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Gerhardt Ronnebergers Autobiographie - Deckname "SAALE" - aus 1999 - ein Generaldirektor erzählt .....

Gerhardt Ronneberger, geboren im März 1934 in Saalfeld († 2013 ?) schreibt 1999 in seiner Autobiographie (1982–1999) auf etwa 370 Seiten, wie es wirklich zuging beim MfS, der Stasi und den Betrieben in der "Deutschen Republik". Da er nie in einem richtigen Ossi-Gefängnis eingesperrt war, fehlt diese Erfahrung völlig, dafür aber die Zustände in einem West-Gefängnis und wie es dazu kam und vor allem, was danach bis zur Wende im Dez 1989 kam. Der Einstieg beginnt hier und mein Resume über das Buch endet hier.

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Kampfgenossen auf Wahrheitssuche

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Der Selbstmord von MfS-Oberst Artur Wenzel

Nachdem Artur Wenzel von der Volkspolizei festgesetzt worden war, kümmerte sich die Militärstaatsanwaltschaft um ihn. Ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet, man beschuldigte Wenzel des Diebstahls am sozialistischen Eigentum. Die Untersuchung übernahm Militärstaatsanwalt Kadgien.

Kadgien war ein erfahrener Anklagevertreter in DDR-Prozessen, die im Auftrag des MfS geführt wurden. In diesen Prozessen war er ein willfähriges Werkzeug des MfS, der mit Konsequenz und Härte die vorher vom MfS festgelegte Prozeßstrategien durchsetzte.
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Militärstaatsanwalt Kadgien - Die Wahrheit spielt keine Rolle

Die Wahrheit spielt keine Rolle, vor Gericht gilt nur das Gesetz. Ein Mann, der rechtliche Bedenken nicht kannte und der stets die Höchststrafe forderte. Er mußte sich deshalb 1989 vor dem Berliner Landgericht verantworten, wurde für schuldig befunden und verurteilt

Warum wurden unter seiner Verantwortung die Ermittlungen im Fall Wenzel so schlampig und oberflächlich geführt? Hatte er den Befehl des Amtes für Nationale Sicherheit, die Wahrheit zu vertuschen und Wenzel als Bauernopfer zu servieren?

Wollte das AfS in der für dieses Ministerium so schwierigen Zeit von der eigenen Verantwortung ablenken und die eigenen Hände in Unschuld waschen, wie dies für alle Geheimdienste üblich ist?
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MfS-Oberst Artur Wenzel - Vernehmung am 5. Dez.1989

In seiner ersten Vernehmung am 5. Dezember, 10.00 Uhr, wies Wenzel den erhobenen Schuldvorwurf zurück und gab folgende Erklärung ab:

  • „Es ist nicht zutreffend, daß ich einen Diebstahl sozialistischen Eigentums begangen habe. Ich habe im Auftrage zur Sicherung gegen einen Zugriff Unbefugter eine größere Bargeldsumme, die sich im Aktenkoffer befand, übernommen. Diese Bargeldsumme, es handelt sich dabei um Währung der BRD und der DDR, sollte noch am gleichen Abend, dem 4.12.1989, in die Diensträume des Amtes für Nationale Sicherheit verbracht werden.
  • Auf dem Wege zu dem auf mich wartenden Kraftfahrer, wurde ich durch Zivilpersonen festgehalten und unter Mitwirkung von Angehörigen der Volkspolizei in die VP-Inspektion Mitte gebracht. Dort verblieb ich bis zum Eintreffen des Militärstaatsanwaltes. Es ist für mich unverständlich, die lange Zeitdauer meines Aufenthaltes dort und die Tatsache, daß sich von meiner Dienststelle bisher keiner um mich bemühte.
  • Ich möchte erklären, daß diese Maßnahme zur Sicherstellung des Geldes Bestandteil dienstlicher Weise ist und nachweisbar im Zusammenhang mit der Realisierung von Embargo-Importen zu sehen ist...
  • Da es sich bei der Auftragserfüllung um Zusammenhänge mit dem Bereich Kommerzielle Koordinierung handelt, stehen hinter dieser Bargeldsumme in jedem Falle Personen, die ich aus Sicherheitsgründen nicht näher benennen kann. Ich bin deshalb z. Zt. nicht bereit zu diesen Quellen Aussagen bis ins Detail zu machen und möchte mich zuerst mit einem Rechtsanwalt konsultieren. Ich stelle deshalb den Antrag, daß ich mich an Rechtsanwalt Prof. Dr. W. Vogel zwecks Übernahme meiner Verteidigung wenden kann. Ich bitte darum, daß die Verbindung zu Prof. Vogel in möglichst kürzester Frist zustande kommt ...
  • Desweiteren stelle ich den Antrag, meinen direkten Vorgesetzten, Oberst Puhlow, zeugenschaftlich zu dem von mir zu erfüllenden Auftrag zu vernehmen, insbesondere darüber, daß ich mich bei ihm zur Erfüllung des Auftrages abgemeldet habe und von ihm Hinweise erhielt, äußerst vorsichtig zu handeln. Auch der für mich eingesetzte Kraftfahrer erhielt von mir Kenntnis, daß ich dienstliche Unterlagen zu übernehmen habe. Er kann Aussagen darüber treffen, wie ich mich zum Ort der Übergabe des Aktenkoffers begeben habe. Ich bin deshalb erst bereit, weitere Aussagen zu tätigen, wenn ich mit Prof. Vogel gesprochen habe und die von mir beantragten Zeugenvernehmungen durchgeführt wurden. Bis dahin lehne ich jede weitere Aussage ab ..."

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(Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll der Militärstaatsanwaltschaft)
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Wie in einem schlechten TV-Krimi - die Einzelheiten

Artur Wenzel hielt sich bis dahin korrekt an die Befehle und Dienstanweisungen des MfS. Demnach durften die Agenten und Mitarbeiter im Falle einer Verhaftung nur Angaben zur Person machen und mußten alle weiteren Angaben verweigern. Wenzel oblag einer absoluten Schweigepflicht über seine dienstliche Tätigkeit, von der er erst entbunden werden mußte, bevor er aussagen durfte.

Das war natürlich auch für die Militärstaatsanwaltschaft kein Geheimnis. Dennoch wurde Wenzel gegen 13.30 Uhr des gleichen Tages dem Leiter des Militärgerichts, Richter Major Neumann, vorgeführt, der Haftbefehl erließ.

Nun beantragte Wenzel, daß neben seinem Vorgesetzten, Oberst Puhlow, auch Wolfram Zahn als Zeuge vernommen wird. Aber man ließ den MfS-Oberst schmoren und wies ihn in die Untersuchungshaftanstalt II in der Keibelstraße ein, nur ein paar Schritte von seinem bisherigen Arbeitsplatz entfernt-

Dort, in der Station V, wurde Einzelunterbringung in der Zelle 107 festgelegt. Alle Gegenstände, die Artur Wenzel bei seiner Einlieferung bei sich trug, wurden ihm abgenommen, nur sein Ledergürtel nicht. Ein Zufall? Die diensthabende Wachmannschaft wurde sogar angewiesen, eine „ununterbrochen 30minütige Sicht- und Horchkontrolle" durchzuführen.

Alles lief wie in einem schlechten TV-Krimi ab, nur daß es kein
Happy-End gab. Denn am nächsten Morgen, gegen 5.10 Uhr, stellt der kontrollierende Wärter fest, daß sich der Untersuchungshäftling
mit seinem Ledergürtel am Zellenfenster erhängt hatte. Sofortige
Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos.
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Was wurde da vertuscht oder unterdrückt ?

Militärstaatsanwaltschaft und Kriminalpolizei untersuchten den Selbstmord. Die Obduktion durch das Institut für gerichtliche Medizin der Charite der Humboldt-Universität ließen keinen Zweifel an der Todesursache aufkommen. Hinweise auf eine Gewalteinwirkung von fremder Hand konnten nicht festgestellt werden, so daß ein Suizid durch Erhängen angenommen werden konnte.

Seltsamerweise verzichteten die Ermittler jedoch ausdrücklich auf eine chemisch-toxikologische Untersuchung. Es wurde auch nicht ermittelt, warum "nicht", wie üblich, der Ledergürtel abgenommen wurde. Warum? Wollte jemand die Sache so schnell wie möglich ad acta legen?
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Es gab bei Artur Wenzel doch bislang unbekannte Geheimnisse

Einige Tage später liefen weitere Untersuchungen der Militärstaatsanwaltschaft an. Zeugen wurden vernommen, und die Arbeitsräume von Wenzels Diensteinheit im Haus der Elektroindustrie wurden durchsucht. Verwertbares wurde nicht gefunden.

Das einzig Interessante war wohl eine telefonische Information, die Wolfram Zahn, der stellvertretende Generaldirektor des KME, am 6. Dezember der Militärstaatsanwaltschaft gab:

  1. Wenzel hätte ihm in der Nacht vom 29. zum 30. November Panzerschränke, Tonbandgeräte, Computertechnik und viele Kisten in sein Dienstzimmer gestellt
  2. Nach Zahns Rückfrage habe Wenzel versprochen, die Sachen am Wochenende vom 2. zum 3. Dezember wieder herauszuräumen. Doch das war bislang nicht geschehen.

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Warum wurde jetzt weiter verzögert ?

Zunächst wurde das Arbeitszimmer von Zahn versiegelt, und am 12. Dezember 1989 erfolgte die Beschlagnahme der deponierten Gegenstände. Es handelte sich nicht nur um moderne Elektrotechnik und Elektronik, sondern auch um hochwertige Konsumguter wie Farb-TV und Stereoanlagen aus dem Westen. Neben Jagdmunition fand man in einem der Panzerschränke weitere 200.000 DM.

Trotz der eigentlich gebotenen Eile bei der Aufklärung und der Brisanz der Geschichte wurde Major Willy Koch, leitender Mitarbeiter bei Wenzel, erst am 19. Dezember von Militärstaatsanwalt Müller vernommen.

Er sagte u. a. aus:

  • „Die in unserer Dienststelle benötigten finanziellen Mittel, auch in ausländischer Währung, wurden uns von unserem Ministerium zur Verfügung gestellt. Das benötigte Geld wurde ordnungsgemäß beantragt, verwaltet und mehrfach überprüft. Zwischen den Mitteln, die uns auf die genannte Art und Weise zur Verfügung gestellt wurden und den Geldbeträgen, die Genosse Wenzel in seiner Aktentasche hatte, besteht kein Zusammenhang... "

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Ein Geheimdienst heißt nicht umsonst "Geheimdienst"

Weiter in der Aussage von Major Willy Koch:

  • "Es ist mir nicht möglich, zu der Straftat, die dem Genossen Wenzel vorgeworfen wird, konkrete Angaben zu machen. Es ist aber in jedem Geheimdienst so, daß der Nachgeordnete nicht immer unbedingt weiß, welche Aufgaben der Vorgesetzte durchführt.
  • Wenn jetzt der Genosse Wenzel diese große Geldsumme bei sich führte, so könnte ich mir einige Zusammenhänge denken, aber ich weiß nicht ob dies dann auch wirklich der Wahrheit entspricht.
  • Auf Grund der jahrelangen Zusammenarbeit mit dem Genossen Wenzel bin ich der festen Überzeugung, daß es sich bei ihm um einen ehrlichen Genossen handelte. Wenn jetzt das Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen des Verdachts eines Eigentumsdeliktes eingeleitet wurde, so entbehrt das jeder Grundlage.
  • Genosse Wenzel war immer ehrlich und zuverlässig. Ich bin der Überzeugung, daß die bei ihm festgestellten Geldbeträge nicht aus unserer Dienststelle im HdE stammten. Ich könnte mir vorstellen, daß dieses Geld irgendeinem Ausländer oder mehreren Ausländern gehören könnte, was Genosse Wenzel in der gegebenen Situation für sie retten wollte...
  • Obwohl es in unserer Dienststelle keinen Genossen gibt, der nach meiner Kenntnis den Genossen Wenzel beauftragt hat, Geld von irgendwo irgendwo hinzubringen, sehe ich die Handlung des Genossen Wenzel trotzdem nicht als kriminell an ...
  • Genosse Wenzel handelte in bestimmten Streßsituationen in der Vergangenheit schon oft unbeherrscht und hektisch. Er war in solchen Situationen oft sehr unbesonnen. Eine solche Situation hat für ihn offenbar wieder im Zusammenhang mit seiner Inhaftierung gestanden, so daß er sich deshalb gleich das Leben nahm. Wenn seine Arbeitsweise auch immer sehr risikovoll war, so war es doch nie etwas Kriminelles und er hätte sich nicht das Üben nehmen brauchen ...
  • Etwa Anfang Oktober 1989 wurden wir beauftragt, alle Vorbereitungen zur Räumung bzw. Aufgabe der Dienststelle zu treffen. Aus diesem Grunde haben wir angefangen unsere Akten zu bündeln. Am 4. Dezember 1989 wurden wir darüber informiert, daß die Bevölkerung in Erfurt die Dienststelle des MfS gestürmt hat.
  • Um Geheimnisse nicht der Öffentlichkeit preis zu geben, habe ich schlußfolgernd daraus festgelegt, daß sofort, da wir ähnliches zu befürchten hatten, weil unsere Dienststelle aufgeklärt war, alle Unterlagen über Quellen zu vernichten. Es war notwendig, um die Einzelpersonen nicht in Gefahr zu bringen.
  • Da dann jedoch zentral der Befehl gegeben wurde, daß keine Akten mehr vernichtet werden dürfen, wurde die Vernichtung eingestellt. In den beschlagnahmten Unterlagen gibt es daher noch weiterhin Angaben über Quellen, die nach meiner Auffassung weiter streng geheimgehalten werden müssen."

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Diese Aussagen machten im nachhinein nicht nur mich stutzig

Was MfS-Major Koch im Dezember 1989 so vertrauensselig ausplauderte, machte im nachhinein nicht nur mich stutzig. Ich kannte ihn persönlich und weiß, daß er Quellen zum Teil selbst für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit gewonnen und geführt hatte.

Wenn Koch so von der Notwendigkeit der Geheimhaltung der Dokumente überzeugt war, warum verkaufte dann gerade er diese Unterlagen einige Monate spater an den BND ?
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Nochm mehr Merkwürdigkeiten - das Sparbuch Anne Streicher

Doch damit nicht genug der Merkwürdigkeiten. Wie ich erst viel später erfuhr, hatte man schon am 12. Dezember die bei Wenzel beschlagnahmten „Beweisstücke" aus der Aktentasche genauer unter die Lupe genommen. Darunter befand sich ein Sparbuch mit einem Guthaben von mehr als 10.000 Mark der DDR, ausgestellt auf den Namen Anne Streicher.

Anne Streicher - 1. Stellvertreterin von Ronneberger

Anne Streicher war meine 1. Stellvertreterin. Bei ihrer Vernehmung am 22. Dezember durch die Militärstaatsanwaltschaft leugnete sie anfangs, Wenzel überhaupt zu kennen. Sie schlitterte in die Falle, weil sie keine Ahnung davon hatte, daß man bei Wenzel nicht nur das Sparbuch, sondern auch ein Foto von ihr fand, das einst in Bulgarien aufgenommen wurde.

Nachdem sie damit konfrontiert und zur Wahrheit ermahnt wurde, sprudelte es aus ihr heraus:

  • „Der Beschuldigte Artur Wenzel ist mir etwa seit 1 1/2 Jahren auf Grund meiner dienstlichen Tätigkeit bekannt. Er war auch derjenige, der mich während meines Urlaubes in Bulgarien fotografiert hat. Am Dienstag, dem 21. November 1989, war ich zu Hause, da ich Haushaltstag hatte. Noch vormittags wurde ich durch den Beschuldigten angerufen, daß er zu mir kommen will.
  • Er kam dann auch zu mir nach Hause und hatte 10.000 Mark (Ost) Bargeld bei sich. Er erklärte mir, daß es Hinweise gäbe, daß ein kurzfristiger Geldumtausch erfolgt. Um bei einer solchen Gelegenheit nicht zu viel Bargeld umtauschen zu müssen, bat er mich, ein Sparbuch auf meinen Namen anzulegen und die 10.000 Mark einzuzahlen.
  • Nachdem ich das Sparbuch angelegt hatte, habe ich das Sparbuch im verschlossenen Briefumschlag, zusammen mit einer Zeitung, im U-Bahnschacht 1 auf dem Alexanderplatz einem Mitarbeiter von Artur Wenzel übergeben. Es handelt sich um einen Mann mit dem Vornamen Uwe, der meist dabei war wenn ich mit Artur Wenzel zusammentraf.
  • Über die Frage, wem das Geld gehören sollte, haben wir nicht gesprochen. Ich bin immer nur davon ausgegangen, daß das Geld der Dienststelle gehört und ich nur der Dienststelle einen Gefallen tue. Auf die Idee, daß mir das Geld gehören sollte, bin ich nie gekommen, denn ich habe noch nie Geld von dem beschuldigten Wenzel erhalten.
  • Ich muß noch hinzufügen, daß ich zur Sparkasse gegangen bin und den Verlust des Sparbuches gemeldet habe, nachdem ich vom Tod des Artur Wenzel erfahren hatte. Ich wußte nämlich nun nicht, wo dieses Sparbuch abgeblieben ist"

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Nutzte der hohe MfS-Offizier Wenzel seine Macht und Position aus ?

Man höre und staune: Ende November 1989, als der hohe MfS-Offizier Wenzel uns noch zur Pflichterfüllung vergatterte und Vertrauen und Ehrlichkeit einforderte, traf er also persönliche Vorsorge für die kommende Zeit.

Und das offensichtlich unter Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses und mit betrügerischen Methoden. Warum vertraute Wenzel in so hohem Maße gerade Anne Streicher? Kannten sie sich tatsächlich erst seit anderthalb Jahren? Und warum veranlaßte er persönlich ihren Einsatz als meinen 1. Stellvertreter? Und wieviele „Vorsorgehandlungen" traf Wenzel noch?
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Irgendetwas war fürchterlich faul - es dauerte und dauerte

Sowohl für die Beantwortung dieser und anderer Fragen als auch für die Aufklärung der wirklichen Zusammenhänge nahm man sich Zeit, sehr viel Zeit.

So wurden erst Anfang Januar 1990 Wenzels Wohnung und Wochenendgrundstück durchsucht. Immerhin wurde da Erstaunliches zu Tage befördert, was sich im Protokoll der Militärstaatsanwaltschaft folgendermaßen liest:

  • „... kaum etwas, was aus der Produktion der DDR stammt. Angefangen bei der hochmodernen Infrarot-Alarmanlage über die Sauna, dem Rasenmäher, den Luftdruckwaffen, dem Werkzeug, der Angel usw. stammt alles aus dem NSW-Bereich und mußte mal mit NSW-Mitteln bezahlt worden sein. Genau so befanden sich in der Wohnung auf der Fischerinsel von der Art und Menge Gegenstände, die in keinem Durchschnittshaushalt zu finden sind und auch nur mit Valutamittel erworben werden können. So hortete er u. a. über 50 Anzug- und Kostümstoffe, 29 noch in Folie verschweißte Oberemden, 20 teure Damen- Herrenarmbanduhren, mehrere Typen von Batterieladegeräten, Stereo-Musiksystem Panasonic, Stereokassettenrecorder Sony, Stereoanlage Toshiba usw."

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Und dann kam (für mich) viel zu viel - einfach alles - raus

Nicht genug damit. Bei der Durchsicht der beschlagnahmten Unterlagen stellte man weiter fest, daß Wenzel auch in andere dubiose Transaktionen verwickelt war. So übergab er zur Dauernutzung an seine eigenen Mitarbeiter mehrfach hochwertige technische Geräte aus dem Westen - natürlich unentgeltlich und unter der großzügigen Legende von „Testzwecken".

Weiter kaufte sich Wenzel 1980 unter dem Decknamen „Werner", auf den sogar auch ein Personalausweis ausgestellt war, einen neuen Pkw, um ihn bereits einige Tage später an seinen Bruder weiterzuveräußern.

Artur Wenzels Einfallsreichtum kannte offenbar keinen Grenzen, wenn es um profane persönliche Vorteile ging. Da schreckte er auch nicht davor zurück, den Namen eines ihm Vertrauten zu mißbrauchen, um sich für ein Butterbrot eine Erbschaft zu erschleichen.

Zumindest fand man in Wenzels Aktentasche die Empfangsbestätigung einer Frau R. über einen Geldbetrag in Höhe von 16.000 Mark der DDR, den sie angeblich von Wolfram Zahn für eine zukünftige Erbschaft erhalten habe.

Frau R. versicherte jedoch gegenüber der Militärstaatsanwaltschaft, daß sie diesen Betrag niemals von Zahn erhielt. Vielmehr hätte sie das Geld bereits 1977 von Artur Wenzel bekommen, damit sie dessen Sohn im Testament dahingehend berücksichtigt, daß dieser das Nutzungsrecht und die Baulichkeiten eines Wochenendgrundstückes in Berlin-Köpenick erbt. Wenzel hatte sie überredet, die Empfangsbestätigung auf den ihr unbekannten Namen zu unterschreiben, da niemand wissen soll, daß diese 16.000 Mark von ihm stammen.
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Was sind 16.000 DDR-Mark gehen die KoKO- D-Mark-Millionen

Gewiß, im Lichte heutiger Verhältnisse betrachtet, erscheinen die meisten von Wenzels „Missetaten" als Peanuts: Was sind 16.000 DM gegen 16 Mio., was ist die Erbschleicherei um ein Grundstück gegen die von Banken und Regierenden subventionierten Deals eines Immobilienhais, was sind ein paar Dutzend Oberhemden und Uhren gegen die Spesen von Aufsichtsratsmitgliedern oder die Diäten von Abgeordneten? Aber die Gesellschaft in der DDR hatte damals ihre eigenen Wertmaßstäbe, und in diesem Falle waren es ausnahmsweise nicht die des Kapitalismus.
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Alle begriffen - der Staat war ein Selbstbedienungsladen

Um so verheerender mußte sich die plötzliche Erkenntnis der Bürger auswirken, daß „ihre" Obrigkeit den Staat als Selbstbedienungsladen begriff. Zu den Partei- und Staatsfunktionären, die öffentlich Wasser predigten und heimlich Wein tranken, gehörte wohl auch ein Großteil der Generäle und Obristen der Staatssicherheit.
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Ich konnte das alles erstmal gar nicht glauben ...

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  • Als ich damals dies alles erfuhr, glaubte ich jedenfalls meinen Augen und Ohren nicht zu trauen - ein einziger Sumpf.
  • Der beißende Mief verschlug einem den Atem. Welche von Wenzels Machenschaften wurden nicht aufgedeckt, wen hatte er noch mißbraucht?
  • Was war das für ein Mann - den Begriff „Genosse" verbietet die Ehre -, der von seinen und unseren Mitarbeitern und von seinen IM jederzeit Ehrlichkeit und Offenheit forderte?
  • Was war das für ein Vertrauensverhältnis, da doch jeder, der ein Werbegeschenk oder eine andere Zuwendung eines Geschäftspartners nicht meldete, von ihm sofort der Korruption und Bestechlichkeit bezichtigt wurde?

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Wenzels Vorgesetzter, Oberst Siegfried Puhlow blieb stumm

Die Fragen konnte - oder wollte? - auch nicht Wenzels Vorgesetzter, Oberst Siegfried Puhlow, beantworten. Der MfS-Offizier, dem Wenzel seit dem 1. Oktober 1989 unterstand, wurde interessanterweise erst am 15. Januar 1990 als Zeuge vernommen.

Noch unverständlicher ist, daß Puhlow in der zweieinhalbstündigen Vernehmung nicht konkret dazu befragt wurde, welchen Auftrag er Wenzel Anfang Dezember 1989 erteilt hatte.
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Was wurde bei der Stasi-Nachfolgetruppe vertuscht ?

Mußte die Stasi-Nachfolgetruppe vielleicht etwas verbergen, nachdem eine geplante operative Aktion fehlgeschlagen war und man sich deshalb mit ihr nicht mehr identifizieren wollte?

Eventuell eine gewagte Spekulation. Doch daß man einen Mitarbeiter opfert, um die ganze Organisation zu retten, ist bei allen Geheimdiensten der Welt üblich.

Puhlow jedenfalls spielte in der Vernehmung den Unwissenden:

  • „In bezug auf das beschlagnahmte Geld im Zusammenhang mit dem Koffer sehe ich nur zwei denkbare Versionen. Die erste Version, die ich mir denken könnte, sieht so aus, daß W. das Geld für ausländische Handelspartner aufbewahrte, die auf Grund von Embargogeschäften mit der DDR in ihrem Heimatland strafrechtlich verfolgt wurden.
  • Als dann an dem Abend Anfang Dezember die Dienststelle des W. durch Zivilpersonen besetzt werden sollte, konnte W. versucht haben, dieses Geld sicherzustellen.
  • Eine zweite Version könnte darin bestehen, daß es sich um Wiedergutmachungszahlungen von NSW-Bürgern (West-Bürgern) handelte, die mit Gesetzen der DDR in Konflikt gekommen waren und veranlaßt wurden, einen Beitrag zur Wiedergutmachung ihrer Schuld zu leisten. Derartige Fälle gab es in der Vergangenheit.
  • Sie sahen konkret so aus, daß Ausländer Außenhändler der DDR korrumpiert hatten und bei Aufdeckung dann eine gewisse Geldsumme an das MfS zahlten. Sie taten das deshalb, weil sie an weiteren Geschäftsbeziehungen mit der DDR interessiert waren. Nach meinen Kenntnissen wurden auf diese Art und Weise in den letzten zwei Jahren ca. 6,5 Mio. DM durch den ehemaligen Bereich der Hauptabteilung XVIII eingenommen und an die Abteilung Finanzen des MfS abgeführt.
  • Ein erheblicher Teil dieser Gesamtsumme wurde konkret durch die Abteilung 8 (Wenzel) abgeführt. In bezug auf die konkrete Geldsumme, die mit dem Koffer im Zusammenhang steht, bin ich aber nicht der Meinung, daß die zweite Version vorliegt. Wenzel war nicht ein solcher Mann, der seinen Erfolg verheimlicht hätte. Mir ist aus der letzten Zeit kein konkreter Fall bekannt, wonach W. auf diese Art Geld eingenommen haben könnte, die sich auf diese Summe bezieht.
  • Zunächst muß ich dazu sagen, daß ich fassungslos bin, wie W. vom Umfang und vom Sortiment derartige Dinge zu Hause haben kann. Wenn ich zurückdenke, welch einen Aufwand es kostete, um mal dienstlich 50 oder 100 DM einzusetzen und andererseits bei Wenzel derartige Werte zu Hause lagern, dann habe ich keine Worte dafür.
  • Eines kann ich aber mit Sicherheit erklären, daß W. zu keinem Zeitpunkt Valutamittel zur persönlichen Verwendung aus dem MfS erhalten hat.
  • Er war auch nicht befugt, in den ehemaligen Sonderläden, die jetzt abgeschafft wurden, einzukaufen. Eine solche Einkaufsmöglichkeit hatte man im MfS nur runter zum Stellvertreter des Hauptabteilungsleiter...
  • Er war ehrgeizig, erfolgreich und risikobereit. Ich hätte W. für nicht fähig gehalten, Unehrlichkeiten zu begehen. Da es für mich keine Erklärung für die Herkunft der NSW-Produkte in seiner Wohnung gibt und das vorgefundene Sortiment jeder Vernunft widerspricht, muß ich davon ausgehen, daß er diese Mittel und Gegenstände unrechtmäßig erworben hat.
  • Ich komme immer mehr zu dem Eindruck, daß ihm irgend etwas Krankhaftes anlastete. Allein die wenigen Beispiele der Vielzahl von Anzugstoffen, Oberhemden, Herren- und Damenarmbanduhren usw. lassen mir Zweifel aufkommen."

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Wenzels enge „Kampfgenossen" distanzierten sich

Oberst Siegfried Puhlow war freilich nicht der einzige, der seinen einstigen engen „Kampfgenossen" nun äußerst distanziert betrachtete. Auch Willy Koch, einer der engsten Vertrauten aus Wenzels Abteilung, wollte bei der Wahrheitsfindung nicht mehr zurückstehen.

Überraschend überrreichte er am 20. Februar 1990 eine handschriftliche persönliche Erklärung an die Militärstaatsanwaltschaft der DDR, mit der ausdrücklichen Bitte um vertrauliche Behandlung, versteht sich:

  • „Ich wähle diesen Weg und diesen Zeitpunkt, weil ich nach Übergabe der beschlagnahmten Unterlagen und mir erst seit diesem Zeitpunkt erkennbaren strafbaren Handlungen meines ehemaligen Chefs sowie möglicher Hinweise, die damit im Zusammenhang stehen, zu der Auffassung gelangt bin, daß mein ehemaliger Chef ein krimineller war...
  • A. W. wurde offensichtlich bereits Mitte Nov. 1989 damit konfrontiert, daß er durch die damalige Abt. IX 5 befragt werden sollte. Diese Befragung bezog sich auf seine Jagd bzw. irgendwelche Maiskäufe aus der Staatsreserve. Diese Befragung, auf die er sich ausfuhrlich schriftlich vorbereitete, umfangreiche schriftliche Unterlagen, die seine "Unschuld" beweisen sollten, mitnahm, fand am Nachmittag des 4. 12. 89 statt.
  • Im Laufe des Vormittags des 4. 12. 1989, an dem A. W. außerordentlich nervös war, Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, forderte mich A. W. auf, den mir bekannten Herrn Dr. Roland Winckler, z. Zt. Handelsrat in Frankreich, zu informieren, nicht wieder in die DDR zurückzukehren, da ihm Inhaftierung drohe.
  • Ich habe dies selbstverständlich nicht getan und am morgen des 5. 12.1989 meinen Vorgesetzten, Herrn Siegfried Puhlow, davon in Kenntnis gesetzt, dieser forderte mich auf, Stillschweigen zu bewahren. Ich habe allerdings den ehemaligen amt. Leiter der Abt. IX Herrn Eschberger davon in Kenntnis gesetzt.
  • Während dieser Information an Herrn Puhlow teilten die anwesenden Herrn Ungermann und Niljus mit, daß Herr Ungermann 250.000 DM von A.W. erhalten habe, mit der Maßgabe, diese Summe „auf einen Vorgang abzurechnen" und daß eine Quelle von Herrn Nilius von A.W. 175.000 DM erhalten habe, diese für A.W. zu deponieren und zu einem späteren Zeitpunkt ihm auszuhändigen habe. Beide Beträge wurden lt. Aussage von Herrn Puhlow an die Abt. Finanzen abgeführt.

  • Zu möglichen Quellen, die den "Fond"* füllten, gibt es meiner Auffassung nach mehrere:

    a) Provisionen, die Wolfram Zahn, der m.E. "sauber"* ist, an A.W. abführte (jährlich 150-200 TDM)
    b) (abgeschlossene) Vorgänge, die mit der Hilfe von Roland Winckler realisiert wurden und bei denen Wiedergutmachungen gegen ausländische Bürger durchgesetzt werden, nach Aussage von Herrn Puhlow insgesamt 12 Mio. DM. Diese Geldbeträge wurden in bar und unter vier Augen von R.W. an A.W. übergeben,
    c) weitere Quellen von A.W., darunter mit Sicherheit Herr Jochheim und Herr Gerhardt Ronneberger.

  • Von der Existenz des "Fonds"* und deren teilweiser privater Nutzung wußten mit Sicherheit Herr Alfred Kleine, der ehemalige Leiter der Abteilung XVIII und Herr Erich Lehmann, der ehemalige direkte Vorgesetzte von A.W. bis 1980.
  • Beide Personen nenne ich auch aus dem Grunde, weil mir bekannt wurde, daß z. B. Alfred Kleine wöchentlich Westzigaretten und Medikamente erhielt (von A.W.) und Erich Lehmann bis zu seiner Berentung im Herbst, ebenso wie Alfred Kleine, wöchentlich Westzeitschriften, wie Quick, Stern, Hörzu erhielt, die nicht aus Operativgeldern finanziert wurden. Aus den übergebenen Unterlagen ist auch ersichtlich, daß für Kleine Autozubehörteile aus dem Westen gekauft wurden."

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Kochs „vertrauliche Information" waren eher Petzerei

Koch, der gelernte Observant und Informant, nannte in seiner Offenbarung noch weitere Namen und Anschriften von Personen, die zu Wenzels mutmaßlichen Straftaten noch Aussagen machen könnten. Ansonsten erinnerte seine „vertrauliche Information" eher an die Petzerei, konkrete nachweisbare Fakten - Fehlanzeige.

So konnte die Militärstaatsanwaltschaft nur noch vermuten, daß Wenzel mit weiteren 375.000 DM manipuliert hatte, deren Herkunft und Bestimmung unklar blieb.
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Die Aufklärung in der Strafsache Dr. Artur Wenzel - keine

Die Aufklärung des Falls war mehr als kümmerlich. Das Ermittlungsverfahren in der Strafsache Dr. Artur Wenzel wurde mit dem Schlußbericht der Militärstaatsanwaltschaft bereits am 1. März 1990 eingestellt:68

„Trotz mehrfach festgestellter Indizien war ein klarer Beweis für die Begehung verbrecherischen Diebstahls auf Grund der Kompliziertheit des Arbeitsgegenstandes, der Einmaligkeit der Funktion des W. und der konspirativen Arbeitsweise sowie seines inzwischen eingetretenen Todes, nicht zu erbringen."

Die Wahrheit über den „Mann mit den Koffern" und über deren Inhalt wird wohl für immer ein Geheimnis der Nachrichtendienste bleiben, denen der genannte Schlußbericht sicherlich nicht ungelegen kam.

Geben vielleicht die von Koch dem BND überreichten Unterlagen und Disketten mehr Aufschluß als seine „Persönliche Erklärung" gegenüber der Militärstaatsanwaltschaft der DDR ?
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