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Gerhardt Ronnebergers Autobiographie - Deckname "SAALE" - aus 1999 - ein Generaldirektor erzählt .....

Gerhardt Ronneberger, geboren im März 1934 in Saalfeld († 2013 ?) schreibt 1999 in seiner Autobiographie (1982–1999) auf etwa 370 Seiten, wie es wirklich zuging beim MfS, der Stasi und den Betrieben in der "Deutschen Republik". Da er nie in einem richtigen Ossi-Gefängnis eingesperrt war, fehlt diese Erfahrung völlig, dafür aber die Zustände in einem West-Gefängnis und wie es dazu kam und vor allem, was danach bis zur Wende im Dez 1989 kam. Der Einstieg beginnt hier und mein Resume über das Buch endet hier.

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Geld stinkt nicht - auch nicht bei westdeutschen Firmen

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Leybold - ein zuverlässiger Partner

Seit langer Zeit arbeitete die DDR mit einem äußerst zuverlässigen und potenten Partner aus der Bundesrepublik zusammen: mit der Leybold AG. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Hanau und ist seit September 1987 eine hundertprozentige Tochter der Degussa AG. Hervorgegangen ist sie aus der Leybold Heraeus GmbH, die 1967 durch Fusion der L. Leybolds Nachfolger GmbH mit der Heraeus Hochvakuum GmbH entstand.

Leybold produziert und handelt mit vakuum- und gasdichten Pumpen und Bauelementen, Meß- und Analysegeräten für Gase, Flüssigkeiten und Festkörper, Geräten und Anlagen für Vakuum und Schutzgasverfahren, Geräten und Anlagen für die Energietechnik, Tieftemperaturtechnik und medizinisch-biologische Technik.

Die Firma verfügt über mehrere Unternehmensbereiche, Niederlassungen und technische Büros in allen Teilen der Bundesrepublik. Die Leybold AG hält zahlreiche Beteiligungen an anderen Finnen in Deutschland und weltweit 100prozentige Beteiligungen an gleichgelagerten Firmen. Ein weites Feld also, das sich uns anbot.
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Wenn uns das Wasser im Mund zusammenlief

Besonders schmackhaft war für uns die Zusammenarbeit mit dem Unternehmensbereich UC Beschichtungstechnik, Elektronik/Optik in Alzenau, der von Dr. Günther Samm geleitet wurde. Hier produzierte man unter anderem Kristallzieh-, Kathodenzerstäubungs- und Plasmaätzanlagen auf höchstem technischen Standard.

Produkte, bei denen uns das Wasser im Mund zusammenlief, denn wir benötigten sie dringend für die Halbleitertechnologie in den Kombinaten Mikroelektronik und Carl Zeiss Jena. Die Anlagen von Leybold konnten wunderbar in der Forschung und Entwicklung, beispielsweise für den 1-MBit-Chip, sowie in der Produktion von hochintegrierten Schaltkreisen und Mikroprozessoren, so des 256 K DRAM, eingesetzt werden.

Weitere Begehrlichkeiten

Leybolds Produktpalette weckte auch im VEB Spurenmetalle Freiberg des Kombinats Mikroelektronik (KME) Begehrlichkeiten. Dort wurden - sowohl aus eigener Produktion als auch aus Embargoimporten - aus dem Rohmaterial Reinstsilizium die für die Mikrochip-Produktion erforderlichen Siliziumscheiben, auch Wafer genannt, produziert.

Voraussetzung dafür waren moderne Anlagen, auf denen Kristalle mit Durchmessern von 4 bis 6 Zoll gezogen werden konnten, die wiederum erst eine hohe Ausbeute in der Schaltkreisproduktion mit 6-Zoll-Wafern ermöglichten.

Die in Freiberg hergestellten Wafer wurden dann bei Zeiss in Dresden und im KME in Erfurt zu sogenannten strukturierten Wafern weiterverarbeitet. In diesem technologischen Prozeß wurden einerseits für die Beschichtung Kathodenzerstäubungsanlagen und andererseits für das Ätzen Plasmaätzanlagen benötigt.

Die Kathodenzerstäubungsanlagen waren mit Magnetronkathoden ausgerüstet, die eine saubere Bearbeitungsfläche und damit hohe Ausbeute sichern. Die Plasmaätzer ermöglichen ein Ätzen im Trockenverfehren mit höchster Ätzrate und saubereren und feineren Strukturen, die für hochintegrierte Schaltkreise unabdingbar sind.
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Solche Maschinen gab es im gesamten Ostblock nicht

Eine Eigenproduktion dieser hochmodernen und unverzichtbaren Ausrüstungen stand in den Sternen, wir konnten sie weder aus der Sowjetunion noch aus anderen sozialistischen Ländern beziehen. Wohl aber aus dem Westen.

Aber dort unterlagen sie leider dem Embargo. Um diese Anlagen dennoch von westlichen Herstellern zu besorgen, mußten wir uns also wieder in dunkle Kanäle begeben.

Beispielsweise zur französischen Firma Alcatel, von der wir Plasmaätzer kauften. Diese entsprachen aber bald nicht mehr dem erforderlichen Technologieniveau. Ebenso wurden die Drei-Zoll-Kristallziehanlagen kaum noch dem internationalen Standard gerecht und waren wirtschaftlich wenig sinnvoll.

Anders die Leybold-Anlagen - sie konnten je nach Heizeinrichtung bis zu 8 Zoll ziehen. Wollte die DDR dem Weltniveau nicht wieder von vornherein hinterherhinken, mußte der technologische Prozeß des Schmelzens und Ziehens der Kristalle, die später zu Wafern weiterverarbeitet werden, mit den Anlagen von Leybold vorgenommen werden. Die Westdeutschen wurden rasch unser einziger Lieferant, von dem wir mehrfach abhängig waren.
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Umgehen des Embargos - mit tiefem Griff in die Trickkiste

Geschäftskontakte zwischen Leybold und der DDR bestanden seit langem. Die Zusammenarbeit begann vor Jahrzehnten, initiiert vom Anlagenimport, der seine Lieferquelle später mit in unseren Handelsbereich 4 einbrachte. Siegfried Schürer, Direktor des Kontors 45 und IM des MfS unter den Decknamen "Burmeister", hatte bereits als Mitarbeiter des Anlagenimports diese Bezugslinie aufgebaut und betreut.

Seine Beziehungen zu Leybold sorgten auch für enge Kontakte zum Leiter des Unternehmensbereiches UC Beschichtungstechnik, Elektronik/Optik, Dr. Günther Samm, seinem Leiter des Technischen Vertriebs, Dr. Sommerkamp, und dem Leiter der Zweigniederlassung Berlin, Dr. Heinz Grahmann.

Sogar zum Vorstandsvorsitzenden der Leybold AG, Dr. Alfred Hauff, besaß Schürer einen heißen Draht. Der Vorstandsvorsitzende deckte die Embargogeschäfte, und nur so war für Dr. Samm deren Abwicklung möglich. Alfred Hauff hatte mehrfach die DDR besucht und Spitzengespräche, so mit Generaldirektor Biermann im Jenaer Zeiss-Kombinat, geführt.

Experten der DDR weilten im Unternehmensbereich von Leybold, deren Techniker führten in der DDR Montage- und Kundendienstleistungen aus. Ein einträgliches Geben und Nehmen für beide Seiten.

Allein im Zeitraum 1984 bis 1989 lieferte die Leybold AG insgesamt
- 14 Kristallziehanlagen im Gesamtwert von rund 26 Mio. DM,
- 15 Kathodenzerstäubungsanlagen im Gesamtwert von rund 35 Mio. DM,
- 19 Plasmaätzanlagen im Gesamtwert von rund 33 Mio. DM. Natürlich waren alle diese „Geräte zur Be- und Verarbeitung von
Halbleitermaterialien sowie Geräte für die Herstellung von elektronischen Einrichtungen, Baugruppen und Materialien einzelgenehmigungspflichtig, sie unterlagen dem Embargo und hätten keine Exportgenehmigung bekommen.

Doch wir hätten unseren Beruf verfehlt, wenn wir das nicht umgehen konnten. Beim tiefen Griff in die Trickkiste waren sowohl wir als auch unsere westdeutschen Partner ziemlich hemmungslos.

So wurden die Kathodenzerstäubungsanlagen von Leybold im Rahmen des „innerdeutschen Handels" (IDH) mittels eines eigentlich nicht zulässigen Warenbegleitscheins AG Nr. 2 (L) angeliefert. Bei den Kristallziehanlagen wurden nicht nur die Vorteile des „innerdeutschen Handels" ausgekostet, sondern Einzelwarenbegleitscheine ausgestellt, die allerdings nur aufgrund einer frisierten Spezifikation erteilt wurden. War dieser Weg nicht gangbar, wickelten wir die Transaktion über die Firma Premaberg in Wien ab.
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Getürkt und frisiert was das Zeug hält - von beiden Seiten

Das Frisieren einer Spezifikation war für Leybold relativ einfach: Da das Embargo nur Anlagen betraf, die Kristalle mit Durchmesser größer als 3 Zoll ziehen konnten, wurden die Apparaturen einfach mit 3 Zoll statt 4 Zoll oder größer deklariert. Welcher Zöllner konnte oder wollte das schon nachmessen?

Tatsächlich wurden dann aber die modernen Kristallziehanlagen bis 6 bzw. 8 Zoll geliefert. Mitunter half sich Leybold auch mit profanen Falschdeklarationen. Beispielsweise im Dezember 1987, als Plasmaätzanlagen von Leybold als modulare Zweikammer-HF-Diodensputteranlagen bzw. Dreikammer-HF-Diodensputteranlagen per LKW an das Mikroelektronik Forschungszentrum Dresden des Kombinates VEB Carl Zeiss Jena geliefert wurden.

Vor dem Antransport waren Teile der Reaktoren ausgetauscht worden. In der DDR erfolgte durch Leybold wieder ein Umbau in die von uns bestellten Ätzanlagen. Die für den Versand ausgewählten Teile wurden postwendend von uns an Leybold zurückgeschickt.

Bei einer 1989 gelieferten Kristallziehanlage wurde der obere Teil des Ziehkessels aus Sicherheitsgründen so ausgelegt, daß er tatsächlich nur für Kristalle bis 3 Zoll geeignet war.

Vorstandsmitglied Gliem, sonst nicht gerade ein Freund des Osthandels, gab höchstpersönlich die Auslieferung frei. In der DDR wurde die Anlage dann kurzerhand umgebaut, d. h. wir ergänzten sie nachträglich mit einer sogenannten Mccz-Einrichtung, eine Gemeinschaftsentwicklung von Leybold und Wacker-Chemie.

Die Anlage war das Spitzenmodell von Leybold, sie erlaubte mit dieser Nachchargierung das kontinuierliche Ziehen von Kristallen mit großen Durchmessern, nämlich bis 200 Millimetern Durchmesser bei einer maximalen Ziehlänge von zwei Metern.
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Geheimhaltung war oberstes Gebot

Nicht selten wandten wir den Kunstgriff an, die Lieferungen dadurch zu tarnen, indem ein anderer Empfänger als der tatsächliche angegeben wurde. Damit war es für Außenstehende kaum möglich, den beabsichtigten Einsatz der Ausrüstungen in der Schaltkreisproduktion zu erkennen. So wurde in einem Vertrag als Endabnehmer der VEB Elektronik Gera, einem Betrieb des Kombinates Elektronische Bauelemente Teltow, der nur passive Bauelemente und keine Schaltkreise produzierte, genannt, die Ware aber im Direkttransport per LKW an das Werk Erfurt-Südost des Kombinats Mikroelektronik geliefert.

Waren die Ausrüstungen im jeweiligen Betrieb angekommen, wurden sie von ausgewählten und zur Geheimhaltung verpflichteten Mitarbeitern neutralisiert. Dazu war ein strenges Arbeitsregime einzuhalten, wie es in einem Schreiben des Handelsbereichs 4 an den Direktor des Forschungszentrums Mikroelektronik Dresden im November 1987 vorgegeben war:

  • „... unmittelbar nach Eintreffen der Anlagen sind noch erforderliche Neutralisierungsarbeiten auszuführen.
  • - Absicherung des Aufstellungsortes dahingehend, daß unbefugte bzw. nichtberechtigte Personen keine Informationen zu dieser Anlagentechnik erhalten.
  • - Es ist ein solches Arbeitsregime zu organisieren, das sichert, daß in keiner Weise der Hersteller der Anlagen erkennbar wird. Hierzu gehört auch, daß ab sofort solche Formulierungen wie "LH-Zinken", Angaben auf Unterlagen und Zeichnungen, die auf den Hersteller schließen lassen, usw. nicht mehr existent sind.
  • - Ausgehend davon, daß die zum Einsatz kommenden Mitarbeiter des ZMD zum bestätigten Personenkreis gehören, ist vor Beginn der Aufstellungs- und Montagearbeiten eine aktenkundige Belehrung durchzufuhren.
  • - Wir bitten, allen Mitarbeitern zu untersagen, telefonische, fernschriftliche oder briefliche Kontakte zum Lieferanten aufzunehmen.


Wir haben für den Zeitraum Montage/Inbetriebnahme-Arbeiten mit unserem Vertragspartner vereinbart, daß der verantwortliche Bauleiter, Herr Wolff, für Rückfragen zu seiner Firma eine Möglichkeit zum Telefonieren im ZMD erhält. Herr Wolff ist von seiner Geschäftsleitung belehrt, d. h. er weiß die Grundregeln des Verhaltens beim Telefonieren und weiß auch, mit wem er Kontakt aufnehmen darf.

Es ist abzusichern, daß keine betriebsfremde sowie unberechtigte Person diese TSA besichtigen kann.
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Wir bitten Ihre verantwortlichen Mitarbeiter, darauf einzuwirken, daß die grundsätzlichen Sicherungsmaßnahmen auch von den Mitarbeitern der Lieferfirma eingehalten werden. Die Mitarbeiter sind von ihrer Geschäftsleitung diesbezüglich belehrt worden, aber sind vielleicht nicht so diszipliniert erzogen worden, wie wir das von unseren Mitarbeitern voraussetzen müssen."
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Kleine Probleme mit grpßen Auswirkungen

Daß scheinbare Randprobleme große Auswirkungen haben können, spürten wir gleichfalls bei den von Leybold gelieferten Kristallziehanlagen.

Damit sie richtig funktionierten, benötigten wir verschiedene Verbrauchsmaterialien, vor allem Graphitteile und Quarztiegel. Diese Teile waren anlagenbezogen und zeichnungsgebunden, wurden aber von Leybold nicht selbst hergestellt. Da Leybold an ihrer Lieferung nicht besonders interessiert war, mußten sie von uns woanders gekauft werden. Allerdings unterlagen sie gleichfalls dem Embargo.

Wir mußten also wieder einmal einen anderen Beschaffungsweg finden. Die Lösung bot sich in Person von Heinz Grahmann an, des Chefs der Berliner Niederlassung von Leybold, der zu diesem Zweck 1986 eine eigene Firma gegründet hatte, ohne daß Leybold davon wußte.

Die in Berlin-West ansässige Grati Handelsgesellschaft für verfahrenstechnisches Zubehör mbH befaßte sich laut Eintragung in das Handelsregister mit dem „Handel und Vertrieb von Komponenten für verfahrenstechnische Anlagen, bestehend aus Graphitteilen und Quarztiegeln sowie ähnlichen und artverwandten Materialien".

Gesellschafter des Unternehmens waren Dr. Heinz Grahmann, sein Vater sowie Ehefrau Ute, die gleichzeitig als Geschäftsführerin agierte. Grahmann witterte die Chance, zu seinem guten Einkommen bei Leybold, wo er neben seinem Festgehalt für alle Geschäfte, einschließlich der umfangreichen Embargolieferungen, noch Provisionen erhielt, zusätzlich schnelles Geld zu machen und empfahl sich als möglicher Lieferant.

Grahmann sah keine Schwierigkeiten für die Geschäfte von Grati, sollte sich aber schnell eines besseren belehren lassen. Sein erster Versuch nach zeichnungsgebundenen Graphitteilen beim Hersteller führte postwendend zu einer Rückfrage bei Leybold. Natürlich war man dort beunruhigt, daß eine bislang unbekannte Firma auf der Grundlage von Leybold-Zeichnungen nach Teilen anfragte.

Schnell kam man auf uns als die Verursacher der geplanten Transaktion. Doch wir logen, daß sich die Balken bogen und konnten glaubhaft versichern, daß diese Aktivitäten nicht von uns ausgelöst wurden. Daraufhin wurden für die zeichnungsgebundenen Graphitteile der von Leybold gefertigten Anlagen im VEB Spurenmetalle Freiberg neue Zeichnungen angefertigt, die keinen Rückschluß mehr auf Leybold ermöglichten. Dennoch kam Heinz Grahmann in der Folge nicht umhin, seinen Chef in Hanau, Alfred Hauff, über die wahren Zusammenhänge der Firma Grati aufzuklären.

Alles lief gut bis 1987

Grati lieferte entweder direkt an uns oder über die Firma Premaberg in Österreich. Alle Sendungen erfolgten zu unserer Zufriedenheit. Und außerdem waren sie ökonomisch günstiger, als wenn wir sie direkt von Leybold bezogen hätten. Leybold arbeitete bei Zukaufteilen mit einer Kalkulationsspanne von 30 Prozent, Grati aber nur mit 15 Prozent.

Trotzdem war es ein mehr als lukratives Geschäft für Dr. Grahmann. Denn zwischen 1987 und 1990 wurden Lieferungen im Gesamtwert von über 11 Mio. DM abgewickelt, was bei seiner Kalkulation mindestens 1,5 Mio. DM Erlös vor Steuer bedeutete.

Ende 1987 deuteten sich erste Probleme bei den Embargogeschäften mit Leybold an. Die Hanauer befürchteten - wohl nicht ohne Grund -, daß die bisherige Falschdeklarierung der Plasmaätzanlagen als Sputteranlagen irgendwann einmal auffliegen könnte, weil Bauform und Ausführung nur wenig mit einer richtigen Sputteranlage zu tun haben.

Über einen Ausweg berieten Anfang Dezember 1987 Günther Samm und Stegfried Schürer. Als günstigste Variante tüftelten sie die Lieferung über ein Drittland aus, wobei Schürer Taiwan vorschlug. Dort hatte mein Stellvertreter Dietrich Kupfer die Bezugslinie „Shih" aufgebaut
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Die Tricks der Zerlegung und der Liefrwege

Wir geplant, so vollzogen: Die Verhandlungen mit Leybold zum Kauf der Plasmaätzanlagen führte unser Vertrauensmann Jack Shih, Präsident der Firma C & E Associates Inc. Taipai/Taiwan. Bei seinen Besuchen bei Leybold agierte er als Beauftragter der Firma Advanced Microcircuit Product Inc. Taipai/Taiwan sowie eines nichtgenannten Endabnehmers.

Shih wünschte eine Lieferung ohne Pumpstände, was von Leybold akzeptiert wurde, und im Mai 1988 erfolgte die schriftliche Bestellung. Das Vorgehen von Shih war vorher von Schürer mit Leybold abgestimmt, der Kontakt von Shih zu Leybold wurde gleichfalls von Schürer vermittelt. Für die Seriosität von Shih übernahmen wir gegenüber Leybold die Bürgschaft, schließlich kannten wir ihn aus vorangegangenen Geschäften als zuverlässigen Partner.

Insgesamt wurden 1988/89 über Shih acht Plasmaätzanlagen geliefert, wobei die zugehörigen Pumpstände auf direktem Weg von Leybold mit Warenbegleitschein an uns zur Auslieferung gelangten.

Der Gesamtwert der Lieferungen betrug fast 17 Mio. DM. Die ganze Transaktion war ein Paradebeispiel ausgeklügelter Logistik. Die verschlungenen Pfade der Anlieferung beschrieb Siegfried Schürer in einem Verhandlungsbericht vom 2. Dezember 1988 folgendermaßen:

„Die Ätzer werden zur Zeit über die Firma C und E in Taiwan abgewickelt, das heißt, es werden die Ätzer auseinandergenommen, es wird der unmittelbare Ätzteil als Ätzmodul über Taiwan abgewickelt. Die Pumpstände und die Schaltschränke, die etwa drei Viertel des Gewichtsvolumens ausmachen, werden anders deklariert, in einem anderen Geschäftsbereich bei Leybold abgewickelt und als Pumpstände der unterschiedlichen Einsatzrichtung deklariert. Über diesen Weg wurden bisher drei Anlagen realisiert, vier weitere befinden sich auf dem Transport.

Der Ablauf erfolgt kurz geschildert so: Die Ätzmodule werden offiziell nach Taiwan geliefert, dort eingeführt, verzollt und von der Firma C und E wieder exportiert. Beim Verlassen der Liefergrenze Taiwan werden die einzelnen Kolli von der Firma TTS, die wir eingeschaltet hatten, übernommen und der Transport zum Endabnehmer in Dresden abgewickelt. Die Abwicklung erfolgt von Herrn Urban (TTS) durch ins Vertrauen gezogene Spediteure über Kopenhagen per Luftfracht und von Kopenhagen per Lkw-Transport in die DDR.

Die bereits erwähnte Lieferung von den ersten drei Anlagen wurde von Deutrans auf dem Weg Kopenhagen - Dresden speditiert." In Dresden wurden dann die Anlagen von Leybold montiert und in Betrieb genommen, die auch den Service garantierten.
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Es hätte alles so schön weiterlaufen können, doch ...

Die Geschäfte zwischen Leybold und der DDR hätten jahrelang so reibungslos funktionieren können. Doch leider wurde das vertrauliche Miteinander 1988 ernsthaft gefährdet. Die Degussa, seit gut einem Jahr Alleinaktionär von Leybold, hatte nämlich Wind von den Unternehmungen ihrer Tochter Leybold bekommen.

Kurz und bündig wurde Leybold von der Mutter angewiesen, keinerlei Geschäfte mehr zu tätigen, die im Widerspruch zu gesetzlichen Regelungen der Bundesrepublik stehen. Um dem Nachdruck zu verleihen, mußten die Vorstandsmitglieder schriftlich erklären, diese Weisung bedingungslos durchzusetzen. Zu den harten Bandagen, die nun geschnürt wurden, gehörte auch, daß allen nachgeordneten Leitungsebenen für den Fall eines Verstoßes fristlose Entlassung und Entzug des Pensionsanspruches angedroht wurde.
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Was war der Grund für diese knallharte Entscheidung?

Wie Siegfried Schürer in einem Verhandlungsbericht vom Februar 1989 notierte, wurden die Auflagen der Degussa nach Meinung seines bundesdeutschen Partners Dr. Günther Samm von folgendem beeinflußt:

„Die grundsätzlichen Ansichten zu Geschäften mit den sozialistischen Ländern und auch anderen unterscheiden sich zwischen der Degussa und Leybold erheblich. Die Degussa geht vom Verstand eines seriösen Edelmetallhändlers aus, und die Steigerung der Geschäftsumsätze von Leybold resultieren auch aus dem Handel mit dem sozialistischen Wirtschaftsgebiet (High-Tech-Produkte).

Hauptanlaß für die gegenwärtige Situation - so Dr. Samm - sind die Probleme mit dem Bau der Chemieanlage in Libyen, bei der eine Reihe von Firmen der BRD Schwierigkeiten bekommen hat und noch bekommen wird.

Er bezeichnete diese Situation als irre und verrückt, da das ganze Gerede eine Breitenwirksamkeit haben wird, die auch die Bereiche der Hochtechnologie für die Halbleiterindustrie treffen wird. Darauf haben bestimmte Kreise schon lange gewartet und nutzen die Situation für ihre Interessen aus.

Die Degussa (Mehrheitseigner ist der Henkel-Konzern) kann sich dieses negative politische Image nicht leisten.

Wie im Fall Chemieanlagen Libyen für jedermann sichtbar wird, stehen hinter diesen Dingen die Amerikaner. Dies ist für Dr. Samm keinesfalls neu, aber offensichtlich begreifen es leitende Mitarbeiter der Degussa und anderer großer Firmen der BRD jetzt erst. Die Reaktion dieser Herren ist Angst und daraus resultieren Gehorsam in Blickrichtung Amerikaner.

Dr. Samm ging mit der Bemerkung, das kann die Degussa noch mal 100 Mio. kosten, auf die Größenordnung der von den Maßnahmen betroffenen Projekte der Firma Leybold. Hiernach betrifft es - so seine Äußerung - nur bedingt seinen Unternehmensbereich, viel härter würde es den Unternehmensbereich industrielle Vakuummetallurgie und Gesamtanlagen, der von Herrn Bothe geleitet wird, treffen (Pulvermetallurgie, Vakuumgießöfen für die Herstellung von Turbinenschaufeln, Sintermetallurgie usw.)."
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Der Leybold Chef Alfred Hauff tritt nach 27 Jahren zurück

Die obersten Chefs der Degussa beließen es freilich nicht bei rhetorischen Drohgebärden, sondern tüftelten 1989 eine Wachablösung an der Spitze von Leybold aus.

Vor diesem Hintergrund schrieb Alfred Hauff in der Betriebszeitung Blickpunkte für die Belegschaft:

  • „Nun werden Sie sich fragen, warum ich zu diesem Zeitpunkt vom Vorstandsvorsitz in den Aufsichtsrat wechsele. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen: Ich habe 27 Jahre dem Unternehmen angehört und seine Entwicklung in hohem Maße geprägt. Ich werde in diesem Jahr sechzig Jahre alt, und es gehört zur Erkenntnis eines reifen Lebens, daß man nicht alle Dinge, die man sich vorgenommen hat, immer zu Ende führen kann. Es ist also nur eine Frage des richtigen Zeitpunktes, den Stab in die Hände des Nachfolgers zu legen.
  • Die Entscheidung der Degussa, des hundertprozentigen Anteilseigners, zwei erfahrene Herren ihres Unternehmens in den Vorstand zu bringen, war bedeutsam und spricht für den Anteilseigner. Damit zeigt er, daß er gewillt ist, das Äußerste einzubringen für eine positive Zukunft von Leybold. Die Berufeerfahrung der Herren Gliem und Reuter beruht auf ihrer langjährigen, erfolgreichen Tätigkeit innerhalb des Degussa-Konzerns. Meine innere Unabhängigkeit und Selbständigkeit resultiert aus der langjährigen Führung des Unternehmens Leybold.
  • Nachdem mit dem Eintritt von Herrn Gliem gleichzeitig meine Nachfolge angesprochen worden war, hielt ich den Zeitpunkt für geeignet, im Interesse des Unternehmens Klarheit zu schaffen. Das Unternehmen braucht in dieser nicht einfachen Situation schon heute die Führung, die auch morgen noch in der Verantwortung steht. Ich habe deshalb im Interesse des Unternehmens und seiner sicheren Führung den Weg gewählt, vom Vorstand in den Aufsichtsrat zu wechseln.
  • Kontinuität ist das Gebot der Stunde. Ich werde zum 30. September dieses Jahres als Vorsitzender des Vorstands im Unternehmen tätig sein und werde auch anschließend mit meiner Erfahrung dem Unternehmen als Aufsichtsrat und im Technischen Ausschuß zu Verfügung stehen."

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Ungeschminkt bedeutet das : Ablösung und Aufarbeitung

Wohlgewählte Worte. Sie sagten allerdings nichts über den wahren Grund des Ausscheidens des ehemaligen Leybold-Cheft - nämlich ungeschminkt: Ablösung.

Vorstandsmitglied Gliem übernahm im September von Samm den Vorsitz des Vorstandes. Bereits anderthalb Monate vorher, also zu einem Zeitpunkt, da Hauff noch Vorstandsvorsitzender war, beauftragten Gliem und Reuter leitende Mitarbeiter von Leybold, inzwischen geperrte Ostauftrage auf ihren Embargocharakter zu abzuklopfen.

In einer internen Hausmitteilung vom 13. Juli 1989 verkündeten sie völlig unsentimental:
„Wie mit Ihnen besprochen, haben wir Sie beauftragt, die in beiliegender Liste aufgeführten Ostaufträge dahingehend zu überprüfen, inwieweit sie mit den Bestimmungen nach dem Außenwirtschaftsgesetz einschließlich der entsprechenden Verordnungen im Einklang stehen.
Sie handeln als Beratungsteam für den Vorstand und die jeweils betroffenen Unternehmensbereichsleiter. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf den Vorstandsbeschluß vom 10.10.1988 bezüglich Außenwirtschaftsrecht sowie auf das Vorstandsschreiben vom 14.3.1989 in gleicher Angelegenheit. Falls in Einzelfällen erforderlich, können Sie Herrn RA Roth zur Beratung hinzuziehen.

Ihre Prüfungsaufgabe umfaßt folgende Punkte:
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  • 1. Überprüfung der Auftragsbestätigungen und der dazugehörigen technischen Spezifikationen. Sämtliche in diesem Zusammenhang bereits erarbeiteten Stellungnahmen sind Ihnen in vollem Umfang zugänglich. Das umfaßt auch Gespräche mit allen Personen, die brauchbare Informationen zur Verfugung stellen können.
  • 2. Feststellung, inwieweit zusätzliche Absprachen (z. B. side letters) getroffen sind durch Befragen der zuständigen Mitarbeiter von LH.
  • 3. Durchführung einer eingeschränkten Nämlichkeitsprüfung unter Hinzuziehung von internen Fachleuten.
  • 4. Die Reihenfolge der Überprüfung soll in erster Priorität nach Dringlichkeit und in zweiter Priorität nach Einfachheit der jeweiligen Aufträge festgelegt werden. Sie berichten für jeden Auftrag in schriftlicher Form unmittelbar an die Unterzeichner.

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Der Umsatz von Degussa in den USA lag bei 4,5 Milliarden DM

Heinz Grahmann, Chef der Leybold-Zweigniederlassung in Berlin, beschrieb die neue Situation in einer Verhandlung mit Siegfried Schürer wie folgt:

  • „In der Vergangenheit hat Dr. Hauff die von den Untemehmensbereichen konzipierten Liefermodelle mitgetragen und hat offensichtlich auch aufgrund seiner persönlichen Verbindungen zu Regierungsstellen in Bonn für die erforderliche Sicherheit der Firma Leybold Sorge getragen. Dies wird in der gegenwärtigen Phase durch seinen Nachfolger Herrn Gliem bzw. die Degussa nicht mehr getragen."


Nach Auffassung von Grahmann erklärte sich das Verhalten der Degussa vor allem aus den umfangreichen Umsätzen in den USA. Die wolle man auf keinen Fall gefährden, und schon gar nicht durch Embargolieferungen, die in erster Linie gegen die Interessen der USA verstoßen würden. Der jährliche Umsatz von Degussa in den USA lag bei rund 4,5 Milliarden DM, die Lieferungen in die sozialistischen Länder betrugen dagegen nur etwa 400 Mio. DM, und auf letztere könne man verzichten, wenn es notwendig sei.
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Ein "Tip" von Bonner Regierungsstellen

Wie Siegfried Schürer notierte, machte Grahmann noch auf einen weiteren Sachverhalt aufmerksam:

„Bezüglich der Lieferung von Pulvermetallurgieanlagen in die sozialistischen Länder hat die Degussa von Bonner Regierungsstellen (oder auch anderen, was mir nicht bekannt ist) eine dringende Empfehlung bekommen, eine eigene Prüfung bei der Tochter Leybold durchzuführen und im Ergebnis dessen eine sogenannte Selbstanzeige zu machen.

Die Degussa hat daraufhin ein Untersuchungsteam, bestehend aus Degussa-Angestellten, keiner von Leybold, zusammengestellt, die in allen Unternehmensbereichen der Firma Leybold alle Vorgänge zu prüfen haben, ob und in welcher Form und mit welchen Auswirkungen Lieferungen getätigt wurden, die gegen die Ausfuhrgesetze der BRD verstoßen.

Zu diesem Team gehören Techniker und Juristen (Anm.: zwei Techniker namens Bächler und Mohr, ein Rechtsanwalt namens Roth), die - so Dr. Grahmannn - absolut nicht hinters Licht zu führen sind. Es gibt weiter eine Aufstellung von Aufträgen, die nur mit Genehmigung des Herrn Gliem zur Auslieferung kommen können. Dr. Grahmann kennt diese Aufstellung nicht, und er wird sie auch nicht offiziell erhalten. Er ist sich ziemlich sicher, daß unsere in den nächsten Wochen zu Auslieferung anstehenden Anlagen dazu gehören."
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Das war natürlich für uns ein herber Schlag ins Kontor

Die Zusammenarbeit mit Leybold wurde damit außerordentlich kompliziert, konnte aber trotzdem bis zum Zusammenbruch der DDR fortgesetzt weiden konnte.

Ähnlich wie mit der DDR wickelte Leybold auch mit der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern dubiose Geschälte ab. Auch gegenüber Ländern in der Dritten Welt war man bei einschlägigen Transaktionen wenig zimperlich. Dabei hielt man sich stets an das uralte bewährte Geschäftsprinzip:
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pecunia non olet - Geld stinkt nicht

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Mit Embargowaren ließ sich nicht nur der übliche Profit, sondern stets ein Surplusprofit erzielen.
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Aber es kam dazu auch noch knüppeldick aus Pakistan

Die Geschäfte florierten bestens - zumindest so lange, bis etwas ruchbar wurde. Für die Leybold-Manager war das der Zeitpunkt, als ihre illegalen Verbindungen zum Irak und zu Pakistan ins Zwielicht der internationalen Öffentlichkeit gerieten.

Schon 1988 schrieb Egmont R. Koch:
„Der deutsche Industriekonzern Leybold Heraeus sei maßgeblich am Bau einer zweiten pakistanischen "Butterfabrik" beteiligt. Seine Chefmanager Heilingbrunner, Leren und Durnez hätten illegale Geschäfte für Khans Bombenprojekt getätigt."

Als "Butterfabrik" werden mitunter die Urananreicherungsanlagen zur Herstellung von Atombomben genannt.

Diese Erkenntnisse führten zu Aufregung und Krach im Bonner Bundestag. Eine Anfrage der Grünen beantwortet der damalige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Dr. Erich Riedel:

„Die Bundesregierung geht seit 1983 Hinweisen über angebliche illegale Ausfuhr von Komponenten für Atomanlagen durch deutsche Firmen nach Pakistan nach. Dabei ist festgestellt worden, daß deutsche Unternehmen zwischen 1981 und 1983 in Einzelfällen Geräte, die für die Urananreicherungstechnik von Bedeutung sind, ohne Genehmigung in Staaten des westlichen Auslands exportiert haben.

Anhaltspunkte für eine Weiterleitung nach Pakistan ergaben sich nicht. Seit 1986 wird gegen eine Firma ermittelt wegen des Verdachts der ungenehmigten Lieferung von Konstruktionszeichnungen für den Bau von Urananreicherungsanlagen über die Schweiz nach Pakistan."
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Was die Westdeutschen vom MfS gelernt haben ...

Die Entrüstung der Bundesregierung über die neuesten Atombombentests in Indien und Pakistan können nach diesen Fakten nur als heuchlerisch gewertet werden.

„Nach den Ermittlungen der SOKO Nuklear stehen 16 Manager und Mitarbeiter von Firmen wie der Frankfurter Degussa AG, der Hanauer Leybold AG und der Dieburger Reutlingen GmbH i.L. im Verdacht, gegen die Außenwirtschaftsbestimmungen verstoßen zu haben, weil sie am Raketen- und GUZ-Programm des Iraks beteiligt gewesen seien.

Insgesamt geht es um Lieferungen im Wert von über 21 Mio. Mark.

30 Egmont R. Koch: Grenzenlose Geschäfte, München 1988, S. 223 ff.
31 Gasultrazentrifugentechnik dienen der Hochanreicherung von Uran als Grundstoff für die Atombombe.

Genau so diskret wie geplant konnte die SOKO Nuklear offenbar nicht arbeiten. Bereits vier Wochen vor der Durchsuchung der Firma wußten dem Abschlußbericht zufolge Leybold-Manager, daß ein Ermittlungsverfahren vorbereitet wird.

Der Tipgeber könnte Mitarbeiter eines Bonner Ministeriums sein. „Belastende Unterlagen", so die Fahnder, seien nach Zeugenaussagen vermutlich „vernichtet oder beiseite geschafft worden".
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und es wurde weiter gelogen

Die im Bericht genannten Firmen bestreiten die Vernichtung von Unterlagen und jede Verwicklung in illegale Irak-Geschäfte. Doch ein Großteil der Beweisstücke stammt aus irakischen Aktenschränken und Tresoren, die von Inspekteuren gefilzt wurden.

Mittels Telefax Nr. 255 aus Wien wurde am 11. Dezember 1991 das Auswärtige Amt in Bonn über den Inspektionsbericht der IAEO (Internationale Atomenergie Organisation) informiert, in dem Lieferungen von Leybold und anderer westdeutscher Firmen im Rahmen des irakischen Nuklearprorammes angeprangert wurden, die bei UN-Inspektionen im Irak ermittelt wurden.

Die Lieferungen selbst sind auch von Leybold unumstritten, auch daß es sich zum Teil um direkte Lieferungen an die Iraqui Atomk Energie Commision handelte. Bestritten wurde jedoch, daß nicht in einem einzigen Fall anwendungsspezifische Haltevorrichtungen zum Schweißen von Ultrazentrifugen von Leybold geliefert wurden. Das dürfte aber kein unüberwindbares Problem für den Irak gewesen sein.

Für Leybold gab es noch nicht einmal einen Hinderungsgrund für die Lieferungen einer solchen Anlage an einen anderen staatlichen Abnehmer im Irak, der als Anwendungszweck „Allgemeine militärische Anwendungen wie z. B. Triebwerkreparaturen, Raketengehäuse etc." nannte.

Die Lieferungen erfolgten mit offizieller Exportgenehmigung. Die Montage der Anlage erfolgte durch Leybold-Personal im Irak. Die Leybol-Geschäfte mit dem Irak kamen zum großen Teil durch Vermittlung der Firmen Inwako und H&M Metalform zustande, beide bereits einschlägig bei den Behörden bekannt.
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Die Konsequenzen ... lächerlich

Immerhin beschloß der Konzernvorstand am 17. März 1992, also nach bereits eingeleiteten Ermittlungen gegen Leybold, „Unternehmenspolitische Grundsätze zur internen Exportkontrolle für den Nuklearbereich". Damit bekennen sich die Herren „uneingeschränkt und nachdrücklich zur Politik der Nichtverbreitung von Kernwaffen und hierfür geeigneter Trägersysteme" sowie zur Einhaltung der Exportkontrollgesetze. Nicht nur die einstigen Außen- und Embargohändler der DDR können darüber lächeln ...

32 „Ich bin nur ein Techniker1*, in: Der Spiegel 38/96, S. 30.
33 Siehe S. 400 f.

Zurück zum Ende 1988 / Anfang 1989

Ende 1988/Anfang 1989 war uns freilich nicht nach Lachen zumute. Die Propagandamaschinerie der DDR lief auf Hochtouren, wonach frischweg verkündet wurde, daß das Ländchen an der Eigenentwicklung des 1-MBit- sowie eines 4-MBit-Schaltkreises arbeit.

In ihrem unübertrefflichen Ehrgeiz hatten Honecker und Mittag unsere strategischen Zielstellungen auf dem Gebiet der Mikroelektronik offenbart. Nur leider war die von Zeiss bewußt gemachte Aussage, alles mit eigener Technik zu leisten, wenig glaubwürdig. So ließ der Bumerang aus dem Westen nicht auf sich warten: Die Kontrolle der Embargowaren wurde drastisch verschärft, alle Nachrichtendienste bemühten sich hektisch, um unsere Helfer zu demaskieren.

Aber nicht nur das. Auch eine Reihe von Konzernen entwickelte fieberhafte Aktivitäten, um uns auf den Zahn zu fühlen. Unter ihnen Siemens, die sich durch die kleine DDR provoziert und irgendwie in ihrer Ehre gekränkt fühlten, war doch ihr 1-MBit-Chip keine Eigenentwicklung, sondern nur möglich dank der Hilfestellung von Toshiba.

So traten Siemens-Leute an einige ihrer Lieferanten heran, befragten sie nach der Zusammenarbeit mit der DDR und stellten sie vor die Alternative, die Kooperation mit uns zu beenden oder Siemens als Kunden zu verlieren.
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Gekränkte Ehre oder Konkurrenzdenken ?

Das bestätigte auch Günther Samm gegenüber Siegfried Schürer:
„Es gibt bei der Firma Siemens, nicht in der Geschäftsleitung, einen Herrn Dr. Schuster-Wotran, der hier stänkert. Dieser Herr ist prinzipiell Leybold-Gegner und nutzt jede Gelegenheit, gegen die Firma zu intrigieren. Durch ihn wurde über den Einkauf von Siemens an die Firma Leybold die Frage gestellt, ob diese Ätztechnik in die DDR liefert und ob hier ein fernöstliches Land einbezogen sei. Dies wurde von Leybold verneint und zurückgewiesen."

Fast noch größere Sorgen wurde Dr. Samm - und natürlich auch uns - durch die Tatsache bereitet, daß seit Mitte 1989 verstärkt Fachleute aus dem Bereich Mikroelektronik die DDR verließen und in der Bundesrepublik eine Arbeitsstelle suchten.

Es war nicht auszuschließen, daß sich darunter auch Eingeweihte unserer Leybold-Geschäfte befanden und daß sie ihr Wissen den neuen Arbeitgebern und westlichen Geheimdiensten offenbaren würden. Solche Geheimnisträger bewarben sich sogar direkt bei Leybold. Unter ihnen beispielsweise ein ehemaliger Mitarbeiter der Technischen Universität Dresden, der im Forschungszentrum Mikroelektronik von Zeiss tätig war und dort Kenntnis über die von Leybold gelieferten Sputter- und Ätzanlagen erhalten hatte.

Er wie die anderen wurden eingestellt, um sie besser unter Kontrolle halten zu können. Sie wurden allerdings nicht in der Zentrale in Hanau, sondern in Köln, in einem anderen Unternehmensbereich, eingesetzt. Konnte der Schaden hier noch einigermaßen eingegrenzt werden, war es hingegen problematischer, wenn die einstigen DDR-Experten bei anderen Halbleiterproduzenten wie Siemens ihr Insiderwissen als Einstiegskapital feilboten.
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Tarnbezeichnung „Röhre"

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Der Nachbau von Plasmaätzern

Bei all unseren Aktivitäten war es natürlich erklärtes Ziel der DDR-Wirtschaftslenker, Devisen zu sparen und uns von Embargoimporten unabhängig zu machen. Das galt um so mehr für das Mikroelektronikprogramm, bei dem auch die Entwicklung neuer Produktionsausrüstungen, einschließlich technologischer Spezialausrüstungen (TSA), auf die Tagesordnung gesetzt wurde, beispielsweise im Kombinat Carl Zeiss Jena.

Obwohl wir in der Hochvakuumtechnik mit dem zum Zeiss-Kombinat gehörenden VEB Hochvakuumtechnik Dresden über ein begrenztes Know-how sowie bescheidene Entwicklungs- und Produktionskapazitäten verfügten, reichte die Kraft nicht aus, um die Leybold-Importe durch Eigenproduktionen ersetzen zu können.

Mit den schon beschriebenen wachsenden Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Plasmaätzern stellte stellte sich jedoch für uns die Frage der Eigenproduktion neu. Wieder wurde Siegfried Schürer in die Spur geschickt, um vorab bei Leybold abzutasten, ob sie uns dabei unterstützen könnten.

Offensichtlich war man sich auch in der Hanauer Führungsetage darüber im klaren, daß die Embargogeschäfte nach altbewährtem Muster nicht mehr unbegrenzt fortgesetzt werden könnten. Jedenfalls erklärte man sich bereit, uns die technischen Dokumentationen für eine Eigenproduktion der Plasmaätzanlage MPE 3002 zur Verfügung zu stellen, befristet Baugruppen der Anlagen zu liefern und auch ingenieur-technische Hilfe bei der Produktionsaumahme zu gewähren.
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Ein Lichtblick

In seinem Bericht Über eine Dienstreise zu Leybold im November 1988 konnte Schürer zufrieden festhalten, daß die Heiren Samm, Sommerkamp, Grahmann und Katscher zugesagt hatten, uns „die Ätzer in der ersten Phase hundertprozentig in Baugruppen zu liefern, uns in Lizenz die Eigenfertigung zu übertragen mit dem Ziel, schrittweise die Einzelbaugruppen durch Eigenfertigung abzulösen und die Unterstützung durch LAG (Leybold) beim Aufbau einer modernen Eigenfertigung zu geben".

Das war für uns eine echte Chance. Wir konnten uns damit nicht nur vom Embargo des Westens abnabeln, sondern es boten sich auch große Exportchancen im RGW an.
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Das Objekt Ätzer-Eigenfertigung - Codename „Röhre"

Nach den erfolgreichen Sondierungen im Vorfeld unterbreitete ich dem Regierungsbeauftragten für Mikroelektronik, Staatssekretär Karl Nendel, sowie Alexander Schalck-Golodkowski einen detaillierten Vorschlag zur Aufnahme der Eigenproduktion von Plasmaätzern bei Zeiss.

Eigentlich gab es nur ein Problem: Biermann mußte als Generaldirektor überzeugt werden, daß diese Aufgabe von Jena zusätzlich zu den geplanten Entwicklungsvorhaben und Uberleitungsaufgaben für neue Erzeugnisse zu übernehmen ist. Einen anderen möglichen Produzenten gab es in der DDR nicht.

Nach entsprechender Weichenstellung durch Nendel bei Biermann erhielt ich den Auftrag, mit Zeiss das Detailkonzept zu erarbeiten und umgehend zu realisieren. Partner bei Zeiss waren für mich neben Biermann der Forschungsdirektor für Mikroelektronik, Professor Dr. Mütze; im Handelsbereich 4 unterstützten mich Siegfried Schürer und Dietrich Kupfer.

Die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen für diesen Technologietransfer wurden mit unserem Freund und Helfer, der Stasi-Hauptabteilung XVIII/8 abgestimmt. Nur ein kleiner, von der Objektdienststelle Zeiss der HA XVIII handverlesener Personenkreis wurde in das Projekt eingeweiht und einbezogen. Das Objekt Ätzer-Eigenfertigung lief unter dem Codenamen „Röhre".

Die fast konspirative Übergabe von 17 Ordnern

Im April 1989 erhielten wir die ersten Dokumentationen in Form von elf Ordnern und im September weitere sechs Ordner. Die Übergabe erfolgte von Leybold in Berlin an Schürer. Die fast konspirative Form, in der uns das Material ausgehändigt wurde, ließ vermuten, daß sowohl der Vorstand von Leybold und auch der von Degussa keine Ahnung davon hatte.

Ob der damals noch amtierende Vorstandschef Alfred Hauff etwas wußte, war uns unklar und auch ziemlich bedeutungslos. Ich reichte die Unterlagen anschließend sofort an die HA XVIII/8 weiter.

Die Spezialisten des MfS neutralisierten die Dokumente, damit keinerlei Rückschlüsse auf deren Herkunft mehr möglich waren. Erst danach wurden sie an Professor Mütze in Jena übergeben. Die Auswertung bei Zeiss konnte beginnen. Die Baugruppenkomplettierung einer ersten Anlage wurde vorbereitet, wobei wir mit Unterstützung von Leybold erste Erfahrungen für die spätere serienmäßige Komplettierung und Montage der Ätzer sammeln wollten.
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Letzte Geschäfte im November und Dezember 1989

Leybold lieferte noch im November und Dezember 1989 in drei Teilsendungen und einer Zubehörlieferung über Taiwan, Österreich und auf direktem Wege dem Betriebsteil Gera des VEB Carl Zeiss Jena einen in Baugruppen zerlegten Plasmaätzer. Außerdem erklärte sich Dr. Samm bereit, uns noch die Rechnersoftware einschließlich des Betriebsystems zu übergeben - gegen zusätzliche Bezahlung, versteht sich. Der Montage des ersten Ätzers stand nun nichts mehr im Wege.

Damit war es uns gelungen, einen echten Technotegietransfer für eine Schwerpunktposition dringend benötigter Produktionsausrüstungen der Mikroelektronik zu realisieren, der uns, abgesehen vom Kaufpreis der Baugruppen, im Prinzip nichts kostete, uns aber zukünftig bei dieser Position vom Embargoimport unabhängig machen sollte.
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Ein tiefer Einblick in unsere Geschäftsbeziehungen

Die Zusammenarbeit mit Leybold beschränkte sich - wie schon mehrfach angedeutet - nicht nur auf den Bezug von Embargowaren. Sie war vielfältiger und umfassender. Und sie war gewiß keine einseitige Vorteilnahme.

So erwarb Leybold von Zeiss das im Forschungszentrum Mikroelektronik in Dresden mit den Leybold-Anlagen gewonnene Produktions-Know-how.

Dafür mußte Zeiss über einen Zeitraum von vier Jahren Leistungen erbringen, für die Leybold wiederum zur Zahlung von 3 Mio. DM bereit war. Diese 3 Mio. DM brauchte Leybold jedoch nicht an uns zu zahlen, sondern sie wurden von uns erlassen als Gegenleistung für die von Leybold gelieferten Dokumentationen der Plasmaätzer. Eine Hand wäscht die andere.

Weiterhin verkaufte uns Leybold - diesmal mit offizieller Genehmigung der BRD-Behörden - eine Produktionslizenz für Kryopumpen einschließlich der erforderlichen Maschinen, Geräte und Materialien.

Zeiss seinerseits war bereit, den Vakuumpumpen-Service für Leybold schrittweise für die ganze DDR zu übernehmen und ein Servicezentrum aufzubauen.

Sodann unterstützten wir Leybold gegenüber anderen Außenhandelsbetrieben der DDR, wie beim AHB Industrieanlagenimport mit einem Objekt Brillenfertigung im VEB Rathenower Optische Werke des Kombinats Zeiss oder beim AHB Metallurgiehandel mit einem Objekt der Pulvermetallurgie. Wir selbst bezogen Leybold 1989 als Anbieter von Fertigungslinien für Schablonenglas im VEB Schott des Kombinats Zeiss ein und halfen dabei tatkräftig, daß sich die Hanauer gegen japanische Konkurrenten durchsetzen konnten.
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Das Gemeinschaftsprojekt "Hochstromimplanter"

Im März 1988 besuchten die Leybold-Vorständler Dr. Hauff und Dr. Samm Zeiss in Jena, wo ihnen Generaldirektor Prof. Dr. Biermann unseren Wunsch offenbarte, Hochstromimplanter gemeinsam zu entwickeln und zu bauen, zu denen wir zu diesem Zeitpunkt noch keine Zugriffsmöglichkeit hatten.

Leybold willigte ein, von der Konkurrenz einen Prototypen zu kaufen und im Leyboldbetrieb Dornichheim aufzustellen. Man stellte auch eine Expertengruppe für weitere Gespräche mit Zeiss zusammen, wie auch für das Projekt ein Fachmann bei Leybold neu eingestellt werden sollte.

Leybold war außerdem bereit, alle erforderlichen Unterlagen über Konkurrenzerzeugnisse zu beschaffen und entsprechende Forschungskapazitäten im Fraunhofer Institut mit einfließen zu lassen. Ging es doch um nicht mehr und nicht weniger als um ein gemeinsames Spitzenprodukt, das den Anschluß an die Technologien in den USA und in Japan ermöglicht hätte.

Zeiss ging davon aus, daß die Baugruppen bei Leybold gefertigt werden sollten und die Montage in Jena erfolgt. Wie sich im Verhandlungsverlauf in den folgenden Monaten zeigte, ging dieses Konzept leider nicht auf.

Nach Studium der bei Siemens und im Fraunhofer-Institut vorliegenden Unterlagen zu Implantern der Firmen Eaton und Varian, die wir später als Kopien von Leybold erhielten, zeigte sich, daß die Fertigung der Anlagen schwieriger war, als sich Leybold das anfangs vorgestellt hatte.

Für wichtige Baugruppen hatten alle US-Hersteller den gleichen Unterlieferanten, die bisher bei Leybold für Standardsysteme eingesetzten Steuerungen waren auch modifiziert nicht für Implanter einsetzbar, und so ging es weiter.

Der Forschungs- und Entwicklungsaufwand wurde als enorm eingeschätzt und war nur zu bewältigen, wenn Zeiss höhere Eigenleistungen erbringt. Jena sollte also selbst wichtige Baugruppen produzieren und nicht nur montieren.

Trotz dieser unüberwindlich scheinenden Hürden wurde das Gemeinschaftsprojekt nicht fallen gelassen, wenn auch außer den Vorbereitungsarbeiten bis zur Wende keine greifbaren Ergebnisse erzielt wurden.

Die Hartnäckigkeit unserer Bemühungen erklärte sich dadurch, daß die DDR einen realen Bedarf an mehr als 25 solcher Hochstromimplanter hatte. Doch weder uns noch den speziellen Beschaffungsorganen der Stasi gelang es, auch nur einen einzigen solchen Implanter ins Land zu holen.
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Jetzt hat uns das Embargo voll erwischt

Und schon gar nicht vermochten uns jene Embargolieferanten zu helfen, mit denen wir mehrere Lieferverträge dazu abgeschlossen hatten. Wir konnten uns drehen und wenden, wie wir wollten: Bei dieser strategisch wichtigen Position, ohne die keine Serienproduktion des 1-MBit-Schaltkreises möglich war, wirkte das Embargo voll.

Wir brauchten das Geld für einen Hochstromimplanter - damals immerhin zwischen 6 und 9 Mio. DM - nicht ausgeben. - Bei den Geschäften zwischen der DDR und Leybold ging es wahrlich nicht um Peanuts.
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