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Gerhardt Ronnebergers Autobiographie - Deckname "SAALE" - aus 1999 - ein Generaldirektor erzählt .....

Gerhardt Ronneberger, geboren im März 1934 in Saalfeld († 2013 ?) schreibt 1999 in seiner Autobiographie (1982–1999) auf etwa 370 Seiten, wie es wirklich zuging beim MfS, der Stasi und den Betrieben in der "Deutschen Republik". Da er nie in einem richtigen Ossi-Gefängnis eingesperrt war, fehlt diese Erfahrung völlig, dafür aber die Zustände in einem West-Gefängnis und wie es dazu kam und vor allem, was danach bis zur Wende im Dez 1989 kam. Der Einstieg beginnt hier und mein Resume über das Buch endet hier.

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Der „Spionageprozeß Hütten-Rauch-Latinsky"

Als frischgebackener IM gab ich meine ersten Berichte zu fachlichen Problemen der Arbeit und zur Situation im Außenhandelsbetrieb Heim-Electric, in dem ich nach Rückkehr aus Kairo als Direktor für Export und Import tätig war. Die geschäftlichen Beziehungen der elektronischen Bauelemente-Industrie mit kapitalistischen Wirtschaftsunternehmen waren dabei nicht ausgeklammert.

Bald kam das erste Problem. Die Stasi klärte seit 1965 einen großen Spionagefall auf, der später als „Spionageprozeß Hütten-Rauch-Latinsky" in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Hüttenrauch, ein Westberliner Vertreter, arbeitete mit unserem Außenhandelsbetrieb, insbesondere mit dem von mir bis Ende 1964 geleiteten Kontor Rundfunk- / Fernsehgeräte / Phonotechnik sowie dem Bereich elektronische Bauelemente zusammen.

Im geheimen jedoch führte er Militärspionage gegen die DDR durch und hatte Jochen Creutzmann als Agent angeworben. Creutzmann war mein technischer Berater in der Funktion als Direktor des Bereiches und nutzte seine Position, um aus den Forschungsbereichen der Betriebe der elektronischen Bauelementeindustrie Informationen für den amerikanischen Geheimdienst abzuzweigen. Zusammen mit Hüttenrauch korrumpierte er einige Mitarbeiter meines Bereiches.

An der Aufklärung dieses Falles war ich gemeinsam mit meinen beiden Stellvertretern Dietrich Kupfer, später Direktor des Anlagenimports, und Horst Schuster, später Chef des KoKo-Unternehmens Kunst und Antiquitäten, beteiligt. Beide waren gleichfalls IM des MfS, was ich natürlich offiziell nicht wußte.

Horst Schuster trat im Prozeß gegen Hüttenrauch und Creutzmann als einer der Hauptbelastungszeugen auf. Jahre später enttarnte sich Schuster mit seiner Flucht in die Bundesrepublik selbst als Doppelagent, der nicht nur für das MfS gearbeitet hatte. Hüttenrauch und Creutzmann wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Vor dem Schalck-Untersuchungsausschuß des Bonner Bundestages outete sich Horst Schuster, der von 1973 bis 1980 als Hauptgeschäftsführer die KoKo-Firma Kunst und Antiquitäten leitete, unter seinem neuen Namen Arthur Schuster von Witzleben, selbst als Agent des amerikanischen Geheimdienstes CIA und bestätigte, außerdem in Diensten von BND und Stasi gestanden zu haben. 1983 organisierte der BND Schusters Flucht über Ungarn in die BRD, um ihn „abzuschöpfen". Er lebt heute in München.
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Zu spät - der BND wußte bereits zuviel über mich

Hüttenrauch plauderte gegenüber seinen MfS-Vernehmern übrigens auch aus, daß er den amerikanischen Geheimdienst laufend über meine Person, meine Tätigkeit, meine Dienstreisen in das westliche Ausland und meine Kontakte zu westlichen Firmen informieren mußte. Ein ganz gezieltes Interesse des CIA an meiner Person vermochte man jedoch nicht festzustellen.

Mit Aufnahme meiner Funktion als stellvertretender Leiter der Abteilung Anlagenimport in der WB Bauelemente und Vakuumtechnik konzentrierte sich meine Arbeit mit dem Leiter der Abteilung, Wolfram Zahn, darauf, diese Abteilung schrittweise und systematisch zu einem leistungsfähigen Bereich mit eigenen Außenhandelsrechten auszubauen. Unser erklärtes Ziel: die Beschaffung von Embargowaren. Natürlich war auch das mit Artur Wenzel abgestimmt. Ohne den Segen des MfS ging nichts.

Als IM sollte ich vor allem einige Embargolieferanten auskundschaften. Sie standen unter dem gewiß nicht unbegründeten Verdacht, Verbindungen zu gegnerischen Geheimdiensten zu unterhalten oder Korruptionshandlungen in der DDR begangen zu haben. Dazu gehörten solche Firmen wie „Radio Zemanek", Wien, und „Caramant", Wiesbaden. Ich sollte nun herausfinden, welche unserer Mitarbeiter durch Geld und Sachwerte bestochen wurden. Es galt Schaden abzuwenden und die Konspiration zu wahren.

Meine Tarnung mußte ich auch aufrechterhalten, als ich beispielsweise im November 1970 auf Geschäftsreise nach Wien fuhr. Mein eigentlicher Auftrag: „Aufklärung" der Person Joseph Griesler und der Firmen „Industrie Contact Agent", „Electrofact", „Armaco", „Agrimar de Panama" und „Great Circle Trade".

März 1979 - Dr. Hartmann alias Generalleutnant Kleine

Im März 1979 brachte mich mein Führungsoffizier mit einem MfS-Mitarbeiter zusammen, der sich als Dr. Hartmann vorstellte. Später erst stelle ich fest, daß sein wirklicher Name Kleine war und es sich um den späteren Leiter der HA XVIII, Generalleutnant Kleine handelte.

„Dr. Hartmann" erteilte mir den Auftrag, von Westberlin aus einen Herrn Gerhard Mauershof, leitender Mitarbeiter in einem Konzern des Maschinenbaus, in seiner Wohnung in Westberlin anzurufen. Die bestehenden Kontakte zwischen „Dr. Hartmann" und Mauershof waren offenbar unterbrochen und ich sollte sie wiederherstellen.

Ich telefonierte also in Westberlin mit der Haushälterin von Mauershof, indem ich mich wie festgelegt als Dr. Karl Hartmann und Freund von Mauershof vorstellte. Die Dame erzählte mir vertrauensselig, daß Mauershof gerade eine schwere Operation mit komplizierten und langwierigen Nachwirkungen hinter sich habe.

Ich entschuldigte mich, daß ich mich erst jetzt nach dem Befinden meines Freundes erkundigen könne, da ich erst von einem Auslandsaufenthalt zurückgekehrt sei. Ich fragte, ob ein Telefonanruf im Krankenhaus möglich sei und erhielt eine Telefonnummer und den Namen des Krankenhauses. Ich bat die gute Frau um Übermittlung bester Grüße und Wünsche zur vollen Genesung, da ich noch nicht sagen könne, wann eine Möglichkeit zu einem persönlichen Anruf im Krankenhaus besteht. Damit wollte ich sichern, daß Mauershof von dem Anruf erfährt.

Zurück in Ostberlin, mußte ich meinen Auftraggeber sofort telefonisch informieren und eine schriftliche Notiz anfertigen - das übliche Procedere bis ans Ende der Tage von Staatssicherheit und DDR. Die Kopien und Durchschlage von den Berichten haben überlebt.
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Weiterer Austausch von verschlüsselten Informationen und neue Medaillen

Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus mußte ich Mauershof nochmals anrufen und ihm persönlich die besten Grüße „meines Freundes Gerhard Weiss", Stellvertretender Ministerratsvorsitzender der DDR, übermitteln. In dem Telefongespräch erwiderte Mauershof die Grüße an Gerhard Weiss.

Ich bin sicher, der mir vorgegebene Gesprächswortlaut war verschlüsselt. Aber meine Neugier hielt sich in Grenzen, war es doch ein eisernes Gesetz auch für jeden IM der Staatssicherheit, daß er nur das Allernotwendigste wissen durfte.

Insgesamt müssen die Genossen von der „unsichtbaren Front" mit meinen Zuarbeiten zufrieden gewesen sein. Als ich nämlich meine Tätigkeit im Anlagenimport beendete, zeichnete mich Artur Wenzel im Auftrag des Ministers für Staatssicherheit mit der „Verdienstmedaille der Nationalen Volksarmee" in Bronze aus. Ich fühlte mich geehrt.

Ebenso Jahre später, als ich für meine Arbeit mit dem gleichen Orden in Gold bzw. mit dem „Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland" in Bronze und Gold belohnt wurde. Alle diese Auszeichnungen durch die Staatssicherheit erfolgten Übrigens heimlich, still und leise.
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Im Sumpf der Korruption

Mein Bewußtsein, als Informant der Staatssicherheit einer „guten Sache" zu dienen, wurde auch nicht in Jena erschüttert.

Das Kombinat VEB Carl Zeiss hatte eine eigene Objektdienst-$telle (OD) des MfS, mit der ich in meiner offiziellen Funktion als Generaldirektor des Außenhandelsbetriebes zusammenarbeiten mußte. Dieser Kontakt war abgedeckt und offiziell, die Mitarbeiter dort wußten nicht, daß ich außerdem als IM bei der „Firma" angebunden war.

Von 1973 bis 1978 schätze ich für die HA XVIII die Leitungstätigkeit im Kombinat ein und wertete Führungsdokumente des Kombinates für den Ministerrat und das Zentralkomitee der SED aus, in denen es beispielsweise um die langfristigen Absatzstrategie, die Außenhandelstätigkeit, die Forschungskonzeption und die Kaderarbeit ging.

VEB Carl Zeiss besaß eine eigene Industriekreisleitung der SED (IKL), die im Kombinat einen großen Einfluß auf alle Seiten der Arbeit ausübte. Sie wurde direkt von der Bezirksleitung Gera unter ihrem 1. Sekretär, Herbert Ziegenhahn, angeleitet und in ihrer Rolle bestärkt.

Als ich die Funktion des Generaldirektors AHB übernahm, mußte ich bald feststellen, daß einige leitende Mitarbeiter meines Außenhandelsbetriebs jahrelang die Korruption in der SED-Bezirksleitung unterstützt und damit gegen die Gesetzlichkeit verstoßen hatten.

So ließ der 1. Sekretär der Kreisleitung, Heinz Titel, über Mitarbeiter unserer Außenhandelsbüros im westlichen Ausland wertvolle Waren und Genußmittel beschaffen, die als Geschenke an die Sekretäre der Bezirksleitung weitergereicht wurden, wenn diese unseren Messestand in Leipzig besuchten.

Es war inzwischen Gewohnheit geworden, daß die hohen Genossen von der Bezirksleitung geradezu Bestellisten über Heinz Titel und unseren AHB Übergaben. Man watete durch einen regelrechten Sumpf der Korruption.

Mein Kampf gegen die Windmühlen der Partei

Ich versuchte, mich dem entgegenzustemmen, indem ich gegenüber Heinz Titel klarstellte, da nicht mitzumachen. Außerdem untersagte ich meinen Leitungskadern jegliche Mitwirkung an solchen Machenschaften. Damit hatte ich zwar mein weiteres Verhältnis zur Kreis- und zur Bezirksleitung der SED selbst definiert, die Korruption aber keineswegs unterbunden.

Sie wurde hinter meinem Rücken fortgeführt, und ich war in meiner Funktion ständiger Kritik und persönlicher Angriffe durch die Parteifunktionäre ausgesetzt. Sogar die Staatssicherheit war gegenüber dem Parteiapparat, ihrem obersten Auftraggeber, machtlos.

Es bedurfte erst der Übernahme der Funktion des Generaldirektors im Kombinat durch Wolfgang Biermann, der dem Treiben ein Ende setzte. Sein Vorgänger, Helmut Wunderlich, unter dem ich meine Tätigkeit begann, besaß nicht den Mut und das Hinterland, um sich mit Herbert Ziegenhahn, dem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, anzulegen, der im Bezirk Gera wie ein Landesfürst herrschte.

Biermann als Mitglied des Zentralkomitees und mit Günter Mittag befreundet, hatte eine genügend starke Position. Der 1. Sekretär der Kreisleitung wurde abgelöst, und gegen einige Mitbeteiligte, auch meines Außenhandelsbetriebs, wurden Strafverfahren durchgeführt.

Generaldirektor Wolfgang Biermann

Wolfgang Biermann war eine zwiespältige Person. Einerseits war er ohne Zweifel der fähigste und angesehenste Generaldirektor in der Volkswirtschaft der DDR, der auch in jedem westlichen Konzern seine Karriere gemacht hätte. Aber andererseits praktizierte er einen Leitungsstil, der mit sozialistischer Leitungstätigkeit nicht mehr viel zu tun hatte und den ich nur als menschenverachtend charakterisieren kann.

Besonders seine engsten Leitungskader behandelte er mit übertriebener Härte, setzte sie Beschimpfungen und Beleidigungen aus. „Ergebnisse werden, wenn es sein muß, herausgedroschen", war seine übliche Sprechweise.

Auch ich blieb davon nicht verschont. Der autoritäre Arbeitsstil von Biermann, der schon während seiner Tätigkeit als Kombinatsdirektor des Werkzeugmaschinenkombinats WMW in Berlin typisch war, stand von Anfang an unter der kritischen Beobachtung durch das MfS.

Kein Wunder, daß ich bereits kurze Zeit nach seinem Amtsantritt in Jena von meinem Führungsoffizier, Artur Wenzel, den Auftrag zur Ausarbeitung einer Einschätzung der Leitungstätigkeit von Biermann erhielt.

Dazu heißt es in der Fallstudie „Kadersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena" der Gauck-Behörde :

  • „So übten schon früh einflußreiche inoffizielle Mitarbeiter massiv, hart und schlüssig Kritik am Leitungsstil Biermanns, dessen Amtsübernahme Ende 1975 bald von mehreren Suiziden überschattet werden sollte. Der Generaldirektor des Außenhandelsbetriebes Carl Zeiss, Gerhardt Ronneberger alias inoffizieller Mitarbeiter (IM) "Saale", berichtete bereits am 3. März 1976, nach nur viermonatiger Tätigkeit Biermanns, dem Leiter der Hauptabteilung (HA) XVIII, Abteilung 8 (künftig XVIII/8), Oberstleutnant Artur Wenzel, über diesbezügliche Erfahrungen, die erstaunlicherweise alle wesentlichen Aspekte künftiger Kritik ausführlich und konkret vorwegnahmen (diskriminierend, beleidigend, demotivierend etc.). Danach, so "Saale", proklamierte Biermann folgenden "besonderen Arbeitsstil":
  • „Ich werde euch Leitern allen die Schlinge um den Hals legen; ich werde diese Schlinge zuziehen, und dann hinterher wieder öffnen, damit ihr seht, wie schwer es sich, ohne Luft zu atmen, lebt und wie angenehm es sich anschließend wieder lebt, wenn man wieder Luft einatmen kann."

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*) Reinhard Buthmann: „Kadersicherung im Kombinat VEB Cari Zeiss Jena - Die Staatssicherheit und das Scheitern des Mikroelektronikprogramms", Berlin 1997, S. 12.

Dieser Stil Biermanns scheint in der Tat bis 1989 für ihn charakteristisch gewesen zu sein, glaubt man den vom MfS dazu zahlreich erarbeiteten Informationen. Eine Empfehlung, etwa durch den Leiter der Objektdienststelle (OD) Zeiss Jena, an den Leiter der Hauptabteilung XVIII/8 respektive an Erich Mielke und somit an das Zentralkomitee der SED, Biermann abzusetzen, ist hingegen nicht überliefert. Ganz anders verfuhr er im Umgang mit rangniederem Personal...

Der „General" war fest im Sattel ...

Biermann war - als Mitglied des ZK der SED - von unten nicht absetzbar, also auch nicht vermittels der Leiter der in Frage kommenden Diensteinheiten des MfS."

Für den „General", wie er von uns genannt wurde, hatte die Arbeitswoche sechseinhalb Arbeitstage und der Arbeitstag zwölf bis sechzehn Stunden. Alles mußte über seinen Tisch gehen, kein Schriftstück durfte das Kombinat verlassen, das nicht seine Unterschrift trug.

Oft saß er noch nach Mittemacht in seinem zweckmäßig eingerichteten Büro hinter einer Unmenge von Unterschriftenmappen, die selbst noch auf dem Fußboden gestapelt waren. Es hieß dann, „im Kreml brennt noch Licht". Der General erwartete von uns den gleichen Arbeitsstil und oft wurden wir über seine Wechselsprechanlage noch zu nachtschlafender Zeit in sein Büro gerufen.

Ein solcher Ruf beorderte auch mich eines Tages kurz vor Mitternacht im rüden Ton zu sich. Keine seiner drei im Schichtrhythmus arbeitenden Sekretärinnen war zu einem solchen Zeitpunkt noch im Dienst, denn sie waren die einzigen, die er rücksichtsvoll behandelte.

Ein Fernsehschirm auf seinen Schreibtisch zeigte ihm, was auf dem Flur vor seinem Büro vor sich ging und kündigte mein Kommen an. Auf dem Schreibtisch lag geöffnet eine meiner Unterschriftenmappen mit einem Informationsbericht an das Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik.

Mit einer wüsten Schimpfkanonade legte Biermann seine Meinung zum Inhalt des Berichtes dar, er war ihm zu kritisch. Solche ehrlichen Informationen nach Außen duldete er nicht, das Kombinat durfte nicht „beschmutzt" werden. Als ich ihm widersprach und meinen Standpunkt verteidigte, sprang er erregt auf, nahm die Unterschriftenmappe, packte mich am Arm und zerrte mich auf den Flur.

Die Unterschriftenmappe flog im hohen Bogen über das Geländer vom obersten Stockwerk. Im Parterre durfte ich die einzelnen Seiten auflesen. Der Bericht mußte natürlich von mir „geschönt" neu vorgelegt werden. Das Ansehen des Kombinates war gerettet und konnte weiter als Vorbild herausgestellt werden.

Auch die Pläne wurden von ganz oben manipuliert

Doch die Stasi mußte sich nicht nur mit der Verhaltensweise des Generaldirektors und dem daraus resultierenden Arbeitsklima unter den Leitungskadern des Kombinates beschäftigen.

Den Argusaugen der Sicherheit entgingen auch nicht die praktizierten Methoden, mit denen Pläne manipuliert wurden, so die Erfüllung des NSW-Exportplanes mit Hilfe des Ministers für Außenhandel, Gerhard Beil, unmittelbar nach der Funktionsübemahme von Biermann.

Das Kombinat hatte wieder einmal den NSW-Exportplan zum Jahresende in Größenordnungen nicht erfüllt, der einzige Makel in einer sonst guten Jahresbilanz. Das paßte Biermann und auch seinem Freund Günter Mittag nicht in das Konzept, so durfte kein Vorzeigekombinat dastehen.

Hektisch suchte Biermann in den letzten Stunden des Jahres seinen Freund Gerhard Beil an seinem Urlaubsort. Das in meinem Beisein geführte Telefongespräch zwischen dem "General" und Beil war erfolgreich.

Am ersten Tag des neuen Jahres kam vom Außenhandelsminister eine sogenannte Planpräzisierung für das vergangene Jahr. Der Jahresplan des Kombinates war damit „allseitig erfüllt", das Kombinat hatte eine ungetrübte Bilanz. Mittag konnte Zeiss weiter als Vorbild für alle anderen Kombinate darstellen.
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Das Schwert Staatssicherheit war wieder mal stumpf

An einer realen Lageeinschätzung im Kombinat habe ich gemeinsam mit anderen IM arbeiten müssen. Verändert haben wir aber sehr wenig. Wieder einmal war das Schwert Staatssicherheit stumpf, wenn es gegen die Führung der Partei gehen sollte.

Fruchtbarer, auch was meine eigene Informantentätigkeit betraf, war da schon die Ausweitung wissenschaftlich-technischer Unterlagen. Diese Dokumente waren auf sogenannten operativen Wegen aus dem Westen beschafft und vom MfS in neutraler Form an zentrale Wirtschaftsstellen übergeben worden.

Durch die Wissenschaftlich-technische Aufklärung der Hauptverwaltung Aufklärung (WTA/HVA) wurde ich mit Zustimmung der HA XVIII in die Auswertung einbezogen. Die Übergabe solcher Dokumente erfolgte meist über den Beauftragten für Wissenschaftlich- technische Zusammenarbeit (WTZ) im Ministerium für Wissenschaft und Technik (MWT). Die Staatssicherheit blieb nach außen unbeteiligt, da auch die Auswertung im Rahmen bestehender Forschungs- und Entwicklungsthemen des Kombinates erfolgte.

Die militärische Produktion bei Carl Zeiss

Eine ganz andere Sache war freilich die militärische Produktion bei Carl Zeiss. Sie unterstand der direkten Leitung von Generaldirektor Biermann und erzielte jährlich einen steigenden Anteil an der Gesamtaufgabenstellung des Kombinates. Hier wirkte ich weder mit noch hatte ich Detail- kenntnisse. Ausschlaggebend werden dafür wohl spezielle Sicherheitserfordernisse gewesen sein.

In Jena gehörten zu meinen Aufgaben, in den Technisch-Kommerziellen Büros und in den "Gemischten Gesellschaften", die wir als Außenhandelsbetrieb im Westen unterhielten, die Sicherheit zu gewährleisten. Das geschah natürlich in erster Linie über die personelle Besetzung, über die ich mich stets mit dem MfS abstimmte.

So auch bei dem von mir geplanten und unter meiner Regie durchgeführten Aufkauf der BRD- Vertreterfirma Werner Jähnert in Göttingen. Wir tarnten die mit DDR-Kapital realisierte Aktion über die DDR-eigene Firma „Anglolux" in Luxemburg, die als Kapitalgeber auftrat.

Zur Sicherung unserer Interessen wurde ein DDR-Bürger als Geschäftsführer eingesetzt, was nach BRD-Rechtslage statthaft war. Der von mir in Absprache mit Artur Wenzel eingesetzte Geschäftsführer, Bruno Müller, war unter dem Decknamen „Herrmann" ein Doppelagent, der mit Wissen und im Auftrag des MfS für den CIA arbeitete, was mir jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war. Ich kannte ihn bereits aus der Zeit in Kairo. Jedenfalls war unser Geschäft so erfolgreich, daß die ermittelnden BRD-Organe noch jahrelang im Nebel stocherten.
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Der Fall Günter Zahn

Im Herbst 1976 nutzte einer meiner Mitarbeiter, Günter Zahn, der nicht mit Wolfram Zahn verwandt war, eine Dienstreise nach England, um im Westen zu bleiben. Frau und Kind ließ er in der DDR zurück. Im Auftrag der Objektdienststelle des MfS nahm ich Verbindung zu seiner Ehefrau auf, die den Schritt ihres Mannes nicht verstehen konnte und nicht die Absicht hatte, ihm in die Bundesrepublik zu folgen.

Sie erklärte sich bereit, mit mir zusammenzuarbeiten, wobei sie freilich nicht wußte, wer mein wirklicher Auftraggeber war. Frau Zahn war bereit, mich von Kontaktaufnahmen ihres Mannes zu informieren und stimmte dem Abhören ihres Telefons zu.

Zahn versuchte tatsächlich, seine Frau von einer Familienzusammenführung zu überzeugen. Sie lehnte dies aber ab und forderte ihren Mann auf, in die DDR zurückzukehren. Zahn nahm daraufhin in Göttingen mit Bruno Müller, dem Leiter unserer „Firma Jähnert", Verbindung auf. Er signalisierte seine Bereitschaft zur Rückkehr in die DDR unter der Bedingung, daß er nicht strafrechtlich verfolgt wird. In Abstimmung mit der Objektdienststelle des MfS fuhr ich dann nach Hannover und traf im Hotel Intercontinental mit Zahn zusammen, um seine Gründe für die Republikflucht und seines Wunsches zur Heimkehr zu erkunden.

Ich konnte ihm sogar die persönliche Garantie geben, daß er bei einer Rückkehr nicht strafrechtlich belangt werde und seine Tätigkeit bei Zeiss wieder aufnehmen könne. Günter Zahn erbat eine Frist zum Nachdenken. Ich fuhr wieder zurück nach Jena.

Die Reise stellte für mich ein ziemliches Risiko dar. Denn es hätte leicht möglich sein können, daß das eine vom gegnerischen Geheimdienst gestellte Falle war, da Zahn ausschließlich mich als Gesprächspartner akzeptierte. Doch das Wagnis hatte sich gelohnt

Zahn kündigte uns über Göttingen seine Bereitschaft zur Rückkehr an. Ich vereinbarte, ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt im Oktober 1980 persönlich aus der Bundesrepublik abzuholen. Mit meinem Privat-Pkw fuhr ich dann zu Zahn; von Bebra ging es über Herleshausen in die DDR. Es war wiederum nicht gänzlich ungefährlich, denn unsere Zweifel an den ehrlichen Absichten von Günther Zahn waren nicht ausgeräumt.

Nach Passieren der DDR-Grenze wurde Zahn von Mitarbeitern des MfS übernommen. Damit hatte ich in meiner Naivität nicht gerechnet. Eine Verhaftung trotz meiner Garantieerklärung? Das war nicht der Fall. Nach umfassender Befragung konnte er seine Arbeit bei Zeiss wieder aufnehmen, sogar an seinem alten Arbeitsplatz im Außenhandelsbetrieb. Letzteres stieß aber auf Unverständnis bei vielen Kollegen, so daß Günther Zahn selbst später um Versetzung innerhalb des Kombinates bat.
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Unser Mann in Rio

Dem Zeitgeist nach der „Wende" entspricht es leider, daß der Kalte Krieg zwischen den beiden Weltsystemen allzugern als Einbahnstraße dargestellt wird. Doch keine Seite hielt noch die andere Wange hin, wenn auf die eine geschlagen wurde, und der Westen warf gewiß keine Wattebällchen in Richtung Osten.

Logischerweise befand sich auch Carl Zeiss Jena im Fadenkreuz westlicher Geheimdienste. Wegen seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung und allein schon wegen seiner militärischen Produktion und des Raumforschungsprogramms empfahl es sich als Objekt der Begierde. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich gehörte zu den Beteiligten und Betroffenen.

So mußten wir feststellen, daß aus meinem Verantwortungsbereich vertrauliche Erkenntnisse in den Westen abgeflossen waren. Unter Verdacht geriet ein Mitarbeiter der Abteilung Auslandsdienstreisen, der als Kurier oftmals Arbeitsunterlagen von Jena nach Berlin transportierte.

Nachdem sich die Verdachtsmomente verdichteten, wurden strafrechtlich relevante Beweise benötigt. Dazu wurden von der Staatssicherheit einige Dokumente präpariert, die dieser Mitarbeiter nach Berlin mitnehmen und dem Leiter meines Berliner Büros, Peer Ikier - IM unter den Decknamen „Olaf" -übergeben sollte. Und in der Tat - die Falle schnappte zu: Die kriminaltechnische Prüfung der Papiere ergab eindeutig, daß sie kopiert worden waren. Weitere zielgerichtete Überprüfungen erhärteten die Beweise für eine Agententätigkeit dieses Mitarbeiters.
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Der BND und die CIA waren sehr aktiv

Er war freilich nicht der einzige, der von der anderen Seite angeworben wurde. Beispielsweise bemühte sich eine Geheimdienstfiliale in Hamburg jahrelang darum, Agenten unter den Mitarbeitern des Kombinats und des Außenhandelsbetriebs zu rekrutieren, die günstige Aufstiegsmöglichkeiten hatten oder für eine Auslandstätigkeit vorbereitet wurden.

Besonders lukrativ erschienen neben der Militärproduktion unsere Arbeit im Rahmen des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe und die Tätigkeit der zahlreichen IM für die innere Abwehr. Doch auch diese Strategie blieb uns nicht verborgen.

Geeignete Verhütungsmaßnahmen ließen deshalb nicht auf sich warten, die Palette unserer Gegenaktionen reichte von der Überwachung der in Frage kommenden Kader bis zu ausgewählten Desinformationen und Spielmaterialien in Richtung Hamburg.

Darüber hinaus gelang es der Hauptabteilung XVIII/8 und der Jenaer Objektdienststelle, über ihre Informanten genau zu ermitteln, welche unserer Reisekader in Hamburg abgeschöpft werden sollten. Daß diese dann recht ordentlich auf die Abwerbungsversuche vorbereitet waren, versteht sich wohl von selbst.

Vor allem der BND und die CIA hatten sich darauf spezialisiert, in unsere Auslandsbüros und westlichen Vertreterfirmen einzudringen. Die Absicht lag auf der Hand: Sowohl unserer Geschäftstätigkeit als auch unserer Verbindungen zu staatlichen Stellen in den westlichen Ländern sollten gestört werden. Obwohl wir auch auf dieser Ebene manches wußten und gegensteuern konnten, waren wir nicht immer erfolgreich.

Unsere brasilianische Vertreterfirma „Jena d' Brasil"

So war es uns mit Hilfe unserer brasilianischen Vertreterfirma „Jena d' Brasil" und eines einflußreichen und leistungsstarken brasilianischen Vermittlers gelungen, gegen die Konkurrenz namhafter Konzerne - u. a. Siemens - millionenschwere langfristige Geschäfte zur Ausstattung des staatlichen Gesundheits- und Bildungswesens Brasiliens abzuschließen.

Sie waren von enormer handelspolitischer Bedeutung für die DDR. Doch einige Zeit später stand der Verkauf unserer Vertreterfirma zur Diskussion, weil die finanziellen Schwierigkeiten zugenommen hatten und auch die personelle Absicherung aufgrund altersbedingter Fragen nicht mehr gewährleistet war.

Davon mußte die gegnerische Seite Wind bekommen haben, der Zeitpunkt für die Unterwanderung unserer Firma schien günstig zu sein. In diesem Zeitraum also tauchten eine brasilianische Firma namens Odim und ein Herr von Murko mit seiner Ehefrau in Jena auf. Sie versprachen große Geschäfte und bewarben sich beim brasilianischen Firmeninhaber um den Kauf des Unternehmens.

Hauptinhaber von Odim war Manolo Sanchez Aquao, ein junger spanischer Emigrant, der nach Ermittlungen des MfS in Spanien radikalen Rechtskräften zugeordnet wurde. Er betrieb in Rio de Janeiro mehrere Nachtclubs, ein Hotel und ein Restaurant.

Sein Hauptgeschäft war allerdings nach unseren Erkenntnissen der Diamantenschmuggel. Herr von Murko, Österreicher, hieß laut Paß nur Murko und nicht „von Murko", und seine angebliche Ehefrau war in Wirklichkeit mit einen Araber verheiratet. Murko gab sich nicht nur als kommunistischer Widerstandskämpfer aus, sondern behauptete sogar, mit dem Minister für Staatssicherheit der DDR bekannt zu sein. Tatsächlich war er aber für Erich Mielke nur ein weißer Fleck, wobei allerdings seine Aktivitäten für westliche Dienste kein Geheimnis blieben.
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Die dubiose Firma ODIM

ODIM stand bereits vor der Kontaktaufhahme mit uns im Verdacht nachrichtendienstlicher Arbeit. Laut Auskunft des Ministeriums für Außenhandel hatte ODIM an der Vorbereitung von Republikfluchten von DDR-Bürgern, die in der DDR-Vertretung in Brasilien tätig waren, mitgewirkt.

Zudem charakterisierten Bankauskünfte aus Brasilien ODIM als ein sehr fragwürdiges Unternehmen. Und nicht zuletzt waren ODIM und Murko vorher schon anderen DDR-Außenhandelsbetrieben als unseriös aufgefallen: Sie hatten mehr als einmal unverschämt überhöhte Preis für gelieferte Waren gefordert.

In der Zwischenzeit war unser Konkurrent Zeiss Oberkochen an Murko herangetreten. Über ihn und ODIM wollte man heimlich so viele Informationen wie möglich über Zeiss Jena gewinnen.

Trotz all dieser Erkenntnisse lief uns die Sache aus dem Ruder. Ich persönlich reiste sogar nach Brasilien, um in langwierigen Verhandlungen den Verkauf unserer brasilianischen Vertreterfirma durch ihre Eigentümer an ODIM zu verhindern. Doch alle Anstrengungen waren umsonst. Eine wesentliche Rolle spielte dabei vermutlich Peter Kästner, unser Leiter des Technisch- Kommerziellen-Büros (TKB) in Rio.

Er hatte die ersten Kontakte zu ODIM geknüpft und in der Folge ein enges Verhältnis zu Murko aufgebaut. Jahre später, bei einem weiteren Auslandseinsatz, "verließ" Peter Kästner die DDR - ein Schelm, der Arges dabei denkt ...
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Ein Jahr nach Übernahme unserer Vertreterfirma durch ODIM mußten wir die Vertretung in Brasilien kündigen. Die Umsätze liefen gegen Null, und unsere Verbindungen zu staatlichen Stellen drohten abzureißen Unsere Gegenspieler hatten ihr Ziel erreicht, zumindest teilweise.
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1978 - wieder ein übler Sumpf von Korruption

Die Probleme, mit denen ich mich seit 1978, dem Beginn meiner Arbeit als Generaldirektor des AHB Elektronik, herumzuschlagen hatte, sahen nicht viel anders aus als in Jena: auch hier ein übler Sumpf von Korruption.

Fleischhauer, der ehemalige Generaldirektor des Außenhandelsbetriebs, der seinerzeit für diese Funktion vom Generaldirektor des Kombinates Mikroelektronik, Heinz Wedler, ausgewählt worden war, saß im Gefängnis. Er war verhaftet worden, weil er sich von westlichen Geschäftspartnern bestechen ließ und diese dann bevorteilte. Doch das war nicht die ganze Wahrheit.

Denn Fleischhauer handelte meist nicht im Alleingang, sondern im Auftrag seines Chefs Heinz Wedler, der früher Direktor des Uhrenkombinates in Ruhla war, das nun zum Kombinat Mikroelektronik gehörte.

So führte Fleischhauer mit Wissen von Wedler illegal eine Kasse mit Bargeld - natürlich Westmark -, womit in Westberlin wertvolle Uhren und Schmuck gekauft wurden. Diese dienten freilich nicht als Entwicklungsmuster für die DDR-Uhrenindustrie, sondern waren als „Geschenke" gedacht.

Wedler verteilte die Präsente großzügig zu besonderen Anlässen, beispielsweise zu Geburtstagen und Staatsfeiertagen, an Politbüromitglieder, Minister und Abteilungsleiter des ZK der SED. Logisch, daß er sich mit solchen spendablen Gesten bei diesem Personenkreis eine hohe Reputation erkaufte.

Noch bei meiner Amtsübernahme im AHB fand ich ganze Kartons voll solcher Geschenkartikel aus Fleischhauers Nachlaß vor. Wedler versuchte natürlich, mich gleichfalls in diese Praktiken einzubinden. Vergeblich.

Selbstredend informierte ich sofort die Staatssicherheit - aber Wedler blieb unangetastet. Er war eben der Günstling solcher hochrangiger Funktionäre wie des SED-Wirtschaftschefs Günter Mittag, die ihn geflissentlich deckten. In solchen Momenten zweifelte ich schon am Sinn und Zweck meiner Arbeit als IM.

Zudem mußte ich andererseits mehr als einmal miterleben, wie gegenüber „kleinen" Mitarbeitern bei winzigen Verstößen schon mit arbeits- und strafrechtlichen Konsequenzen vorgegangen wurde.

Der Fall Federau im Kombinat Elektronik

Doch nicht nur bei Filz und Korruption das gleiche Lied. Auch im Kombinat Elektronik verhielten sich westliche Geheimdienste wie die Maden im Speck. Sie versuchten in unser Unternehmen einzudringen, Mitarbeiter zu bestechen und abzuwerben.

So im Fall Federau. Der Inhaber der Hamburger Firma Blunk, die mit der DDR vor allem mit Textilien handelte, war an der Ausweitung der Geschäfte, sprich an der Lieferung elektronischer Bauelemente interessiert. Er nahm Verbindung zu einem unserer Kombinatsbetriebe, dem VEB Applikationszentrum Berlin, auf.

Seltsamerweise war Federau stets in der Lage, uns ganz zielgerichtete Angebote zu unterbreiten - zu überhöhten Preisen, wie wir bald merkten. Des Rätsels Lösung: Norbert Hartig, Mitarbeiter des Berliner Appliklationszentrums, lieferte seit 1980 an Federau geheimzuhaltende Informationen über unseren genauen Bedarf und entsprechende Preisvorstellungen, natürlich nicht ohne saftiges Honorar.

Wir kamen ihnen recht bald auf die Schliche, Federau und Hartig wurden von der Staatssicherheit im Operativvorgang (OV) „Import" überwacht. Am Ende wurde Hartig verhaftet und zu einer Haftstrafe verurteilt.

Anders bei Federau. Dieser wurde zwei Tage lang durch das MfS „befragt". Er gestand zwar seine Mittäterschaft, wurde aber nicht strafrechtlich verfolgt. Vielmehr gab es auf Vorschlag der MfS-Hauptabteilungen XWI und IX einen Deal: als Schadensersatz mußte Federau 300.000 DM an die DDR zahlen. Der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke persönlich, bestätigte diesen Handel.

Solche „Wiedergutmachungsleistungen" standen hoch im Kurs, sie gehörten zur üblichen Arbeitsweise. Valutaeinnahmen stellte die Stasi stets über das „sozialistische Recht".

Auch im Fall Fleischhauer ging man derartig pragmatisch vor. Dieser hatte, noch als Chef des Uhrenexports von Ruhla, die westdeutsche Firma Raisch als größten Abnehmer bevorteilt
Im Prozeß gegen Fleischhauer erklärte sich auch Raisch zur Wiedergutmachung bereit, die schließlich über Preiserhöhungen der DDR-Lieferungen im Zeitraum 1979/80 realisiert wurden.
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Feindaktivitäten - Gedanken auf der Westautobahn

Auf der Autobahn in Richtung München ließen mir meine Erinnerungen keine Ruhe. Während der langen Autofahrt hatte ich viel Zeit, über den bisherigen Verlauf meiner Reise nachzudenken.

Was wußte man tatsachlich auf der anderen Seite von meiner Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit? Über die Verbindungen zu meinem westdeutschen Geschäftspartner Scholz konnte man kaum auf Details gestoßen sein. Aber gab es Verräter und Agenten, die wir noch nicht enttarnt hatten, die noch mitten unter uns saßen, und die mich ans Messer geliefert hatten?

Vermutlich existierte nicht nur ein Werner Stiller innerhalb des MfS ... Und dann im nachhinein diese Merkwürdigkeiten: die Grenzkontrolle bei der Einreise in die Bundesrepublik, der eigenartige Defekt des Pkw auf der Fahrt von München nach Bernau, und dann die hinter mir stehenden Personen im Zeitkino des Münchener Hauptbahnhofes.

Untrügliche Zeichen, daß ich in allen Phasen meiner Reise observiert wurde. Woher wußten sie aber von meiner bevorstehenden Einreise, vor allem vom genauen Zeitpunkt? Na klar, ich hatte Scholz per Telex meine Anreise avisiert; sein Telefon und Telex müssen also überwacht worden sein.
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Vom eigenen "Laden" ausgetrickst

Was ich freilich nicht ahnen, geschweige denn wissen konnte, war die Tatsache, daß den wachsamen Genossen der Staatssicherheit bereits vor meinem Reiseantritt Erkenntnisse vorlagen, nach denen ich meine Reise gar nicht erst hätte beginnen dürfen. Jedoch - man ließ mich in die Höhle des Löwen tapsen.

Diese Einsicht sollte ich freilich erst 16 Jahre später gewinnen, als ich meine MfS-Akten zu Gesicht bekam. In den Unterlagen ist mit dem Datum 29. März 1982 ein „Sachstandsbericht zu einer operativen Maßnahme des Bundesnachrichtendienstes" abgeheftet.

Diesem gehen bereits seit dem 18. Februar 1982 mehrere Einzelinformationen gleichen Inhalts voraus, betitelt mit „Aktion des Landesamtes für Verfassungsschutz Westberlin", „Hinweise zu Maßnahmen der Spionageabwehr des Westdeutschen Verfassungsschutzes" oder „Hinweise zu Handlungen des Bundesnachrichtendienstes".

Was die professionellen Aufklärer der Staatssicherheit herausbekommen hatten, war zwar exakt aufgezeichnet, enthielt aber leider einen eklatanten und unerklärlichen Fehler; Denn bei der Person, die dann im Zug nach München saß, handelte es sich nicht um Wolfram Zahn, sondern um mich - Gerhardt Ronneberger!
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Es war lückenlos dokumentiert - mit einem Fehler

Jedenfalls hieß es im Bericht der elektronischen Funkaufklärung des MfS:

„Im Rahmen zielgerichteter Bearbeitung des Bundesnachrichtendienstes wurden im Zeitraum vom 17.2. bis 2.3.1982 mehrere Feindaktivitäten in Westberlin und München festgestellt und unter Kontrolle gehalten. Die festgestellten Feindaktivitäten sind Bestandteil einer operativen Maßnahme des BND, die sich gegen bestehende Verbindungen der DDR und der BRD auf dem Gebiet der Elektrotechnik/Elektronik richten und mit hoher Wahrscheinlichkeit der Einhaltung von westlichen Embargobestimmungen auf diesem Gebiet dienen soll.

Im Mittelpunkt der BRD-Handlungen standen dabei die Personen Zahn, Wolfram (Bürger der DDR) und Scholz, Dietmar (Bürger der BRD). Nach vorliegenden Erkenntnissen fanden die BND-Aktivitäten am 4.3.1982 mit der Festnahme der Personen Zahn und Scholz ihren vorläufigen Abschluß.

Diese Handlungen schließen bestehende Verdachtsmomente hinsichtlich einer möglichen Zusammenarbeit des Scholz, Dietmar mit dem BND nicht aus. Eine eindeutige Bestätigung kann jedoch nicht erfolgen.

Im einzelnen liegen dazu folgende Angaben vor:
Am 17. und 18.2. führten Kräfte des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) im Auftrage des Bundesnachrichtendienstes Beobachtungs- und Ermittlungshandlungen in Westberlin durch.
.

Die Zielperson war eigentlich der BRD-Bürger Dietmar Scholz

Die Maßnahmen richteten sich eindeutig gegen den Bürger der DDR Zahn, Wolfram und gegen den BRD-Bürger Scholz, Dietmar. Die Person Scholz war am 17.2.1982 mit dem Flug BA 3058 (Hannover - Westberlin) gegen 12.00 Uhr in Westberlin eingetroffenen. In der Folgezeit fanden in Westberlin und in der Hauptstadt der DDR mehrere Kontakte zwischen den Personen Zahn und Scholz statt.

Die hier folgende Liste der Aktiviäten ist nicht wichtig und deshalb entfallen. (Es sind mehrere Seiten voller Termine.)

So weit also das offizielle MfS-Dokument aus dem Jahr 1982. Es belegt einmal mehr, was die Genossen alles wußten. Die Adleraugen der Stasi hatten BND-Aktivitäten in Westberlin observiert, und den elektronischen Lauschern entging keine BND-Operationen im Raum München und Ludwigsstadt. Aber warum in der letzten Phase die seltsame, ja schlampige Verwechslung von Zahn mit meiner Person?

Warum hatte mich mein Führungsoffizier, der sämtliche Details der bevorstehenden Reise kannte, nicht rechtzeitig gewarnt? Meine bevorstehende Verhaftung war doch seit Kenntnis der hektischen gegnerischen Aktivitäten zu befürchten gewesen. Ließ man mich ins offene Messer laufen ? Warum ? Antworten auf diese Fragen werde ich vermutlich niemals erhalten.

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