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Eine völlig neue Stufe der Aufnahme-Qualität auch für Hobbyisten und Liebhaber zeichnet sich ab. Inzwischen kann man "perfekte" Platten herstellen. Ist das der Sinn der Sache, alles zu perfektionieren ?

Editorial - fonoforum 11/61 - 6. Jahrgang

Zeitschrift für die Freunde der guten Musik • Herausgeber Walter Facius

Gestern und heute

von H.O.Sp. im November 1961 - Wir leben im Zeitalter der Perfektion. Nicht nur die Kühlschränke werden besser von Tag zu Tag, die Autos schneller. Neben allen raffiniert ausgeklügelten Dingen des täglichen Lebens, die dem steigenden Anspruch des Konsumenten zu genügen trachten, versucht auch die Schallplattenindustrie nach Kräften und mit viel Erfolg, die schwarze Scheibe noch vollkommener zu machen. Immer weiter wird die Klangqualität verbessert; das geschärfte Ohr nimmt heute bei einer Stereo-Aufnahme kleinste Feinheiten wahr, deren Gelingen durch eine unerbittliche, wiederholende und feilende Detailarbeit zustandegekommen ist.

Eine Leistung, die dem Musiker im Augenblick der Aufnahme soviel abverlangt
wie dem Techniker bei der Entwicklung der komplizierten Geräte, die die Klänge so getreu wie möglich an das Ohr des Hörers bringen sollen. Die Gefahr liegt dabei nahe, daß ein Punkt erreicht wird, an dem Perfektion umschlägt in Sterilität, an dem die Sorge um eine „lupenreine" Interpretation in technischer Hinsicht das musikalische Gewicht nicht mehr ernst genug nimmt.

Das Kunstwerk aus dem Studio, das eine Beute der auf äußeren Hochglanz erpichten Tonmeister wird, hat von vornherein verloren. Die mangelnde Spontaneität, die einem solchen zusammengeschnittenen Retortenprodukt anhaftet, wird ersetzt durch die leere, leblose und kalte Schönheit einer glatten Haut, unter der kein Herz schlägt.

Man hat das heute erkannt und bemüht sich, dem entgegenzuwirken durch Aufnahmen, in denen möglichst wenige Schritte gemacht werden, in denen vielmehr ein ganzer Satz in einem Zug gespielt auf dem Band fixiert wird.
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Natürlich kann man Übergänge an einer Schnittstelle auf dem Band nahtlos verbinden. Man probiert eben so oft, bis haargenau das gleiche Tempo erreicht ist, die gleiche Dynamik, die gleiche Artikulation. Und dennoch geht das nicht ohne inneren Bruch ab, denn eine Interpretation durchweht ein Atem, ein großer Bogen wölbt sich über dem Spiel eines Künstlers. Je gleichmäßiger dieser Atem ist, je ungebrochener der musikalische Bogen, desto mehr Leben wird in der Musik, in der Schallplatte zu spüren sein.

Natürlich kann man auch den Standpunkt einnehmen, die Schallplatte sei etwas völlig anderes als ein Konzerterlebnis. Die Fehler des Solisten im Konzertsaal, der Primadonna in der Oper höre man nur einmal und vergäße sie über der erregenden Atmosphäre. Die Schallplatte hingegen halte solche Fehler unbarmherzig für immer fest; jedesmal, wenn man sie höre, ärgere man sich über diese Stelle.

„Man" vielleicht, aber ich nicht.
Denn ich glaube ganz fest, daß ein falscher Ton, eine unsaubere Note der auf der Platte verewigten musikalischen Leistung nicht das geringste anhaben kann, und wer einzig auf die Musik hört, wird sich durch solche Lappalie nicht stören lassen. Vielleicht wird er sogar aufatmen bei dem Gedanken: „Gott sei Dank, dem passiert das also auch."

Dasselbe gilt meiner Meinung nach für die Tontechnik.
Aber - werden sich manche Leser fragen, „fono forum", eine Schallplattenzeitschrift, interessiert die sich nicht für die technische Qualität der Platte? Natürlich tut es das, aber es gibt eine Grenze, jenseits der der heilige Eifer, mit dem für vollendete Klangqualität gestritten wird, zum puren Snobismus entartet. Wo Musik wenig bedeutet gegenüber Geräuschpegel, Verzerrung, flachen Höhen und dergleichen mehr.

Es ist nur natürlich, daß sich der Käufer von der Industrie eine gut produzierte Schallplatte wünscht, bei der der Künstler seine Aufgabe so gut wie möglich löst und bei der das klangliche Resultat der Wiedergabe so zufriedenstellend wie möglich ist. Aber man sollte darüber doch nie vergessen, daß das Endergebnis Musik sein soll.

Wenn das Künstlertum eines Musikers nur schwach ausgeprägt ist, wird ihm eine noch so makellose Instrumentaltechnik und ein noch so versierter Tonmeister letzten Endes nichts nützen. Haben wir aber einen der bedeutenden Künstler vor uns, so wird eine falsche Note, ein kleiner Fehler in der Platte den echten Musikliebhaber in seinem Genuß an einer großen künstlerischen Leistung nicht stören.

Diese Gedanken leiten sich her von den vielen historischen Aufnahmen, die seit langer Zeit schon untrennbarer Bestandteil des Repertoires sind. Hört man z. B. bei TELDEC herausgekommene, 1905 (!) aufgenommene Schallplatten von Eugen d'Albert, Emil von Sauer, Gustav Mahler, Max Reger, so wird man neben der Tatsache, daß es überhaupt möglich war, über 50 Jahre alte Aufnahmen wieder „salonfähig" zu machen, von etwas anderem angerührt.

Davon nämlich, daß alle diese Wiedergaben jenseits der technischen Mängel den Stempel einer großen künstlerischen Persönlichkeit tragen, der die noch höchst unvollkommene Materie nichts anhaben konnte, die über danebengegriffene oder nachklappernde Töne glanzvoll triumphiert.

Es stimmt bedenklich, wenn man sich überlegt, daß wir heute einen Standard der musikalischen Perfektion erreicht haben, der es einem Musiker einfach verbietet, so „schlecht" zu spielen. Man braucht gar nicht bis 1905 zurückzugehen. Die Orion/Electrola-Serie „Unvergänglich - Unvergessen", die Aufnahmen der Deutschen Grammophon-Gesellschaft, die unter dem Stichwort „Die Großen ihrer Zeit" im Katalog zusammengefaßt sind - sie alle repräsentieren eine andere Zeit, eine andere Gesinnung sowohl des Musizierens als auch des Hörens.

Es ist selbstverständlich, daß auch heute alle das Beste wollen, Künstler und Techniker. Wir haben auch heute große Persönlichkeiten, die mitreißen und erheben können. Es ist nur so, daß wir - bei aller Achtung vor den technischen Erkenntnissen und ihrer Verwertung - allmählich einer Grenze nähergekommen sind, die zu überschreiten gefährlich ist.

Die Waage im Gleichgewicht zu halten, ist eine der wichtigsten Aufgaben, und es ist gut, daß es die Dokumente einer vergangenen Zeit gibt - Aufnahmen eigentlich bis in die dreißiger Jahre hinein - in der man im Grunde noch gegen die Technik und nicht mit ihr spielte.

Ob es nun Fritz Kreisler ist, Enrico Caruso
, das Trio Thibaud-Casals-Cortot, Arthur Schnabel, Fedor Schaljapin, Karl Erb, Maria Cebotari, Peter Anders, Georg Kulenkampff, Sigrid Onegin, Alfred Piccaver, Heinrich Schlusnus, Leo Slezak, Wanda Landowska, Kathleen Ferrier- sie alle lehren uns, daß wir es zwar herrlich weit gebracht haben, im Grunde aber nicht weiter als damals.

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