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Gerhardt Ronnebergers Autobiographie - Deckname "SAALE" - aus 1999 - ein Generaldirektor erzählt .....

Gerhardt Ronneberger, geboren im März 1934 in Saalfeld († 2013 ?) schreibt 1999 in seiner Autobiographie (1982–1999) auf etwa 370 Seiten, wie es wirklich zuging beim MfS, der Stasi und den Betrieben in der "Deutschen Republik". Da er nie in einem richtigen Ossi-Gefängnis eingesperrt war, fehlt diese Erfahrung völlig, dafür aber die Zustände in einem West-Gefängnis und wie es dazu kam und vor allem, was danach bis zur Wende im Dez 1989 kam. Der Einstieg beginnt hier und mein Resume über das Buch endet hier.

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Die Konten 0528 und 0628

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KoKo im Netz der Stasi

Der Bereich KoKo war in drei Haupt- und vier selbständige Abteilungen gegliedert.

  • Die Hauptabteilung 1, geleitet von Manfred Seidel, OibE des MfS und 1. Stellvertreter von Staatssekretär Schalck-Golodkowski, war verantwortlich für die ökonomischen Beziehungen zu den Kirchen und für die Anleitung und Kontrolle der MfS-Firmen Asimex, Forgber, Gerlach, Camet u. a.
  • Die Hauptabteilung II, verantwortlich für Planung und Finanzierung, Leitung Meta Blessing, war auch gleichzeitig für die Anleitung und Kontrolle der Außenhandelsbetriebe Intrac, Transinter, Forum und BIEG zuständig.
  • Die von Dieter Paul geleitete Hauptabteilung III war maßgebend bei der Gestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen zur BRD und bei die Planung und Bearbeitung zentraler Investitionsobjekte.


Die vier zentralen Abteilungen Handelspolitik, Firmen, Tourismus und Kader/Sicherheit waren dem Staatssekretär direkt unterstellt.

Die Arbeit von KoKo war natürlich undenkbar ohne engste Verbindung zur Staatssicherheit. Das wurde schon daran sichtbar, daß das Unternehmen seinen Sitz außerhalb des Ministeriums für Außenhandel hatte, in einem eigenen Gebäude in der Wallstraße in Berlin-Mitte, welches durch Stasi-Mitarbeiter gesichert wurde. Die anderen Außenhandelsbetriebe des Bereichs verfügten ebenfalls über eigene Firmensitze außerhalb der Zentrale in verschiedenen Stadtteilen Berlins.

Erich Mielke, der Minister, hatte zwar gegenüber Schalck-Golodkowski, der im Dienstrang eines Oberst "Offizier im besonderen Einsatz" (OibE) war, in Fragen der wirtschaftlichen Tätigkeit kein Weisungsrecht, wohl aber in allen Punkten der „Ordnung und Sicherheit". Diese harmlos klingende Formulierung besagte nicht mehr und nicht weniger, als daß Schalck in sämtlichen Fragen der Zusammenarbeit mit der Stasi Mielke direkt unterstellt und rechenschaftspflichtig war.
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Aufgaben zur „politisch-operativen Sicherung"

In dem Befehl Nr. 14/83 des Ministers für Staatssicherheit vom 1. September 1983 wurden die Aufgaben zur „politisch-operativen Sicherung" des Bereiches KoKo und die Bildung einer eigenen, speziell für KoKo zuständigen Diensteinheit festgelegt. Diese „Arbeitsgruppe BKK" wurde jedoch nicht - was eigentlich in der Natur der Sache gelegen hätte - der zuständigen Hauptabteilung XVIII, die für die Sicherung der Volkswirtschaft zuständig war, zugeordnet.

Vielmehr wurde sie dem 1. Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit, Generaloberst Mittig, direkt unterstellt. Diese Arbeitsgruppe hatte für die geheimdienstliche Absicherung von KoKo zu sorgen und den Bereich auch in jeder anderen Hinsicht zu unterstützen.

Die Arbeitsgruppe BKK hatte zuletzt 113 Mitarbeiter und war in der MfS-Zentrale Normannenstraße, im IHZ und im KoKO-Gebäude in der Wallstraße untergebracht.

Hauptaufgabe war die Außen- und Innensicherung des Bereiches Kommerzielle Koordinierung, und so wurden westliche, östliche und eigene Geschäftsleute und deren Kontakte überwacht, Reiseberichte ausgewertet, Observationen bei Verdacht auf strafbare oder geheimdienstliche Tätigkeit veranlaßt und konspirative Durchsuchungen durchgeführt.

Ein Großteil der Informationen wurde durch inoffizielle Mitarbeiter und durch Telefonabhöraktionen erlangt.
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Inoffiziellen Mitarbeiter sowohl DDR-Bürger als auch Ausländer

Die gesammelten Erkenntnisse bildeten einen Bestand von über 200 Akten recht unterschiedlichen Umfangs, von 1 bis 500 Blatt.

Die von der AG BKK geführten inoffiziellen Mitarbeiter waren sowohl DDR-Bürger als auch Ausländer. So hatte z. B. das Referat 3 (Sicherung von Transinter, IHZ und BIEG) 1987 76 IM zu führen und benutzte dazu 20 konspirative Wohnungen. Diese IM kamen vorwiegend im Ausland zum Einsatz.

Im Zusammenhang mit der Arbeit der BKK entstanden eine Vielzahl von Personen- und Firmendossiers. So wurden von 343 Firmen in aller Welt Informationen gesammelt, ausgewertet und bei Bedarf KoKo zur Verfügung gestellt. Wir als Handelsbereich 4 erhielten jedoch keinen Zugriff zu diesen Unterlagen und Informationen.

Das MfS und vor allem seine Hauptverwaltung Aufklärung hatte in der DDR ein Netz eigener Firmen aufgebaut. Diese sollten zum einen Operationen und Aktivitäten der Stasi abdecken. Zum anderen waren sie in die Beschaffungsaktivitäten des MfS eingebunden und sollten nicht zuletzt die erforderlichen Valutamittel für den "Kampf an der unsichtbaren Front" erwirtschaften.

Mielke und seine Stasi-Firmen

Genau hierfür war KoKo hervorragend geeignet. KoKo gab Mielke die Garantie, daß die ungestörte Arbeit der Stasi-Firmen gewährleistet und staatlich abgedeckt war. Andererseits konnte Mielke über seinen Oberst Schalck zu jeder Zeit per Befehl KoKo und die anderen Firmen dirigieren.

Zu den Firmen des MfS, die in den Bereich KoKo eingeordnet waren, gehörten u. a. Asimex, Camet und Gerlach. Ihre Arbeit wurde zwar direkt durch die HVA des MfS gesteuert und kontrolliert, aber die ökonomischen Fragen in der Arbeit dieser Firmen wurden im Bereich KoKo entschieden und die Gewinne an KoKo abgeführt.

Freilich wurden von KoKo operative Aufgaben der Stasi, wie man die Spionagetätigkeit der HVA oder anderer Hauptabteilungen vornehm umschrieb, nicht direkt finanziert, dafür war die Finanzabteilung des MfS zuständig.

Aber es gab zum Beispiel eine mündliche Vereinbarung zwischen Mielke und Schalck, daß aus den Gewinnen von Asimex jährlich 1 Million DM dem MfS zur Verfügung gestellt werden. Die Firma Gerlach unterhielt und finanzierte ihrerseits eine Reparaturwerkstatt für die Fahrzeuge der HVA. Andererseits gab es auch die Finanzierung von Importen spezieller Technik für das MfS durch KoKo, so das sogenannte Objekt X.

Das sogenannte Objekt X - Konto 0528

Für diese Zwecke hatte man bei KoKo das Konto 0528 eingerichtet, das von Schalcks Stellvertreter und Leiter der Hauptebteilung I, Oberst Manfred Seidel, geführt wurde. Nach einer Niederschrift Seidels am 5. Dezember 1989 wurde dieses Konto aus folgenden Quellen gespeist:

- Abführungen aus der Außenhandelstätigkeit der Firmen, die der Hauptabteilung von KoKo unterstellt waren,
- Bartransfer der evangelischen und katholischen Kirche der BRD für die Kirchen der DDR,
- Einnahmen aus Honoraren und Kautionen des Amtes für den Rechtsschutz des Vermögens der DDR,
- Einnahmen aus Sicherheitsleistungen der Generalstaatsanwaltschaft der DDR;
- weiteren diversen operativen Einlagen.

In den Einzahlungen des Amtes für Rechtsschutz war u. a. auch die Auflösung von Sperrguthaben der DDR-Bürger im Ausland und in den Abführungen der Generalstaatsanwaltschaft die Wiedergutmachungsleistungen von BRD-Bürgern für schuldhaft verursachte Verkehrsunfälle innerhalb der DDR enthalten.

Die „diversen operativen Einlagen" setzten sich vor allem aus Einzahlungen der HV XVIII des MfS aus erpreßten „Wiedergutmachungsleistungen" von Firmen und Bürgern der BRD und aus Abführung von Zahlungen westlicher Firmen und Vertretern an KoKo im „Interesse guter Geschäftsbeziehungen" zusammen.

Manfred Seidel versuchte alles, um dieses Konto stets aufzufüllen. Dazu verscherbelte er sogar Asservatenbestände der „Schutz- und Sicherheitsorgane der DDR". Dabei handelte es sich meist um Antiquitäten, Schmuck, Münz- und Briefmarkensammlungen und andere Gegenstände aus Edelmetallen.

So beauftragte er im April 1987 die Kunst- und Antiquitäten GmbH des Bereichs KoKo, „die Ihnen aus den Asservatenlagern der Schutz- und Sicherheitsorgane übergebenen Gegenstände ihrem Charakter nach entsprechend aufzubereiten und sie mit einem maximalen Valutagewinn in das NSW zu exportieren. Dabei ist zu gewährleisten, daß keine Rückschlüsse über die Herkunft der Waren gezogen werden können."

Ds Konto 0528 bei KoKo hieß nur das „Mielke-Konto"

Laut Manfred Seidel hieß das Konto 0528 bei KoKo nur das „Mielke-Konto", weil auf Befehl von Mielke „der Großteil von finanziellen Transaktionen mit Devisen aus dem Bereich des MfS bzw. für das MfS" über das Konto 0528 abgewickelt wurde. Es war die Geldwaschanlage der Stasi.

Anfang Dezember 1989 betrug der Gesamtbestand auf dem Konto 0528 immerhin noch über 38 Mio. DM, von denen 20 Mio. DM bei westlichen Banken, überwiegend in der Schweiz, fest angelegt waren.

Jährlich erfolgten Einzahlungen auf dieses Konto in Höhe von 35 bis 40 Mio. DM. Seidel oblag es, mit diesen Geldern alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu nutzen, Valutamittel für die DDR zu „erwirtschaften".

„Dabei gab es", so Seidel wörtlich, „keine gesetzlichen Bestimmungen zu beachten. Das trifft für Inland und Ausland zu. Wobei im Ausland die Regelungen des jeweiligen Staates eingehalten werden mußten."

Schalck und KoKo besaßen also den Freibrief, sich außerhalb der Gesetzlichkeit zu bewegen.

Weisungen zu Finanzierungen aus diesem Konto erhielt Seidel nur von Schalck persönlich. Schriftliche Dokumente dazu wurden nie angefertigt, es liegen lediglich Auszahlungsbelege vor, die den Verwendungszweck dokumentieren. Schalcks Entscheidungen beruhten allein auf Befehlen Mielkes und Weisungen Günter Mittags.
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Alle offiziellen Sondergeschäfte der HA I der Stasi

Finanziert wurden aus diesem Konto „alle offiziellen Sondergeschäfte der HA I von KoKo und alle operativen Vorgänge". Eine blumige Umschreibung. Denn dazu gehörten importierte Technik für die Stasi, Dienstfahrzeuge westlicher Herkunft für das Politbüro und ZK der SED sowie für die Regierung und die Ministerien für Staatssicherheit und des Inneren.

1987/1988 wurden aus diesem Konto dem Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik 100 Mio. zum Import von Mikroelektronik bereitgestellt. Aber wie aus einer schwarzen Portokasse wurden daraus auch die persönlichen Jagdfahrzeuge von Honecker und Mittag bezahlt.

Selbstverständlich unterlag dieses Konto 0528, das bereits Anfang der siebziger Jahre bestand, strengster Geheimhaltung. Mielke befahl 1972, daß „Berichterstattungen ausschließlich an ihn persönlich zu erfolgen haben und eine Weitergabe an einen anderen Personenkreis nicht gestattet" wurde.

Schalck setzte die gebieterische Geheimorder mit einem schriftlichen Vermerk vom 20. September 1972 gegenüber Seidel um. Es war also tatsächlich ein „Mielke-Konto", verwaltet von KoKO.
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Das Konto 0628, das sogenannte Honecker-Konto

Neben dem Konto 0528 existierte noch ein weiteres, nicht weniger geheimes: das Konto 0628, das sogenannte Honecker-Konto. Über dieses war KoKo in den Häftlingsfreikauf eingebunden, fungierte also wiederum als Geldwaschanlage. Das letzteres der westlichen Seite jahrelang verborgen geblieben sein will, dürfte allerdings bezweifelt werden.

Schalcks Stellvertreter, Manfred Seidel, dazu im Januar 1990:

„Das Konto 0628 wurde auf Weisung Honeckers und Mittags 1974 im März eröffnet, und ich erhielt Weisung, auf meinen Namen ein solches Konto zu führen. Ich habe auch in diesem Fall das Konto unter Bezeichnung - Ministerium für Außenhandel M. Seidel - laufen lassen. Somit wurde eine Trennung zwischen den Geschäftsoperationen der Religionsgemeinschaften und dem Häftlingsfreikauf herbeigeführt.

Das Konto 0628 stand nur dem ehemaligen Generalsekretär direkt zur Verfügung, und ich verwaltete das Konto treuhänderisch, und für mich stand die Aufgabe, aus den eingegangenen Beträgen eine angemessene Verwertungssache zu organisieren ... Freigaben bzw. Finanzierungen bestimmter Festlegungen und Beschlüsse bzw. Verfügungen liegen ... Ich möchte dazu erklären, wie das Konto gespeist wurde:

Wenn ein Häftlingsfreikauf über MfS mit Prof. Vogel erfolgte, bekam ich eine Gutschrift über das Diakonische Werk Stuttgart ... Die BRD-Seite war natürlich daran interessiert, Ware aus eigener Produktion zu liefern.

Ich entschied dagegen Transit bzw. Devisenware zu erhalten, um aus dieser Ware Valuta für die DDR zu erwirtschaften und das Bargeld dem Konto 0628 zuzuführen. Die Waren und die Finanzoperation wurden über den AHB Intrac organisiert und auch bei mir ordnungsgemäß abgerechnet ...

Außerdem wurde der Bartransfer der kath. Kirche über das Konto 0628 abgewickelt. Unter den gleichen organisatorischen Bedingungen."
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2,1 Milliarden DM auf dem Honnecker-Konto

Zugleich legte Seidel eine Bilanz über diese Konto vor. Danach befanden sich über 2,1 Milliarden DM auf dem Konto, von denen 2,08 Milliarden DM bei der Deutschen Handelsbank fest angelegt waren. Viel Geld, sehr viel „Schwarzgeld" zu einem Zeitpunkt, da nach der offiziellen Zahlungsbilanz die DDR kurz vor der Pleite stand.

Entsprechend der von Seidel vorgelegten Bilanz wurden aus diesem Konto seit 1976 über 1,09 Milliarden DM laut Honecker-Weisung finanziert, darunter auch 1978 5,4 Mio. DM für unsere ersten Embargoimporte aus Japan und 1981 für 140 Mio. DM für den Import von Pkw gleichfalls aus Japan. Rund 70 Mio. DM wurden 1981 bis 1988 für die Unterstützung Nicaraguas und 80 Mio. DM 1980 für die Unterstützung der Volksrepublik Polen aufgewendet.

Die überwiegende Mehrzahl der finanziellen Mittel wurden jedoch eingesetzt, um kurzzeitig Versorgungslücken in der DDR zu schließen. Dazu gehörte z. B. im Jahr 1976 der Import von Obst und Gemüse im Wert von 48 Mio. DM und 800.000 Paar Schuhe im Wert von 42 Mio. DM wie in der Folgezeit Baumwoll-, Kartoffel- und Getreideimporte.

Noch im Oktober 1989 wurden aus diesem Konto 35 Mio. DM für die „Weihnachtsversorgung" der Bevölkerung zur Verfügung gestellt.
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Die Arbeitsgruppe (AG) Baude in der Wallstraße

Die Stasi nutzte KoKo aber nicht nur als Geldwäsche, sondern auch, um seine vielseitigen eigenen Aktivitäten, beispielsweise zur Beschaffung spezieller Technik für nachrichtendienstliche Zwecke, abzudecken.

Zu diesem Zweck wurden auf Befehl Mielkes in der Wallstraße sechs hauptamtliche Mitarbeiter der Rückwärtigen Dienste des MfS stationiert - die Arbeitsgruppe (AG) Baude.

Die AG Baude löste ihre Aufgaben ziemlich selbständig, unterstand nicht KoKo, konnte aber den Bereich KoKo nach außen und innen als Tarnkappe nutzen. Neben eigenen Firmenverbindungen nutzte die AG Baude die Beschaffungsmöglichkeiten über die im Ausland angesiedelten KoKo-Firmen.

KoKo hatte im westlichen Ausland, besonders in der Schweiz, zahlreiche eigene Firmen gegründet oder sich an Firmen kapitalmäßig beteiligt Auch hier nutzte Baude KoKo als Tarnung.
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Schalck war die Vertrauensperson Honeckers

Aber Schalck war mehr als der agilerfolgreiche Hans-Dampf-in-allen-Gassen, der lediglich Versorgungslücken schließen oder als „Devisenbeschaffer" Löcher im DDR-Staatssäckel stopfen mußte.

Vielmehr war er als Vertrauensperson Honeckers der Verhandlungsführer in zahlreichen offiziellen und inoffiziellen Gesprächen und Verhandlungen nicht nur mit Franz Josef Strauß, sondern auch mit Politikern anderer Parteien und der Bundesregierung.

Abgeschlossene Vereinbarungen zwischen den Regierungen der DDR und der BRD wurden von ihm vorbereitet und trugen seine Handschrift. Aus dem Hintergrund wirkte stets federführend das MfS.

Generalleutnant Irmler, Leiter der Zentralen Informationsgruppe (ZAIG) des MfS sagte dazu:

„Wir von der ZAIG waren gehalten, Vorschläge zu erarbeiten zu den Beziehungen zwischen DDR und BRD auf konkreten Gebieten, z.B. dem Reiseverkehr. Dies war veranlaßt durch entsprechende Veranlassungen Erich Mielkes. Wir erhielten vom Minister Niederschritten über Gespräche, die Dr. Schalck mit Vertretern der BRD offiziell und vertraulich geführt hat.

Unser Auftrag war es dann, zu prüfen, welche Vorschläge dort unterbreitet wurden. In der Regel stellte Mielke uns bestimmte Aufgaben, z. B. die Folgen der Einführung von Mehrfach-Berechtigungsscheinen für Westberliner unter sicherheitspolitischen Aspekten zu prüfen ...

Der von Schalck genannte Personenkreis hat, Schalck eingeschlossen, sich über die anstehenden Fragen wiederholt beraten. Die Beratungen fanden in Schalcks Arbeitszimmer statt. Kernpunkte der von uns erarbeiteten Verhandlungspositionen war, daß trotz der damaligen Rüstungskonfrontation die wirtschaftliche Kooperation mit der BRD nicht beeinträchtigt werden durfte.

Ferner mußten aus unserer Sicht zusätzliche menschliche Beeinträchtigungen zwischen beiden deutschen Staaten vermieden werden. Dies hätte die wirtschaftliche Entwicklung der damaligen DDR sicher weiter beeinträchtigt und in der Folge die DDR im Inneren erschüttert.

Diese Grundposition wirkte sich in den Vorschlägen, die der vorerwähnte Personenkreis, also Karl Seidel, Dieter Paul, Alexander Schalck und meine Person, erarbeitete bis in die Details prägend aus."

Karl Seidel war Abteilungsleiter im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR.
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Am Ende war Mielke immer der Chef des Ganzen

KoKo war also nichts weniger als ein normaler Bereich des Außenhandels der DDR. Das Unternehmen und sein berühmter Chef waren umfassend ins Netz der DDR-Staatssicherheit eingebunden. Der „Berufsrevolutionär" und „Parteiarbeiter" Mielke kontrollierte nicht nur alle Aktivitäten von KoKo, sondern bestimmte ihren Inhalt.

Alles, was KoKo tat, war den Interessen des MfS untergeordnet, diente der Staatssicherheit und der SED-Führung. Eine Heilige Dreifaltigkeit, eine unheilige Allianz - die Partei, ihr „Schild und Schwert" und deren wieselflinker Schildknappe.
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Wechselnde Prokura und fehlende Kontrolle

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Der Direktionsbereich Anlagenimport

In der VVB Bauelemente und Vakuumtechnik (VVB BuV) wurde in der ersten Hälfte der 19sechziger Jahre eine Abteilung unter den Namen "Anlagenimport" gebildet, die von Wolfram Zahn geleitet wurde.

Diese Abteilung hatte anfangs nur vier Mitarbeiter und war für die technische Vorbereitung der Importe dieser VVB an Produktionsausrüstungen aus sozialistischen und nichtsozialistischen Ländern verantwortlich. Sie hatte keine Außenhandelsrechte, und so erfolgten die Importe über den Außenhandelsbetrieb Elektrotechnik.
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Vorbereitung für die Umgehung des Embargos

Strategisch zielte die Arbeit jedoch darauf ab, daß neben der technischen Vorbereitung auch geeignete Bezugswege für die Importe ermittelt wurden, auf die der AHB Elektrotechnik zurückgreifen konnte. So wurden erste Möglichkeiten für den Bezug von Embargowaren erschlossen und die erste Produktionslinie für Halbleiterbauelemente für das Halbleiterwerk in Frankfurt/Oder über Liechtenstein importiert.

Das Konzept zur Bildung dieser Abteilung wurde im MfS geboren und entsprechend arbeitete bereits zum damaligen Zeitpunkt der Anlagenimport unter Anleitung und Kontrolle der Stasi-Hauptverwaltung XVIII, Abteilung 8. Verantwortlich: mein Führungsoffizier Artur Wenzel.

Er war es auch gewesen, der mich 1965 als Stellvertreter von Wolfram Zahn in die Abteilung Anlagenimport vermittelt hatte. Ich sollte mit meiner Außenhandelserfahrungen diese kleine Abteilung gemeinsam mit Zahn kurzfristig zu einem leistungsfähigen Importbereich aufbauen.

Aus der Zielrichtung unserer Arbeit wurde - natürlich streng vertraulich - von Anfang an kein Hehl gemacht: der Import von Embargowaren für den Bereich Elektrotechnik/Elektronik.
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Die Beschaffungslinien für Embargowaren

Die Minister für Außenhandel und Elektrotechnik/Elektronik schlossen - gleichfalls mit Hilfestellung des MfS - eine Vereinbarung, die eine Überleitung des Importkontors vom AHB Elektrotechnik zur VVB Bauelemente und Vakuumtechnik festlegte. Damit wurde der VVB BuV das Recht zum Abschluß von Importverträgen mit Partnern aus nichtsozialistischen Ländern unter den Namen des AHB Elektrotechnik übertragen, der AHB Elektrotechnik behielt gewissen Kontrollrechte und durfte die Verantwortung für den Importplan tragen.

Auf dieser Grundlage wurde der Direktionsbereich Anlagenimport mit zwei Abteilungen aufgebaut: eine Abteilung für die Vorbereitung und den Abschluß der Verträge, die den Namen Anlagenimport behielt, und eine Abteilung für die Vertragsabwicklung und -abrechnung.

Ich wurde Leiter der Abteilung Anlagenimport und Stellvertreter des Direktors Wolfram Zahn. In meiner Zuständigkeit lagen also die Warenbeschaffung und die Auswahl und Zusammenarbeit mit den Lieferanten, einschließlich der Beschaffungslinien für Embargowaren.

Als meinen Stellvertreter holte ich mir aus dem AHB Heim-Electric Dietrich Kupfer, der bereits dort als einer meiner Abteilungsleiter tätig war und gleichfalls über langjährige Außenhandelserfahrungen verfügte.

Gemeinsam mit Kupfer konzentrierte ich mich sofort darauf, Beschaffungslinien für Embargowaren aufzubauen.
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Erste Erfolge mit computergesteuerten Meßautomaten

Und in der Tat vermochten wir recht kurzfristig erste Erfolge zu erzielen und erstmalig computergesteuerte Meßautomaten für das noch junge Halbleiterwerk in Frankfurt/Oder über die BRD zu beschaffen. Zugute kamen uns dabei unsere langjährigen Verbindungen zu Firmen und Konzernen in der westlichen Welt. Mit meinen Ausscheiden aus der VVB Ende 1972 übernahm Dietrich Kupfer meine Funktion und wurde Stellvertreter von Zahn.

Mit der Auflösung der VVB und der Bildung des Kombinats Mikroelektronik wurde der Direktionsbereich Anlagenimport in das Kombinat Mikroelektronik übergeleitet, und Wolfram Zahn übernahm als Leiter des Direktorats auch die Funktion eines Stellvertreters des Generaldirektors.

Das war eine formale Zuordnung, denn der Generaldirektor des Kombinats, Heinz Wedler, besaß keinerlei Weisungsbefugnis zur inhaltlichen Arbeit dieses Direktorats oder gegenüber Zahn.

Nicht ohne Zutun der Staatssicherheit hatte sich zwischenzeitlich die Tätigkeit des Direktorats längst verselbständigt. Die Arbeit erfolgte auch nicht mehr unter dem Tarnnamen des AHB Elektrotechnik, sondern alle Verträge wurden unter dem Namen der Fa. Günther Forgber, der bereits genannten Vertreterfirma unter Regie von KoKo und MfS, abgeschlossen.

Forgber verfügte allerdings über keinerlei Kontrollrechte oder Möglichkeiten der Einflußnahme auf das Direktorat Anlagenimport. Wolfram Zahn dagegen erhielt Prokura für die Fa. Günther Forgber.
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Ein schlagkräftiges Instrument des MfS zur Beschaffung

Einfach weil der Bedarf stetig anwuchs, entwickelte sich Anlagenimport zum leistungsfähigsten Beschaffungsorgan von Embargowaren der Elektrotechnik/Elektronik und zu einem schlagkräftigen Instrument des MfS.

Der Außenhandel blieb ohne reale Einflußmöglichkeiten, eine wirksame Überprüfung durch staatliche Organe, insbesondere eine Kontrolle der Finanzbeziehungen durch die Staatliche Finanzrevision, war nicht mehr gegeben.

Die Stasi konnte schalten und walten wie sie wollte. Über Wenzel und seine Abteilung wurde das Direktorat Anlagenimport für die eigenen Zwecke voll genutzt, eigene Aktivitäten abgedeckt und mit vorhandenen Mitteln manipuliert, indem vom Einkaufspreis der Ware ein bestimmter Prozentsatz als sogenannte Provisionszahlung automatisch einbehalten und dem MfS für seine Zwecke zur Verfügung gestellt wurde.

Zahn persönlich wurde immer stärker für spezifische Beschaffungsaufgaben der Stasi herangezogen. Bald überließ er die Arbeit des Direktorats Dietrich Kupfer. Dieser avancierte zum Leiter des Direktorats Anlagenimport, und Zahn in seiner Funktion als Stellvertreter des Generaldirektors beschränkte sich fast ausschließlich auf die formale und oberflächliche Kontrolle von Kupfer und seines Direktorats.
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Kompetenzreibereien bezüglich der Kontrolle

Nicht ohne Rückendeckung durch das MfS widersetzten sich Zahn und Kupfer allen Versuchen des Außenhandels und des Finanzministeriums mit Erfolg, die Arbeit des Direktorats Anlagenimport zu kontrollieren. Ende 1982 mußten sie jedoch knirschend zustimmen, daß die Arbeit auf dem Markt nicht mehr unter den Namen der Fa. Günther Forgber, sondern unter dem des AHB Elektronik fortgesetzt werden sollte.

Damit wurde dem AHB in meiner Person als Stellvertreter des Generaldirektors zumindest eine eingeschränkte Kontroll- und Anleitungsfunktion übertragen. Gewiß keine einfache Situation für mich, der einmal mehr zwischen allen Stühlen saß.

Eine befriedigendere Lösung wurde dann 1986 gefunden, als das Direktorat Anlagenimport aus dem Kombinat Mikroelektronik ausgegliedert und in den neu gegründeten Handelsbereich 4 einbezogen wurde.

Dieser wiederum unterstand nur KoKo, d. h. Zahn konnte seinen Einflußmöglichkeiten nur noch hinterherwinken. Dennoch wurde der Schein aufrechterhalten: Zahn verblieb als Stellvertreter des Generaldirektors formal im Kombinat Mikroelektronik, löste spezifische Beschaffungsaufgaben für die Stasi und koordinierte das Zusammenwirken mit den speziellen Beschaffungsorganen (SBO) des MfS.
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Die Spezialisten

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SWT - der Sektor Wissenschaft und Technik in der HVA des MfS

Spionage ist fast so alt wie die Menschheit. So wird bereits im alten Testament davon berichtet, daß Moses Männer ausschickte, die Kanaan erkunden sollten, jenes Land, in dem Milch und Honig fließen. Und seitdem moderne Industriestaaten existieren, gibt es auch Industriespionage. Diese richtet sich nicht nur gegen den Feind, sondern ist auch zwischen Bundesgenossen üblich, wie u. a. Peter Schweizer in seinem Buch „Diebstahl bei Freunden" überzeugend schildert.

Japaner, Deutsche, Franzosen, Südkoreaner, Israelis und/oder US-Amerikaner - sie alle sind zwar "Verbündete", zugleich aber auch Konkurrenten auf dem Weltmarkt. Alle haben ein Heer von Agenten in Marsch gesetzt, um bei den "Freunden" geistiges Eigentum zu stehlen und somit der eigenen Volkswirtschaft einen Vorsprung zu verschaffen.
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Die ökonomische und wissenschaftlich-technische Spionage

Die Späher der Nachrichtendienste konzentrieren sich zunehmend auf Wirtschaft, Wissenschaft und Industrie in anderen Ländern. Sie plündern wissenschaftliche Entdeckungen und technisches Know-how, beschaffen illegal technologische Verfahren, deren Eigenentwicklung ansonsten Jahre dauern und Millionen kosten würde. Ein äußerst profitables Geschäft.

Natürlich hatten auch die sozialistischen Staaten ihre Kundschafter ausschwärmen lassen, um aus dem Westen „Milch und Honig" heimzutragen. Die DDR machte da keine Ausnahme.

So darf es kaum verwundern, daß innerhalb der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS die ökonomische und wissenschaftlich-technische Spionage einen Schwerpunkt darstellte. Verantwortlich dafür war vor allem der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) unter seinem Chef Generalmajor Horst Vogel, der gleichzeitig Stellvertreter des Leiters der HVA war.

Die Objekte der Begierde von SWT waren moderne industrielle Fertigungs- und Schlüsseltechnologien, besonders die der Mikroelektronik. Neueste wissenschaftlich-technischer Lösungen, interne wirtschaftsstrategische Dokumente, Muster neuer Erzeugnisse und Werkstoffe, Dokumentationen aus Forschung, Entwicklung und Produktion wurden heimlich beschafft und ausgewertet.
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Was im Westen nicht niet- und nagelfest war .....

Oder volkstümlich ausgedrückt: Sämtliches, was im Westen nicht niet- und nagelfest war, der ökonomischen Entwicklung der DDR diente, Produktivität und Effektivität steigerte, Entwicklungszeiten und -kosten sparte, das regte den Appetit der Staatssicherheit an. Selbstverständlich zählte dazu auch all das, was sich zum Unterlaufen des CoCOM-Embargos eignete.

Da bei der Stasi nun wirklich nichts dem Zufall überlassen wurde, gab es dafür gleichfalls eine ausgeklügelte Instruktion: Gemäß Befehl 2/87 des Ministers für Staatssicherheit vom 12. März 1987 war Generalmajor Horst Vogel für die Durchsetzung aller Maßnahmen des gesamten MfS bei der Beschaffung von Embargogütern verantwortlich.

Er leitete die Arbeitsgruppe „Embargo", in die außerdem die Leiter der Hauptabteilung XVIII, des Operativ-technischen Sektors (OTS), der Arbeitsgruppe Bereich Kommerzielle Koordinierung (BKK), der SWT-Abteilungen XIV und V und der Arbeitsgruppe XV/BVs einbezogen waren.

Die Aufgaben der Spionageabteilung des MfS

Folgende Aufgaben der Arbeitsgruppe wurden im Befehl festgelegt:

  1. - Erfassung aller Möglichkeiten und Beziehungen des MfS zur Beschaffung von Embargogütern,
  2. - Prüfung der Voraussetzungen für neue Beschaftungswege,
  3. - Organisation der Beschaffung durch die einzelnen Diensteinheiten,
  4. - Anregungen zum Erlassen zweckdienlicher Weisungen über die Beschaffung und ihre operative Sicherung,
  5. - Abstimmung von Aufträgen und Beschaffungsmöglichkeiten mit den Erfordernissen der Volkswirtschaft.


Bei der Beschaffung von Embargowaren wickelte SWT im weitesten Sinne auch Außenhandelsgeschäfte ab. Vor allem aber war man damit beschäftigt, militärisch bedeutsame Embargogüter zu besorgen und dort quasi als Feuerwehr einzuspringen, wo andere Stellen Schwierigkeiten oder gar keine Möglichkeiten hatten.

Logisch, daß sich viele Mitarbeiter von SWT nicht nur als Elite des MfS, sondern sogar innerhalb der Hauptverwaltung Aufklärung fühlten.

Das Spektrum des Auskundschaftens war bei SWT breit gefächert:

Drei Abteilungen und eine Arbeitsgruppe beschäftigten sich allein mit der operativen Arbeit in Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Handel.

Die Abteilung VIII war für den Bereich Grundlagenforschung und -entwicklung, Chemie, Biologie, Medizin, Kernphysik, Agro-wissenschaften, Gentechnologie und neuartige Forschungsgebiete zuständig.

Die Abteilung XIV arbeitete im Bereich der Forschung, Entwicklung und Produktion der Elektrotechnik/Elektronik und damit schwerpunktmäßig vor allem für die zivile und militärische Fernmeldetechnik, die Mikroelektronik, Optoelektronik, Lasertechnik, Computertechnik einschließlich Software, die Femmechanik/Optik und den wissenschaftlichen Gerätebau.
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Es wurde ganz gezielt geklaut und gestohlen

Leiter dieser Abteilung war Oberst Horst Müller. Ein Referat dieser Abteilung unter Leitung von Oberst Reichmuth war im Kombinat Carl Zeiss in Jena stationiert.

  • Die Abteilung XV arbeitete für den Maschinen-, Anlagen- und Fahrzeugbau, für den Schiffbau sowie die Luft- und Raumfahrt.
  • Die Abteilung V formulierte die Aufgabenstellungen für die operativen Abteilungen (Beschaffung) und war das Auswertungsorgan von SWT. Sie wertete beschaffte Dokumentationen nicht selbst aus, sondern konzentrierte sich darauf, den Informationsfluß zu steuern, die beschafften Informationen an die Bedarfsträger weiterzuleiten sowie die Aufklärungsresultate zu verwalten und administrativ und finanztechnisch zu bearbeiten.


Im Alltag sah das so aus, daß die Abteilung die ermächtigten Leiter in den Industrieministerien, Kombinaten, Forschungseinrichtungen und Streitkräften kontaktierte, deren Wünsche zur Informationsbeschafrung entgegennahm und an die operativen Beschaffungsorgane weiterleitete.

Nach Abschluß einer Aktion wurden die Resultate an die betreffenden Stellen weitergeleitet. Die Auswertung selbst erfolgte beim jeweiligen Empfanger, die Auswerter oder Auswertegruppen waren freilich vorher von SWT handverlesen, bestätigt und zur Geheimhaltung verpflichtet worden.
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Es gab sogar moderne Kriminal- und Spionagetechnik

Nicht zuletzt wurde SWT vom Operativ-technischen Sektor des MfS (OTS) - Operativ- und Kriminaltechnik - unterstützt, der seinerseits wiederum diesen Sektor mit moderner Kriminal- und Spionagetechnik ausrüstete.

Um an Informationen und Dokumentationen heranzukommen, gibt es sicherlich mehr als tausend Wege. Einer der beliebtesten und einfachsten ist der der Abschöpfung. Die Abschöpfung liegt im Graubereich zwischen offener und geheimer Nachrichtenbeschaffung. Sie beginnt beispielsweise dann, wenn ein Wissenschaftler oder Techniker - der von einem Nachrichtendienst gesteuert ist, ohne jedoch den wahren Hintergrund zu kennen - eine Fachsimpelei initiiert und seinen gutgläubigen Gesprächspartner dazu bringt, mit seinen Kenntnissen und wissenschaftlichen Erfolgen öffentlich zu prahlen.

Solche Abschöpfungsarbeit haben selbstverständlich auch wir als KoKo-Außenhändler betrieben, denn wenn wir mit den Fachexperten von Toshiba oder Sharp in Tokio im Teehaus saßen, wurde nicht nur über hübsche Geishas geplaudert.

Ist dagegen eine Information nicht frei zugänglich und kann sie auch nicht durch Abschöpfung gewonnen werden, beginnt die eigentliche nachrichtendienstliche Tätigkeit. Das reicht dann von der Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs über das Abhören von Betriebsstätten, Labors und Wohnungen bis zum Einsatz von Agenten. Letzteres ist nicht nur Sahnehäubchen, sondern Rohkornbrot jeglicher nachrichtendienstlichen Tätigkeit.
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Ein Bericht aus dem BND !!!!

Davon weiß auch Heribert Hellenbroich, ehemaliger Präsident des BND, zu berichten:

Es gibt die Möglichkeit, in das auszuspähende Objekt den Mann/Frau seines Vertrauens einzuschleusen. Der Agent kann dabei unter seiner wahren Identität, aber auch unter falschen Personalien auttreten. Letzteres haben beispielsweise die Nachrichtendienste der DDR über die Jahre hinweg erfolgreich praktiziert, indem sie DDR-Bürger mit den Personalien ausgewanderter Bundesbürger ausgestattet haben ... Die andere Möglichkeit besteht darin, einem im Objekt bereits tätigen Mitarbeiter als Agenten zu werben ...

Nachrichtendienste haben die Erfahrung machen müssen, daß der Agent, sofern er im Betrieb untergeordnete Funktionen ausübt, nicht in der Lage ist, die von ihm gelieferten Dokumente zu erläutern, Widersprüche aufzuklären oder die Erkenntnisse zu kommentieren (bei der politischen Spionage sprechen die Dokumente für sich selbst!).

Also muß an den Mitarbeiter herangegangen werden, der an verantwortlicher Stelle im Betrieb, beispielsweise in der Abteilung »Forschung und Entwicklung", arbeitet und damit in der Lage ist, die hochkomplizierten Formeln und Berechnungen zu erklären ...

Wie schon angedeutet, spielt bei der Spionage auf diesem Sektor das "Dokument" die entscheidende Rolle. Die zu beschaffenden Informationen sind so kompliziert, daß beim bloß mündlichen Bericht zu viele Fehler und Lücken entstehen würden."
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Wir hatten schon fähige Spezialisten eingesetzt

In den operativen Abteilungen von SWT waren fähige Spezialisten eingesetzt, die sehr wohl in der Lage waren, auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Industriespionage erfolgreich zu agieren. SWT verfügte zudem über einige Tarnfirmen in der DDR, über die zahlreiche Operationen, besonders zur Beschaffung von Embargowaren, als Außenhandelsgeschäfte abgewickelt wurden.

Dazu gehörten solche Firmen wie Interport und Intertechna. Logischerweise unterstanden sie weder dem Ministerium für Außenhandel noch Schalcks Bereich Kommerzielle Koordinierung, sonder direkt der HVA.

Die Beschaffer von SWT arbeiteten natürlich nicht mit den üblichen kommerziellen, sondern mit speziellen, geheimdienstlichen Methoden. Wie diese aussahen, wurde in einem Strafverfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit im März/April 1992 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (4 OS 14/91) deutlich.

In der Urteilsbegründung heißt es:

  • „Während der Herbstmesse 1986 in Leipzig lernte der Angeklagte den damaligen Leiter des Betriebsteils Backofenbau des VEB Fortschritt in Bautzen, Lothar Paulick, kennen. Neben den geschäftlichen Beziehungen entwickelte sich auch ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden. Paulick war aber, was der Angeklagte nicht wußte, inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR. Er lieferte unter dem Decknamen »Peter Becher* Berichte an den Geheimdienst über sämtliche Kontakte, die er zu "Westpersonen" unterhielt, insbesondere nach Reisen in das "nichtsozialistische Ausland"'.
  • Nach einem Zusammentreffen mit dem Angeklagten im März 1987 in der Bundesrepublik berichtete er seinem Verbindungsoffizier über dessen persönliche und wirtschaftliche Situation. Insbesondere aufgrund seiner finanziellen Notlage erschien ihnen der Angeklagte für eine nachrichtendienstliche Anwerbung interessant.
  • Paulick vermittelte daraufhin ein Treffen am 20. Mai 1987 im Hotel ,Newa' in Dresden zwischen dem Angeklagten und zwei Mitarbeitern des MfS, Major Petruschke und Oberstleutnant Naumann, die sich unter den Namen "Steinert"* und "Hauptmann" zunächst als Mitarbeiter des Ministerrates der DDR ausgaben. (Eine Legende, die in vielen Fällen von den MfS-Offizieren genutzt wurde. G. R.)
  • Sie sprachen mit ihm über die Möglichkeiten für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit auf den verschiedensten Gebieten. Insbesondere interessierten sie sich dafür, ob er bereit sei, ihnen unter Umgehung der bestehenden Embargobestimmungen Waren aus dem Bereich der Hochtechnologie und Elektronik für die DDR zu beschaffen. Der Angeklagte zeigte sich ... nicht abgeneigt und vereinbarte eine neue Zusammenkunft für den 6. Juli 1987.
  • Da er zutreffend erkannt hatte, daß er für einen fremden Nachrichtendienst angeworben werden sollte, wandte er sich an das Landesamt für Verfassungsschutz.
  • Spätestens am 14. September entschloß sich der Angeklagte aber doch für das MfS nachrichtendienstlich tätig zu werden. Er kam an diesem Tag erneut mit Petruschke und Naumann im Hotel ,Newa' in Dresden zusammen und brachte ihnen gewünschte Unterlagen über Sprechfunkgeräte mit. Naumann gab sich ihm gegenüber dieses Mal offen als geheimdienstlicher Mitarbeiter der "Sicherheitsorgane" der DDR zu erkennen und forderte ihn auf; künftig für das MfS zu arbeiten. Der Angeklagte sollte einerseits gegen Zahlung von Provisionen Embargowaren und andere wertvolle elektronische Geräte beschaffen ...
  • Andererseits sollte er Informationen aus dem Bereich der Wirtschaft und Hinweise auf Fachleute aus der Elektronikbranche geben, die sich für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit eigneten. Naumann schlug dem Angeklagten vor, deshalb im Raum Sindelfingen/Böblingen Kontakt zu Mitarbeitern der Firma IBM aufzunehmen, die in der Lage wären, Quellcodes für Betriebssysteme von IBM-kompatiblen Computern und Vier-Mega-Bit-Chips zu besorgen. Er richtete auch das Ansinnen an ihn, eventuell eine konspirative Wohnung auf den Fildern - bei Stuttgart - anzumieten.
  • Der Angeklagte erklärte sich grundsätzlich bereit, für das MfS zu arbeiten. Zum einen versprach er sich dadurch finanzielle Vorteile, zum anderen Vergünstigungen für sich und seine zukünftige Frau, die er Mitte 1987 kennengelernt hatte. Er unterschrieb eine Verschwiegenheitserklärung und erhielt daraufhin für Terminabsprachen Deckadressen und -telefonnummem.
  • Beim Landesamt für Verfassungsschutz verschwieg der Angeklagte ... den wahren Inhalt des Gesprächs vom 14. September 1987. Er spiegelte dem Verfassungsschützer Eckert vor, er werde dessen Rat befolgen und den Kontakt zu den MfS-Leuten abbrechen ... Es fanden insgesamt mindestens 24 nachrichtendienstliche Treffs in Dresden und Ostberlin mit dem Angeklagten statt."

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Noch ein Auszug aus dem Urteil

Um die Arbeitsweise von SWT richtig zu verstehen, ist vor allem folgender Auszug aus dem Urteil noch zu sehen.
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  • "Am Mai 1987 lernte der Angeklagte in Dresden seine jetzige Ehefrau kennen, die er im April 1989 heiratete. Anfang Juni 1989 wurde ihr von den Behörden der DDR die Ausreise nach Westberlin gestattet ..."


Der zeitliche Zusammenhang des Kennenlemens seiner späteren Ehefrau und des ersten Kontaktes zum MfS wirft natürlich die Frage auf, ob das nicht ein Arrangement des MfS war. Eine übliche Methode der Geheimdienste, speziell auch des MfS. Ein umgekehrter Romeo-Fall. Eine Julia statt ein Romeo? Methoden dieser Art haben wir innerhalb von KoKo niemals praktiziert. Wir hatten sie nicht nötig.

Außer der „nebenberuflichen" IM-Tätigkeit vieler Mitarbeiter von KoKo, einschließlich des Handelsbereichs 4, gab es zahlreiche Berührungspunkte zwischen SWT-Aufklärern und Schalcks Unternehmen.

So wurde eng mit der HA XVIII zusammengearbeitet, um die Auswerter und Auswertegruppen abwehrmäßig abzusichern, um die vorhandenen Verbindungen dieser Hauptabteilung in das "Operationsgebiet" zu nutzen oder um die Embargoimporte, die durch zivile Organe unter Anleitung und Kontrolle der HA XVIII realisiert wurden, untereinander abzustimmen.

Weiterhin arbeiteten schon aufgrund der Organisations- und Befehlsstruktur im MfS SWT und die Arbeitsgruppe Bereich Kommerzielle Koordinierung unter Leitung von Oberst Karl Heinz Herbrig eng zusammen. Beispielsweise dann, wenn die Verbindungen von KoKo genutzt werden mußten, um Muster und Geräte aus dem „Operationsgebiet" zu beschaffen, zu denen SWT keinen eigenen Zugriff hatte.

Von all diesen Aktivitäten hatten wir im Handelsbereich 4 bei KoKo höchstens eine dunkle Ahnung, wie wir auch nicht an direkten nachrichtendienstlichen Aktivitäten zur illegalen Beschaffung von wissenschaftlich-technischen Dokumenten beteiligt waren.

Aber natürlich nutzten wir alle sich bietenden Möglichkeiten, um unsere Partner im Westen bei Verhandlungen über wichtige Importobjekte voll "abzuschöpfen". Parteiauftrag und Jägerinstinkt gingen eben Hand in Hand.
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