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Gerhardt Ronnebergers Autobiographie - Deckname "SAALE" - aus 1999 - ein Generaldirektor erzählt .....

Gerhardt Ronneberger, geboren im März 1934 in Saalfeld († 2013 ?) schreibt 1999 in seiner Autobiographie (1982–1999) auf etwa 370 Seiten, wie es wirklich zuging beim MfS, der Stasi und den Betrieben in der "Deutschen Republik". Da er nie in einem richtigen Ossi-Gefängnis eingesperrt war, fehlt diese Erfahrung völlig, dafür aber die Zustände in einem West-Gefängnis und wie es dazu kam und vor allem, was danach bis zur Wende im Dez 1989 kam. Der Einstieg beginnt hier und mein Resume über das Buch endet hier.

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Lego, Daisy und andere

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Der 32-Bit-Rechner

Die Entwicklung des 32-Bit-Rechners war ein echtes Reengeneering. Mit anderen Worten: Wir erfanden das Fahrrad zum zweiten Mal.

Unsere Unterstützung der Entwicklungsarbeiten in Dresden begann damit, daß wir zwei Vorbildtypen des VAX-Rechners von DEC bereitstellten. Das war noch am einfachsten. Darüber hinaus benötigten wir für den Rechnertyp alle vorhandenen technischen Dokumentationen des Herstellers und die Serviceunterlagen, einschließlich Schalt- und Stromlaufpläne sowie die Spezifikatione einzelner Baugruppen.

Das waren Dokumente, die noch nicht einmal in westlichen Servicewerkstätten oder bei Fachhändlern verfügbar waren. Und einen Direktkontakt zu DEC mußten wir tunlichst vermeiden, ganz abgesehen davon, daß wir von dort die Unterlagen auch nicht bekommen und nur auf unsere Absichten aufmerksam gemacht hätten.
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Das Reengeneering der VAX Rechner

Guter Rat war also wieder einmal teuer. Doch es gelang uns, die j Mehrzahl der erforderlichen Dokumentationen zu beschaffen. Mit von der Partie waren unsere Partner Hrobsky und Majunke.

Als erstes analysierte man bei Robotron die Philosophie des DEC-Vorbildtyps, die Funktion der einzelnen Baugruppen wurde ermittelt, notwendige Meßprozesse zur Erfassung der Parameter der einzelnen Baugruppen, die nicht in Dokumentationen ausgewiesen werden, wurden durchgeführt.

Dann begann man, den Computer in seine einzelnen Baugruppen und Bauteile zu zerlegen. Die chirurgische Puzzlearbeit war notwendig, weil der neue Computer ohne aus dem Westen importierte elektronische Bauelemente und Baugruppen produziert werden sollte und wir dagegen nur solche einsetzen wollten, die in der DDR oder anderen sozialistischen Ländern hergestellt werden konnten.

Alle von DEC eingesetzten Bauelemente mußten also ausgetauscht werden. Das war leichter gesagt als getan. Denn bei den substituierten Teilen mußten die technischen Parameter mit ihren Toleranzen exakt übereinstimmen. Sonst wären das Konzept des Rechners negativ beeinflußt und die Leistungsparameter eingeschränkt worden, und wir hätten unter Umständen ganze Baugruppen neu entwickeln müssen.

Dabei ist es durchaus üblich, daß Bauelemente- Spezifikationen in Detailparametern voneinander abweichen, selbst wenn es nur das Temperaturverhalten eines Bauelements ist. Nur war der Hersteller DEC so gewieft, daß die besagten technischen Detailparameter weder aus den Dokumentationen noch aus den Bauelementen ersichtlich waren.

Wir mußten also vom Hersteller - selbstverständlich über Umwege - für jedes einzelne eingesetzte Bauelement die technischen Spezifikationen einholen und einzelne Parameter konkret abfragen, Muster von Bauelementen beschaffen, Äquivalenttypen ermitteln und ebenfalls bemustern.
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Es war mühevolle Kleinarbeit

Monatelang schuftete mein Freund Majunke wie Sisyphus, ohne es uns in Rechnung zu stellen. Zentnerweise schleppte er Unterlagen heran. Diese wurden dann meinem Kontaktmann Georg Gieszinger, Ingenieur bei Robotron, zur Auswertung übergeben.

In mühevoller Kleinarbeit gelang es uns tatsächlich, alle serienmäßigen Bauelemente zu substituieren. Dann tauchte ein weiteres Problem auf: eine Handvoll spezifischer Bauelemente, die Kernstück der Anlage waren und von DEC selbst entwickelt und produziert wurden, somit nicht handelsüblich waren. Für diese Bauelemente gab es weder Dokumentationen noch technische Spezifikationen. Schlimmer noch - ihre Funktion war uns anfangs sogar völlig unbekannt.

Hier mußten also die Tüftler von Robotron ran. Gieszinger und seiner kleinen Mannschaft gelang es wirklich, das Geheimnis der DEC-Winzlinge zu lüften und ein Pflichtenheft (detaillierte Spezifikation) für jedes einzelne Bauelement zu erarbeiten.

Die fixierten Anforderungen konnten nun der spezifischen Entwicklung und Produktion der neuen Schaltkreise zugrunde gelegt werden. Eine schwierige und zeitaufwendige Methode, doch Gieszinger und seinen Spezialisten blieb nichts anderes übrig.

Insgesamt wurden freilich keine Abstriche daran gemacht, schnellstmöglich das erste Entwicklungsmuster des neuen Computers herzustellen. Um das zu schaffen, mußten wir ein Experiment durchfuhren.
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Entgegen aller DDR-Planungsmethoden

Das Projekt des 32-Bit-Rechners wurde nämlich realisiert, indem sich Robotron über den in der DDR administrativ verbindlichen und umständlichen Weg der Arbeit nach den Schritten eines Pflichtenheftes, das jeden einzelnen Entwicklungsschritt für den Computer und jede seiner einzelnen Baugruppen enthalten mußte, hinwegsetzen durfte.

Das widersprach allen DDR-Planungsmethoden, aber so wurde die Entwicklungszeit spürbar verkürzt.

Unser Sturmlauf, der eigentlich mehr ein Hindernislauf war, ging weiter. Einerseits konnten wir nicht auf die Entwicklung der eigenen neuen Schaltkreise warten. Und andererseits konnten wir die DEC-Originalschaltkreise natürlich nicht auf einer Shoppingtour im Bauelementehandel kaufen.

Sogar der DEC-Service verfügte nicht über sie, da im Reparaturfall einfach die Baugruppe bzw. Platine ausgetauscht wurde. Auf Umwegen, wofür selbstredend hohe „Maut-Gebühren" zu entrichten waren, mußten wir an unser Objekt der Begierde heranschleichen.

Doch dann hatten wir die Platinen, auch Module genannt, auf denen sich die spezifischen Schaltkreise befanden, in der Hand. Mit diesen Modulen wurde das erste Entwicklungsmuster aufgebaut. Auf der nächsten Stufe wurden die Schaltkreise von den DEC-Platinen abgelötet und auf die von Robotron entwickelten Platinen aufgebracht, um auch diese im Dauerlauf zu testen.

Dabei mußten wir erneut eine Hürde überspringen - die Beschaffung der DEC-Module. In Europa war auch beim DEC-Service an die Platinen nicht heranzukommen. Wir hatten zwar mehrere zuverlässige Lieferanten von DEC-Computem jeder Leistungsklasse, aber keiner war in der Lage, uns die Module zu beschaffen.

So mußte wieder einmal mein Freund Majunke in die Bresche springen. Er fand in seiner Nähe einen kleinen Händler für DEC-Komputer, die Firma Computer Products Ullrich (CPU), der diese Module direkt aus den USA bezog und sie nicht wie sonst üblich gegen die Rücklieferung defekter Platinen austauschen mußte. Wie er das für andere Firmen Unmögliche schaffte, konnten wir nie in Erfahrung bringen.

Übrigens sprach nach der Wende der DEC-Sicherheitschef für Europa mit seinem Verantwortlichen in der Bundesrepublik bei mir vor, um in Erfahrung zu bringen, über welche Kanäle bei DEC wir die Module beschafft hätten. Ich mußte ihn enttäuschen. Wir hatten keine Helfer bei DEC und von vornherein alle Kontakte zu den Amerikanern aus Sicherheitsgründen vermieden. Die Herren kamen wohl nie auf den Gedanken, daß es ein kleiner deutscher Händler war, der uns die Herzstücke eines DEC-Computers problemlos und in größer Stückzahl beschaffte. Immerhin waren es insgesamt weit über 100 solcher Platinen und etwa 30 Einzellieferungen im Gesamtwert von über einer Million DM.
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Unserem Ziel ein gutes Stück näher gekommen

Nachdem wir die Module beschafft hatten, waren wir unserem Ziel ein gutes Stück näher gekommen. Um den Zeitablaufplan für die Entwicklung des ersten funktionsfähigen Prototyps einzuhalten, ging es nun „nur" noch darum, die Produktion der „eigenen" DEC-spezifischen Schaltkreise zu sichern.

Das war allerdings der schwierigste Teil des Vorhabens. Wir schalteten wieder Majunke ein und arbeiteten mit der Reikotronik GmbH in Oldesloe zusammen, die bereits Monitore für Robotron gefertigt hatte. Bei dieser Firma gab es sowohl geeignete Fachleute als auch einen glaubwürdigen Hintergrund, der uns als tatsächlichen Auftraggeber tarnte.
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DEC-spezifischer Bauelemente unter dem Decknamen „Lego"

Die Entwicklung und Produktion DEC-spezifischer Bauelemente lief bei uns unter dem Decknamen „Lego". Im Importbereich trug ich dafür die persönliche Verantwortung, kein Mitarbeiter wurde in die inhaltliche Arbeit einbezogen.

Lediglich meine Frau, die im Kontor von Günther Gath arbeitete, übernahm die kommerzielle Abwicklung des Geschäfts. Der Partner bei Robotron war ausschließlich Georg Gieszinger. Wir mußten einfach den Kreis der Wissensträger radikal einschränken, um die Sicherheit des Projekts und der daran beteiligten Personen zu gewährleisten.

Am Ende der ersten Arbeitsetappe hatten wir mit Hilfe von Reikotronik ein Unternehmen ausfindig gemacht, das die drei Schaltkreise entsprechend des von Robotron erarbeiteten Pflichtenheftes produzieren und liefern konnte - die Firma Ferranti in Großbritannien.

Reikotronik kaufte von den Engländern die drei Schaltkreise, die wir SK1, SK2 und SK3 nannten, angeblich für ein neu von Reikotronik entwickeltes Gerät.

Das schien für Ferranti glaubwürdig, weil ja die Oldesloer tatsächlich Computerperipherie herstellten. Die Lieferungen von Reikotronik an uns erfolgte dann problemlos. Wir deckten uns gleich mit dem Gesamtbedarf für drei Jahre ein, um bei einem eventuellen Auffliegen dieser Bezugslinie einen ausreichenden Vorrat zu haben und die Serienproduktion nicht zu gefährden.

Dieser Hamstereinkauf kostete uns rund 3 Mio. DM, für Reikotronik und Majunke ein lukratives Geschäft.

Man nennt diese Bauteile (Chips) auch ASICS

Hauptsächlich drehte es sich jedoch beim Projekt „Lego" um die Entwicklung und Produktion von sogenannten Asics, also kundenspezifischen Schaltkreisen nach den technischen Vorgaben von Robotron.

Es ging immerhin um nicht weniger als 60 verschieden Typen von Asics; die technischen Vorgaben mußten aus den Spezifikationen der DEC-spezifischen Schaltkreise abgeleitet sein.

Die Asics waren erforderlich, um uns völlig vom Embargoimport unabhängig zu machen. Auch hier arbeiteten wir auf der bewährten Linie Majunke - Reikotronik. Reikotronik sollte recherchieren, welcher potentielle westliche Asic-Hersteller für uns in Frage kommt. Dabei mußten die notwendigen Voraussetzungen des erforderlichen CAD-Systems und die mögliche Erstellung des AS1C-Entwurfes einschließlich der Logiksimulation beim Kunden berücksichtigt werden.
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Siemens sollte für uns diese Asics fertigen

Nachdem man u. a. Valvo und Fujitsu in Augenschein genommen hatte, wurde uns von Reikotronik Anfang April 1988 Siemens empfohlen. Der Konzern war in der Lage, mit der Siemens-Bibliothek für DAISY-Workstation die technischen Anforderungen der Schaltkreise zu erfüllen.

Außerdem verfügte man dort über eine AT-kompatible Workstation für den Entwurf im Einsatz, die eine Erstellung des Entwurfes beim Kunden, also bei Robotron bzw. Reikotronik, ermöglichte.

In einer gemeinsamen Beratung mit Majunke und Reikotronik entschieden wir uns im Juni 1988 für die Zusammenarbeit mit Siemens. Unter dem Deckmantel weiterer Verhandlungen zwischen Reikotronik und Siemens starteten wir ein kühnes Unterfangen.

Gieszinger von Robotron besuchte gemeinsam mit dem bei Reikotronik verantwortlichen Mitarbeiter für unser Projekt noch im gleichen Monat ein Seminar bei Siemens, wobei sich Gieszinger als Reikotronik-Mitarbeiter tarnte. Natürlich war das ein Vabanquespiel. Doch es ging gut, Gieszinger wurde nicht als DDR-Bürger geoutet.

Auch in der Folge klappte alles reibungslos. Da Siemens mit der DAISY-Software und einer AT-kompatiblen Workstation auf der Basis 80386 mit ganz konkreten Anforderungen an diese Hardware arbeitete, mußten wir gleichfalls die notwendigen Voraussetzungen für unsere Arbeit schaffen.

Dazu besorgten wir zwei dieser Computersysteme, von denen das eine bei Reikotronik und das andere bei Majunke installiert wurde. Außerdem besuchte der Projektverantwortliche von Reikotronik, Ing. Manthey noch im August einen DA1SY-Systemlehrgang und anschließend zwei weitere Seminare bei Siemens.

Er gab nicht nur die auf diesen Schulungen gewonnenen Erkenntnisse an Gieszinger weiter, sondern auch Kopien von den Dokumentationen der DAJSY-Software.
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Noch ein Trick (oder ein Umweg zur Verschleierung)

Wir waren uns von Anfang an darüber im klaren, daß für die spätere Lieferung der Asics in den Ostblock keine Exportgenehmigung erteilt würde. Daher vereinbarten wir, die Bauelemente an einen Dritten zu liefern.

Dieser Produzent sollte unsere Firma C & E in Taiwan sein, was wir jedoch zu diesem Zeitpunkt aus Sicherheitsgründen weder Majunke noch Reikotronik wissen ließen. Die Verhandlungen mit Siemens zur Entwicklung der Bauelemente blieben erst einmal ausschließlich in den Händen von Reikotronik.

Über die Details der Zusammenarbeit wurden zwischen uns und Majunke sowie zwischen Majunke und Reikotronik schriftliche Verträge abgeschlossen. Darin wurde die Aufgabenstellung fixiert, die einzelnen Aktivitäten und Verantwortlichkeiten vereinbart und die Bezahlung der Leistungen geregelt.

Die Firma P. M. Majunke trat in der Vereinbarung mit Reikotronik zwar als Partner auf, die von ihr gegenüber Reikotronik übernommenen Verpflichtungen waren aber selbstverständlich von Robotron zu erfüllen. Sodann kauften wir und Robotron über Reikotronik die Hard- und Software ein, hernach wurde einer der beiden Sätze auf Leihvertragsbasis Reikotronik wieder zur Verfügung gestellt.

Kostenpunkt: fast eine Million DM. Nach Inbetriebnahme wurde eins der beiden Computersysteme nach Dresden umgesetzt, und die Arbeit von Gieszinger und seinem kleinen Team konnte beginnen.

Bis Ende 1988 konnte Robotron den ersten Entwurf eines Versuchs-Asic fertigstellen, einschließlich der Simulation und Freigabe an Siemens. Dann war es Gieszingers Aufgabe, Reikotronik in die Lage zu versetzen, diese Entwurfsarbeit nachzuvollziehen und die sogenannten Customer-Dokumente zu erstellen.

Die ganze Sache mußte also erst von Robotron freigegeben werden, bevor Reikotronik die Übergabe an Siemens vornehmen konnte. Die Regeln dieses Ringelspiels mußten eingehalten werden. Doch Gieszinger und Manthey lösten auch das mit Bravour. Gleich der erste Versuch gelang.

Reikotronik überreichte die erarbeiteten Unterlagen an Siemens, und dort wurde mit der Entwicklungsarbeit begonnen. Wenn Fragen auftraten, wurden sie im Zusammenwirken Siemens - Reikotronik geklärt, freilich immer mit Robotron als Souffleur im Hintergrund. Siemens schöpfte keinen Verdacht und stellte kaum Fragen zum Einsatz der AsiCs. Robotron konnte mit der Entwicklung der nächsten Schaltkreisen beginnen.
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Im Mai 1989 ging alles schief

Anfang April 1989 übergab uns - also in diesem Falle unsrem Double Reikotronik - der Vertrieb Bauteile der Hanseatischen Zweigniederlassung von Siemens das offizielle Angebot zur Entwicklung, Fertigung und Lieferung der von uns gewünschten Asics.

Die Anteile der Entwicklungskosten sollten je Schaltkreis und Ausführung zwischen 70.000 und 100.000 DM betragen und außerdem die Lieferung von zehn Prototypen beinhalten. Siemens erklärte sich bereit, je Monat drei Schaltkreisentwürfe zu machen, innerhalb von fünf bis sechs Wochen die Prototypen zu liefern und mit dem Serienlauf innerhalb von etwa 16 Wochen nach Musterfreigabe und Auftragserteilung zu beginnen.

Ein Schaltkreis aus der Serienproduktion würde zwischen 180 und 350 DM kosten. Das waren akzeptable Bedingungen, die unserem Konzept entsprachen.

Auf dieser Grundlage liefen die Arbeiten zügig weiter. Doch dann wurde Mitte Mai 1989 Hans-Jürgen Majunke verhaftet, und mit ihm rückte auch Reikotronik ins Visier der westdeutschen Untersuchungsbehörden.

Anfang Juli kam Herr Reitemeier, Chef von Reikotronik zu mir nach Berlin. Er informierte mich, daß auch gegen ihn und Manthey ein Ermittlungsverfahren eingeleitet sei und daß die Büroräume und die Wohnung durchsucht worden wären. Vor allem hätte man nach einem Großcomputer gesucht, der aber niemals bei Reikotronik vorhanden war.

Die Ermittlungsbeamten wären enttäuscht gewesen, hätten aber die vorhandenen PCs und die DAISY-Anlage beschlagnahmt, einschließlich der Software, die maß zuerst vergessen habe.

Reitemeier hatte sich recht gut mit der Situation abgefunden und zeigte sich nicht verunsichert. Er rechnete lediglich mit einer Ordnungsstrafe. Anders sein Mitarbeiter Mantey. Der hatte offensichtlich Angst bekommen und lehnte jeden weiteren DDR-Besuch und die Zusammenarbeit mit uns kategorisch ab. Reitemeier dagegen war bereit die Arbeit an „Lego" fortzusetzen.

Er wollte praktisch beweisen, daß er im guten Glauben gehandelt und nicht ernsthaft gegen die CoCOM-Regelungen verstoßen hätte. Wir sahen das nicht nur anders, sondern wußten es besser und stellten die Zusammenarbeit mit ihm vorerst ein.

Um alle Spuren in die DDR zu verwischen, hatten wir vorher vorsichtshalber die in Dresden bei Robotron stationierte zweite DAISY-Anlage nach Westberlin geschmuggelt, wo Majunke Räume angemietet hatte. Die Anlage wurde dann später tatsächlich dort gefunden und beschlagnahmt.

Unser Täuschungsmanöver schlug fehl: Aus den bei Reitemeier und Majunke sichergestellten Unterlagen konnten die bundesdeutschen Untersuchungsorgane feststellen, wer der wirkliche Auftraggeber und spätere Abnehmer der ASICS war. Damit war letztlich auch Gieszinger gefährdet und konnte nicht mehr in den Westen reisen.
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Wir hatten leider 1989 zur Messe den Dinosaurier geweckt

Auch wenn dann der Zusammenbruch der DDR die weiteren Arbeiten am Projekt „Lego" gegenstandslos machte, waren die ersten Rechner bereits produziert. Sie hatten sogar auf der Leipziger Frühjahrs Messe 1989 für Furore gesorgt und westliche Geheimdienste auf den Plan gerufen.

So konnte eine Schnüffelnase der CIA einen gutwilligen Mitarbeiter am Robotron-Messestand dazu animieren, den Computer zu öffnen, um ungehindert ins Innere zu spähen. Ein gelungener Coup, schließlich vermochte jeder Fachmann erkennen, daß unser Konzept mit einem DEC-Computer sehr „artverwandt" war.

Die ersten Kaufinteressenten aus dem Westen ließen dann auch nicht lange auf sich warten. Doch es war wohl weniger kommerzielles Interesse für unseren neuen 32-Bit-Rechner als vielmehr nachrichtendienstliche Neugier und Aufklärungsarbeit von DEC, um herauszubekommen, wie wir das wohl alles gemacht haben, und unseren weiteren Aktivitäten einen Riegel vorzuschieben.

Trotzdem hegten einige Robotron-Leute die Illusion, den Rechner ins NSW exportieren zu können. Davon abgesehen, daß dies - wenn überhaupt - höchstens zu unglaublichen Dumpingpreisen möglich gewesen wäre, wußten wir das zu verhindern. Wir hatten weder die Karten für ein Null-Ouvert noch wollten wir unsere Embargoaktivitäten offenlegen oder unsere Partner gefährden. Erst nach der Wende purzelten die Geheimakten in die Hände der Fahnder.
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Ein anonymes Fernschreiben

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Hochstromimplanter und 1-MBit-Schaltkreis

Jede neue Schaltkreisgeneration stellt neue Anforderung an die im technologischen Herstellungsprozeß erforderlichen Ausrüstungen.

Wir spürten das bei der Entwicklung des 1-MBit-Schaltkreises. Das Funktionsmuster konnten wir zwar labormäßig mit den vorhandenen Produktionsausrüstungen zusammenbasteln, aber eine Massenproduktion war damit nicht möglich. Besonders hohe Ansprüche wurden an die Implanter gestellt, die eine Schlüsselfunktion innerhalb der unentbehrlichen Apparaturen einnehmen.

Die bisherigen Technologien waren mit sogenannten Mittelstromimplantern realisierbar, nunmehr wurden Hochstromimplanter benötigt. Diese ermöglichen nämlich dank ihrer höheren Stromstärken eine hohe Ausbeute der neuen Schaltkreisgeneration mit geringeren Struktur-breiten.

Für Mittelstromimplanter gab es in den USA, Japan und Westeuropa mehrere Hersteller, die ihre Produkte auf dem internationalen Markt feilboten. Über unserer Embargolieferanten hatten wir natürlich darauf Zugriff, wobei es uns die westeuropäischen Produzenten besonders leicht machten. Auch die UdSSR stellte solche Implanter her, die wir teilweise einsetzten. Allerdings entsprachen die bald nicht mehr den technologischen Anforderungen.
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Bei Hochstromimplantem sah die Sache völlig anders aus. Da waren nicht nur wir oder die Sowjets auf Importe aus dem Westen angewiesen, sondern auch in Westeuropa wurden diese nicht hergestellt, sondern nur in den USA und Japan.

Doch gerade diese Implanter benötigten wir unbedingt für die Technologie des 1-MBit-Schaltkreises und der nachfolgenden Generationen. Da es damals weltweit nur wenige Produzenten des 1-MBit-Schaltkreises gab, war die Beschaffung dieser Implanter für uns eine äußerst schwierige Aufgabe.

Sogar den trickreichsten und erfahrensten Embargohändlern gelang es kaum, einen hieb- und stichfesten und Endverbrauchernachweis zu erbringen.
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Die US-Firma Eaton - mit Sicherheit von der CIA überwacht

Die Hersteller - Marktführer war übrigens die US-Firma Eaton -unterwarfen jeden verkauften Hochstromimplanter einer lückenlosen Kontrolle. Das begann bereits vor Angebotsabgabe mit der Überprüfung der anfragenden Firma, beinhaltete eine Beaufsichtigung der Transportwege und reichte bis zur Abnahme der Montage.

Selbst wenn beim Endabnehmer die Inbetriebnahme erfolgt war, kam es zu überraschenden Inspektionen, um sich vom ordnungsgemäßen Verbleib der Ausrüstungen zu überzeugen.

  • Anmerkung : Das war übrigens bei den professionellen Video-Recordern der Firmen AMPEX und RCA genauso. Es wurden nachträgliche unangemeldete Stichproben angesetzt und wehe, es lief dabei etwas schief.


Dieses wirkungsvolle Kontrollsystem zu unterlaufen, war fest unmöglich. Aber eben nur fast. Wir brauchten glaubhafte Endverbraucher, die in diesem Spiel skrupellos und mit hoher Risikobereitschaft mitmischten. Und diese Beschaffer waren nur mit extrem hohen Verdienstspannen zu ködern.

Während wir Mittelstromimplanter noch mit den üblichen Preisaufschlägen für Embargowaren von etwa 30 bis 40 Prozent besorgen konnten, waren es bei den Hochstromgeräten schon wesentlich höhere Aufschläge.
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Die Münchener Firma Diastar

Zu denen, die für uns die erforderliche Anzahl von Mittelstromimplantern stets ohne Schwierigkeiten besorgten, gehörte u. a. Münchener Firma Diastar. Sie lieferte uns beispielsweise Geräte vom Typ 350 D der Firma Varian, die vorher bei Matra-Philips eingesetzt waren.

Matra wiederum stellte den Antrag, die Apparate als Gebrauchtanlagen nach Südafrika zu liefern. Diastar gab als enduser Siemens in Südafrika an. Und von dort kamen die Implanter ohne Probleme in die DDR, ins Zentrum für Mikroelektronik von Zeiss in Dresden.

Neben den Implantern von Varian hatten wir auch Typen des Liechtensteiner Unternehmens Balzers im Einsatz. Mit Balzers verband uns eine jahrelange enge Zusammenarbeit, Embargo war für sie ein Fremdwort. Vor allem hatte die Firma den Vorteil, daß sie auf direktem Weg, also ohne Zwischenhändler an uns lieferte.

Balzers kannte unseren Bedarf an Hochstromimplantem, hatte aber diese Typen nicht im Produktionsprogramm. Sie waren allerdings an der Kooperation mit Carl Zeiss Jena interessiert und prinzipiell bereit, solche Implanter entsprechend der von uns vorzugebenden Spezifikation zu entwickeln und herzustellen. Doch als Nägel mit Köpfen gemacht werden sollten, war es schon zu spät ...
Die DDR brach zusammen.
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Es war keine Erfolgsstory

Überhaupt war die klammheimliche Besorgung von Hochstromimplantern nicht unbedingt eine Erfolgsstory.

Nachdem wir unseren künftigen Bedarf kannten, hatten wir rechtzeitig die erforderlichen Schritte eingeleitet und mit unseren leistungsfähigsten Lieferanten Konzepte entwickelt.

Von Anfang an fuhren wir mehrgleisig, d. h. es wurden mehr Aufträge über unterschiedliche Beschaffungswege ausgelöst, als tatsächlich Implanter benötigt wurden. Uns war von vornherein klar, daß bei der Kompliziertheit des Vorhabens nicht alle Pläne aufgehen konnten. So schlossen nicht nur wir erste konkrete Verträge über die Lieferung dieser wichtigen Ausrüstungen ab.

Vielmehr waren auch die Speziellen Beschaffungsorgane der Staatssicherheit in die Spur geschickt worden. Aber kein einziger Vertrag konnte realisiert werden. Für uns und die Stasi eine empfindliche Niederlage, die uns die Grenzen unserer „Kanalarbeit" zeigte.
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Yvon Pellegrin und die Firma Semco Engineering S.A.

Am erfolgversprechendsten waren noch die Bemühungen über unsere französische Beschaffungslinie Pellegrin. Yvon Pellegrin war Inhaber und Präsident der Firma Semco Engineering S.A. in Montpellier. Mit ihr hatten wir bereits seit einigen Jahren erfolgreich zusammengearbeitet und Embargowaren im Gesamtwert von rund 20 Mio DM problemlos umgesetzt.

Semco besaß in der Bundesrepublik eine Schwesterfirma gleichen Namens, deren Geschäftsführer Werner Geissler war. Semco lieferte an uns, aber auch an andere sozialistische Länder technische Spezialausrüstungen, die auf den Embargolisten standen.

Pellegrin selbst war ein in Algerien geborener französischer Staatsbürger, der über gute Kontakte im arabischen Raum verfügte. Er hatte in namhaften französischen Halbleiterfirmen als Ingenieur gearbeitet und galt in Frankreich als Spitzenkraft in dieser Branche.

„Pelle", so sein Deckname bei uns, besaß nach wie vor beste Verbindungen zu französischen Elektronikfirmen wie auch zum Eaton-Vertreter in Frankreich, Mit diesem war er nicht nur befreundet, sondern er hatte mit dessen Hilfe bereits Mittelstromimplanter von Eaton nach China und Jugoslawien geliefert Wir brauchten Hoch-stromimplanter, und so wurde „Pelle" unser Mann in Paris.
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Erster Versuch

Seit Ende 1987 bereitete Pellegrin den Import der Eaton-Hochstromimplantern vor. In einem ersten Anlauf stellte er in den USA den offiziellen Antrag zur Lieferung von technisch total umgerüsteten Hochstromimplantem in die DDR. Was er den Amerikanern freilich verschwieg: Diese abgespeckten Varianten sollten nach Anlieferung in der DDR von Pellegrin mit Unterstützung eines französischen Spezialisten aus dem Implanterservice der französischen Filiale des US-Konzerns Motorola auf den erforderlichen technischen Höchststandard wieder aufgerüstet werden. Der Motorola-Spezialist stand bei Pellegrin unter Honorarvertrag.

Der Anwalt von Eaton verlangte von Pellegrin umfassende Informationen über den vorgesehenen Einsatz der Implanter in der DDR, über das Fertigungsprogramm unserer Halbleiterwerke und zu den bisher von uns eingesetzten Implantertypen. Selbstverständlich gaben wir bereitwillig Auskunft. Nur anstelle der tatsächlich eingesetzten Geräte westlicher Herkunft gaben wir die Spezifikationen der sowjetischen Implantertypen an.

Leider wurde unser Taschenspielertrick durchschaut. Wie wir bereits ahnten, wurde uns mitgeteilt, „daß für diese Waren auch bisher grundsätzlich keine Exportgenehmigungen in das vorgesehene Bestimmungsland erteilt wurden". Einmal mehr mußte also „die Gefährdung der nationalen Sicherheit der USA" durch die kleine DDR als Begründung herhalten.

Anmerkung : Nach meinen Informationen wurde in den USA immer eine "Weiterleitung" an die Russen vermutet.
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2. Versuch über Algerien

Wir ließen uns dadurch die Stimmung nicht verdrießen. Bereits im April 1988 legte Pellegrin bei Siegfried Schürer aus unserem Handelsbereich ein neues Konzept vor. Er wollte diesmal zwei Eaton-Hochstromimplanter mit Originalspezifikation, also keine technische abgerüsteten Varianten besorgen.

Die Transaktion sollte über den Lieferweg Algerien und „eine bewährte Organisation mit Exportlizenz der USA" für einen nicht von ihm genannten end-user erfolgen. Pellegrin wollte dabei mit einem ihm bekannten Schweizer Unternehmen zusammenarbeiten, das seit zwanzig Jahren zur internationalen Waffenhändlerszene gehöre und früher in Spanien einen Reparaturbetrieb für Militärtechnik betrieben hätte.

Wir kannten diese Truppe nicht, noch standen wir mit ihr jemals in Kontakt. Später trat zwar in Schaan (Liechtenstein) eine Firma Newmac Anstalt als Subsidiäry of Newmac Group in Erscheinung, aber ob es sich dabei um die Waffenhändler handelte, konnten wir nicht feststellen.

Pellegrins Plan war gewiß eine heiße Kiste. Doch ohne die damit verbundenen Probleme zu unterschätzen, sahen wir eine reelle Chance. Gleich welchen Beschaffungsweg wir wählten - eine Variante ohne Risiko, aber mit Erfolgsgarantie gab es nicht.
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Versuch 2 gescheitert, neuer Versuch ...

Am 15. April 1988 unterbreitete „Pelle" ein spezifiziertes Angebot zur Lieferung von zwei Hochstromimplantern mit einem Angebotswert von 4.960.000 US-Dollar. Die Auftragserteilung müßte allerdings sofort erfolgen, und als Zahlungsbedingung wurde ein Akkreditiv gefordert, das bei Erteilung der Exportlizenz durch die USA zu eröffnen war und nach Wareneingang in der DDR einlösbar sein sollte. Das stellte für uns kein finanzielles Risiko dar, und wir akzeptierten. Noch am gleichen Tag wurde Pellegrin der Auftrag erteilt.

Dreieinhalb Monate später rief uns Pellegrin aus Genf an. Er teilte mit, daß die Transaktion nunmehr sicher sei und daß der erste Implanter im November 1988 und der zweite im Februar/März 1989 geliefert werden könnte. Allerdings sei der Beschaffungsweg über Algerien geplatzt, da seine Partner Nachprüfungen der US-Behörden befürchteten. Er hätte jedoch einen neuen und absolut sicheren Weg gefunden.
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Ein Bestechungsgeld von 100.000 Dollar sei nötig

Außerdem könne jetzt der Lizenzantrag in den USA gestellt werden. Dazu sei eine Vorauszahlung - eigentlich das Bestechungsgeld für die Firma, die das end-user Zertifikat austeilt - in Höhe von 100.000 Dollar nötig, die er leider kurzfristig nicht selbst aufbringen könne.

Da sich Pellegrin für das Geld verbürgte und wir ihn bislang nur als absolut zuverlässiger Partner kannten, übernahmen wir diese Vorleistung. Nicht zuletzt waren wir von „Pelles" neuem Konzept überzeugt. Denn als Käufer der beiden Implanter trat jetzt bei Eaton die staatliche Einkaufsbehörde des argentinischen Militärs auf, zu der Pellegrins Waffenhändler langjährige Kontakte unterhielt. Die Argentinier verfügten über einen eigenen militärisch-industriellen Komplex und waren damit ein glaubwürdiger Endabnehmer, bei dem auch keine Nachprüfungen durch die US-Behörden zu befürchten waren.

Die Lieferungen selbst sollten dann von den Boston (USA) nach Argentinien und von dort auf dem Luftweg über ein arabisches Land in die DDR erfolgen.

Nachdem uns die Mitteilung vorlag, daß die US-Behörde für zwei Hochstromimplanter die Exportlizenz erteilt hätte, mußte das Akkreditiv eröffnet werden. Die Zustimmung dafür wie zur Bereitstellung der finanziellen Mittel gab Schalck am 11. Oktober 1988. Die persönliche Bestätigung meines Chefs war schon deshalb erforderlich, weil ich das hohe finanzielle Risiko für dieses Geschäft nicht allein tragen konnte.
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Mein Chef wußte Bescheid

Bei der Tragweite und Größenordnung der Unternehmung hatten wir Schalck das gesamte Beschaffungskonzept bereits in der Vorbereitungsphase zur Bestätigung vorgelegt. Auch in der Folgezeit wollte er laufend über den Stand der Realisierung informiert werden.

Für auftretende Schwierigkeiten hatte er zwar durchaus Verständnis, aber eigentlich erwartete er nur Erfolgsmeldungen. Schließlich war die Beschaffung des ersten Hochstromimplanters für die DDR auch ein Wettlauf zwischen KoKo und Stasi. Jeder wollte der Erste sein, um der Parteiführung die Erfolgsmeldung zu servieren: Das Embargo ist durchbrochen!

Mit keinem anderen Objekt ließ sich die eigene Leistungsfähigkeit besser dokumentieren. Auch Alexander Schalck war nicht frei davon, damit sein Image aufpolieren zu wollen. Die Besorgung der Hochstromimplanter war längst zur Prestigefrage mutiert.

Ungeachtet dessen sollte das Akkreditiv zuerst zugunsten von Fiduciaire Aberlay S.A. Genf erfolgen, aber dann wurde eine Eröffnung bei der Banco Arabe Espanole S.A. in Madrid zugunsten der Newmac Anstalt in Liechtenstein vereinbart. Das Akkreditiv war nur gegen Vorlage unserer schriftlichen Bestätigung über Quantität und Qualität der gelieferte Waren möglich, also nachdem wir den ordnungsgemäßen Erhalt der Ware attestiert hatten. Diese Bestimmung stellte für uns eine ausreichende finanzielle Sicherheit dar.

Nach Akkreditiveröffnung wurden wir am 1. Dezember 1988 darüber informiert, daß beide Implanter durch Beauftragte von Pellegrin gemeinsam mit argentinischen Spezialisten ab 6. Dezember in den Fertigungsstätten von Eaton in den USA abgenommen würden.
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Mit einer Boeing 747-124 nach Berlin-Schönefeld

Noch zwischen dem 14. und 20. Dezember sollten beide Geräte auf dem Luftweg in Berlin-Schönefeld eintreffen. Die Anlieferung war mit einer Boeing 747-124 F und der Flugreferenz B.A.-MCO-B auf der Route Buenos Aires - Marokko - Belgrad - Berlin-Schönefeld geplant, das Kennzeichen der Maschine und die Namen der vier Besatzungsmitglieder wollte uns man noch genau benennen. Als Lieferumfang eines Implanters kündigte man uns 14 Colli unterschiedlicher Größe mit einem Gesamtgewicht von 15.000 Kilo an.

Der Countdown lief. Nun waren unsere Organisatoren gefordert Bis ins kleinste Detail war eine generalstabsmäßige Vorbereitung notwendig. Es gab nur eine Unbekannte - den genauen Zeitpunkt der Anlieferung, den Tag X.

Für die Abfertigung in Schönefeld benötigten wir das Know-how von KoKo. Denn zum einen mußte die Maschine in einem Sperrbereich des Flughafens unter Ausschluß der Öffentlichkeit entladen werden. Zum anderen war die Anwesenheit unserer Experten notwendig, die sofort an Ort und Stelle den Lieferumfang und die Spezifikation überprüfen mußten, wovon die Einlösung des Akkreditivs abhängig war.

Nach meiner Rücksprache mit Schalck wurde Dieter Uhlig mit den Vorbereitungen in Schönefeld beauftragt. Er verfügte aus den KoKo-Waffenexporten und ähnlichen „Sondergeschäften" über die notwendigen Verbindungen und Erfahrungen auf dem Flughafen und konnte uns helfen, daß zum Weitertransport spezielle luftgefederte Lkws auf Abruf bereitstehen.
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Das Wichtigste - unser Tag X

Am 13. Dezember lagen uns alle exakten Daten über die Abwicklung des Flugs Argentinien - DDR vor. Das Wichtigste - unser Tag X war der 28. Dezember. Wir schlossen sämtliche Vorbereitungen ab und installierten einen Operativstab. Dieser sollte noch in den Nachtstunden, nachdem die Maschine in den DDR-Luftraum eingeflogen war, alle notwendigen Aktivitäten auslösen und koordinieren.

So die sofortige Anreise der Spezialisten von Zeiss aus Dresden, die Anfahrt des Spezialfahrzeuges von Deutrans, die Information des DDR-Zolls und der Mannschaft für den Sperrbereich des Flughafens.

Gemeinsam mit Siegfried Schürer, meinem verantwortlichen Kontordirektor, und Oskar Lutz, dem Bearbeiter des Importvorgangs, richtete ich mein Büro für die Nacht vom 27. zum 28. Dezember ein. Wir waren nervös und standen unter Erwartungsdruck, der 28. Dezember sollte der Tag unseres größten Erfolgs werden.

Wir bekommen ein anonymes Fernschreiben

Noch ahnten wir nicht im geringsten, daß uns die größte Niederlage bevorstand ... Am 27. Dezember erhielten wir in den Vormittagsstunden überraschend ein anonymes Fernschreiben in gebrochenem Deutsch. Der Text war so rätselhaft wie schockierend:

„an die person die sich um den skanner 10-160 kuemmert. ergestellt von eaton.corp. nach Informationen hier in portugal indiskret sollen sie auf keine faelle die 2 skanner bekommen, pelerin aus frankreich soll sehr ueberwacht sein und ein george starkmann aus genf soll alles maniganisieren. das 1c aus portugal ist einkassiert und im wasser fiier euch. nach unseren info wurden oder werden sie aus genf reingelegt wir haben es auch nicht immer so gern, eine hand waescht die andere. hoffen es nicht zu spaet für sie.
alf

In der Tat, wir verbrachten die folgende Nacht völlig umsonst in meinem Büro. Der Telefondraht zwischen uns und Pellegrin glühte
zwar, aber die Boeing ließ auf sich warten. Angeblich hatte sich die Besatzung geweigert, den Flug von Marokko aus in die DDR fortzusetzen, da der Auftraggeber die vereinbarten Zahlungen an die Crew nicht geleistet hätte. So lautete einerseits die Information aus Marokko. Andererseits das anonyme Fernschreiben - sollte uns der Verfasser etwa die Wahrheit übermittelt haben? Wenn ja, wer war er, und woher bezog er seine Informationen?

Wir saßen in einer Zwickmühle. Nachdem wir nämlich den Ankunftstermin der Implanter in Schönefeld erfahren hatten, hatte ich dies selbstverständlich Schalck umgehend gemeldet. Schalck wiederum informierte sofort Mittag und damit auch Honecker, um die Überlegenheit von KoKo gegenüber den speziellen Beschaffungsorganen des MfS zu demonstrieren.

Die voreilige Erfolgsmeldung mußte nun korrigiert werden. Wie peinlich für Schalck - und uns!
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Die Stasi fing an zu rotieren - und wir wurden ausgetrickst

Unverzüglich nach Erhalt des ominösen Fernschreibens begannen wir zu rotieren.

Ich schaltete umgehend meinen Führungsoffizier ein, damit dieser den ganzen Stasi-Apparat in Gang setzen konnte, um den Vorgang aufzuklären.

Aber Artur Wenzel legte als estes nur fest, gegenüber Schalck und dem ZK Stillschweigen zu wahren.

Das Fernschreiben wurde auch in der Folgezeit totgeschwiegen. Wir erfuhrennichts über irgendwleche Erkenntnisse der Staatssicherheit und erhielten von dort keinerlei brauchbare Unterstützung um aus der verworrenen Situation herauszukommen.

So blieb unser Verdacht müßig, von einem gegnerischen Geheimdienst, wahrscheinlich der CIA, zum Spielball gemacht worden zu sein.

Viel augenscheinlicher war dagegen der Grund für die scheinbare Tatenlosigkeit der Stasi: die Konkurrenzsituation zwischen unserem Handelsbereich 4 und den Speziellen Beschaffungsorganen. Da diese bei der Beschaffung von Hochstromimplantem glücklos blieben, war man auch an unserem Erfolg nicht sonderlich interessiert. Dabei hatte die Aufklärung nach unserem Dafürhalten durchaus Möglichkeiten, die aufgetretenen Kalamitäten in Marokko und später in Portugal zu überprüfen. Aber nichts geschah. Begnügte sich die HVA mit der Nutzung aller vorliegenden Informationen zum eigenen Vorteil? Denkbar ist alles.
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Ein Verwirrspiel - Es war alles nur heiße Luft.

Wie dem auch damals war - wir mußten etwas unternehmen. Um die Anlieferung der Implanter zu sichern, konsultierten wir nochmals KoKo und das MfS. Im Januar 1989 übergaben wir Pellegrin weitere 100.000 DM in bar, damit er die Crew, die sich mit der Fracht angeblich nach wie vor in Marokko befand, bezahlen konnte.

Nach erfolgter Zahlung wurde uns die Sendung erneut an« gekündigt, diesmal über die Route Marokko - Libyen - Jugoslawien - Ungarn - CSSR und Schönefeld. Und wieder warteten wir vergeblich. Anstelle der Implanter gab es die Erklärung, daß die Ware nach Portugal gebracht worden sei. Die Crew habe sich geweigert, den durch den USA-Libyen-Konflikt gefährdeten Luftkorridor zu durchqueren und Schönefeld oder einen anderen DRR-Flughafen anzufliegen.

„George" - einer von Pellegrins Partnern - hätte die Implanter in einem Militärobjekt in der Nähe von Lissabon zwischengelagert. Von dort wolle man sie an uns weiterleiten, wenn sich die Situation wieder beruhigt hat.

Wir saßen wie auf glühenden Kohlen. Und uns wurde noch unbehaglicher, als wir zwischenzeitlich feststellen mußten, daß unser Akkreditiv widerrechtlich in voller Höhe in Anspruch genommen wurde.

Doch damit nicht genug des nervenaufreibenden Spiels: Mehr als einmal wurde uns die Lieferung der Implanter aus Portugal angekündigt. Im Februar sollte der Transport mit South Pacifik Island Airlines über Kuweit erfolgen, im März war anstelle dieser Fluggesellschaft von einer nigerianischen Airline die Rede.

Es war alles nur heiße Luft. Zu allem Übel hatten wir mittlerweile erfahren, daß kanadische NATO-Kontrolloffiziere auf die im portugiesischen Militärobjekt deponierten Waren aufmerksam geworden waren und daß sich „unbekannte Leute" nach dem Inhalt der nun schon Monate lagernden Sendung erkundigt haben sollen.
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Uns wurde eine Falle gestellt - vergebliche Liebesmühe

Wir wurden also immer unruhiger und ungeduldiger und setzten Pellegrin stärker unter Druck. Daraufhin forderten uns seine Partner mehrfach auf, nach Portugal zu kommen, um uns vom Vorhandensein der Ware im Militärobjekt zu überzeugen. Damit waren für uns die letzten Zweifel beseitigt, daß uns ein westlicher Geheimdienste verschaukelte: Man wollte uns nach Portugal locken und dort verhaften.

Natürlich tappten wir nicht in diese Falle. Wir lehnten die Inspektion in Portugal ebenso ab wie Einladungen zu Verhandlungen in der Schweiz und in Österreich. Als Gesprächspartner dort wurde uns neben besagtem „George" ein gewisser „Patrice" offeriert, beides Waffenhändler und Pellegrins direkte Geschäftspartner.

Um uns die Sache schmackhaft zu machen, wollten die beiden nicht nur über das Implantergeschäft, sondern sogar über neue Embargoobjekte reden. Wir heuchelten Interesse, nur um letztlich an unsere heißgeliebten Hochstromimplanter heranzukommen und dann alle Zelte abzubrechen. Es war vergebliche Liebesmühe.

Wir vermochten es nicht einmal, „George" und „Patrice" zu einem Besuch in der DDR zu bewegen. Also mußten in dieser verfahrenen Situation alle Verhandlungen ausschließlich mit Pellegrin in der DDR geführt werden.

Es gab weitere versuche, zu retten, was zu retten ging

Im September 1989 teilte uns Pellegrin mit, daß „George" erfahren habe, der französische Geheimdienst hätte über unsere Transaktion Informationen erhalten. Er selbst vermutete, gleichfalls observiert zu werden. Weiterhin sei damit zu rechnen, daß bei Auslagerung der Ware mit Versandpapieren nach Südafrika oder ein anderes afrikanisches Land eine Beschlagnahme erfolgen würde.

Zudem würden die beiden Implanter bereits in den USA gesucht und die argentinischen Partner bedrängt. Pellegrin schlug deshalb eine bereits früher mit uns diskutierte Losungsvariante vor: Die Implanter von Portugal an die staatliche argentinische Einkaufsgesellschaft zurückzufuhren, damit sie von dort zur Durchführung eines notwendigen technischen Checks infolge der zu langen Lagerung an den Hersteller in die USA zurückgeliefert werden kann. Anschließend sei eine erneute Lieferung an uns über Argentinien möglich.

Das war nun überhaupt nicht nach unserem Geschmack. Wir nahmen Abstand von einer Rücklieferung in die USA oder Argentinien. Da offensichtlich alle mit dem Geschäft verbundenen Transaktionen durch gegnerische Geheimdienste überwacht wurden, hätten wir mit einer solchen Aktion nur den handfesten Beweis dafür geliefert, daß die Ware in ein sozialistisches Land gehen soll. Über diese uns bekannten Praktiken der Dienste ließen wir „Pelle" nicht im unklaren.
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Versuch eines Rettungsplanes - es wurde zu einem Millionengrab

Im Ergebnis unserer Gespräche sah Pellegrin nur eine einzige geringe Chance, um die verkorkste Angelegenheit noch erfolgreich zu losen: Die Ware sollte schnellstmöglich aus dem portugiesischen Militärobjekt herausgeholt und in ein Drittland wie Südafrika verbracht wird, was bei den geltenden Embargobestimmungen für Argentinien nicht rechtswidrig war. Von Südafrika aus könne Pellegrin zu jeder Zeit eine Lieferung in die DDR arrangieren.

Doch dies waren nur schöne Worte. Angeblich sollen die beiden Implanter im Oktober 1989 von Portugal an die argentinische Einkaufsgesellschaft zurückgeschickt worden sein. Die Argentinier hätten auf „höherer Ebene" mit Eaton über weitere Einkäufe verhandelt und in diesem Zusammenhang auch die Zustimmung zur Rücklieferung von Portugal nach Argentinien erhalten.

Obwohl kaum noch etwas zu retten war, klammerten wir uns in der Folge an das letzte Zipfelchen Hoffnung und überlegten hin und her, wie wir Pellegrins Partner dazu bringen können, ihre Lieferverpflichtungen zu erfüllen. Fruchtlos.

Wir erhielten die Ware niemals. Unterm Strich blieb sinnlos ausgegebenes Geld: „Pelles" Partner hatten sich widerrechtlich in den Besitz von 4.960.000 Dollar aus dem Akkreditiv gebracht, hinzu kamen die „Vorauszahlung" von 100.000 Dollar und die 100.000 DM für die Crew der Fluggesellschaft.

Natürlich versuchten wir noch, uns an Pellegrin schadlos zu halten und behielten Zahlungen aus seinen anderen Lieferungen in Höhe von rund 4 Mio. DM ein. Aber insgesamt konnten wir nicht den höchsten Verlust aus einem Embargogeschäft verhindern. Das Objekt Hochstromimplanter wurde zu einem Millionengrab.
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Unsere moralische Schlappe wog schwer

Neben dem finanziellen Schaden wog unsere moralische Schlappe mindestens genauso schwer. Denn verschärfend kam noch hinzu, daß es auch den Stasi-Beschaffern nicht gelang, Hochstromimplanter ins Land zu holen. Zum anderen versandeten unsere eigenen parallelen Aktivitäten über die Israel-Südarrika-Connection im Nichts.

Mit Hilfe von Moshe Nathan alias „Victor" und „Kolja" hatten wir hier zwei Implanter der gleichen Type von Eaton unter Vertrag und eine Anzahlung in Höhe von 2,15 Mio. Dollar leisten müssen. Doch eine Rückzahlung erfolgte ebenfalls nicht. Füllte Moshe Nathan mit dem Geld seinen Privatsafe auf oder Mossads Kriegskasse?

Jedenfalls waren wir erstmalig nicht in der Lage, eine uns gestellte Aufgabe zu lösen. Wir vermochten es nicht, die geplante Massenproduktion des 1-MBit-Schaltkreises materiell-technisch abzusichern. Da ist es auch kein Trost, wenn der rasch folgende Zusammenbruch der DDR und ihrer Mikroelektronik unsere Beschaffungsaufgaben völlig überflüssig machte.

Geheimnisse um Objekt X

Es war der 20. Februar 1989. Ein Telefonanruf beorderte mich sofort zu Schalck-Golodkowski in dessen Büro. Vom Alexanderplatz 6 zur Wallstraße 60 war es nur ein Katzensprung. Bereits fünf Minuten später betrat ich Schalcks Refugium. Wie immer wurde ich von meinem Chef herzlich begrüßt. Höflichkeit und Freundlichkeit gegenüber seinen engsten Mitarbeitern waren Selbstverständlichkeiten, die er auch in schwierigen Situationen niemals ablegte.

Am Beratungstisch seines schlicht eingerichteten Büros saßen bereits Fred Sredski und eine mir unbekannte Person. Fred Sredski war wie Siegfried Stöckert Mitarbeiter der Hauptabteilung III von
KoKo und für Computertechnik und Rationalisierungsimporte verantwortlich.

Fred arbeitete im Rahmen unserer Computerimporte eng mit meinem Kontordirektor Günther Gath zusammen. Die mir unbekannte Person stellte Schalck als Genossen Hahnewald und Offizier der Staatssicherheit vor. Schalck informierte uns kurz und bündig, daß KoKo dem MfS einen Betrag in Höhe von 10,5 Mio. DM für den Kauf von Ausrüstungen zur Verfügung stellt und daß unser Handelsbereich 4 für die Beschaffung verantwortlich gemacht wird. Alle weiteren Einzelheiten seien mit Hahnewald als Beauftragten des MfS zu klären.

Das Objekt erhielt die Tarnbezeichnung „Objekt X"; die Aufgabenstellung wurde in einem Festlegungsprotokoll niedergelegt und von Schalck bestätigt.
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Ganz besondere Geheimhaltung

Wir wurden zur besonderen Geheimhaltung verpflichtet. Von diesem Auftrag durften also keine anderen Mitarbeiter von KoKo eingeweiht werden, sogar Dieter Paul als zuständiger Hauptabteilungsleiter nicht. Auch die Information an Staatssekretär Nendel im Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik war strikt untersagt. Einzige Kontaktperson bei KoKo war Sredski. Über ihn mußte ich dann monatlich an Schalck über den Realisierungsstand des Objekts berichten.

Im Handelsbereich beauftragte ich nach dem Ausnahmeprinzip meinen Stellvertreter Dieter Kupfer und Uschi Lorenz, Importkauffrau im Kontor 44, mit der Abwicklung des Objekts unter meiner persönlichen Anleitung und Kontrolle. Kein weiterer Mitarbeiter des Bereiches kannte das Objekt X, auch nicht Achim Panjas, der Direktor des Kontors 44.

Bei der geheimnisumwitterten Sache ging es im wesentlichen um Ausrüstungen zur Herstellung von Leiterplatten, Software, Fotoplotter, Bildwandler und eine hochpräzise Druckmaschine, die laut Spezifikation für das Drucken von „Dokumenten" geeignet war.

Die exakten Spezifikationen wurden uns von Hahnemann vorgegeben, mit dem wir uns an meinem Tisch regelmäßig über den Fortgang des Unternehmens verständigen. Adressat der Ausrüstungen waren zwei Bereiche der Staatssicherheit: Zum einen der Operativ-Technischen-Sektor (OTS), die technische Überprüfungs- und Untersuchungsstelle, etwa vergleichbar mit einem kriminaltechnischen Institut, in der hochspezialisierte Wissenschaftler und Techniker verschiedener Fachrichtung in modernen Labors für alle operativtechnischen Erfordernisse der Arbeit der Stasi tätig waren.

Zum anderen das Institut für Wissenschaftlichen Gerätebau (IWG), ein der Hauptabteilung III (Funkaufklärung) unterstelltes wissenschaftliches Institut, in dem technische Ausrüstungen für die Hauptabteilung III entwickelt und gebaut wurden und das verdeckt als volkseigener Betrieb arbeitete.

IWG und OTS waren stets mit modernster Technik ausgerüstet, die nun mit Finanzierung durch KoKo und das Objekt X weiter aufgestockt werden sollte.
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Zwar keine Embargoobjekte - aber dennoch sensibel

Die Mehrzahl der Ausrüstungen, die wir besorgen sollten, unterlag gar nicht dem Embargo. Die Schwierigkeit war eine andere: Wenn das Ministerium für Staatssicherheit der DDR offiziell als Endabnehmer aufgetreten wäre, wer hätte dann schon eine Exportlizenz erteilt?

Also mußten wir Objekt X genau wie ein Embargoobjekt durchziehen.
Als Lieferbasis wählten wir die Schweiz aus, wo wir aus mehreren bewährten Partnern den geeigneten auswählen konnten. Die Leiterplattentechnik wurde über die Firma Fela besorgt, die auf diesem Gebiet große Erfahrungen hatte. Der Firmeninhaber Uhlmann war eine Vertrauensperson von Dieter Kupfer und erfüllte seine Verpflichtungen ohne Abstriche.

Die hochpräzise Druckmaschine, geeignet für farbigen Stahlstich, wurde über Intrac Lugano von einer Schweizer Firma gekauft, die Marktführer auf diesem Gebiet ist. In der Schweiz unterlag die Maschine weder dem Embargo noch irgendwelchen anderen Beschränkungen, so daß ohne Schwierigkeiten die Exportlizenz erteilt wurde.

Wozu diese Druckmaschine im MfS gebraucht wurde, wußten wir natürlich nicht exakt. Auf diesem Gebiet waren wir keine Fachleute und konnten auch aus der Spezifikation der Maschine keine Einsatzgebiete ableiten. Wir hatten von Hahnewald nur erfahren, daß sie zur Herstellung von „präzisen Dokumenten" geeignet war.

Und so weit reichte unser Intelligenzquotient allemal, um daraus zu schlußfolgern, daß damit auch Urkunden, Pässe und Ausweise gedruckt werden konnten. Wir fanden es nicht absonderlich, sondern völlig normal, daß ein Geheimdienst in der Lage sein muß, solche Sachen so zu imitieren, daß die Fälschungen nicht erkennbar sind.
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Ein Grund - neue fälschungssichere Ausweise im Westen

Nun mag es alles andere als Zufall sein, daß zum Zeitpunkt unserer Beschaftungsaktion in der Bundesrepublik die sogenannten fälschungssicheren Ausweise eingeführt wurden. Aber ich vermute, daß die Staatssicherheit der DDR nicht der einzige Geheimdienst in der Welt war, der damit vor neue Probleme gestellt wurde.

Nach der Wende wurde natürlich auch das Objekt X ruchbar und löste riesige Spekulationen aus. Sie werden bis zum heutigen Tag angeheizt. So schrieb „Der Spiegel" im Frühjahr 1996:

„Der angeblich fälschungssichere Personalausweis, der 1987 in der Bundesrepublik eingeführt wurde, war vor der Staatssicherheit der DDR nicht sicher. Nach Angaben des letzten Leiters der Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung, Werner Großmann, hat die DDR bis Ende 1989 Westausweise gedruckt. Dutzende ihrer Agenten seien damit problemlos über die deutsch-deutsche Grenze gereist. Produziert wurden die Falschpapiere vom "Operativ-technischen Sektor" des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen auf einer Druckmaschine, die für die Noten-Druckerei der DDR-Staatsbank im Westen eingekauft worden war. Bisher war das Bonner Innenministerium davon ausgegangen, daß die Staatssicherheit die Fälschung nur erfolglos versucht hatte. In einem Schreiben an den SPD-Bundestagsabgeordneten Friedhelm Julius Beucher hatte das Innenressort noch Ende März behauptet, daß die Ergebnisse dieser ,Fälschungsversuche' das MfS selbst "nicht befriedigt" hätten. Die Stasi bestellte 1989 über Firmen des DDR-Devisenbeschaffers und Stasi-Obersten Alexander Schalck-Golodkowski für 820.277 Schweizer Franken sogar noch eine bessere Druckmaschine. Der Auslieferung in die DDR kam die Wende zuvor."
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„Objekts X" - „Gelddruckmaschinen günstig abzugeben"

Und in der BiLD-Zeitung sah ein Dr. Paul C. Martin sogar einen Zusammenhang zwischen der Druckmaschine und der über den Globus schwappenden Falschgeldwelle. Überschrift: „Gelddruckmaschinen günstig abzugeben".

Da wurde nicht nur behauptet, „Die Maschine ist weg", sondern ein BiLD-Informant wußte es ganz genau: „Die steht jetzt irgendwo in einem Oststaat und macht, was sie immer schon machen sollte: Falschgeld." Ein dümmlichere Theorie kann es wohl kaum geben.

Das Objekt X war letztlich auch Gegenstand der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und des Untersuchungsausschusses des Bonner Bundestag zum „Fall Schalck-Golodkowski", ohne daß dadurch der wahre Einsatzzweck der Druckmaschine ergründet werden konnte.

Im Protokoll des Untersuchungsausschusses des Bundestages liest sich das so:
„Joachim Gres (CDU/CSU): Lassen Sie mich noch einen Komplex ansprechen: Objekt X. Ist es richtig, daß Sie sich von Herrn Ronneberger und Herrn Sredski monatlich haben über den Projektfortschritt berichten lassen?
Zeuge Dr. Schalck-Golodkowski: Ja

Joachim Gres (CDU/CSU): Ist in diesen Berichten - weil Sie das gestern ein wenig in Abrede gestellt haben - auch über den Zweck des Objektes X gesprochen worden?

Zeuge Dr.Schalck-Golodkowski: Die verantwortlichen Mitarbeiter Sredski und Ronneberger wußten, daß das im Auftrag des MfS speziell für den Bereich Generalleutnant Schwanitz beschafft wurde.

Joachim Gres (CDU/CSU): Nein, nein. Zweck des Objektes X -Herstellung von Ausweisen und dergleichen. Ich kann mich erinnern, daß Sie gestern sagten, Sie hätten nicht gewußt, welchem Zweck die Maschine letztlich dienen sollte.

Zeuge Dr. Schalck-Golodkowski: Ich glaube, das wußten auch andere nicht. Ich kann mir nur vorstellen, daß natürlich die Mitarbeiter, die damit betraut waren, in den Diskussionen mit den Experten über alles mögliche gesprochen haben. Mir war der Zweck, was auf dieser Maschine alles technisch gemacht werden soll, nicht bekannt. Was man damit konnte, ist schon wieder ein ganz anderes Thema."

An dieser Stelle muß ich Alexander Schalck ergänzen: Als ehemaligem OibE der Stasi im Range eines Oberst dürfte ihm wohl klar sein, daß die von ihm genannten Experten des MfS niemals mit uns offen über die wirklichen Anwendung der Druckmaschine gesprochen hatten. Das wäre sonst einem Geheimnisverrat gleichgekommen, und sie hätten sich gleich die Dienstpistole an die Schläfe setzten können oder zumindest die Schulterstücke von der Paradeuniform herunterreißen müssen.

So werden die Geheimnisse des fragwürdigen „Objekts X" wohl auch in Zukunft im grauen Nebeldunst der Geheimdienste verbleiben und vielleicht weitere Stories in den Medien heraufbeschwören.
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