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Das mußte mal gesagt werden - Dezember 1982
Über den „Testsieger-Rummel"

Gute, etablierte HiFi-Studios dürften zur Zeit keine Sorgen haben bezüglich Umsatz und Rendite, jedoch große Sorgen bezüglich der „Sensations"-Presse, die ein ehrliches Arbeiten immer mehr erschwert.

Hier ärgert mich vor allem der „Testsieger-Rummel", der in seiner Aussage oft unqualifiziert erscheint und den Eindruck erweckt, als solle für bestimmte Produkte die Nachfrage forciert werden. Besonders auffällig ist das, wenn immer wieder derselbe Testsieger erscheint, obwohl es auch andere, bessere Produkte gibt, die - mit oder ohne Absicht - erst gar nicht in das Testfeld aufgenommen wurden.

Der Gipfel dieser publizistischen Fehlentwicklung sind die in jeder Ausgabe groß herausgestellten Referenzgeräte, die dem gutgläubigen Käufer suggerieren könnten, diese Geräte seien zur Zeit das absolut Beste am Markt.

Hierzu eine bittere Erfahrung, die meine Kunden und ich machen mußten: Vor etwa zwei Jahren wurde ein Tonabnehmersystem höherer Preisklasse vielgelobter Testsieger und Referenz, wiederholt in vielen Ausgaben eines Magazins. Die Nachfrage nach diesem System stieg sprunghaft, und wir verkauften mühelos eine größere Stückzahl. Davon erwiesen sich dann aber mehr als 50% als defekt wegen schief eingesetzter Nadelträger, mangelhafter Dämpfung etc. Das also war der Testsieger, die hochgepriesene Referenz!

Wenn wir die Kunden aufklärten und ein besseres System gleicher Preisklasse empfahlen, wurde uns mitunter unterstellt, daran mehr zu verdienen und es deshalb bevorzugt verkaufen zu wollen, obwohl das andere System „Testsieger" und „Referenz", also von „neutraler" Seite für gut befunden worden war.

Was soll der ehrliche Fachmann da tun? Den Kunden ins Messer laufen lassen - oder aufklären mit dem Risiko, weniger zu verkaufen? Oder einfach den Testsieger- und Referenz-Rummel mitmachen?

Noch grotesker ist die Situation bei Lautsprechertests. Da wurde ein Lautsprecher in einem Magazin als Referenz und „weitbester Lautsprecher" kreiert, obwohl derselbe Lautsprecher in einem anders und praxisnäher zusammengestellten Testfeld einer anderen Fachzeitschrift nur unter „ferner liefen" beschrieben wurde. Wir haben den Test reproduziert und kamen zum gleichen Ergebnis: nichts Außergewöhnliches.

Doch wie gesagt: Testsieger schaffen rege Nachfrage. Wir bestellten noch weitere „Testsieger", um einen Vergleich zu anderen, seit langem bekannten guten Produkten zu haben. Es war interessant, festzustellen, daß Kunden, ihre „Testfibel" unterm Arm, in unserem Studio im Blindtest nicht ohne weiteres den Testsieger als solchen heraushörten, sondern sich in vielen Fällen für ein anderes Fabrikat entschieden.

Oder noch realistischer: Einigen Kunden, die wegen eines Testsiegers zu uns ins Studio kamen, stellten wir den Lautsprecher für einige Tage zum Test in ihrer Wohnung zur Verfügung. Meistens bekamen wir den „Testsieger" zurück: In der Wohnung des Kunden waren keine Testsieger-Qualitäten zu hören gewesen.

Wie soll es weitergehen, nachdem sich kürzlich der „Sensations-Rummel" auf eine neue Ebene verlagert hat? In einem Magazin wurde ein „Billig"-Lautsprecher (Anmerkung: eine Konstruktion offensichtlich nur aus verwindungssteifer Pappe) mit den „Siegern" aus vorangegangenen Tests verglichen, alles wesentlich teurere Lautsprecher: Der „Billig"-Lautsprecher „riß die Tester buchstäblich vom Stuhl" und stellte die alten „Testsieger" allesamt in den Schatten.

Was dachten da wohl die Leser, die sich vorher einen viel teureren Lautsprecher, dem Testurteil blind gehorchend, gekauft hatten?

Wie soll nun weiter getestet werden? Soll dieser „Billig"-Lautsprecher als Referenz allgemeingültig sein? Hat man sich hier nicht in eine Richtung verstiegen, die ins Absurde führen muß?

Wir alle wissen,
daß das heute fast unüberschaubare Angebot an Geräten und Lautsprechern dem Käufer die Entscheidung erheblich erschwert. Nur der verantwortungsbewußte und ehrliche HiFi-Fachmann kann dem Kunden eine individuelle Lösung seines Problems anbieten. Diese Arbeit sollte durch die Presse unterstützt, nicht behindert werden. Die Presse trägt eine große Verantwortung gegenüber dem Leser und Käufer, und sie sollte sich dieser Verantwortung immer bewußt sein. Daher appelliere ich an dieser Stelle an die Presse:

Ändern Sie Ihren Teststil !
Küren Sie nicht laufend neue Testsieger, und lassen Sie Ihre Referenzen im Dunkeln. Oder haben Sie Sorge, daß dann Ihre Auflagenzahl zurückgehen wird?

Norbert Krön im Dezember 1982

Norbert Krön (37), Inhaber des gleichnamigen HiFi-Studios in Saarbrücken, Musikliebhaber. Seit 1970 in Zusammenarbeit mit Dipl. Ing. Josef Schreiner Entwicklung von Lautsprechern, u. a. des aktiven periphonischen Systems.

Kommentar zu obigem Artikel aus Dez. 1982

von Gert Redlich im Juli 2014

Lieber Herr Krön,

ich kann Ihnen in allen Punkten zustimmen und Recht geben.
Doch das ist leider kontraproduktiv. Denn diese Art der sogenannten redaktionellen Freiheit ist das Geschäftsmodell dieser Hochglanz Magazine wie AUDIO und STEREO und stereoplay. Das eigentliche Thema des Magazins ist dabei völlig nebensächlich. Es geht ums Geschäft, und um nichts Anderes.

Natürlich konnten Sie zu dem Zeitpunkt Dezember 1982 noch nicht wissen
, daß die Hifi-Stereophonie in 12 Monaten (zum Dez. 1983) ihr Erscheinen einstellen mußte. Ja, es waren auch wirtschaftliche Zwänge dabei.

Einer der Hauptgründe war jedoch das redliche Bemühen des Karl Breh um redliche Berichterstattung und ehrliche Tests und wiederholbare Vergleiche nach physikalischen und nicht nach gewerblichen Grundsätzen.

Doch die Leserschaft hatte sich geändert und zwar in eine Richting, die auf der Psyche dieser Leser aufsetzte. Diese Leser wollten ja getürkte Hochglanztests lesen und "ihr" Gerät sollte, nein, mußte immer oben mit dabei sein.

Und Karl Breh hatte es zu spät gemerkt, daß die Leser belogen werden wollten. Die Inserenten agierten und agieren nach rein erfolgsorientierten wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Bringt die Anzeige Umsatz oder nicht. Und wenn Sie die letzten drei Jahre der HS am Stück durchblättern, erkennen Sie auch, daß die Anzeigen-Seiten immer spärlicher geworden sind.

Schaun Sie mal rein in unsere Seite über die Psyche der Hifi-Klientel. Mit Brahms und Schubert und Schostakovic und Beethoven hatten die meisten überhaupt "nichts am Hut". Auch diese Ausrichtung auf klassische Musikliebhaber war keine Alternative.

Und so blieben die Abonnenten weg und wanderten zu AUDIO und den anderen "Lackierten" ab. Übrigens ist auch die die Funk-Technik an solch einem wachsenden Desinteresse gescheitert - aber erst 3 Jahre später. Auch die Funkschau kam in dieser Zeit in schwere Turbulenzen und änderte die Ausrichtung radikal ab (in Richtung des Mobil-Telefons).

Die Quintessence dieser Zeit ist (war) : Willst Du überleben, mußt Du mit der Zeit gehen, ohne Rücksicht auf deine hehre redliche Philosophie.

In 2012 habe ich eine guten Freund gefragt, warum "auch er" jetzt - auch - diese bekloppten völlig nutzlosen 800.- Euro Steckdosenleisten verkauft. Antwort: Die Kunden verlangen die Dinger einfach - und er verdient 400.- Euro dran, mehr als an mancher ganzen Anlage. Ist das etwa kein Argument ?

Wenn Sie die Inhaltsangaben der 22 Jahrgänge der Hifi-Stereophonie durchblättern, sehen Sie mein Bemühen, das plötzliche Aufkommen und dann das stille Absterben der unendlich vielen Hifi-Studios zu dokumentieren.

(eine Online-Antwort auf einen Leserbrief - von Gert Redlich im Juli 2014)
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