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Gerhardt Ronnebergers Autobiographie - Deckname "SAALE" - aus 1999 - ein Generaldirektor erzählt .....

Gerhardt Ronneberger, geboren im März 1934 in Saalfeld († 2013 ?) schreibt 1999 in seiner Autobiographie (1982–1999) auf etwa 370 Seiten, wie es wirklich zuging beim MfS, der Stasi und den Betrieben in der "Deutschen Republik". Da er nie in einem richtigen Ossi-Gefängnis eingesperrt war, fehlt diese Erfahrung völlig, dafür aber die Zustände in einem West-Gefängnis und wie es dazu kam und vor allem, was danach bis zur Wende im Dez 1989 kam. Der Einstieg beginnt hier und mein Resume über das Buch endet hier.

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Abgesang

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Die Auflösung von KoKo

Als Hans Modrow am 13. November 1989 zum neuen Ministerpräsidenten der DDR gewählt wurde, begann auch für KoKo eine neue Zeitrechnung. Schalck und sein Bereich, bislang Staat im Staate, wurden dem Ministerpräsidenten und damit der Regierungskontrolle unterstellt.

Schalck, der vorher nur drei Vorgesetzte kannte - Honecker, Mittag und Mielke und mit denen stets unter vier Augen kungelte - mußte nun erstmalig vor dem Ministerrat über seine Arbeit berichten.

Schalck und seine Erfolge für die DDR

Immer noch von seinem Wert überzeugt, listete Schalck für die Modrow-Regierung auf:

  • „Seit Bestehen des Bereiches wurden ca. 27,8 Milliarden Valutamark erwirtschaftet und an den Staat abgeführt. Durch den Leiter des Bereiches, der ihm unterstellten Mitarbeiter der Hauptabteilung II im engen Zusammenwirken mit beteiligten Staatsorganen wurden Voraussetzungen für Einnahmen von ca. 23 Milliarden VM durch Vereinbarungen mit der Regierung der BRD und dem Senat von Berlin (West) gesichert...
  • Darüber hinaus werden durch den Leiter des Bereiches Kommerzielle Koordinierung ... auch ausgewählte Maßnahmen zur Sicherung einer hocheffektiven Produktion in ausgewählten Industriezweigen ... geleitet. In diesem Bereich liegen Finnen, die ausschließlich für die Sicherung dringend benötigter Embargopositionen für die gesamte Volkswirtschaft, besonders der Mikroelektronik, notwendig sind. Sie unterliegen im Interesse der Sicherheit der Firmen und der Personen im Ausland wie in der DDR der strengsten Geheimhaltung. Durch die außergewöhnlichen Anstrengungen aller Beteiligten bei der Beschaffung solcher Ausrüstungen wurden überhaupt erst Voraussetzungen geschaffen, z. B. die Mikroelektronik in der DDR zu entwickeln ..."

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Geld stinkt nicht und das Mißtrauen wuchs ständig

Da der Druck der Öffentlichkeit gegen KoKo nicht nachließ, beauftragte Hans Modrow am 28. November den Minister für Außenwirtschaft und den Minister für Preise, dem Ministerrat „Vorschläge zur schrittweisen Einordnung der Außenhandelsbetriebe des Bereiches Kommerzielle Koordinierung sowie zur finanziellen Einordnung in den Staatshaushalt" vorzulegen.

Und es ging weiter: Die Abgeordneten der Volkskammer verdächtigten Schalck in ihrer Sitzung am Freitag, dem 1. Dezember, im Ausland heimlich Milliarden angelegt zu haben. Wer mit ihm nur das Geringste zu tun gehabt hatte, geriet ins Rampenlicht.
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Auch wir im H4 waren auf einmal Devisenschieber und Betrüger

Auch wir aus dem Handelsbereich 4 wurden als Devisenschieber und Betrüger am Staatsvermögen verdächtigt. Als Konsequenz sollte Schalck vor der Volkskammer antreten und vor dem Ausschuß zur Untersuchung von Amtsmißbrauch und Korruption Rechenschaft ablegen.

Um Schalcks Auftreten vor diesem Tribunal vorzubereiten, wurde er in der Nacht vom 1. zum 2. Dezember ins SED-Politbüro zitiert. Vor der Tafelrunde um den neuen Generalsekretär Egon Krenz - der selbst nur noch wenige Stunden im Amt sein sollte - legte Schalck dar, daß sein öffentliches Auftreten mehr schaden als nutzen könne. Denn mit dem Bekanntwerden der Geschäfte und Kontakte von KoKo würde ein nicht wieder gutzumachender außenpolitischer und finanzieller Schaden für die DDR entstehen.

Die Sicherheit einer Reihe von Personen wäre nicht mehr gewährleistet. Damit würde auch für die Zukunft die Nutzung stabiler konspirativer Verbindungen unmöglich sein. Aus diesen Gründen hatte Schalck bereits vorher Modrow empfohlen, die Hauptabteilung I von KoKo und einige KoKo-Firmen zum „Bereich der Nationalen Sicherheit" zu erklären, wozu namentlich auch unser Handelsbereich 4 gehören sollte.
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Schalck wurde von Dr. Heinrich Toeplitz vorgeladen

Trotz aller von Schalck vorgebrachten Einwände und Absicherung durch die SED-Führung konnte nicht verhindert werden, daß der KoKo-Chef vom Vorsitzenden des Korruptions-Untersuchungsausschusses der Volkskammer, Dr. Heinrich Toeplitz, vorgeladen wurde.

Die Stimmung unter der Bevölkerung war zu gereizt, daß man eine andere Entscheidung gar nicht hätte treffen können. Schließlich hatte Schalck, der vorher noch vehement bestritt, mit den Privilegien der SED-Führung etwas zu schaffen haben, öffentlich zugeben müssen, daß KoKo für die Versorgung der Politbüro-Familien in Wandlitz jährlich 6 Mio. DM bereitstellte.

Und zu allem Übel wurde kurze Zeit später in Kavelstorf, Landkreis Rostock, eine Lagerhalle entdeckt, die dem KoKo-Unternehmen IMES GmbH als Umschlagplatz für Waffen und Munition diente. Die Ereignisse überschlugen sich also.
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In der Nacht vom 2. zum 3.Dezember 1989 ab in den Westen

Makabrer Höhepunkt in dieser Kette von Hiobsbotschaften: Schalck hatte sich in der Nacht vom 2. zum 3.Dezember 1989 in den Westen abgesetzt. Es war keinesfalls eine Kuzschlußreaktion.

Dazu der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses „Kommerzielle Koordinierung" des Bundestages, Friedrich Vogel:
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  • „... Nun haben wir von Herrn Dr. Schäuble gehört, daß Sie ihm gegenüber schon im November 1989 Andeutungen gemacht hätten, daß Sie sich unter Umständen gezwungen sehen könnten, sich in die Bundesrepublik Deutschland abzusetzen."

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Schalck:
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  • „Es war eine Situation herangereift, die für mich völlig unübersichtlich wurde. Die Ereignisse überschlugen sich. Volkskammerdokumente, von denen niemand genau weiß, wo sie herkamen, wurden im ,Spiegel' veröffentlicht. Es wurde eine Hetzjagd organisiert, die man nicht mehr aus meiner Sicht rekonstruieren konnte. Wir wurden aus unseren Funktionen des MfS abberufen, mit dem Hinweis, daß wir uns nicht erinnern sollen, daß wir dort waren. So hat sich das Ganze in einer Eskalation entwickelt, die mich dann zumindest erst mal zu Überlegungen führte, die dann in diese Entscheidung mündeten, wobei ich mal heute sage: Es war sicherlich, weil es da zu unterschiedliche Auffassungen auch in unserer Familie gab, wo dieser Weg enden sollte, möglicherweise nicht in der Bundesrepublik Deutschland ..."

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Die Freunde Modrow und Krenz getäuscht

Trotz der schon geplanten Flucht führte Schalck im Auftrag der Modrow-Regierung seine Gespräche mit den Repräsentanten der BRD weiter und täuschte seine Freunde Modrow und Krenz - ein Vertrauensmißbrauch. Modrow hatte ihm noch speziellen Polizeischutz gewährt, um anonymen Morddrohungen zu entgegnen.

Am 2. Dezember flog Schalck, von seiner Ehefrau begleitet, zu erneuten Verhandlungen mit Herrn Minister Seiters in die BRD, aber nicht nach Bonn sondern nach Stuttgart, um von dort aus mit Seiters seltsamerweise per Telefon zu verhandeln und parallel dazu mit seiner Vertrauensperson, Pfarrer Dr. Neukamm, dem Präsidenten des Diakonischen Werkes, die Fluchtabsicht zu besprechen.
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Keine Rückendeckung mehr für Schalck vom Ex-MfS

Schalck kehrt am 2. Dezember noch einmal nach Berlin zurück und schreibt, als wäre nichts geschehen, seine Berichte. Ein Telefonanruf von General Schwanitz, dem Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit, schreckt ihn gegen 15 Uhr erneut auf.

Er drohte erneut an, daß sich Schalck auch vor dem Volkskammerausschuß zur Untersuchung von Korruption nicht auf eine MfS-Zugehörigkeit beziehen und keinerlei Hilfe erwarten könne. Er wurde wie eine heiße Kartoffel fallengelassen. Dieses Telefongespräch war der auslösende Punkt für Schalcks Flucht.

Eilig versammelte er noch seine engsten Mitarbeiter, besprach mit ihnen einige brennende Fragen und wollte seinen Vertrauten, Dieter Paul, als kommissarischen Leiter des Bereiches einsetzen, was dieser jedoch ablehnte.

Schalck versuchte hektisch zu ordnen, was noch geordnet werden kann. Er schrieb noch Briefe an Hans Modrow, Werner Eberlein als Vorsitzenden der Parteikontrollkommission und an Dr. Töplitz, den Vorsitzenden des Korruptionsuntersuchungsausschusses der Volkskammer. Und telefonierte mit Egon Krenz.

Gegen 23 Uhr erschien auf Bitte von Schalck Rechtsanwalt Prof. Dr. Vogel, den er mit seiner Verteidigung beauftragte. Schalck übergab seinem Rechtsanwalt mehrere Koffer mit Dokumenten, „die im Grunde genommen Aufschluß geben über zwei Komplexe - alle meine Gespräche seit 1967 bis 1989 mit der Bundesregierung oder mit den Bundesregierungen und zweitens den Teil Kopie ,Parteivermögen'.

Schalck rechnete mit seiner Verhaftung: „... Es gab einen Hinweis von Herrn Dr. Vogel, daß ich noch eine Stunde Zeit habe, die DDR zu verlassen."
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Schalcks Aussage zu dem Verwirrspiel am 2. Dez.1989

Schalck dazu später:

  • „Nach meiner Kenntnis waren die Haftbefehle und Unterlagen bereits vom 1. Dezember datiert vorbereitet, und die Verhaftung fand zu diesem Zeitpunkt nicht statt, weil der Generalstaatsanwalt der DDR sich geweigert hat, den Haftbefehl zu unterschreiben."


Beantragt hatte den Haftbefehl nach Meinung von Schalck General Schwanitz.

Nach dem Gespräch mit Rechtsanwalt Vogel setzte sich Schalck mit seiner Frau in das Auto und fuhr über den Grenzkontrollpunkt Invalidenstraße in Richtung Westberlin. Hier wurden, was ihm sonst noch nie passierte, seine Papiere kontrolliert, aber er durfte unbehelligt passieren.
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Wollte man Schalck entkommen lassen?

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Zeuge Dr. Schalck-Golodkowski:

  • „ ... Denn ich meine, wenn Markus Wolf in seinem Buch schreibt ,In eigenem Auftrag', wir konnten dem schnellen Fahrzeug von Schalck nicht nachkommen, dann ist das schon eine tolle Schote, nicht? - Von der Wallstraße bis zur Invalidenstraße, MfS-Kontrollfahrzeuge verlieren uns aus dem Blick - na, das ist ja schon das letzte, was ich von Markus Wolf lesen konnte. Das hat mich schon vom Stuhl gehauen."


Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU):

  • „Kann man dem entnehmen, daß Sie meinen, man hat Sie ganz bewußt ziehen lassen ?"


Zeuge Dr. Schalck-Golodkowski:

  • „Na sicher!"

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Ministerpräsident Modrows Verfügung noch am 3. Dez. 1989

In der Krisensituation nach Schalcks Flucht verfügte Ministerpräsident Modrow noch am 3. Dezember, daß aus Gründen der Nationalen Sicherheit mit sofortiger Wirkung der Einsichtnahme in die Geschäftsakten der Hauptabteilung I von KoKo nicht stattgegeben wird.

Prof. Dr. Karl-Heinz Gerstenberger, Dozent an der Hochschule für Ökonomie und davor Hauptbuchhalter im Ministerium für Außenhandel, wurde von der Regierung beauftragt, den Bereich Kommerzielle Koordinierung kommissarisch zu leiten.

Eine Son-derkommission des Ministerrats unter Willi Lindemann, ehemals stellvertretender Abteilungsleiter im Ministerrat, wurde zur Untersuchung der Ereignisse um den KoKo-Bereich eingesetzt.
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Bei der KoKo war noch alles da, 31,2 Tonnen Goldbarren

Bei diesen Ermittlungen fand man übrigens im Keller der KoKo-Zentrale in der Wallstraße 31,2 Tonnen Goldbarren in einem Wert von 508,8 Mio. DM. Doch dieser Segen für die DDR-Zahlungsbilanz beruhigte die Gemüter nicht. Im Gegenteil - die öffentliche Stimmungsmache gegen KoKo wurde dadurch noch weiter angeheizt.

Während sich das Karussell im Wahnsinnstempo weiterdrehte, versuchte Modrow, die Situation wenigstens einigermaßen in den Griff zu bekommen.

So wurde am 26. Januar 1990 in Auswertung einer Beratung mit der Staatsanwaltschaft von Staatssekretär Nendel folgendes festgelegt:

Da die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit inzwischen beschlossen war, mache sich jeder strafbar, der noch irgendwelche geheimdienstliche Aktivitäten nach innen oder außen betreibe.

Demzufolge seien auch keinerlei Zahlungen mehr an die Speziellen Beschaffungsorgane zu leisten und die dafür vorgesehenen Valutamittel auf die von Zahn verwalteten Lorokonten an den Handelsbereich 4 zu überweisen. Diese Konten sollten bis zum 31. Januar aufgelöst sein, worüber der Staatsanwaltschaft Vollzug zu melden ist.

Weiterhin mußten die Stasi-Beschaffer ihre sämtlichen Aktivitäten zur Realisierung von Importobjekten einstellen und die noch laufenden Verträge - sofern eine Stornierung nicht mehr möglich war - bis zum 10. Februar an den Handelsbereich 4 überleiten.

Bei dieser letzten Order aus dem Ministerium blieb es dann im wesentlichen. Nach wie vor wurden wir uns selbst überlassen.
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Eigentlich waren wir gar nicht mehr da

Gerstenberger, mein neuer Chef, führte während der ganzen Zeit seiner Tätigkeit als kommissarischer Leiter kein einziges Gespräch mit mir über die Arbeit und Zukunft des von mir geleiteten Handelsbereichs 4. Lediglich eine Arbeitsgruppe der Staatlichen Finanzrevision des Finanzministeriums schaute uns auf die Finger.

Doch in ihrer akribischen Analyse konnte sie nur unsere ordnungsgemäße Arbeit bestätigen - das gleiche Ergebnis, wie bereits vorher jährlich von der Valutakontrollgruppe der Staatlichen Finanzrevision festgestellt

Am 6. Februar wurde ein „Zwischenbericht des Ministeriums der Finanzen und Preise über wesentliche Feststellungen aus der Prüfung des Bereiches Kommerzielle Koordinierung" dem Minister für Außenwirtschaft vorgelegt. Und wenige Tage vor den ersten freien Volkskammerwahlen, am 12. März 1990, gaben Karl-Heinz Gerstenberger und Willi Lindemann zur letzten Beratung des Runden Tisches ihren Abschlußbericht.


In diesem hieß es, daß KoKo vier Funktionen in sich vereinigt habe: Die erste war Außenhandelstätigkeit mit Wirkung nach innen (Interhotel, Forum, intershop, transinter usw.). Die zweite Funktion diente dazu, Embargobestimmungen zu umgehen und hatte deshalb stark konspirative Strukturen. Der dritte Bereich umfaßte die Unternehmen im Ausland, die Absatz- und Bezugstätigkeit leisteten, aber auch zur Kapitalverwertung tätig wurden. In die vierte Funktion wurden die Kontakte Schalcks im Regierungsauftrag zur Bundesregierung eingeordnet. Gerstenberger informierte auch darüber, daß die „gesunden Teile von KoKo" in einer Berliner Handels- und Finanzierungsgesellschaft „neu geordnet" würden.
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Handelsbereich 4 war also der „kranke Teil" von KoKo

Offensichtlich wurde unser Handelsbereich 4 zum „kranken Teil" von KoKo gezählt. Denn ich wurde von Gerstenberger ohne ein vorheriges Gespräch zum 28. Februar 1990 fristlos entlassen.

Er bat mich aber dann nachträglich, meine Tätigkeit bis zum 31. März wieder aufzunehmen, um den H4 in den Außenhandelsbetrieb Elektronik überzuleiten und dort die laufenden Geschäfte weiter abzuwickeln.

Das verlief alles andere als zügig und problemlos, sondern schleppend und gegen Widerstände. Vor allem Kurt Rippich, der Generaldirektor des AHB, lehnte unsere Eingliederung entschieden ab und mußte erst von Außenhandelsminister Gerhard Beil mit Nachdruck davon überzeugt werden.

Klar, Rippich wollte sich und den von ihm geleiteten Außenhandelsbetrieb nicht mit unserem arg lädierten Image belasten. Hinzu kamen unsere Altlasten.

Hatte doch die Staatliche Finanzrevision in ihren Unterlagen mehrere Positionen aufgelistet, die belegten, daß der DDR durch einige nicht mehr realisierbare Embargoimporte finanzielle Verluste in Höhe von mehreren Millionen DM drohen. Und diese roten Zahlen wollte Rippich natürlich nicht ins Buchwerk seines AHB aufnehmen.

Trotz des Hickhacks konnten wir zum 31. März 1990 den Handelsbereich 4 überleiten bzw. auflösen. Nicht nur für mich war das der Abschied von einer jahrelangen Arbeit im Außenhandel der DDR.
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Es war mehr als ein Job - meine Jahre dort

Es war mehr als ein Job, sondern eine Tätigkeit, die ich mit Herzblut ausfüllte und aus voller geistiger Überzeugung ausübte. Diese Etappe meines Lebens war nun abgeschlossen, freilich anders, als ich jemals geträumt hatte.

Die Zeit danach

Mein Vertrauen in Alexander Schalck war unerschüttert, auch nachdem er in den Westen getürmt war. Mehr noch. Als man ihn -„sicherheitshalber"? - in Westberlin in die Untersuchungshaftanstalt Moabit eingeliefert hatte, fühlte ich mich menschlich mit ihm verbunden.

Da ich ja 1982 selbst in Stadelheim gesessen und erfahren habe, wie wertvoll moralische Unterstützung für einen Häftling ist, wollte ich Schalck meine Solidarität und Verbundenheit zu erkennen geben.

Ich hatte inzwischen über die Presse erfahren, daß er von dem Westberliner Rechtsanwalt Peter Danckert vertreten wurde, den ich aber persönlich nicht kannte. Also bat ich einen befreundeten Geschäftspartner, Klaus Arendt, Geschäftsführer der Fa. Intex Im- und Export Westberlin, dem ich völlig vertrauen konnte, in mein Büro am Alexanderplatz.

Er sollte mit Danckert Verbindung aufnehmen und ihn um Weiterleitung eines Briefes an Schalck bitten. Darin bekräftigte ich mein Vertrauen zu Schalck, versuchte, ihn mit meinen Worten Kraft zum Durchhalten zu geben und distanzierte mich von der Kriminalisierung seiner Person, die in der DDR nach seiner Flucht eingesetzt hatte.
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Kein außerordentliches Interesse an einer Aufklärung

Als ich später von DDR-Untersuchungsbehörden im Rahmen des inzwischen gegen Schalck in der DDR eingeleiteten Ermittlungsverfahrens vernommen wurde, habe ich diese Kontakte natürlich verschwiegen und lediglich meinen Standpunkt zur Arbeit von KoKo und seines Leiters dargelegt.

In dieser Haltung fühlte ich mich nicht zuletzt durch die ermittelnden DDR Beamten irgendwie bekräftigt, die nach meinem Dafürhalten selbst kein außerordentliches Interesse an einer Aufklärung der Beschuldigungen gegen Schalck hatten und auch nicht an die ihm unterstellten kriminellen Machenschaften glaubten.

Indes erfolgte die Kontaktaufhahme zwischen mir und Schalck nicht in einer Einbahnstraße. Nach seiner Freilassung aus der Untersuchungshaft knüpfte Schalck über seine ehemalige Sekretärin die Verbindung zu mir.

Auch diese telefonische Tuchfühlung konnten wir zu diesem Zeitpunkt nur konspirativ aufnehmen, denn wir mußten davon ausgehen, daß meine Aktivitäten innerhalb der DDR überwacht wurden.
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Ich wurde immer noch überwacht - von Behörden und Bürgerbewegung

KoKo-Funktionäre, ein solcher war ich ja schließlich, standen nach wie vor im Visier sowohl staatlicher Behörden als auch der Bürgerbewegung. Aus diesem Grunde telefonierte ich mit Schalck stets aus dem Hotel Schweizer Hof in Westberlin.

Auf seinen Wunsch hin vereinbarten wir ein erstes persönliches Zusammentreffen in München, das dann in der Rechtsanwaltskanzlei Schwarz / Schniedewind / Kelwing / Khadjavi, in der auch Max Strauß, der Sohn des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten arbeitete, stattfand. Es war ein Gespräch unter vier Augen.

Alex war nicht mehr der Alte, wie wir vorher kannten. Sein Äußeres hatten offensichtlich die Maskenbildner des BND etwas verändert, ein Fremder konnte ihn als Schalck nur schwer erkennen. Wie er selbst sagte, durfte er sich in der Öffentlichkeit nicht mit mir sehen lassen.

Er hätte auch ein Verbot zur Äußerung in den Medien. Von wem das Verbot stammte, sagte er nicht, aber es war der Maulkorb des BND, unter dessen Fittichen er sich befand. Wir unterhielten uns anfangs über die Ereignisse in der DDR nach Schalcks Flucht, über Leute aus dem Bereich KoKo und über die Arbeit des Handelsbereichs 4, den ich damals noch leitete.

Dann kam aber Alex schnell zur Sache. Er fragte mich, ob ich zu einem Zusammentreffen mit einem Vertreter des BND bereit sei. Ich könne ihm damit persönlich sehr helfen, denn der BND sei an der Klärung einiger Fragen auf dem Gebiet der Mikroelektronik interessiert, die er - Schalck - nicht klären könne.
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Schalck - jetzt in den Fängen der West-Geheimdienste

Mir war klar, daß nach seiner Flucht in die BRD sich alle Geheimdienste auf ihn gestürzt haben und er sich offenbaren mußte, wenn er in der BRD verbleiben und auf das vorliegende Auslieferungsersuchen der DDR nicht ausgeliefert werden wollte.

Eine andere Alternative für seinen persönlichen Schutz gab es nicht. Also wurde er das „Schneewittchen" des BND, denn so lautete dort sein Dpeckname, und ihr wichtigster Informant.

Nach monatelangen Verhören in konspirativen Objekten in Oberbayern, zuletzt in einer Hütte am Samerberg und freimütigen Aussagen, erhielt er als Dank vom BND die notwendigen BRD-Papiere und die erforderlichen Voraussetzungen für sein Leben in der Freiheit der BRD.
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Ich ahnte, daß er auf mich zukommen würde (müsste)

Natürlich konnte ich mir an den Fingern einer Hand ausrechnen, daß der BND irgendwann auf mich zukommen würde und ich dem kaum ausweichen kann. Warum sollte ich also ausgerechnet jetzt nein sagen?

Es mußte nur meine Sicherheit gewährleistet sein, denn noch war ich ja Bürger der DDR. Mit Beschluß des Ministerrats der DDR vom 8. Februar 1990 waren zwar die ehemaligen IM der Staatssicherheit von ihrer Schweigepflicht entbunden, aber ein Zusammentreffen mit einem ausländischen Geheimdienst galt auch in der zwischenzeitlich gewandelten DDR noch als strafbar. Ich sagte zu, mich mit dem BND zu treffen.
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Schalck dazu später

Schalck dazu später vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuß:

  • „... es geht um zwei Personen, und damit auch hier nicht geraten wird, die eine Person war Ronneberger, die andere war Forgber. Ich fühlte mich verpflichtet, das war der Mitarbeiter von mir, ihm die Chance zu geben, weil ich wirklich nicht imstande war, fragen, wer war nun im einzelnen Lieferant, Schmitt oder Meyer, das war nicht meme Führungsgröße. Aber ich wollte einen Beitrag leisten, daß diese komplizierte Phase geklärt wird, habe ich gefragt, zumal alle beide schon in der Verhandlung (muß wahrscheinlich richtig heißen „Fahndung" - G. R.) standen und sie nicht mehr in die Bundesrepublik reisten - die DDR existierte ja noch - habe ich gefragt, ob sie bereit sind, hierherzukommen, ich garantiere ihnen den Schutz und daß sie wieder ausreisen können. Und dann waren beide hier, nicht auf einmal natürlich."

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Schalck übergab mir 5.000.- DM für die Reisekosten

Und noch zwei weitere Hürden waren zu nehmen. Zum einen die terminliche Abstimmung, was Schalck regelte. Zum anderen die Finanzierung meiner Reise in den Westen, da ich ja nur über Mark der DDR verfugte.

Auch hier half Schalck und übergab mir 5.000.- DM mit der Bemerkung, ich könne ihm das Geld zurückzahlen, wenn es mir einmal besser ginge. Ich hegte also nicht den geringsten Zweifel, daß der Betrag nicht von Schalck stammen könne.
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Ein „Arbeitsessen" im Hotel „Bayerischer Hof"

Kurze Zeit später traf ich tatsächlich mit den Herren des BND zusammen. An dem „Arbeitsessen" im exklusiven Münchner Hotel „Bayerischer Hof" nahm auch Schalck teil. Die Art und Weise wie auch der Inhalt der mir gestellten Fragen erschienen mir für einen Geheimdienst enttäuschend.

Spiegelte sich hier wirklich das Niveau des BND wider? Denn nach meinem Empfinden stellte man mir recht belanglose Fragen zur Mikroelektronik, vor allem zum 1-MBit-Schaltkreis. Ich konnte sie alle unbefangen beantworten, ohne auch nur ein einziges bisher unbekanntes Detail preisgeben zu müssen oder einen ehemaligen „Kampfgefährten" oder Partner verraten zu müssen.

Nebenbei durfte ich auch einen kleinen Seitenhieb austeilen, indem ich davon berichtete, daß die amerikanischen Kollegen des BND wesentlich aktiver waren. Sie hatten sich nämlich schon direkt im Zentrum für Mikroelektronik in Dresden die notwendigen Informationen verschafft und herausbekommen, welche Embargoausrüstungen, insbesondere amerikanischer Hersteller, im Einsatz waren.
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So hausbacken und trivial - diese Fragen

Was mir so hausbacken und trivial vorkam, schätzte allerdings der BND völlig anders ein. Vielleicht wirken auch in diesem Dienst jene Mechanismen, die sich einst die „Klassengegner" von der Stasi mit ihren Erfolgsmeldungen bei der Planabrechnung zu Nutzen machten?

Jedenfalls kolportierte Schalck vor dem Bundestagsausschuß:

  • „Er war nach meiner Kenntnis zweimal in München und hat vorbehaltlos gegenüber zwei leitenden Mitarbeitern des BND - ich unterstelle mal, daß sie vom BND waren (ein Witz, denn er kannte sie persönlich genau - G. R.) - Aussagen gemacht. Die sind mit äußerster Zufriedenheit für beide Seiten abgeschlossen worden. Nach meiner Kenntnis ist ja Herrn Ronneberger der Status 153e zuerkannt worden, den ich auch für mich beantragt habe."


Hier irrte Alexander Schalck-Golodkowski einmal mehr: Über einen Status 153e hat man mit mir nie gesprochen, ich wußte noch nicht einmal, was dieser sogenannte Status besagen soll.

Erst eine Rücksprache mit meinem Rechtsanwalt machte mir klar, daß dieser Paragraph der Stafprozeßordnung der Justiz die Möglichkeit eröffnet, im Falle tätiger Reue auf eine Anklageerhebung zu verzichten.
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Wußte der BND vor unserem Gespräch zur Genüge Bescheid ?

Später erst dämmerte mir, daß der BND wahrscheinlich schon vor unserem Gespräch zur Genüge Bescheid wußte. Spätestens seit dem Sturm der Bürgerbewegung auf die MfS-Zentrale in der Ostberliner Normannenstraße standen für den BND und andere westliche Geheimdienste die Einfallstore in die einstige Höhle des Löwen sperrangelweit offen.
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Eine Erkenntnis über die berauschten „Revolutionäre"

Während sich berauschte „Revolutionäre" an von Stasi-Mitarbeitern weggeworfenen Partei- Lehrjahresbroschüren ergötzten, sammelten andere zielgerichtet ganz andere Unterlagen ein.

Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang jene zahlreichen MfS-Offiziere, die ihr altes Berufsethos schnellfüßig gegen bare Münze eintauschten, also im Verkauf von Wissen und Unterlagen ihr kommerzielles Talent entdeckten.
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Von allen Stasi-Unterlagen gab es viele Kopien und Disketten

Zu diesen MfS Offizieren gehörte Major Willy Koch, der ehemalige Stellvertreter von Artur Wenzel. Er war mit der Auflösung der Abteilung 8 der Hauptabteilung XVIII des AfNS beauftragt und hatte so Zugang zum gesamten Archiv dieser Truppe.

Zwar wurden noch unter Wenzels Federführung zahlreiche Unterlagen vernichtet, aber es gab ja auch noch Disketten, auf denen die Erkenntnisse konzentriert abgespeichert waren. Insgesamt 96 Disketten mit den Quellen und operativen Vorgängen seiner Abteilung hatte Willy Koch bereits im Frühjahr 1990 an den BND verkauft.

Darauf gespeichert waren u. a. personenbezogene Angaben zu DDR-Bürgern, die Ausreiseantrage gestellt hatten oder in die Bundesrepublik übergesiedelt waren; Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi, die nach Abschluß von Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren vom MfS verpflichtet wurden sowie Hinweise auf geflohene DDR-Bürger und mögliche Rückführungsversuche.

Neben diesen Informationen allgemeinerer Art gab es auch solche zum eigentlichen Aufgabenbereich der Abteilung und von KoKo, beispielsweise die Operatiwor-gange mit zugeordneten Personen; Pereonenauskunftsberichte zu Mitarbeitern westlicher Firmen, die im innerdeutschen Handel tätig waren; Angaben zu westlichen Firmen, die an Embargolieferungen in die DDR beteiligt waren; Hinweise über Schmiergeldzahlungen durch Westfirmen an DDR-Geschäftsleute; Auskünfte über Banken, Umschlagplätze, Lager, Fahrzeuge und Rechtsanwälte, die von uns für die Beschaffung von Embargowaren und Waffen benutzt wurden.

Was nicht auf den Disketten war, schilderte Koch dem BND ausführlich mündlich. Aber es gab ja auch noch das Zentralarchiv des MfS, das nach der Wende von den westlichen Geheimdiensten geplündert wurde.

Schließlich wurde jeder Bericht, ja jedes Schnipsel Papier nicht nur im jeweiligen Arbeitsbereich des MfS gesammelt, sondern als Kopie im Zentralarchiv und im Zentralcomputer erfaßt. Es war beileibe nicht so, wie mir nach der Wende ein Offizier aus Wenzels Reihen versichert hatte, daß wir keine Befürchtungen zu haben brauchten, denn alles Material wäre vernichtet worden.
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MfS Unterlagen sind in Hülle und Fülle vorhanden

Vielmehr war und ist alles in Hülle und Fülle vorhanden. Das Buch mit sieben Siegeln war aufgebrochen, unsere gesamte Embargoarbeit offengelegt. Die Unterlagen und Informationen dienten in der Folge dazu, gegen zahlreiche westliche Embargolieferanten Ermittlungsverfahren einzuleiten und in Strafverfahren zum Teil recht empfindliche Strafen zu verhängen.
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Die Gespräche mit Schalck in München

In den Gesprächen mit Schalck in der Münchener Rechtsanwaltskanzlei unterhielten wir uns auch über meine berufliche Perspektive. Ich hatte bereits im Februar 1989 in Ostberlin eine eigene Handelsfirma gegründet, denn nach Beendigung meiner Tätigkeit als Leiter des Handelsbereichs 4 wollte ich weiterhin in der Elektronikbranche arbeiten.

Schalck zeigte sich sehr aufgeschlossen und wollte mir helfen. Da er freilich äußerst umfangreiche Beziehungen hatte, reichten unsere gemeinsamen Überlegungen viel weiter.

So vermittelte mir Schalck über seine Anwälte Kontakte zur Firma Rohde & Schwarz, deren Interessenvertretung ich in der DDR übernehmen sollte. Zu Schalcks weitläufigem Bekanntenkreis gehörte ebenfalls der Chef der Sixt-Autovermietung, der an meiner Beratung beim Aufbau eines Firmennetzes in der DDR interessiert war.

Weiterhin hatte Schalck die Idee, eine gemeinsame Firma zu etablieren, die den Vertrieb der Erzeugnisse von Rohde & Schwarz übernimmt, Kooperationsbeziehungen von westlichen Firmen mit DDR-Betrieben vermittelt und Firmenberatungen im Osten durchführt. Schalck schilderte seine Sicht über unsere Begegnungen vor dem Untersuchungsausschuß folgendermaßen:

  • „Für mich war Ronneberger bis heute eine Vertrauensperson. Ich meine, ich fühlte mich für diese Mitarbeiter auch verantwortlich. Herr Ronneberger hat unter komplizierten Bedingungen als stellvertretender Generaldirektor aus meinem Verständnis anständig für die DDR gearbeitet. Und ich fühlte mich moralisch verpflichtet, wenn er auf diesem Gebiet Kooperation zeigt, auch ihm zu helfen, einen Neubeginn zu kriegen. Denn ich habe natürlich mit dem Mann auch gesprochen. Der hat mir seine Lage auch geschildert, daß er große Schwierigkeiten hat, seine Existenz zu gründen. Das ist der einzige Grund."

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Das alles klang für mich sehr vielversprechend

..... ich erarbeitete einen ersten Vorschlag und übergab ihn an Schalck und dessen Rechtsanwaltskanzlei. Dort lernte ich auch Dr. Bardia Khadjavi-Gontard und Max Strauß, den Sohn des einstigen Schalck-Freundes Franz Josef Strauß, persönlich kennen, die beide als einflußreiche Anwälte besonders in Wirtschaftsfragen tätig sind. Fortan traf ich mich mit den beiden mehrmals in München, Berlin und Leipzig. Was ich ansatzweise kennenlernte, war eine Allianz fürs Leben, ein intaktes Beziehungsgeflecht - ein old-fellow-network, wie man im Englischen anerkennend sagt, eine Seilschaft, wie man naserümpfend im Osten Deutschlands meint.

Unter den Bank- und Geschäftsleuten genoß nicht nur Schalck Vertrauen, sondern auch dessen Freunde. Aufgrund meiner jahrelangen Geschäftserfahrungen wußte ich, daß nur auf dieser Basis gemeinsame Geschäfte möglich waren. Und an solchen waren in der damaligen Aufbruchszeit viele interessiert.
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Meine grandiose Fehleinschätzung bezüglich der "DDR"

Die Vorstellungen, die ich ausgearbeitet hatte, einschließlich des Konzepts meiner Handelsfirma, gingen von der weiteren Existenz einer reformierten DDR aus. Eine grandiose Fehleinschätzung.

Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit den Zuknöpfen nicht zu Rande. Die DDR steuerte in rasantem Tempo ihrem Ende entgegen, und alles, was ich mir beruflich so schön ausgedacht hatte, löste sich in Schall und Rauch auf.

Ich nahm zwar die Arbeit mit der von mir gegründeten Handelsfirma auf, trennte mich aber endgültig von der Mikroelektronik und konnte somit auch nicht mehr auf meine alten Geschäftsverbindungen zurückgreifen.

Zum anderen versickerten die großartigen Ideen, die ich mit Schalck in München entwickelt hatte, im Sande. Es kam weder zu einer konkreten Zusammenarbeit mit den vorgesehen Unternehmen noch zur Gründung der gemeinsamen Firma mit Schalck. Schalck hat zwischenzeitlich im oberbayerischen Kreis Miesbach seine eigen Handelsfirma Dr. Schalck & Co. gegründet, die vor allem Geschäfte in Osteuropa, China und Vietnam vermitteln wollte.

Wer sich hinter dem „Co." verbirgt weiß ich nicht, ich bin es jedenfalls nicht. Über die Gründe meines Scheitern sinniere ich noch heute. Vielleicht waren Schalck oder die Herren vom BND mit meiner „Kooperation" und deren Ergebnissen unzufrieden?
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Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990

So gravierend meine beruflichen Schwierigkeiten waren, sie rückten nach dem 3. Oktober 1990 in den Hintergrund. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands stand ich plötzlich vor ganz anderen Problemen, wenngleich ich davon nicht völlig überrascht wurde.

So bin ich fürwahr nicht aus solch weichem Holz geschnitzt, daß ich mich nicht zu meiner Arbeit als KoKo-Mitarbeiter, Chef des Handelsbereichs 4 und Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit bekannt hätte. Zu meiner Verantwortung stand und stehe ich. Etwas anderes sind die spätestens seit diesem Zeitpunkt gegen mich erhobenen Unterstellungen und Beschuldigungen. Sie sind zum Großteil völlig abwegig, aber gerade deshalb für mich besonders schmerzlich.
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Ein Ermittlungsverfahren gegen Günther Gath und mich in 11/1990

Die Jubeltöne von der deutsch-deutschen Hochzeit waren kaum verklungen, da wurde im November 1990 gegen mich und meinen ehemaligen Kontordirektor Günther Gath ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, Büro und Wohnung durchsucht.

Ein Treppenwitz der Geschichte: ein bürgerlicher Staat, für den das Privateigentum eine Heilige Kuh ist, beschuldigte uns der „Untreue gegenüber sozialistischem Eigentum". Über konkrete Einzelheiten ließ man uns allerdings im unklaren.
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Unser bislang letztes Telefonat

Ich telefonierte umgehend mit Schalck und informierte ihn darüber, wie die deutschen Behörden mein bisheriges Entgegenkommen honorierten. Es war unser bislang letztes Gespräch. Ich brach die Verbindungen zu ihm ab, weil ich zum einen bei dem mir unverständlichen Tatverdacht nicht mit in die Vorwürfe gegen Schalck verwickelt werden wollte.

Zum anderen gab mir eine andere Sache zu denken: Zwischenzeitlich war nämlich öffentlich bekannt geworden, daß ich mit dem BND gesprochen und daß Schalck diesen Kontakt vermittelt hatte.

Außerdem wurde die Mär kolportiert, daß ich vom BND mit 5.000 DM für meine Aussagebereitschaft belohnt worden sei.81 Wenn ich dem BND wirklich mein ganzes Insiderwissen verkauft hätte, dann bestimmt nicht für die paar jämmerlichen Silberlinge - als Geschäftsmann kannte ich die Preise ziemlich genau. Aber ich wußte und weiß auch, daß zwar der Verrat geliebt wird, nicht jedoch der Verräter ... Dennoch war es mir damals schleierhaft, woher diese Indiskretion und falsche Darstellung kam. Außer mir konnte davon nur Schalck wissen - und eventuell der BND. In mir keimten erste Zweifel an Schalcks Ehrlichkeit
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Bis Februar 1994 war Schweigen seitens der Behörden

Das Ermittlungsverfahren war jedenfalls eingeleitet. Jahrelang wurde recherchiert, viele ehemalige Mitarbeiter unseres Handelsbereichs und von KoKo wurden als Zeugen vernommen. Obwohl ich selbst gegenüber dem Untersuchungsorgan mehrfach meine Aussagebereitschaft kundtat, wurde ich nicht angehört.

Erst im Februar 1994 erhielt ich Kenntnis von den konkreten Anschuldigung und dem Ermittlungsstand der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV), die - um Mißverständnissen vorzubeugen - freilich nicht die Machenschaften einstiger Mitarbeiter der Treuhandanstalt aufklärt, die das Volks- bzw. Staatseigentum der DDR privatisieren sollten.
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Was spielte Stefan Jebe für ein Spiel ?

So erfuhr ich auch von der Untersuchung des Bundeskriminalamtes gegen Stefan Jebe, unseren einstigen Embargolieferanten, der uns mit Computertechnik versorgt und gleichzeitig für die Stasi gearbeitet hatte und der im Juli 1990 verhaftet worden war.

In seinem Ermittlungsverfahren beschuldigte mich Jebe, daß er für mich auf mein Konto in der Schweiz 3 Mio. DM und bis zum Herbst des Jahres 1990 weitere 5 Mio. DM überweisen sollte, wofür ich ihm eine Aufwandsentschädigung von 100.000 DM zahlen wollte.

Aus Sicherheitsgründen wollte ich Jebe die Summe nicht auf einmal, sondern in annähernd gleich großen Raten von jeweils einer Million DM zur Verfügung stellen. Die jeweils nächste Rate sollte angeblich erst gezahlt werden, nachdem die vorherige Teilsumme auf dem Auslandskonto eingegangen war.

Um die noch nicht ausgeführte Transaktion zu verschleiern, sollte mir angeblich Jebe jeweils entsprechend hohe Rechnungen für Betriebssysteme, Lizenzen und sonstige Software für VAX-Rechner ausstellen. Gleichzeitig behauptete er, daß Gath und ich versuchen würden, dem AHB Elektronik gehörende Großrechner auf eigene Rechnung zu verkaufen.

Die Bundesanwaltschaft roch sogleich einen fetten Braten und informierte in einem dringenden Fax bereits am 20. Juli 1990 das Zentrale Kriminalamt im Ministerium des Inneren der noch bestehenden DDR. Was dort als Sachverhalt dargestellt wurde, griff nach der Wende die ZERV dann auf und leitete das Ermittlungsverfahren gegen mich und Gath ein.
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Ich besaß niemals ein Konto bei einer Schweizer Bank

Alle Aussagen von Jebe waren erstunken und erlogen, beginnend damit, daß ich niemals ein Konto bei einer Schweizer Bank besaß. In der Wahl seiner Mittel überhaupt nicht zimperlich und auch nicht vor simplen Lügen zurückschreckend, war Jebe offensichtlich krampfhaft bemüht, die eigenen Schwarzgelder auf seinen Konten bei der DABA in Berlin, die er der Steuerbehörde der Bundesrepublik bisher verschwiegen hatte, zu verschleiern.

Ob oder in welchem Maße ihm das gelang, vermag ich nicht zu beurteilen. Tatsache ist jedoch, daß er sich im August 1992 durch Selbstmord seiner Verantwortung entzog und daß seine Unterstellungen und Verleumdungen nicht nachgewiesen werden konnten. Das Ermittlungsverfahren wurde zwar auf Eis gelegt, aber nicht eingestellt.
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Der Verfolgungsseifer der Bundesbehörden war MfS ähnlich

Der Verfolgungsseifer der Bundesbehörden war und ist kaum zu bremsen. Zumindest kam im Oktober 1991 ein neues Verfahren auf mich zu, diesmal vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof eingeleitet wegen des „Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit".

Erneut wurden Büroräume und meine Wohnung gefilzt. Und ich war als Gesprächspartner gefragt, mehrmals mußte ich zu Vernehmungen in Berlin und in Meckenheim antreten. Ich sah keinen Grund, mit der Wahrheit über meine Arbeit als IM des Ministerium für Staatssicherheit und als Wirtschaftsfunktionär hinterm Berg zu halten.

Ich habe das als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik für und nicht gegen meinen Staat getan. Dazu bekenne ich mich, dafür trage ich Verantwortung. Alles andere steht auf einem anderem Blatt...
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Deutschen Justizorgane schienen es begriffen zu haben

Irgendwie müssen im nachhinein auch die deutschen Justizorgane begriffen haben, daß ich keine Spionage gegen die BRD betrieben habe und man einen einstigen DDR-Bürger nicht dafür belangen kann, wenn er konspirativ im Auftrag seines Landes tätig war.

Das Ermittlungsverfehren wurde am 20. Juni 1995 eingestellt. - Aber selten ein Schaden ohne Nutzen.
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Ich bekam meine vollständige IM-Akte des MfS zum Lesen

Denn in dem Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft wurde ich nicht nur mit zahlreichen von mir selbst verfaßten Dokumenten, Berichten und Informationen an KoKo und die Stasi konfrontiert, sondern auch mit meiner vollständigen IM-Akte des MfS.

Das war zum Teil schockierend und schmerzlich

Es war zum Teil schockierend und schmerzlich für mich, erfahren zu müssen, daß dieser Staat - zumindest einige seiner Diener - mir derartig mißtraut hatten. Das machte mich nachdenklich und öffnete mir die Augen. Vieles betrachte ich seitdem anders.

Besonders getroffen fühlte ich mich von einem Papier, das sich im verschlossenen Umschlag im letzten Band meiner Akten befand: ein von Artur Wenzel vorbereiteter schriftlicher Vorschlag, mich als Leiter des Handelsbereichs 4 abzuberufen. Ich fühlte mich wie erschlagen, davon hatte ich bislang nicht die geringste Ahnung.
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Ich sollte 1989 gefeuert werden ??? Warum ?

Wenzels Ansinnen trug zwar kein Datum, aber der Inhalt ließ erkennen, daß es 1989 geschrieben wurde. Die Wende kam wahrscheinlich der Realisierung von Wenzels Bestreben zuvor.
Was war der Grund für die geplante Abberufung aus meiner Funktion?

In dem geheimen Dokument gibt Wenzel Auskunft:

  • „Zum Schutz des Genossen Gerhardt Ronneberger, 1. Stellvertreter des Generaldirektors des AHB Elektronik, der Arbeitssicherheit des von ihm geleiteten Handelsbereiches 4, der in diesem Bereich tätigen Mitarbeiter (darunter NSW-Reise- und Verhandlungskader) und der Gewährleistung einer hohen Sicherheit bei den zu realisierenden Embargoimporten, macht sich eine Veränderung seiner Funktion erforderlich.
  • Begründung:
    ... Unter seiner Leitung wurden erfolgreich komplizierte NSW-Importe, die den Embargobestimmungen der NATO-Staaten unterliegen, realisiert und es konnten dadurch die volkswirtschaftlichen Aufgabenstellungen zur beschleunigten Entwicklung der Mikroelektronik sowie der Hoch- und Schlüsseltechnologien in der DDR wesentlich forciert werden.
  • Die gegnerischen Aufklärungs- und Abwehrorgane, die speziell mit der Aufspürung von Embargoimporten in die sozialistischen Länder beauftragt sind, unternehmen in verstärktem Maße Aktivitäten Genossen Ronneberger mit dem von ihm geleiteten Importorgan, als den Hauptverantwortlichen für die Embargoimporte, die im Auftrage des MfS getätigt würden, darzustellen.

  • Die Vorgehensweise der gegnerischen Geheimdienste ist unterlegt durch
  • - die widerrechtliche Inhaftierung des Gen. Ronneberger in der BRD in Ausübung kommerzieller Angelegenheiten,
  • - die Toshiba-Affäre, in der Gen. Ronneberger bei der Beschaffung von Technologie-Know-how für 64 und 256 K DRAM als Hauptverhandlungspartner bekannt wurde,
  • - die im Mai 1989 durch BRD-Abwehrorgane erfolgte Inhaftierung eines BRD-Lieferanten (Majunke), über den wesentliche Importe fiir die Entwicklung der modernsten Rechentechnik der DDR realisiert und vom Gen. Ronneberger persönlich geleitet wurde. In diesem Zusammenhang sind Aktivitäten des ARD-Fernsehstudios in der DDR einzuordnen, welche am 22. 7. 89 in Form von nichtgenehmigten Filmaufnahmen auf dem Privatgrundstück des Gen. Ronneberger durchgeführt wurden. Dabei geriet ein Sohn des Gen. Ronneberger ebenfalls in das Blickfeld der Journalisten.
  • - die im Juni 1989 auf Betreiben amerikanischer Behörden erfolgte Inhaftierung des Inhabers der japanischen Firma Prometron, Tokyo wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz bei der Lieferung von Hochtechnologie-Ausrüstungen für die Mikroelektronik der DDR.
  • In diesem Falle wird durch die gegnerischen Abwehrorgane versucht, alle bisher mit japanischen Unternehmen durch den Handelsbereich 4, besonders der Person des Gen. Ronneberger, realisierten Importe aufzudecken, und es wird der Versuch unternommen, Analogien zur Verhaftung 1982 und der Toshiba-Affaire herzustellen.
  • - die Zuordnung weiterer ,Embargofälle' zum Handelsbereich 4, die nach gründlicher Prüfung nachweislich nicht unter Verantwortung von Gen. Ronneberger erfolgten (z. B. der Export eines Hochleistungsrechners von der BRD/Westberlin über die DDR nach Ungarn - August 1989 -, welcher durch gegnerische Abwehrorgane unterbunden wurde). Durch die teilweise Verflechtung westlicher Embargolieferanten, Spediteure und Zwischenhändler geraten Personen und Firmen beim Gegner ins Blickfeld, die wiederum mit dem Handelsbereich 4 in Kontakt stehen."

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Was war daran Anrüchiges oder Ehrenrühriges ?

Auf den ersten Blick beinhaltete das Schriftstück nichts Anrüchiges oder Ehrenrühriges. jedenfall wenn es nicht mein "Freund" und Führungsoffizier geschrieben hätte, und zwar hinter meinem Rücken und im Alleingang.

Denn in seinem Papier hatte Wenzel ausdrücklich festgehalten, daß meine Abberufung und der weitere Einsatz noch nicht mit den beiden verantwortlichen Staatsekretären Schalck und Nendel abgestimmt seien.

Mit wem hatte er dann die Sache ausgeheckt ? Vor allem war Wenzels Begründung unglaubwürdig und scheinheilig. Schließlich waren solche Kollegen wie Forgber und Wischnewski schon lange von westlichen Diensten und Medien enttarnt, was jedoch die Stasi nie als Hindernis für die Fortsetzung ihrer Tätigkeit betrachtete.

Warum mich Wenzel von meiner Funktion abberufen lassen wollte, weiß ich bis heute noch nicht genau. Klar ist mir nur, daß er für den Fall der Fälle bereits seine Hand am Abzugsgriff des Schleudersitzes hatte, auf dem ich nach seinen damaligen eignen Worten seit Übernahme dieser letzten Funktion saß.
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Die Ermittlungen gingen auf verschiedenen Ebenen weiter

Während ich solche Selbsterkenntnisse gewann, gingen die Ermittlungen auf verschiedenen Ebenen weiter.

Am 29. Dezember 1993 mußte ich vor dem 1. Untersuchungsausschuß „Kommerzielle Koordinierung" des Bundestags als Zeuge aussagen. Auch hier flüchtete ich nicht wie andere in Erinnerungslücken.

Vielmehr beantwortete ich alle Fragen wahrheitsgemäß und äußerte mich vorbehaltlos über die Arbeit des Handelsbereichs 4 und von KoKo, ohne unbekannte Details preisgeben oder Personen belasten zu müssen.

Parallel dazu liefen zahlreiche andere Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Geschäftspartner, die uns ehedem Embargowaren geliefert hatten und von denen man auf meine Zeugenaussagen ebenfalls Wert legte.
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