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Aus der Funkschau 1978 Heft Nr. 15 kommt hier
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 18

von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977

Großer Nachteil : die Walzen waren zerbrechlich

Bild 96. Die „Blue-Amberol-Walze" von 1912

Die zerbrechlichen Walzen hätte Edison gerne durch unzerbrechliche ersetzt. Versuche, statt Zelluloid, mit dem er frühzeitig schon erfolgversprechende Experimente gemacht hatte, ein ähnlich verformbares und dann hart werdendes Material zu finden, scheiterten.

An der Verwendung von Zelluloid hinderte ihn ein Patent eines Erfinders aus Chicago, Thomas B. Lambert, vom 14. August 1899, das den Herstellprozeß von Walzen aus diesem Material unter Schutz stellte. Auch im erbitterten und teuren Patentstreit gelang es nicht, dieses Patent zu Fall zu bringen oder es einzuschränken.
Erst als Lamberts Gesellschaft in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, konnten die Rechte an diesem Patent erworben werden, und dann stand der Walze mit Zelluloidoberfläche nichts mehr im Wege.

Die neue „Blue Amberol" Walze von 1912

1912 brachte Edison die sagenhaft gute „Blue Amberol" heraus (Bild 96), der Name deshalb, weil sie eine leuchtend blaue Oberfläche hatte.

Für die Serien „Berühmtheiten" und „Grand Opera" wurde Königspurpur benutzt, doch diese sind nicht sehr verbreitet gewesen.

Die Einführung der neuen Walze gab Edison Gelegenheit, einen ganz entscheidenden Schritt nach vorne zu gehen. Die glatte und daher bei der Abspielung rauschfreie Oberfläche von einer Härte, die sogar die der modernen Vinyl-Langspielplatten übertraf, erlaubte, die Rillendichte zu vergrößern.

Hatte man die Wachs- und Amberol- Walzen schon eng geschnitten, mit 100 Rillen je Zoll (3,94 je mm, also 0,245mm Rillenabstand), das ergab etwa zwei Minuten Spielzeit, so ging man jetzt auf 200 Rillen je Zoll (7,88 Rillen je mm, also 0,127mm Rillenabstand), dem entsprach bei 160 Umdrehungen in der Minute eine Spielzeit von vier Minuten.

Neue Abspielgeräte für die 4 Minuten Walzen

Da die Tiefenschrift einen Zwangsvorschub für die Schalldose erforderte, mußten die neuen Abspielgeräte auf die alten und die neuen Walzen umschaltbar gemacht werden. Das galt nicht nur für das Vorschubgetriebe, sondern auch für die Nadel der Schalldose. Die Saphirnadel war durch einen Diamanten zu ersetzen, der durch Galvanoplastik am metallischen Nadelträger festgehalten war. Ein Geheimnis, das Edison sein Leben lang geheimgehalten hatte, erst sein Sohn offenbarte es; genau wie auch der Schliff der Diamanten Fabrikationsgeheimnis war.

Schon 1902 gab es elliptisch geschliffene Saphire, aber nicht, wie bei den neuesten elliptischen Abtastdiamanten, die große Achse senkrecht zur Rille orientiert, sondern damals parallel. Die Membran bestand aus etwa 20 Lagen Reispapier, in Schellack getaucht und verpreßt, auf der Seite korkversteift, an der eine Schnur, fein aus Seide gewebt, die Verbindung zum Nadelträger herstellte.

Wie wurde nun die „Blue-Amberol-Walze" hergestellt?

Bild 97. Prinzip der Vorrichtung für die Formung der Zelluloidhaut [52]

Von dem durch einen einige Zeit vorher liegenden Eintauchprozeß blau eingefärbten und elastisch gemachten Zelluloidschlauch wurden Stücke in Länge der Walzen abgeschnitten und in die Form eingelegt (Bild 97).

Mit heißem Dampf wurde dieser Schlauch wie ein Ballon aufgeblasen und in die feinen Rillen der von außen gekühlten Form gepreßt (eine Minute pressen, dann fünf Minuten abkühlen).

In die fertige Hülle wurde dann ein kalibrierter Gipszylinder als Kern eingebracht. Die Preßeinrichtungen waren in einer Art von Fertigungsstraße in Zehnereinheiten zusammengefaßt (Bild 98).

Doch bei aller qualitativen Überlegenheit, die „Blue Amberol" kam zu spät, die Zeit der Walzen war vorbei. Das Ende wurde noch beschleunigt durch die Notwendigkeit des Doppelstandardspielers, denn ohne das große Repertoire der 2-Minuten-Walzen zusätzlich wäre ein neues Gerät nicht attraktiv genug gewesen; den Rest gab dann der Erste Weltkrieg. Danach löste die Schallplatte die Walze endgültig ab.

Nachsatz zur Qualität dieser „Blue Amberol" Walzen

Die Qualität dieser Walzen war beachtlich. Davon kann man sich 60 Jahre später überzeugen, wenn man eine solche alten Walze mit einem modernen Tonabnehmer abspielt oder sich solche Aufnahmen auf Tonband umspielt.
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Walter Bruch hatte sich einen gebaut:

Bild 99. 1976 - Versuche mit moderner Technik von Walter Bruch - Aus einem einfachen Plattenspieler zusammengebaute Einrichtung zum Abspielen von Phonographenwalzen

Aus einem billigen Plattenspieler noch für 78er Platten habe ich mir ein Abspielgerät für Amberol- und Blue-Amberol-Walzen zusammengebaut (Bild 99). Die Übersetzung mußte geändert werden auf 120 oder 160 Umdrehungen in der Minute (etwas half auch Über- oder Unterspannung bei der Drehzahleinstellung).

Ein Stereotonabnehmer, beide Kanäle addiert,
erzeugt das Signal aus der Tiefenschrift. Wachswalzen erfordern einen zusätzlichen Vorschub und spezielle Nadeln, wenn die Schallschrift nicht zerstört werden soll; Nylonnadeln oder, im Primitivversuch, Kakteenstacheln haben sich als brauchbar gezeigt.

Walter Bruch schreibt von sich selbst:
Diese Entwicklung habe ich mit offenen Augen und Ohren miterlebt. Als Schulanfänger, noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg, saßen wir viele Stunden vor dem Phonographen. Als wäre es gestern gewesen, habe ich das Gebet einer Jungfrau, am Piano gespielt, noch heute im Ohr. Als Oberschüler saß ich am Sonntag vormittags mit meinem Onkel vor dem Grammophon, bis die Tante das Essen fertig hatte; Onkel liebte Wagner, ich Caruso. Als Student tyrannisierte ich meine Nachbarn, mit dem ersten elektrischen Tonabnehmer den Rundfunkempfänger aussteuernd. Und heute ziehe ich mich mit 100 Watt High-Fidelity in den Hobbykeller zurück.

Von der Wachswalze haben wir es gelernt

Das war das Leitmotiv für die ersten in Wachsplatten geschnittenen Schallplatten, also nicht die für den Ätzprozeß freigekratzte Wachsschicht von den ersten Berliner-Aufnahmen.

Aber auch hierbei spielte ein Patent eine merkwürdige Rolle.
Bei den ersten Plattenaufnahmen von Berliner wurde eine dünne Wachsschicht über einer Metallplatte vom Stichel freigekratzt, und in diese Metallplatte dann die Tonschrift in gleichmäßiger Tiefe eingeätzt. Es lag an sich nahe, statt dessen eine massive Platte aus Wachs zu nehmen - sozusagen einen aufgerollten Wachszylinder - und dahinein eine Rille konstanter Tiefe, aber mit seitlichen Auslenkungen für die Schallinformation zu schneiden.

Letzten Endes war dies nichts anderes als Berliners erste Platte, bei der auch das Metall durch Wachs ersetzt war, und der Schnitt so tief erfolgte, daß keine zusätzliche Vertiefung durch den Ätzprozeß mehr notwendig war. Wie man eine solche Wachsoberfläche leitend macht und davon ein Galvano als Form für eine Kopie herstellt, hatte Edison in seinem Gaveat von 1887 [521 deutlich beschrieben. Platte statt Walze, das war wohl kein Unterschied mehr. Und doch, das amerikanische Patentamt erteilte darauf ein Patent!

Noch ein neuer Name - ein neues Patent - Joseph W. Jones

Um 1896 begann Berliner, Versuche mit dem Schnitt in Wachsplatten aufzunehmen; unabhängig von ihm Eldridge Johnson. Nach Fred Gaisberg arbeitete einen Sommer lang ein junger Mann namens Joseph W. Jones bei Berliner. Mit offenen Augen nahm er auf, was dort experimentiert wurde. Am 19. September 1897 meldete er ein Patent an, das am 10. Dezember 1901 erstaunlicherweise auch erteilt wurde [56].

(Fortsetzung folgt)

Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39

finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.

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