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Gerhardt Ronnebergers Autobiographie - Deckname "SAALE" - aus 1999 - ein Generaldirektor erzählt .....

Gerhardt Ronneberger, geboren im März 1934 in Saalfeld († 2013 ?) schreibt 1999 in seiner Autobiographie (1982–1999) auf etwa 370 Seiten, wie es wirklich zuging beim MfS, der Stasi und den Betrieben in der "Deutschen Republik". Da er nie in einem richtigen Ossi-Gefängnis eingesperrt war, fehlt diese Erfahrung völlig, dafür aber die Zustände in einem West-Gefängnis und wie es dazu kam und vor allem, was danach bis zur Wende im Dez 1989 kam. Der Einstieg beginnt hier und mein Resume über das Buch endet hier.

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Der große Unbekannte

Als die ersten Schwierigkeiten bei den Embargogeschäften mit der DDR auftauchten, suchte man auch bei Leybold nach neuen Abwicklungsmöglichkeiten. So informierte Günther Samm im September 1988 Siegfried Schürer über seine Vorstellungen.

Er kenne persönlich in Wien ein Unternehmen, dessen Namen er uns nicht nennen, sondern nur als Firma X bezeichnen will. X handele offiziell mit Textilien und Holz, freilich nur als Tarnung für Embargogeschäfte. Die Firma habe ihr Büro im Zentrum von Wien und hätte bei Dr. Samm den Eindruck eines gut florierenden Geschäfts hinterlassen.

Es gäbe Kontakte zu Israel und Südafrika und außerdem - nach eigener Aussage von X gegenüber Samm - gute Geschäftsbeziehungen und persönliche Verbindungen zu „höchsten Stellen" in der DDR bis zur Ebene eines stellvertretenden Ministers namens Horst Schulze.

Nur - einen stellvertretenden Minister dieses Namens gab es nicht. Offensichtlich war das ein Codewort. Wir vermuteten dahinter Verbindungen zur Staatssicherheit, genauer zu den Speziellen Beschaffungsorganen des Sektors Wissenschaft und Technik (SWT) der HVA. Schließlich hatte X gegenüber Samm ausgeplaudert, daß er bereits von seinem DDR-Partner hinsichtlich der Beschaffung von Hochstromimplantem angesprochen wurde, die er aber nicht anbieten könne. Und um solche Implanter bemühten sich in der DDR nur wir selbst - und das MfS.

Weiterhin verfüge X über sehr gute Verbindungen zu glaubhaften Endabnehmern. Ein finanzielles Risiko sei bei dieser Firma nicht zu befürchten, auch wenn X nicht billig wäre. Wenn wir an einer Zusammenarbeit Interesse hätten, wolle X mit seinem Partner Schulze in der DDR sprechen, damit dieser die Zusammenarbeit mit uns bestätigt. Da der ominöse DDR-Partner von X mit hoher Wahrscheinlichkeit nur das MfS sein konnte, lehnten wir die Kooperation dankend ab. Ein Prinzip, dem wir immer treu geblieben sind, sofern wir selbst entscheiden konnten. Wir bauten lieber unseren eigenen Bezugsweg über Taiwan auf.
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Ein Geschäft mit Festplattenspeichern

In einem anderen Gesprach mit Siegfried Schürer brachte Günther Samm die Rede auf ein Geschäft mit Festplattenspeichern zwischen einer österreichischen Firma und der DDR. Samm staunte nicht schlecht, daß Schürer dieses Objekt nicht kannte. Samm räumte nun ein, daß Leybold mit den Österreichern wegen einer Kathodenzerstäubungsanlage in Kontakt stünde, wobei durch den Vertragspartner darauf hingewiesen wurde, daß diese Anlage zur Beschichtung von Uhrengehäusen deklariert und dem VEB Uhrenwerke Ruhla geliefert werden sollten, obwohl Leybold genau wußte, daß die Anlage für das Objekt Festplattenspeicher an einem anderen Standort in der Nähe von Erfurt bestimmt war.

Als Käufer der Leybold-Anlage nannte Samm eine Daten Modul Produktionsgesellschaft, die uns völlig unbekannt war. Er verschwieg allerdings, daß es sich bei dieser Firma auch um X handelte.

Bis zur Wende bekamen wir den Namen von X nie zur Kenntnis. Aus Presseveröffentlichungen nach der Wende wurde mir jedoch klar, daß es sich bei Günther Samms großen Unbekannten X um die Robert Placzek AG handelt. Ihr Inhaber, Martin Schlaff, wurde von der Stasi als IM „Landgraf" geführt und war in der DDR wohlbekannt - als Exporteur von Holz und Textilien sowie als Lieferant von Embargowaren.
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Ein weiterer Mangel in der DDR - Festplatten

So ließ er der DDR über die Firma BIEG von KoKo Festplatten für Robotron zukommen. Seit Mitte 1986 hatte er mit BIEG einen Vertrag zur Lieferung einer kompletten Fabrik zur Produktion von Festplattenspeichern für das Kombinat Robotron in Zella-Mehlis bzw. Meiningen.

Das Projekt wurde vom Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) der HVA über Interport konspirativ vorbereitet. Es ging um einen Realisierungszeitraum vom 1. Januar 1987 bis 30. März 1990 sowie um einen Wert von 192 Mio. DM, die von KoKo über das Konto mit dem Kennwort „Susanne" finanziert wurden.

Da die Geheimdienstexperten von SWT ein solch großes Objekt mit Anlagencharakter nicht selbständig realisieren konnten, suchten sie einen Erfüllungsgehilfe. Und der konnte nur bei KoKo gefunden werden.

Kurz vor Abschluß des Vertrages wurde ich zu meinem Chef Alexander Schalck gerufen. Er drückte mir den Vorgang in die Hand und forderte mich auf, zu entscheiden, ob ich das mit meinem Mitarbeiterstab realisieren könnte.

Das Konzept sah vor, in einem nicht genannten westlichen Land durch eine befreundete Firma eine Fabrik zur Herstellung von Festplattenspeichern errichten zu lassen, die Produktion eine befristete Zeit weiterzuführen und die Festplatten an Robotron zu liefern, wo sie dringend gebraucht würden.

Zwischenzeitlich sollten bei Robotron die für eine solche gleiche Fabrik benötigten Produktionsräume neu geschaffen, die im westlichen Ausland gekauften Ausrüstungen abgebaut und in die DDR verbracht werden, wo dann bei Robotron die Festplattenspeicher, die selbstverständlich genau wie die Technologie und die Mehrzahl der Produkttonsausrüstungen Embargo waren, selbst produziert werden sollten.
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Das Projekt war durchaus machbar - auch mit diesem Trick

Ich bestätigte Schalck die Machbarkeit eines solchen Projekts. Gleichzeitig bat ich ihn aber zu prüfen, ob es nicht einen andern Partner für die Realisierung gebe, da unsere Bearbeitungskapazitäten bereits mehr als ausgelastet waren. So wurde nicht unser Handelsbereich 4, sondern Bieg von Schalck beauftragt, dieses Vorhaben gemeinsam mit SWT der Staatssicherheit in Angriff zu nehmen.
Ich bezahlte lediglich die gelieferten Festplatten, die Finanzierung der Ausrüstungsimporte von BIEG erfolgte direkt durch KoKo, und zwar aus den Mitteln, die dem Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik für das Mikroelektronikprogramm bei KoKo zur Verfügung standen. Diese Beträge gingen nur als Zahl in die Auslastungsbilanz der von mir verwalteten finanziellen Mittel ein.

Mit dieser Entscheidung von Schalck sollten mir viele Probleme erspart bleiben. Denn das Firmenkonglomerat von Martin Schlaff-IM „Landgraf" der HVA - war nicht nur mit seiner Kuco Holzhandelsgesellschaft mbH, der Danubia Warenhandels GmbH oder der DMB Daten Modul Produktionsgesellschaft in umfangreiche Embargogeschäfte mit dem Osten eingebunden.

Vielmehr war er auch in fragliche Geschäfts- und Finanzmanipulationen der Wendezeit verwickelt, die in den Medien Furore machten und Gegenstand von Ermittlungsverfahren der deutschen Justiz waren.

„Das dicke Ende*4, in: Der Spiegel 33/96, S. 26/27. - „Millionen für JM Landgraf", in: Der Spiegel 25/98, S. 5Ä/59.
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  • Anmerkung : Auf diesem Gebiet hätte sich die DDR finanziell völlig verrannt, weil die Entwicklung höherer Kapazitäten unglaublich schnell voran ging, daß sogar mehrere amrikanische Firmen wie PRIAM, HP und IBM und andere aus dem Geschäft ganz schnell wieder ausstiegen.

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Stützpunkt Taiwan

Mit der Verschärfung der Embargokontrollen in Europa und den beginnenden Problemen in Japan waren wir gezwungen, schnellstens neue Beschaffungsmöglichkeiten außerhalb der bisherigen traditionellen Regionen zu finden. Voraussetzung war, daß in den künftigen Operationsgebieten auf alle Fälle eine Elektronikindustrie ansässig sein mußte. Deshalb nahmen wir solche Länder wie Südkorea, Taiwan, Israel und Südafrika ins Visier.

Ich beauftragte meinen Stellvertreter Dietrich Kupfer, in Taiwan zu sondieren. Auf der Insel war nicht nur eine recht leistungsfähige Elektronikindustrie angesiedelt, sondern es war auch ein Land, das durch seine strategische Rolle stets auf die Unterstützung der USA bauen konnte. Wie ich es von ihm gewöhnt war, arbeitete Kupfer rasch und erfolgreich.
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Jack Shih und Advanced Microcircuit Product Inc. Taipai

Erste Kontakte knüpften wir bei einem Besuch von Mitgliedern der Handelskammer Taiwan in der DDR, in dessen Vorbereitung und Durchfuhrung wir vom Ministerium für Außenhandel einbezogen wurden.

Anschließend reiste Kupfer nach Taiwan, um an Ort und Stelle den geeigneten Partner für unser strategisches Ziel auszuwählen. Wir fanden ihn in dem Unternehmen C & E Associates Inc. in Taipei mit ihrem Präsidenten Chew an der Spitze. Unser ständiger Partner in der Firma war Jack Shih, der die Geschäfte auch unter dem Firmennamen Advanced Microcircuit Product Inc. Taipai abwickelte.

Um den Taiwanesen langfristig zu einem Hauptlieferanten von Hochtechnologie zu entwickeln und ihnen einen entsprechenden Background zu geben, beschritten wir erstmalig einen völlig neuen Weg.

Denn ein solcher Lieferant mußte nicht nur eine Handelsfirma sein, sondern ein glaubhafter Produzent. D. h. er mußte die Ware in einer eigenen Produktionsstätte fertigen können. Nur so durfte das sogenannte end-user-certificat ausgestellt werden, welches für die Erteilung einer Exportlizenz im Land des Herstellers der Ausrüstungen und Meßtechnik benötigt wurde.

Anders als bei einer reinen Handelsfirma konnte zudem über einen solchen Produzenten auch der Know-how-Transfer abgewickelt, die Schulung unserer Fachexperten an neuen Ausrüstungen durchgeführt und Service- und Reparaturleistungen abgesichert werden.

Jack Shih schlug uns vor, in Taiwan eine eigene Fabrik zur Schaltkreisherstellung aufzubauen. Die produzierten Schaltkreise wollte Shih in Taiwan verkaufen oder exportieren, wobei in der
Anlaufphase in erster Linie jene Schaltkreise hergestellt werden sollten, die wir in der DDR benötigten und somit von Shih kaufen konnten.
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Wie fast immer gibt es einen Haken - das Geld

Die Sache hatte nur einen Haken: Shih war nicht in der Lage, den Aufbau einer solchen Fabrik selbst zu finanzieren. Deshalb bat er uns um die Gewährung eines zinsfreien Darlehens. Die Rückzahlung sollte in Etappen erfolgen und mit unseren Importen von Ausrüstungen verrechnet werden. Das Vorhaben war zwar risikobeladen, aber wir hatten keinen Grund, Shih zu mißtrauen.

Also griffen wir den Gedanken auf und erarbeiteten im Juli 1987 einen Entscheidungsvorschlag zur Bestätigung durch Schalck. Schließlich konnte das an Shih auszureichende Darlehen in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar nur aus KoKo-Mitteln finanziert werden. Es gelang mir, Schalck von der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit unseres Konzeptes zu überzeugen. Einmal mehr hatte er uneingeschränktes Vertrauen in die Seriosität unserer Arbeit und in unsere Erfahrungen im schwierigen Embargogeschäft.
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und jetzt der Plan

Bereits im Januar 1988 besuchte uns Shih in Ostberlin und legte uns sein sein endgültiges Konzept für den Aufbau der Fabrik vor. In den Informationen zu diesen Verhandlungsergebnissen, die ich Schalck zur Bestätigung überreichte, hieß es:

C & E erwirbt ein geeignetes Gebäude in der Nähe von Taipai (jedoch außerhalb des „Halbleiterdorfes"), in welchem eine komplette Halbleiterfertigung mit Cleanroom Kl. 100 und entsprechenden Einrichtungen aufgebaut wird mit den Prozeßschritten

Maskentechnik
Fotolitographie
Dotierung/Beschichtung
Assembling
Teststation

Die Ausstattung wird weitgehend mit sogenannten Second-Hand-Geräten vorgenommen, so daß ein Limit von ca. 20 bis 25 Mio. $ nicht überschritten wird.

- Es ist vorgesehen, diese Anlagentechnik für Produktion bzw. Serviceleistungen zu nutzen (z. B. Meßtechnik). Die Installation wird bereits Ende 2. Halbjahr 1988 abgeschlossen sein.
- Es wird gebeten zu prüfen, ob wir bereit wären, uns durch Vorfinanzierung mit einem Betrag von 5,5 bis 7 Mio. US $ daran zu beteiligen, wobei sich dieser Betrag einschließlich erforderlicher Abwicklungskosten versteht und mit Warenlieferungen binnen 2 bis 3 Jahren zur Rückzahlung gelangt und zwar in Form von Abschlägen bei Berechnung von einzelnen Liefermengen.
- Es wird gebeten, hierzu Anfang März unsere Antwort zu geben. Im positiven Fall beabsichtigt M. Chew, Präsident von C und E, nach der LFM (Leipziger Frühjahrsmesse) 1988 in die DDR zu kommen, um eine Vereinbarung abzuschließen.
- Nach den finanziellen Sicherheiten befragt, muß die Form offizieller Bank-Rückzahlungsgarantien ausgeschlossen werden. Es wird vorgeschlagen, eine Firmengarantie mit Wechsel zu geben. (Dies hätte für uns weniger juristischen, wohl aber moralischen Wert).
- Dieses Konzept ist für uns insofern interessant, als die Finanzierung im wesentlichen durch eigene Mittel der Firma C und E vorgenommen wird (die Einrichtung wird unter einem anderen Namen - Optoelectronics o. ä. - firmieren) und nach meiner Einschätzung die Realisierung eines hohen Volumens an Embargoimporten, darunter einigen Problempositionen, erwarten läßt..."
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Die vornehm-bürokratische Umschreibung von Embargowaren

„Problemposition" war unsere vornehm-bürokratische Umschreibung von Embargowaren, auf die wir ansonsten keinen Zugriff hatten, in diesem Fall u. a. Speichertester, Plasmaätzer, Implanter und Keramikgehäuse in einem Warenwert von mindestens 100 Mio. DM.

Schalck bestätigte den Vorschlag und ließ das Darlehen an Shih auf der Grundlage einer abgeschlossenen Vereinbarung ausreichen. Shih baute die Fabrik, richtete als Europastützpunkt in Wien ein Büro ein, lieferte zuverlässig die von uns bestellten Embargoausrüstungen und begann sogar mit der vorfristigen etappenweisen Rückzahlung der Gelder.

Ein prächtiges Potjemkinsches Dorf

Auch alles andere klappte wie am Schnürchen, wir hatten ein prächtiges Potjemkinsches Dorf hingezaubert: Wir lieferten aus DDR-Produktion 100.000 Chips des 64 K DRAM nach Taiwan, um gleich am Anfang den Background für die neuerbaute Fertigungsstätte zu stabilisieren.

Die Chips wurden genau zu einem Zeitpunkt in Taiwan zugestellt, als gerade für uns bestimmte Tester in der Fabrik angeliefert wurden und deren Installation und Inbetriebnahme vom Hersteller erfolgte. Damit konnten die Chips für die Erprobung der Testsysteme zur Verfügung gestellt werden. Das Täuschungsmanöver gelang, die Chips wurden anschließend verkappt, d. h. nach der üblichen Methode mit Kunststoff ummantelt, und als fertige Bauelemente verkauft.

Shih ließ seine Experten beim jeweiligen Hersteller der Ausrüstungen ausbilden, damit die Erkenntnisse von ihnen dann in Taipai oder bei den Abnehmern in der DDR an unsere Fachleute weitergegeben werden konnten.

Als beispielsweise ein völlig neuer VLSI-Testers der Firma Ando gekauft wurde, den bislang weder wir noch Shih kannten, reisten C & E-Spezialisten für vierzehn Tage zur Schulung nach Japan.

Anschließend wurde das Testsystem in Taipai installiert und dort für die Routiniers des Kombinats Mikroelektronik ein Software- und Hardwaretraining durchgeführt. Danach wurde das System wieder abgebaut und in Erfurt angeliefert und installiert.

Über unseren Partner C & E konnten wir bis Anfang 1990 umfangreiche Embargogüter beschaffen, darunter wichtige Justier- und Belichtungseinrichtungen von Perkin-Elmer (USA) und Canon (Japan), Asic-Verification-Systeme von Hilevel Technologie (USA), Ätzer von Leybold (BRD), Logik-Analyse Meßtechnik, 32-Bit-Entwicklungsysteme oder Keramikgehäuse von Kyozera (Japan). Taiwan bewährte sich in jeder Hinsicht.

Kunststücke mit doppeltem Boden bestanden jeden Härtetest

Das galt gleichfalls für unsere Kunststücke mit doppeltem Boden. Sie bestanden jeden Härtetest. So hatte Canon, bevor sie ihr Angebot an C & E unterbreiteten, tatsächlich die Fertigungsstätte in Taipai inspiziert und für glaubwürdig befunden. Sogar deren Landsleute vom Miti konnten bei ihrer Kontrolle nichts Anrüchiges finden.

Die Amerikaner drängten Taiwan zum CoCOM-Beitritt

Das war besonders wichtig, da Anfang 1989 die Amerikaner in Taiwan erneute Verhandlungen mit der Regierung führten, um das Land zum CoCOM-Beitritt zu bewegen. In Taiwan selbst gab es darüber unterschiedliche Auffassungen.

Die erste Gruppe war vornehmlich repräsentiert durch Kreise der Forschung und Entwicklung in Industrie und staatlichen Institutionen. Diese waren auf Unterstützung aus den USA angewiesen und von einer Kooperation mit großen amerikanischen Firmen und Konzernen weitgehend abhängig.

Sie konnten und wollten natürlich nicht zulassen, daß sich Taiwan diese Möglichkeiten verbaut. Die andere Gruppe, bestehend aus Kreisen der Industrie, vertrat die Position, daß man sich keinesfalls in weitere politische Abhängigkeiten von den USA begeben dürfe, da dies den Exportinteressen der taiwanesischen Industrie völlig zuwider laufe.

Doch die USA hatten wirksame ökonomische und handelspolitische Druckmittel in der Hand, um Taiwan empfindlich zu treffen, falls man sich den Forderungen der USA widersetzen sollte.
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Endlich hatte auch mal etwas problemlos funktioniert

Doch auch für den Fall der Fälle, den möglichen CoCOM-Beitritt von Taiwan, waren wir und C & E mit seiner Fertigungsstätte gut vorbereitet. Sogar unter solchen neuen Bedingungen hätte Shih Produktionsausrüstungen direkt von US-amerikanischen Herstellern mit größerer Sicherheit beziehen können, als dies über Handelsfirmen in Westeuropa möglich war. Die Hersteller der Ausrüstungen konnten sich außerdem vor Ort davon überzeugen, daß ihre Anlagen tatsächlich vorhanden sind oder sie eigenhändig in Betrieb nehmen.

Bei späteren Kontrollen amerikanischer Behörden vor Ort in Taipai konnten, wenn notwendig, überdies vorher die Ausrüstungen für die Zeitdauer der Überprüfung aus der DDR wieder nach Taiwan verbracht werden, was wir auch in einem Fall überzeugend praktizierten. Selbst für notwendige Reparaturen konnten die Geräte zeitweilig nach Taiwan rückgeführt werden.

Wir hatte also mehr als einen Grund, zufrieden zu sein.
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Codewort Maju

Maju war kein großer Unbekannter, sondern das interne Codewort unseres Handelsbereichs 4 für einen unserer wichtigsten und zuverlässigsten Lieferanten in der Bundesrepublik: die Firma P. M. Majunke in Wesseling, einem kleinen Ort am Rhein zwischen Köln und Bonn. Maju war eine Bezugslinie, die über viele Jahre problemlos funktionierte - bis zum 23. Mai 1989. Sie wurde von mir aufgebaut und bis zur Wende von mir persönlich betreut.

Hans-Joachim Majunke, ein hochqualifizierter Diplom-Wirtschaftler, hatte an der Technischen Hochschule in Dresden studiert und mit seiner Familie 1957 die DDR verlassen. Über die Elektronikfirma Intermetall in Freiburg, damals zum amerikanischen Konzern ITT gehörend, kam er nach Wesseling zur Union Kraftstoff AG, bei der er zuletzt Geschäftsführer der Union Schmierstoffgesellschaft mbH und einer der Geschäftsführer der BMV Mineralölversorgungsgesellschaft mbH in Berlin wurde.
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Die Firma seiner Frau - Pia-Monika Majunke

Die Eltern seiner Frau Pia-Monika waren mir bekannt, denn sie betrieben in Radeberg (Sachsen) eine Gaststätte mit Hotelbetrieb, wo ich stets übernachtete, wenn ich mich zwischen 1961 und 1963 zu zahlreichen Dienstreisen in der VVB Rundfunk und Fernsehen und im VEB Rafena in Radeberg aufhielt.

Pia-Monika Majunke unterhielt in Wesseling seit vielen Jahren die Firma P. M. Majunke Vertretung und Großhandel Elektronischer Geräte. In den sechziger Jahren wurde dazu noch ein Einzelhandelsgeschäft für elektrische Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik in Wesseling betrieben.

Als Direktor im AHB Heim-Electric kam ich Anfang der 19sechziger Jahre in Kontakt mit P. M. Majunke. Die Firma vertrat damals offiziell das Unternehmen Intermetall im Handel mit der DDR und stellte dessen Erzeugnisse zu den Leipziger Messen aus.

Intermetall, seinerzeit einer der führenden Produzenten von Halbleiterbauelementen in Europa, war mit seinen Produkten für uns sehr interessant. Unter direkter Mitwirkung von Intermetall wurden von P. M. Majunke zahlreiche Importe von Bauelementen mit uns abgewickelt, darunter auch Embargoware.
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Es gab sogar Diskussionen über politische Fragen

Gleich bei meinem ersten Besuch in Wesseling lernte ich Hans-Joachim Majunke und seine ganze Familie kennen. Bei meinen folgenden Visiten diskutierten wir in seiner Wohnung oft bis in die frühen Morgenstunden über politische Fragen. Trotz unterschiedlicher Standpunkte fanden wir viele Gemeinsamkeiten. Wir hatten beide, er als Freidemokrat und ich als Kommunist, unseren gesunden Menschenverstand und den Blick für Realitäten behalten.

Majunke war ein überzeugter Verfechter liberaler Ideen und ein aktiver Funktionär der FPD. Er war Vorsitzender des FDP-Kreisverbandes Erftkreis und Vorsitzender des FDP-Landesfachausschusses Wirtschafts- und Mittelstandspolitik.

1989 war er im Erftkreis Spitzenkandidat seiner Partei für die nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen. Jahre vorher hatte er ohne Erfolg für den Bundestag kandidiert. Zu zahlreichen FDP-Spitzenpolitikern, so Lambsdorff, Genscher oder Baum, hatte er gute persönliche Kontakte. Genscher, der von den Geschäftsbeziehungen Majunkes zur DDR wußte, sagte einmal zu ihm: „Hilf unseren Freunden im Osten, wenn du kannst".
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Erneute Kontakte in 1970 - wir brauchen ein rares Gerät

Als ich 1966 Heim-Electric verließ und meine Tätigkeit im Direktorat Anlagenimport der VVB Bauelemente und Vakuumtechnik aufnahm, wollte ich die Kontakte zu Majunke natürlich nicht abreißen lassen. Das stieß bei ihm auf Gegenseitigkeit. Schnell kurbelten wir das erste konkrete Geschäft an, Majunke lieferte uns Meßgeräte, die auf der Embargoliste standen.

1970 benötigten wir dann für das Halbleiterwerk Frankfurt/Oder (HFO) einen computergesteuerten Meßautomaten des Typs J 259 der USA-Firma Teradyn, der mit einem DEC-Computer ausgestattet war, zum damaligen Zeitpunkt ein Spitzengerät.

Sämtliche vorangegangenen Beschaffungsversuche über andere Wege waren im Sand verlaufen. Mit Majunke tüftelten wir generalstabsmäßig einen Plan aus, der uns allen umsetzbar, sicher und glaubwürdig erschien:

Maju sollte gegenüber Teradyne als Käufer und Endabnehmer des J 259 auftreten. Wir legitimierten dies durch die Legende, daß P. M. Majunke im Lohnauftrag Messungen an Halbleiterbauelementen für namhafte westdeutsche Hersteller vornehmen würde.

Und zwar für Typen, die nach Kundenforderung speziell ausgemessen werden mußten, was für die Hersteller im eigenen Betrieb unökonomisch war.
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Ein Propforma-Vertrag zum Messen von Halbleitern

Zu diesem Zweck schloß P. M. Majunke mit Hilfe von Freunden aus der Leitungsebene von Intermetall proforma eine entsprechende Vereinbarung ab. Spater sollte dieser Kontrakt wieder gekündigt werden, da ITT angeblich keine Meßaufträge mehr vergibt. Das war auch die Begründung dafür, daß Maju den Meßautomaten später wieder veräußern mußte. Der Verkauf sollte hinterher nach Holland erfolgen, die Lieferung aber an uns gehen.

Wie ausgedacht, so wurde es erledigt: Teradyn und DEC lieferten an P. M. Majunke nach Wesseling, wo der Meßautomat in extra dafür angemieteten Räumen aufgestellt und von diesen Firmen auch in Betrieb genommen wurde.

Ein Experte des späteren Endabnehmers, des Halbleiterwerks Frankfurt/Oder, konnte an der Inbetriebnahme teilnehmen und mit Hilfe der Ingenieure von Teradyne und DEC Versuche mit dem Meßautomaten durchführen. Der DDR-Speziahst war von uns ausgewählt und von Maju in seine Aufgabenstellung eingewiesen worden. Er trat gegenüber Teradyn und DEC als bundesdeutscher Mitarbeiter von Majunke auf.

Um seine Tarung perfekt zu machen, hatten wir ihn vollständig mit westdeutscher Kleidung ausstaffiert und aus Sicherheitsgründen alle Personalunterlagen, DDR-Geldbeträge, Notizbücher und Kugelschreiber abgenommen. Ich selbst befand mich auch in Wesseling, trat aber gegenüber den Herstellern nie in Erscheinung.
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Unser Mitarbeiter, ein exzellenter Schaupsieler

Damit auch ja nichts schiefgeht, hatten wir für unseren Mann wie in einem Filmdrehbuch alles festgehalten und vorher geprobt. Er spielte seine Rolle hervorragend. Demnach erzählte er den Leuten von Teradyn und DEC, daß er nach erfolgter Inbetriebnahme von Majunke eingestellt werden soll, um die Leitung der Meßprozesse zu übernehmen.

Gegenwärtig würde er sich nur in Wesseling aufhalten, um zu testen, ob ihn der neue Job wirklich reizen könne. Er sei zwar Fachmann für Meßtechnik, kenne aber den Meßautomaten bislang nicht. Seinen derzeitigen Arbeitgeber möchte er nicht nennen, da dieser nicht ahne, daß er ihn wahrscheinlich verlassen werde. -

Fürwahr kunstpreisverdächtig, was der Mann da gleichzeitig als Schauspieler und Elektronikexperte geleistet hat. In dieses Ensemble paßten die Techniker der Lieferanten hervorragend. Ihrer Mentalität entsprach es, keine Fragen zu stellen, die nicht mit den fachlichen Aufgaben im Zusammenhang standen. Sie waren nur daran interessiert, ihren Job in möglichst kurzer Zeit zu erledigen.

Der Meßautomat J 259 von Teradyn fliegt nach Schönefeld

Dieser Meßautomat vom Typ J 259 der USA-Firma Teradyn
In der Folge wurden - auf dem Papier - auch die Lohnaufträge abgewickelt, aber der Meßautomat sehr schnell wieder abgebaut

Majunke verkaufte ihn an eine Bonner Firma, die ihn wiederum an Nedimtrans in Holland weiterverkaufte. Ein Spediteur der Bonner Firma übernahm den Meßautomaten in Wesseling und lieferte ihn vom Flughafen Köln-Bonn per Luftfracht nach Amsterdam, wobei keinerlei ausfuhr- bzw. zollrechtliche Probleme auftraten. Nach Eintreffen der Ware in Amsterdam übernahm Nedimtrans den Meßautomaten, und mit einer Transitgenehmigung ohne genaue Warenbezeichnung, sondern unter dem Globalbegriff „elektronische Teile", wurde er per Luftfracht mit der KLM nach Berlin-Schönefeld gebracht.

Viel gelernt für spätere Geschäfte

Bei der ganzen Transaktion konnten wir sehr viel lernen, was für unsere spätere Arbeit sehr nützlich war. Das Wagnis der Abwicklung hatte sich gelohnt. Denn wir konnten nicht nur das Risiko beim Import technisch komplizierter Geräte reduzieren, sondern am Rande zusätzliche wertvolle Informationen abschöpfen. Und nicht zuletzt hatte Maju seine Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt und sich für zukünftige Aufgaben empfohlen.

Bei der Abwicklung war nur ein einziges Problem aufgetreten: Wir hatten nämlich im Vertrag einen Festpreis in US-Dollar vereinbart, doch in der Realisierungsphase hatte sich der Wechselkurs zwischen Dollar und DM derart ungünstig verändert, daß Majunke einen hohen Verlust erlitten hätte.

Ich kam also seiner Bitte nach, einen neuen Preis zu vereinbaren, so daß sein ursprünglich kalkulierter Gewinn erhalten blieb. Mein großzügiges Entgegenkommen wertete mir Majunke sehr hoch an und vergaß es nie. Das war dann die Basis für alle künftigen Geschäfte und natürlich auch für unsere persönliche Beziehung.
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Bis 1978 war etwas Flaute, dann ging es wieder voll los

Nach meinem Weggang von Anlagenimport liefen dort die Geschäfte mit Majunke auf Sparflamme, nicht aber die mit Heim-Electric. In meiner neuen Tätigkeit als Generaldirektor des AHB Carl Zeiss Jena boten sich zwar keine kommerziellen Beziehungen zu Maju an, doch wir ließen unsere persönlichen Kontakte nicht abreißen und trafen uns beispielsweise stets auf den Leipziger Messen.

Als ich 1978 Generaldirektor des AHB Elektronik wurde, konnten wir auch unsere Geschäftsbeziehungen neu beleben. Maju lieferte uns Meßtechnik und Produktionsausrüstungen für die Mikroelektronik, ich konnte ihn in die Abwicklung einiger Japangeschäfte mit Toshiba einbeziehen.

Einen ungeheuren Aufschwung nahmen unsere Geschäfte in der achtziger Jahren, nachdem unser Handelsbereich 4 gebildet worden war und im Vorfeld des XI. SED-Parteitags die Importaufgaben sprunghaft wuchsen.

Dabei ging es nicht nur um Embargoimporte, sondern auch um dringend benötigten Produktions- und Forschungsbedarf im völlig legalen Bereich. Maju war stets reaktionsschnell und lieferte zuverlässig. Er scheute sich auch nicht vor persönlichen Belastungen und die seiner Familie. Denn das war mitunter notwendig, um die Terminzielstellungen oft auf den Tag genau einzuhalten, damit kein Produktionsstillstand beispielsweise bei Robotron in Sömmerda eintrat.
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Maju war immer akkurat und pünktlich

Maju machte sich bei unseren Betrieben und Forschungszentren einen guten Namen, weil er immer akkurat und pünktlich lieferte. Darunter elektronische Bauelemente im Wert von mehreren Millionen
DM, Disketten und Diskettenlaufwerke für die Produktion
von PCs im Wert von über 10 Mio. DM, Mikromotoren für Diskettenlaufwerke für etwa eine Million DM, Plotter für über 4 Mio. sowie Monitore als periphere Geräte für Robotron-PCs für über 20 Mio. DM.

Schwerpunkt der Embargolieferungen waren vor allem elektronische Bauelemente und Baugruppen, Reinstsilizium für die Waferproduktion, leistungsfähige PCs, 32-Bit-Rechner von DEC sowie Computerperipherie.

Dazu zählten auch ausgewählte Produktionsausrüstungen, wie zum Beispiel zwei automatische Bandstraßen für Siebdruck einschließlich Prozeßsteuersystem für den Bereich Mikroelektronik im VEB Kombinat Keramische Werke Hermsdorf im Wert von 2 Mio. DM.

Maju kannte den Markt und die Gepflogenheiten

Bei elektronischen Bauelementen kannte Maju besonders leistungsfähige Quellen, über die selbst Waren beschaffbar waren, die andere Embargolieferanten nie besorgen konnten.

Das war 1985 der Fall, als es um die Lieferung von SAM 2 und SAM 5, d. h. um spezielle Bauelemente für die Funktechnik in größeren Stückzahlen und um Laser-Dioden ging. Sogar den Profis von den Speziellen Beschaffungsorganen des MfS gelang es nicht, die Dinger, für die die Stasi Eigenbedarf hatte, ins Land zu schmuggeln. Doch davon wußte Majunke natürlich nichts.

In einem Verhandlungsbericht vom März 1985 schrieb ich dazu:

  • „Majunke stellte gleichzeitig die Forderung, daß bei Auslieferung der Bauelemente von seinen Unterlieferanten an die Firma Majunke eine umgehende Weiterlieferung innerhalb von höchstens 24 Stunden durch körperliche Obergabe an uns erfolgen muß. Majunke geht davon aus, daß bei event. Schwierigkeiten von Behörden, die durchaus auftreten können, die Zeit von 24 Stunden ausreichend ist, um event. bei Hausdurchsuchungen oder ähnlichen Aktivitäten die Ware in Sicherheit zu bringen. Die Übernahme der Ware in Berlin oder einem anderen Ort innerhalb der DDR ist von uns auch an Sonn- und Feiertagen zu sichern. Dies wurde zugesagt. - Es handelt sich um eine äußerst komplizierte Ware, bei der bisher alle anderen Beschaffungsaktivitäten seit ungefähr September vorigen Jahres ergebnislos verlaufen sind."

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Die Erfolgsbilanz von Majunke

Zur Erfolgsbilanz von Majunke gehören auch die Lieferung von Reinstsilizium im Zeitraum 1987 bis 1988 für den VEB Spurenmetalle Freiberg im Gesamtwert von über 15 Mio. DM sowie von Rechentechnik im Wert von über 4 Mio. für verschiedenen Bedarfsträger in der DDR.

Und nicht zu vergessen sind die Computerimporte, die er bereits vor Bildung des Handelsbereiches 4 für mich als AHB Elektronik tätigte. Bei den meisten handelte es sich um Erzeugnisse der USA-Firma DEC, da sich die DDR beim Import und vor allem auch bei der Entwicklung neuer Computergenerationen im Kombinat Robotron einheitlich auf die DEC-Technologie konzentrierte, weil diese im internationalen Rahmen Spitzentechnologie verkörperte.

Maju lieferte VAX 861 XA-AI, VAX 8000, Micro-VAX II und III und ein komplettes Ehternet-Netzwerk, zum damaligen Zeitpunkt alles moderne leistungsfähige 32-Bit-Technik.

Überhaupt, es war schon bewunderungswürdig, was Majunke, unsere einzige Bezugsquelle, an technischen Dokumentationen, Baugruppen und Bauelementen von DEC-Computern für uns beschaffte. Ohne Majus Hilfe hätte es keinen 32-Bit-Rechner bei Robotron gegeben. Und vielleicht würden Honecker und Mittag noch heute auf ihren 1 -MBit-Chip made in GDR warten...
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Die holländische Firma Marcus Broere in Boxtel

Die Mehrzahl aller Geschäftsabwicklungen erfolgte direkt zwischen Maju und uns als Handelsbereich 4, aber für einige Verträge wurde die holländische Firma Marcus Broere in Boxtel zwischengeschaltet.

Inhaberin und Geschäftsführerin war Frau Broere, Majunke hatte Prokura. Oft lieferte Majunke persönlich mit seinem Auto die Waren in der DDR an, wofür er von uns die übliche „Zollfreimachung" erhielt. Meist wurden jedoch die Transporte von Speditionen über Holland abgewickelt.

Mit den steigenden Umsätzen nahm auch die Zahl der unerläßlichen Verhandlungen zu. Allerdings konnten diese meist nur an Wochenenden oder nachts stattfinden, weil Majunke ja noch als Geschäftsführer einer Tochterfirma der Union Kraftstoff AG arbeitet und außerdem die Geschäfte der eigenen Firma von ihm und nicht seiner Ehefrau bearbeitet wurden.
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Ganz bestimmt MfS-Wanzen im Ostberliner Palasthotel

Also mietete Maju im Ostberliner Palasthotel ein Appartement, das er mit der erforderlichen Bürotechnik ausstattete und das als Verhandlungsort diente. Das diese Räume durch das MfS vorher verwanzt wurden, konnten wir nur vermuten, aber in unserer Gesprächsführung berücksichtigen.

Manches vertrauliche Gespräch konnte nur außerhalb des Appartements im Freien, geführt werden. Damit brauchte er unsere Büroräume im Haus der Elektroindustrie nur in Ausnahmefällen betreten und konnte nicht von anderen Lieferanten gesehen werden. Diese Praxis hatte sich schon mit anderen Partnern bestens bewährt.
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1982 brauchte ich einen Freund im Westen

Als ich im März 1982 in der Bundesrepublik wegen des Verdachts nachrichtendienstlicher Tätigkeit verhaftet wurde, hatte sich Majunke mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für meine sofortige Freilassung eingesetzt.

Das wurde sogar in Stasi-Dokumenten festgehalten, bei denen es im MfS-Deutsch zur „Zielperson" Majunke heißt:

  • „Die Zielperson stand 1982 nachweisbar im Blickfeld von BND und Verfassungsschutz der BRD im Zusammenhang mit der widerrechtlichen Inhaftierung des stellv. Generaldirektors des AHB Elektronik in der BRD. Im Ergebnis der operativen Nutzung von Verbindungen der Zielperson in die Führungsspitze der FDP konnten wesentliche Voraussetzungen dafür geschaffen werden, das die gegen den DDR-Kader ursprünglich erhobene Anklage der geheimdienstlichen Agententätigkeit zurückgezogen werden mußte. Die BRD-Organe begründeten ihre Anklage mit der Unterstellung, daß die Geschäftstätigkeit des DDR-Kaders bzw. die des AHB durch das MfS gesteuert wird. Es besteht Grund für die Annahme, daß die Zielperson und ihre Geschäfte weiter unter Kontrolle von BRD-Abwehrorganen standen - um so mehr, da sie nach 1982 ihre Geschäftstätigkeit und Geschäftskontakte zum AHB Elektronik forcierte."


Die FAZ ergänzte dazu im Jahr 1993, „daß Majunke nicht nur als Lieferant eine 'erste Adresse' war. Als Ronneberger 1982, also lange vor der jetzt in Köln zur Debatte stehenden schweren Wirtschaftsstraftat, bei einer Reise zu einem anderen Embargo-Lieferanten in Bayern verhaftet wurde, hatte sich Majunke massiv für seine Freilassung eingesetzt. Die Intervention des FDP-Kommunalpolitikers bei Innenminister Baum (FDP) und Wirtschaftsminister Lambsdorff (FDP) zeigten zwar keinen direkten Nutzen, weil es, wie der Vorgesetzte Ronnebergers nach einem Gespräch mit Majunke festhielt, Diskrepanzen zwischen der bayerischen Landesregierung (CDU/CSU) und der Bundesregierung (damals sozial-liberal) über die Behandlung des Falls Ronneberger gab. Dennoch wurde der Spezialist der DDR bald freigelassen - und die Geschäfte zwischen Majunke und der DDR konnten weitergehen."

Wolfgang Stock: "Embargoschmuggel im Wohnmobil", in: FAZ, 26/27. September 1993.
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Eine Freundschaft muß man pflegen, auch gegen das MfS

Durch diese Hilfe von Majunke fühlte ich mich zu großem Dank verpflichtet. Vor allem kamen wir uns dadurch persönlich noch näher. Es entwickelte sich eine enge und tiefe Freundschaft, in die gleichfalls unsere Frauen und Familien einbezogen waren und die auch die Wendezeit überstand.

Uns verbanden viele schöne gemeinsame Erlebnisse, so ein Besuch in der Semper-Oper in Dresden oder eine gemeinsamer Silvesterfeier im Palasthotel in Berlin.

Das war natürlich ein Dorn im Auge der Stasi, besonders meines Führungsoffiziers Artur Wenzel. Mehrfach forderte er mich auf, die privaten Kontakte zur Familie Majunke einzuschränken. Wirklich eingeschränkt habe ich sie nie, nur nicht mehr so offen gepflegt, wofür Hans und Pia Verständnis hatten.

Manchmal kam ich mir deshalb wie ein Tänzer auf dem Drahtseil vor: Auf der einen Seite Staatssicherheit und Partei mit ihrem Sicherheitswahn, auf der anderen die Erfordernisse einer brisanten Geschäftstätigkeit sowie vor allem eine echte Freundschaft.

Für mich war klar, daß eine schöpferischen Atmosphäre und erfolgreiche Zusammenarbeit auf einem wahrlich nicht ungefährlichen Terrain nur mit einem Partner möglich waren, zu dem ein gegenseitiges uneingeschränktes Vertrauensverhältnis bestand. Ehrliche und offene menschliche Beziehungen spielten dabei eine wesentliche Rolle. Der Erfolg gab uns letztlich recht.

Manchmal mußte auch das MfS Kreide fressen

Wenn auch nicht gern gesehen, wurden die persönlichen Kontakte zwischen mir und Majunke vom MfS im gewissen Umfang toleriert.

Schließlich ging es um Geschäfte, an denen die „Firma" interessiert und eingebunden war. Das hielt „Horch & Guck" freilich nicht ab, uns ständig konspirativ zu überwachen. Berichte von Telefonabhöraktionen und Observation sind stapelweise in meinen MfS-Akten zu finden.

Trotz seiner ehrlichen und wichtigen Arbeit für die DDR stand Majunke selbst unter fast lückenloser Überwachung durch das MfS. Er wurde eben nicht nur bis 1977 im Operativvorgang (OV) „Intertrans" der Hauptabteilung XVIII/8 „bearbeitet", sondern auch noch danach „aufgeklärt".

So gibt es den Bericht eines Oberstleutnant Lühr der Stasi-Bezirksverwaltung Leipzig vom 9. September 1985, in dem eine „zuverlässige Quelle", der IM „Göpfert" informiert.

Bei dem IM handelt es sich um den ehemaligen Forschungsdirektor des VEB Funkwerk Leipzig, den Majunke persönlich seit Jahren kannte und vertraute und bei dem er während der Leipziger Messen als Stammgast sein Privatquartier in dessen Wohnung in Großpösna bei Leipzig bezog.

„Mit dem Ronneburger [gemeint ist Ronneberger] führte der M. am 31.8.1985 ein gemeinsames Abendessen im Ratskeller Grimma durch. Durch die Quelle wurde dabei festgestellt, daß der M. seinem Sohn ausdrücklich eine Teilnahme an diesem Essen verweigerte. "Nach den Äußerungen des M. habe er allein mit dem R. zu reden. Bis gegen 23.00 Uhr weilte der M. mit dem R. im Ratskeller Grimma.

Am nächsten Tag, dem 01.09. 85, führte der M. mit dem R. offizielle Verhandlungen auf der technischen Messe. Am 01.09.1985 abends erklärte der M. gegenüber der Quelle, daß er noch am Abend nach Berlin (Hauptstadt der DDR) abreisen müsse, weil er im Palasthotel einen Vertrag mit dem dortigen technischen Direktor Larisch abschließen müsse über die Dauermietung eines Appartements auf seinen Namen. Dies sei mit dem Ronneburger abgestimmt worden."
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Es wurmt, daß mir meine eigenen MfS Genossen mißtrauten

Doch das Mißtrauen der Staatssicherheit gegenüber Majunke ging noch weiter. Immer wieder verdächtigte mein Führungsoffizier Majunke, ein Spion zu sein, der für den BND oder den Verfassungsschutz nicht nur mich ausschnüffeln sollte, sondern Überhaupt unsere Embargogeschäfte mit anderen westdeutschen Firmen.

Wasser auf diese Mühlen gab es beispielsweise im Juni 1983. Damals brachte Majunke eine Frau Helga Krips, angeblich Lehrerin aus der Kölner Gegend, mit nach Berlin ins Palasthotel, wo wir uns trafen.

Majunke hatte mich vorher vertraulich informiert, daß es sich bei der Dame um eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes handeln würde, die er im Auftrag des Verfassungsschutzes mit mir in Kontakt bringen sollte und die nach ihrer Rückkehr in den Westen ihrem Arbeitgeber schriftlich berichten müsse.

Logisch, daß Frau Krips während ihres DDR-Aufenthaltes vom MfS observiert wurde, denn ich hatte selbstverständlich vor dem Zusammentreffen mit ihr die Zustimmung der Staatssicherheit eingeholt. Daß die elegante Dame gezielte nachrichtendienstliche Forderungen an mich herantrug, konnte ich nicht feststellen. Wahrscheinlich wollte mich der Verfassungsschutz nach meiner Haftentlassung in der Bundesrepublik nur studieren und aufklären.

Sicher, ich ahnte schon, daß sowohl in der DDR als auch im Westen still und leise noch irgend etwas gegen mich lief. Nun wurde es fast zur Gewißheit. Hatte mir doch Hans-Joachim Majunke bereits vorher mehrfach versichert, daß ich nach meiner Haftentlassung in der Bundesrepublik rehabilitiert sei, ich also bei einer Einreise in das Land von dort nichts mehr zu befürchten hätte. Er bot mir sogst eine offizielle Erklärung gegenüber der Ständigen Vertretung in Bonn an.

Davon konnte ich jedoch keinen Gebrauch machen, denn ich hatte sowieso vom MfS Reiseverbot für die BRD und das gesamte westliche Ausland mit Ausnahme Japan.

Andererseits warnte mich Majunke, daß er von dem „politischen Kommissar", wie er die Krips nannte, erfahren habe, daß die DDR über meinen ehemaligen Rechtsanwalt Ufer und andere Personen im Westen versuchen würde, Informationen über mein Verhalten während der Haftzeit in Stadelheim zu erhalten.

Gleichzeitig versicherte er mir, dafür Sorge getragen zu haben, daß alle Vernehmungsprotokolle unter Verschluß der Staatsanwaltschaft gehalten werden und auch für die Rechtsanwälte unzugänglich bleiben.
Freilich, es wurmte mich schon, als ich mitbekam, daß mir meine Genossen mißtrauten. Doch davon ging die Welt nicht unter. Es war nur ein Ränkespiel unter vielen, zudem noch ein kleines und unwichtiges.
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