniergerät", das in einem gewöhnlichen, harmlosen Telefon verborgen war und sorgfältig alles aufzeichnete, was man unvorsichtigerweise in seiner Nähe äußerte. Das war das Abhörgerät. Einmal wurde sogar der ahnungslose Saint Saens als Pianist beim türkischen Prinzen Buradin auf einen Zylinder aufgenommen.

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Dennoch - noch kein Durchbruch

So viel Aufsehen auch Dussauds Demonstrationen in Frankreich damals gemacht haben, der Methode der „elektromechanischen" Aufzeichnung konnten sie nicht zum Durchbruch verhelfen, ebensowenig wie eine andere Vorführung, die in Amerika gemacht worden war.

Ein Mr. Hammer führte in Philadelphia vor Mitgliedern des Franklin Instituts Aufzeichnungen von Signalen vor, die in New York vom Phonographen auf die Fernsprechleitung nach Philadelphia gegeben wurden [71]. Unterhaltsam, aber doch nur eine technische Spielerei!

Diese ersten Bemühungen, die Methoden der Telefontechnik auf die Tonwalze anzuwenden, gerieten bald in Vergessenheit. Auch gelegentlichen Versuchen, Schallplatten elektromechanisch zu schneiden, blieb der Erfolg versagt, nur erste Patente blieben. Die Experten der akustisch-mechanischen Schneidetechnik schnitten so gute Platten, daß noch kein ernstes Bedürfnis nach einer verbesserten Technik entstand. Man hatte sich an das, was auf der Schallplatte aufgezeichnet werden konnte, gewöhnt.

Die Schallplattenhersteller beschränkten sich weise darauf
, möglichst nur aufzunehmen, was für die akustisch-mechanische Schneidetechnik geeignet war, und diese schmeichelte der Stimme, wie ein Experte einmal sagte. Ein Blick in die Plattenkataloge jener Zeit zeigt die Bevorzugung von Sängern. Die unzureichende Qualität der Begleitmusik hatte zur Folge, daß man sie mehr oder weniger im Hintergrund hielt.

Damit fand man sich ab, bis es zu einer sensationellen Verbesserung der Schallplattentechnik kam, die in der Mitte der zwanziger Jahre, wie schon ein Vierteljahrhundert früher die Tonwalze und die Schallplatte selbst, aus Amerika gekommen war. Sie machte alles, was uns die Jahre vorher vollkommen erschienen war, über Nacht unvollkommen.

Fred Gaisberg schrieb 1924

Bild 134. Das von Maxfieldund Harrison auf Grund von mathematischen Berechnungen dimensionierte elektromagnetische Schneidesystem für Wachsplatten [72].
Bild 135. Das von Maxfield und Harrison aufgestellte elektrische Ersatzbild für das Schneidesystem in Bild 134.
Bild 136. Die neue, im Frequenzgang wesentlich verbesserte Schalldose nach [71]
Bild 137. Die im Vergleich zu der technisch raffiniert weiter entwickelten Dose von Bild 136 bis dahin übliche einfache Schalldose, so wie sie bei den Grammophonen der ersten 25 Jahre benutzt wurde.

Der schon mehrfach erwähnte Fred Gaisberg, der Spitzen- könner der akustisch-mechanischen Aufnahmetechnik, hat 1924, in der Zeit dieser umwälzenden Neuerung niederge- schrieben, wie er die ersten Plattenschnitte aus Amerika kennenlernte, und wie sie ihn damals beeindruckt haben.

Er erzählt [72], wie die Ingenieure der Western Electric geheim an dem Verfahren der elektromechanischen Aufzeichnung gearbeitet hatten und dann ihre ersten Schnitte in Wachs der Firma Pathe in New York übergaben für die Herstellung von Musterpressungen.

Dort arbeiteten Frank Capp, ein ehemaliger Mitarbeiter Edisons, und Gaisbergs Freund Russel Hunting. Die beiden, neugierig auf das, was die Außenseiter aufgenommen hatten, spielten die Platten ab, ehe sie sie weitergaben. Von dem, was sie hörten, waren sie überrascht, erstmalig Zischlaute und Trompete in natürlichem Klang. Gaisberg schrieb weiter :
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  • „Eines Tages im Herbst 1924 erreichte mich ein Telefonanruf von Russel Hunting, der gerade in London im Hotel Imperial Russel Square angekommen war. „Fred", sagte er, „wir sind alle unseren Job los. Komm her, ich zeige Dir einiges, was Dich verblüffen wird!" In seinen Räumen angekommen, mußte ich ihm Geheimhaltung schwören, bevor er mir die mitgebrachten Platten vorspielte, unautorisierte Kopien der Western Electric Experimentalaufnahmen. Wie Hunting sah ich ein, daß von nun an keine Schallplattenfirma mehr konkurrenzfähig sein konnte, wenn sie nicht über dieses elektrische Aufnahmeverfahren verfügte.
  • Was die Western Electric sozusagen als Nebenprodukt ihrer Forschung auf dem Telefon-Nachrichtensektor erreicht hatte, ließ in meiner Welt eine Mine hochgehen. Meine Kollegen, allein versiert in der einfachen akustisch- elektrischen Aufnahmemethode, mußten neu anfangen und dazu Elektrotechnik studieren. Mit Bestürzung mußten sie sehen, wie junge Elektrotechniker ihnen ihre Arbeit abnahmen, auf die sie sich in langer Lehrzeit eingearbeitet hatten. Nur einige meiner alten Kollegen meisterten den Übergang."

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und dann 1925

1925 ergänzte Gaisberg diese Niederschrift dann noch:
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  • „Es gab viele technische Geheimnisse bei der Aufnahme und der Herstellung der Matrizen, die nur mir bekannt waren. Von 1889 war ich bei meiner Firma fortlaufend unter Kontrakt bis 1925, bis zu dem Tag der elektrischen Aufzeichnung, da mein Ruhm verging."

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Ein gewaltiger der Schritt zur Elektrophysik

Doch darin war Gaisberg zu pessimistisch. Machten auch andere dann die Aufzeichnung, Gaisberg blieb noch ein weiteres Vierteljahrhundert aktiv in der Welt der Schallplattenaufnahme. Uns hätte kein anderer deutlicher zeigen können, wie gewaltig der Schritt von der alten (mechanischen) Technik der „Probierer" zur mathematisch berechenbaren Elektrophysik war, ein Schritt auf einen Weg, der bis zur heutigen Hi-Fi-Technik geführt hat.

Eine mathematische Analyse an Hand eines elektrischen Ersatzbildes für den elektromagnetischen „Schreiber" hat die Regeln für seine Dimensionierung geliefert. In einer richtungsweisenden Veröffentlichung haben Maxfield und Harrison aus den Bell Laboratorien (Western Electric) 1926 darüber berichtet [73]. Wir müssen uns hier auf die Wiedergabe einer Schnittzeichnung des Schreibers beschränken und sein elektrisches Ersatzbild. (Bild 134 und Bild 135.)

Neue Platten brauchten einen verbesserten Abspieler

Für die neuen Platten mit dem erweiterten Frequenzbereich brauchte man, wollte man in den vollen Genuß der Aufzeichnung kommen, auch eine verbesserte Wiedergabeapparatur. Maxfield und Harrison nahmen sich das klassische Trichtergrammophon vor und leiteten dafür ein elektrisches Ersatzbild ab, ähnlich wie sie es für den Schreiber getan hatten. Die Optimierung der Schaltung führte rückwärts zunächst einmal zu einer verbesserten Schalldose, wobei in die Rechnung erstmalig auch die Nadeleigenschaften einbezogen waren.
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Bild 138. Die Wiedergabefrequenzkurve des verbesserten Grammophonschrankes (A), mit der neuen Schalldose geebnet und durch Verbesserungen am Trichtersystem im Bereich nach unten erweitert, gegen das Verhalten des vorher üblichen Schrankes (B).

Das Schnittbild der neuen Schalldose (Bild 136) entnehmen wir dem daraus entstandenen deutschen Patent [74]. Eine daneben gezeigte klassische Schalldose (Bild 137) zeigt, wie kompliziert die neue Schalldose im Vergleich zur alten ist.

Was dabei erreicht wurde, ist beachtlich,
zusätzlich mit einer Verbesserung des Schalltrichters ergab sich die in Bild 138 gezeigte Linearisierung und Erweiterung des Frequenzbereichs. (Als „Orthophonic Vitrola" kam das Gerät in Amerika auf den Markt.)

(Fortsetzung folgt)
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Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39

finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.

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