Sie sind hier : Startseite →  Hifi Historie und Geschichte→  Von Tonwalze bis Bildplatte 1-39→  W. Bruch - Hist. Artikel Nr. 10

Aus der Funkschau 1978 Heft Nr. 07 kommt hier
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 10

von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977

Emile Berliner und sein Gramophon

Bild 50. Emile Berliner (1851-1929), Vater der Schallplatte
Bild 51. Joseph Berliner (1858-1935)Gründer der Deutschen Grammmophon-Gesellschaft

Von einem Erfinder erwartet der Laie immer, daß er, sozusagen ganz spontan, etwas vorher noch nie Dagewesenes hinstellt. Und so möchte man auch den Erfinder der Schallplatte sehen, wie einen Menschen, bei dem der göttliche Funke eine einzige Idee hervorgebracht hat, die wie ein Funke, der einen Steppenbrand ausgelöst hat, sich ausbreitet und nach und nach die ganze Welt erfaßt.

Wenn wir die Schallplatte heute als Medium werten und dabei daran denken, daß viele, viele Titel in Millionen Exemplaren vervielfältigt werden, dann fragen wir uns, ob der Mann, der die erste Schallplatte geschaffen hat, mit solch einem Funken das ausgelöst hat. Eine rückschauende Betrachtung wird uns zeigen, daß es ganz anders war, daß mühsame Arbeit erforderlich war, bis von einer Aufnahme eine größere Zahl von Platten gepreßt werden konnten.

Auch von denen, bei den der Funke gezündet hat, sind diejenigen ganz selten, die eine spontan hervorgebrachte Idee auch in die Tat umsetzen konnten. Als Beispiel dafür haben wir bereits Charles Cros kennengelernt. Meist wird eine neuartige Maschine oder ein neuartiges Gerät funktionierend erst hervorgebracht in der Auseinandersetzung mit dem bereits Vorhandenen.

Möglichst eigene Patente entwickeln

Der Wunsch, bestehende Patente zu umgehen, bringt oft erst die Lösung eines Aufgabenkomplexes, wobei die konzentriert gestellte Aufgabe bereits der halbe Weg zur Lösung ist. Wir sprechen, auf diese Arbeitsweise Rücksicht nehmend, heute von „Entwicklern" und erst dann von Erfindern, wenn bei diesen Entwicklungen Erfindungen im Sinne von Patenten herauskommen.

Der Erfinder ist fast immer ein Entwickler, das geht schon aus jeder guten Patentschrift hervor, die einleitend zusammenfassen muß, was der Stand der Technik zum Zeitpunkt der Erfindung war, und dann inwieweit diese Erfindung eine Neuheit ist.

Betrachten wir die Entstehung der Schallplatte, besonders auch im Spiegel der ersten Patentschriften, so werden wir feststellen, daß ihr Erfinder Emile Berliner, (Bild 50) ein solcher Entwickler war, der systematisch von Patent zu Patent sie technisch zu dem gemacht hat, von dem ausgehend der Funke für das Medium zündete und auf dieses bezogen einen Weltbrand ausgelöst hat.

Wer war dieser Emile Berliner?

Emil Berliner war von Geburt und Erziehung ein Deutscher. Der 1851 in Hannover als viertes Kind des Kaufmanns und „Schriftgelehrten" Samuel Berliner Geborene wuchs in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf. Frühzeitig soll sich bei ihm eine Vorliebe für Musik entwickelt haben, wahrscheinlich von der Mutter angeregt, einer geborenen Friedmann aus Cuxhaven. Im Alter von 14 Jahren machte er die Abschlußprüfung der Samson Schule in Wolfenbüttel.

So schnell wie möglich mußte er einen Beruf ergreifen, um zum Unterhalt der inzwischen auf 11 lebende Geschwister angewachsenen Familie beizutragen. [32 ]

Er war auf verschiedenen Gebieten tätig, u. a. auch in einer Druckerei, was sicher einen gewissen Einfluß, zumindest als Anregung, auf seine späteren Entwicklungen zur Vervielfältigung von Schallplatten gehabt haben dürfte. 1870, im Alter von 19 Jahren, ließ er sich von Nathan Gotthelf, einem guten Bekannten der Familie Berliner, in das ihm als Land der unbegrenzten Möglichkeiten gepriesene Amerika mitnehmen. Gotthelf hatte ein Ladengeschäft in Washington, in dem er Berliner beschäftigte, der sich bald zu seinem Vornamen Emil ein „e" zulegte.

1876 - der Zündfunke

Dessen unruhiger Geist ließ ihn schon nach kurzer Eingewöhnungszeit die verschiedenartigsten Tätigkeiten ausprobieren. Die Wende zum Erfinder kam 1876. Amerika hatte eine Jahrhundertfeier; aus deren Anlaß gab es eine große Ausstellung in Philadelphia. Dort war das Telefon von Alexander Graham Bell - den wir in seiner späteren Tätigkeit als Gründer des Volta-Laboratoriums schon kennengelernt haben - die Sensation, so sensationell, daß der Kaiser von Brasilien nach einer Vorführung ausrief: „Mein Gott, es funktioniert!"

Berliner, der sich in Abendkursen Grundkenntnisse in Elektrotechnik verschafft hatte, war fasziniert und stürzte sich in Experimente. Am 14. April 1877 reichte er - wie schon erwähnt - sein Caveat beim Patentamt in Washington ein; von der Bell-Gesellschaft als Kampfmittel gegen die konkurrierende Western Union aufgekauft, machte es ihn für einige Zeit zum wohlhabenden Mann.

Das Mikrofon mit dem „wackelnden Metallkontakt", als Patent 1891 erst erteilt, wurde übrigens viel später noch einmal aufgehoben, weil diese Erfindung von Philipp Reis vorweggenommen war, im Gegensatz zu Edison, der „wackelnde Kohlekontakte" hatte, aber das so auch nicht erkannt hatte.

Der deutsche Generalpostmeister Stephan war dabei

Emil Rathenau von der AEG

Übrigens war auch ein anderer berühmter Deutscher auf dieser Ausstellung so fasziniert von Bell's Telefon, daß er, wieder in Berlin, den Generalpostmeister Stephan für die neue Erfindung interessierte. Es war Emil Rathenau, der spätere Gründer der Deutschen Edison Gesellschaft, heute AEG.

Er wurde 1880 „ermächtigt, wegen Benutzung der Fernsprechanlagen, welche von der Reichspostverwaltung in Berlin angelegt werden, mit den Teilnehmern aus dem Kreis des Publikums die erforderlichen Verhandlungen zu führen und die entsprechenden Verträge vorbehaltlich der Genehmigung abzuschließen".[33]

Ein mühevoller Auftrag, der durchgeführt wurde, bis das erste Berliner Fernsprechamt 1881 seinen Dienst aufnahm. Die Telefone lieferte Werner von Siemens. Dies zeigt, wie damals einige wenige, immer dieselben Ingenieure und Erfinder die sogenannte Schwachstromtechnik in Amerika und Europa befruchteten.

E. Berliner kam 1881 nach Deutschland und gründete in Hannover mit seinem Bruder Joseph (Bild 51) die „J. Berliner Telephonfabrik", die erste Fabrik nur für Fernsprecher in Europa. (Jahre später wird dort die Wiege der Deutschen Grammophon Gesellschaft stehen.) Nachdem er so für seine Geschwister eine Existenzgrundlage geschaffen hatte, - der Vater lebte nicht mehr - zog es ihn wieder zu neuen Taten nach Amerika.

Bell wollte nur Telefone - Berliner wollte mehr

1887 war von dem Telefonerfinder Bell und seinen Mitarbeitern die Schallaufzeichnung wieder in Fluß gebracht worden. Darüber schrieb die Presse. Das regte auch Berliner an, mit seinen bei der Schallwandlung für den Fernsprecher gesammelten Erfahrungen sich an dem Rennen um die beste Schallaufzeichnung zu beteiligen. Als beratender Mitarbeiter der Bell Gesellschaft versuchte er, diese dafür zu interessieren, doch ihr Hauptanliegen war die Einführung des Telefons in ganz Amerika.

Deshalb machte er sich von der Bell Gesellschaft frei und fing selbständig an, wie 10 Jahre vorher mit dem Fernsprecher, sich mit der Schallaufzeichnung zu beschäftigen. Mit dem Rest des Geldes vom Mikrofon richtete auch er sich ein Laboratorium ein.

Am Anfang seiner Entwicklungen stand der Phonautograph von Scott, den er in seinem Wohnort Washington eingehend an einem betriebsfähigen Modell im Shmithsonian Institute studieren konnte. Wahrscheinlich kannte er auch Scotts Patentschrift [34]. Seine Begeisterung für die Seitenschrift, die ja wirklich wie eine Schrift aussah, wurde sicher noch verstärkt durch die Tatsache, daß das Grundpatent für die Tiefenschrift Edison, seinem Mikrofonkonkurrenten, gehörte.

Gleich noch ein Patent

Bild 52. Das war die erste Auf- nahme- und Wiedergabeapparatur von Berliner, wie er sie in der Einleitung seiner Patentschrift von 1887 beschreibt

Seine ersten Experimente waren so aussichtsreich, daß er schon am 26. September 1887 sein erstes Patent anmeldete, das unter anderem eine funktionierende Lösung für die Herstellung einer Schallplatte enthielt. [35]

Wie er angefangen hatte, geht gut aus dem ersten Teil dieser Patentschrift hervor (Bild 52). Er nahm nämlich die Tonschwingungen auf eine um eine Walze gelegte Folie (z. B. mit Lampen- oder Kienruß geschwärztes Papier) auf, durch Freikratzen einer Tonspur in einer Schraubenlinie.

Diese „Master"-Aufnahme wurde mit Schellack fixiert und diente dann abgewickelt als Fotovorlage. Er fand in Washington einen Galvanoplastiker, Maurice Joyce, der ihm aus dieser Vorlage auf einem gleichgroßen Blechstreifen eine Fotogravur herstellte. Die Tonspuren erschienen dabei als Furchen gleichmäßiger Tiefe in dem Blech. Für die Wiedergabe wurde das Blech, wie vorher der Papierstreifen, um die Walze gebogen, wobei sorgfältig darauf geachtet werden mußte, daß jede Rille an der Stoßstelle fugenlos fortgeführt wurde. Dieselbe Schalldose - wie für die Aufnahme verwendet -, vielleicht mit einer anders verrundeten Nadel, diente auch der Wiedergabe. Die in der geätzten Furche geführte Nadel trieb die Membran für die Tonwiedergabe an.

Die gleiche Idee auf zwei Seiten der Welt

Was zur Aufnahmemethode von Scott von Berliner dazugekommen war, stammte in der Idee von Charles Cros, doch Berliner setzte seine Gedanken in die Tat um. Cros hatte eigentlich nur eine definierte Aufgabe gestellt ohne ein praktisches Beispiel, wie z. B. das im ersten Teil des Berliner'schen Patentes gebrachte. Der Inhalt des von Cros hinterlegten Briefes hätte - ohne Lösung - für eine Patentschrift nicht ausgereicht !

Wir dürfen Berliner glauben, wenn er am 12. November 1887 in „The Electrical World" beteuert, daß ihm die Cros'sche Veröffentlichung erst drei Monate nach seiner Patentanmeldung durch eine Zuschrift bekannt geworden ist. Das war kein Wunder, denn selbst das seine Erfindung prüfende Patentamt soll diese Veröffentlichung nicht gekannt haben, eine Veröffentlichung, die erst nach der Erfindung von Berliner allgemein zur Kenntnis genommen wurde.

Die Idee von der Scheibe nimmt Gestalt an

Die in der zweiten Hälfte seines Patentes 1351 angegebene Fortbildung der Erfindung trägt schon mehr Berliners eigene Handschrift. Er ging dort auf eine plane Scheibe als Tonträger über, also auf die Platte. Als Aufnahme-Material wählte er berußtes Glas, und obwohl auf Glas der Schreibstichel schon leicht gleitet, ölte er die Oberfläche noch vor dem Aufbringen der undurchsichtigen Rußschicht ein, um ein noch besseres Gleiten zu erreichen. Die ebene Platte ließ sich leichter für die Galvanoplastik fotografieren; er schlug sogar Kontaktkopie vor.

Das alles war keine Papiererfindung, sondern das Ergebnis von Experimenten. Seine nach diesem Verfahren hergestellten Platten waren vorführfähig. Gerne nahm er eine Einladung des Franklin-Instituts in Philadelphia zu einem ExperimentalVortrag an.

In einem überfüllten Saal findet der Vortrag am 16. Mai 1888 statt. Mit Staunen verfolgen die Teilnehmer der Veranstaltung, wie nach Berliner's Erklärungen sein Mitarbeiter Werner Süß, einstmals Schüler von Prof. Bunsen an der Universität in Heidelberg, eine Metallplatte auflegt, an der Handkurbel dreht und laut der „Yankee Doodle" ertönt. Stürmischer Beifall!

Das „Gramophone" ist geboren

Bild 53. Mit diesem erstem Platten- spieler trat E. Berliner am 16. Mai 1888 erstmalig mit seinen Metallschallplatten an die Öffentlichkeit
Bild 54. Das ist der erste Plattenspieler, der serienmäßig hergestellt wurde (Modell von 1890).
Bild 55. Die Schalldose des Plattespielers von Bild 53

Sein Wiedergabegerät hat Berliner als „Gramophone" angekündigt, übersetzt etwa „Schreibtöner" oder, wie er sagte, „sound of letters". Das bei der Vorführung benutzte Modell (Bild 53) ist schon weitgehend Vorbild für das später auf den Markt gebrachte erste Gerät (Bild 54). Erstmalig werden Schalldose (Bild 55) und Trichter nur von der Rille geführt.

Dies war möglich geworden, weil die bei der Transversalschrift in der Tiefe nicht modulierte Tonspur im galvanoplastischen Prozeß als Furche mit einer diese Führung sichernden, konstanten Tiefe hergestellt werden konnte.

Der Phonograph und auch die Platte von Bell und Tainter brauchten einen zusätzlichen Vorschubmechanismus, der die Schalldose mit Hörschläuchen oder Trichter entsprechend der Rillensteigung weiterschob. Die in der Tiefe moduliert in Wachs geschnittene Tonspur besaß keine ausreichenden Führungseigenschaften, weil bei dieser Aufzeichnungsart der Schreibstichel nicht genügend tief in das Wachs eindringen konnte. Außerdem war die Spur in Metall - das Material von Berliners ersten Platten - viel widerstandsfähiger gegen seitliche Belastung als die in Wachs.

Das Programm der Premiere der Schallplatte am 16. Mai 1888

Für die Premiere, die erste öffentliche Vorführung einer Schallplatte, hatte Berliner schon ein erstaunlich vielseitiges Programm zur Verfügung. An jenem Abend wurden folgende Platten gespielt:

  • 1. Baritone: Yankee Doodle; Baby Mine; Nancy Lee.
  • 2. Cornet Solo.
  • 3. Tenor Baritone: Tar's Farewell.
  • 4. Soprano: Home Sweet Home; Annie Laurie.
  • 5. Baritone: A Wandering Minstrel
  • 6. Recitation: Deklaration of Indepence. (Aufgesprochen von Berliner selbst).


Ein echtes Unterhaltungsprogramm, das zeigt, welches Ziel Berliner im Endeffekt vorschwebte.

Und schon wieder eine neue Idee des Emile Berliner

An dem Tage, da Berliner die auf fotogalvanoplastischem Weg hergestellten Platten vorführte, waren sie auch schon veraltet und museumsreif. Tatsächlich wird eine solche Platte als wertvolle Reliquie im Museum aufbewahrt. Einen Tag vor seinem Vortrag hatte Berliner beim Patentamt in Washington sein zweites Patent eingereicht. So konnte er patentrechtlich geschützt bei seinem Vortrag bereits die darin offenbarte Neuentwicklung ankündigen.

Seine neue Aufnahmemethode [37],[38] vermied den Fotoprozeß. Noch einmal machte sich seine kurze Tätigkeit im Druckgewerbe bemerkbar. Er wandte nämlich das Verfahren zur Herstellung einer Radierung auf die Schallplatte an.

Bei der Radierung geht man bekanntlich von einer ätzbaren Metallplatte aus, die durch einen dünnen Wachsüberzug vor dem Angriff von Säure geschützt ist. In diese dünne Wachsschicht wird die Zeichnung mit einer feinen Nadel eingeritzt, und entsprechend der Zeichnung das Metall für den Angriff von Säure freigelegt. Im Säurebad erscheint sie dann als vertiefte Gravur im Metall.

Diese Methode der "ätzbaren Metallplatte" übernahm Berliner für die Herstellung seiner Schallplatte, indem er durch die im Rhythmus der Tonschwingungen hin- und herschwingende „Nadel" die Tonspur, wie die Zeichnung des Radierers in eine wachsbeschichtete, rotierende Metallplatte „kratzen" ließ.

(Die Fortsetzung folgt auf der nächsten Seite)

Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39

finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.

- Werbung Dezent -
Zurück zur Startseite © 2007/2024 - Deutsches Hifi-Museum - Copyright by Dipl. Ing. Gert Redlich Filzbaden - DSGVO - Privatsphäre - Zum Telefon der Redaktion - Zum Flohmarkt
Bitte einfach nur lächeln: Diese Seiten sind garantiert RDE / IPW zertifiziert und für Leser von 5 bis 108 Jahren freigegeben - kostenlos natürlich.

Privatsphäre : Auf unseren Seiten werden keine Informationen an google, twitter, facebook oder andere US-Konzerne weitergegeben.