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Hier beginnt die Erzählung eines Zeitzeugen aus Hamburg

Unser Zeitzeuge Heinz Schleusner ist durch die ganze Welt gereist und hat viel gesehen und erlebt. Ich durfte ihn im Sept. 2022 bei seinem Familien-Besuch in Hamburg ebenfalls besuchen und ausgiebig erzählen lassen, wie das war vor über 60, 70 und 80 Jahren, als ich noch gar nicht da war oder gerade mal 10 Jahre alt war. Als er im Okt. 2022 wieder zurück nach Guatemala geflogen war, hat er mir zusätzlich zu den 7 Stunden Sprachaufzeichnungen seine bereits aufgeschriebenen Notitzen gemailt. Der Anfang beginnt hier.

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Als 1963 die CC-Technik nach Südamerika kam

Schon im Jahre 1963 hatte PHILIPS in Zusammenarbeit mit der Deutschen Grammophongesellschaft seine COMPACT CASSETTE auf der Radiomesse in Berlin vorgestellt. Ursprünglich war dies wohl als Ergänzung der Schallplatte gedacht, (Anmerkung : Nein, so war es nicht.) weil ein wachsender Bedarf an transportablen und robusten Wiedergabegeräten besonders auch für die Autos bestand, der in den USA bereits durch sogenannte (8-Track) „CARTRIDGE“ Spieler mit 4 bzw. 8 Spuren gedeckt wurde, die aber unhandlich und unzuverlässig waren.

Langsam setzte sich dies CC-System auch in Lateinamerika durch und die Musik-Cassetten wurden von den Schallplattenfirmen in ihr Programm aufgenommen. Zunächst benutzte man einfache auf PHILIPS Cassettenspielern aufgebaute Anlagem mit 1:1 Überspielung.
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AGFA hatte sich schon länger "zurückgezogen"

Wie auch andere grosse internationale Firmen hatte auch die AGFA ihre lokale Niederlassung aus Angst vor Sozializierung geschlossen und wir übernahmen dadurch die Vertretung der Abteilung „Magnettontechnik“ und verkauften vor allem die AGFA Cassetten mit 45 Minuten Spielzeit in „Industrieausführung“ - also ohne Marke und ohne Etikett - an die Schallplattenfabriken, die sie in der beschriebenen (nackten) Form bespielten und etikettierten. Wir waren damals wohl der grösste Cassetten Importeur in Peru.
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Ich musste im Industrieministerium "antanzen"

Im Sommer 1973 wurde ich dann ins Industrieministerium zitiert, in welchem man mir klar machte, daß die CC-CASSETTE im wesentlichen ein Pastikprodukt sei, das man in PERU herstellen könne. Man würde daher für 1974 dafür keine Lizenzen mehr erteilen.

Ich informierte meine Freunde und Hauptabnehmer – die Schallplattenindustrie – von dieser Entscheidung und wir kamen ueberein, dass dann eben eine lokale Fertigung aufgebaut werden müsste und man bat mich, dafür Vorschläge auszuarbeiten. Ich sagte zu, aber unter der Bedingung, dass ich auch ein Teilhaber dieser neuen „Industrie“ werden würde und bat die Interessenten, das waren die 3 "Grossen" - IEMPSA, SONORADIO und EL VIRREY, mir Vorschläge zu machen.
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400.000 Dollar war damals sehr viel Geld

Das tat man dann auch und erklärte mir, dass wohl ein Kapital von rund 400.000 Dollar notwendig wäre und ich mit 25% - d.H. 100.000 Dollar dabei sein könnte.

Das war natuerlich absolut jenseits meiner Möglichkeiten und auch meiner Vorstellungen. Meine Gedankenwelt basierte auf Eigeninitiative und deren Gedankenwelt - aber auf einer normalen und damit formalen Realisation einer derartigen Fertigung.

Ich erklärte mich ausserstande, das Angebot anzunehmen und wir einigten uns in aller Freundschaft, dass jeder seinen eigenen Weg gehen sollte.

Sie gründeten die Firma KASET S. A. und ich beantragte beim Industrieministerium die Erweiterung der Aktivitäten von ESLAB auf die Herstellung und den Vertrieb von COMPACT CASSETTEN.

Hillfe von AGFA Deutschland kommt ins Spiel

Bei meinem nächsten Deutschlandbesuch erklärte ich meinen Partnern von AGFA die auf uns zukommende Situation. Dabei stellte sich heraus, dass AGFA z.Z. noch mit Spritzgussformen mit 2 Nestern, d. h. mit einer Cassette pro Schuss arbeitete, aber dabei war, auf 4 Nester umzurüsten.

Ich machte ihnen klar, dass sie mir dann doch wenigstens eine der alten Formen verkaufen könnten. Das erschien zunächst unmöglich, weil es Firmenpolitik war, in Deutschland ausgemusterte Anlagen nur an Tochterunternehmen in anderen Ländern abzugeben.

Schliesslich war man – wohl mangels Interesse der Tochterfirmen – oder um das Geschäft mit den Bändern zu erhalten, doch bereit, mir eine Form zu verkaufen und das mit einem Zahlungsziel von 12 Monaten. Dazu würde man mir die Wickelkerne liefern. Das damalige Gehäuse hatte noch Umlenkpfähle, keine Rollen.

Bei der Firma Hoffmann, die uns mit Tonband Leerspulen und Cassettenschachteln belieferte, konnte ich auch eine ziemlich ramponierte Spritzgussform fuer die Schachtel - zum Schrottpreis - kaufen.
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Das war der Grundstock für eine eigene Fertigung

Damit war praktisch der Grundstock für eine Fertigung vorhanden. Wir importierten also die Formen und auch eine kombinierte Montage und Einspulmaschine von der Firma CASSETON. Durch unsere Beziehungen zum SENATI, dem technischen Berufsausbildungsinstitut, das deutsche Ausbilder hatte, konnten wir unsere Formen nicht nur zu „Ausbildungszwecken“ instand setzen lassen, sondern auch andere Vorrichtungen bauen lassen, die wir zur Montage brauchten.

In Zarate fanden wir eine Fabrik, die Spritzgussmaschinen hatte und bereit war, für uns die Cassettenteile und Gehaeuse zu spritzen. Da Zarate ja auf meinem Weg in die Firma lag, war es zweckmässig, dort auch für die Fertigung ein Lokal zu suchen. Und da Lucho Cardenas, einer unserer Techniker, und auch eine unserer Sekretärinnen dort zuhause waren, klappte das auch sehr schnell.
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August 1974 - CC-Kassetten jetzt „Made in Peru“

Im August 1974 konnten wir dann mit der Einrichtung der Fertigung beginnen. Dabei war mir Juanito Aranibar eine grosse Hilfe. Er war jahrelang der Leiter des Tonstudios von IEMPSA gewesen und nun dort aus mir unbekannten Gründen entlassen worden.

So tauchte er eines Tages im Büro auf in der Erwartung, dass ich ihm bei der Suche nach einem neuen Job helfen koennte. Ich konnte - und das in der neuen eigenen Firma.

Zur Feria del Pacifico 1974 konnten wir dann unsere Compact Cassette „Made in Peru“ vorstellen. Als Marke fuer das Endprodukt hatten wir ESLABEL erfunden.
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Und wir waren schneller als unsere Konkurrenten

Unsere Konkurrenten von KASET S.A. hatten zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts zustande gebracht und waren damit zwangsläufig das ganze Jahr 1975 hindurch unsere Hauptkunden und sorgten so dafür, dass wir unseren Verpflichtungen den Lieferanten gegenüber pünktlich nachkommen konnten.

Die Firma KASET hatte auch nicht – wie ursprünglich vorgesehen – die Investition in eine echte Fabrik vorgenommen, sondern – nach meinem (original AGFA-) Muster nur Formen gekauft und zwar in Argentinien, wo damals noch nicht das zuverlässige „know how“ bestand. So geschah es, dass die Cassettenform nie richtig funktionierte und KASET die CC-0 Cassetten weiterhin bei uns kaufen musste, während sie die Schachtel jetzt selbst machten.
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Ein neuer Markt - CC-Musikcassetten

Durch den wachsenden Absatz der Musikcassetten ergab sich ein neuer Markt für Schnellkopieranlagen, denn nur so konnte der Bedarf gedeckt werden.

Wir übernahmen daher die Vertretung zweier Hersteller - der Firma ASONA Alfons Kuerzeder, München für kleine, preiswerte Anlagen, die er auf REVOX Basis baute und LYREC aus Dänemark, die technische Spitzenprodukte mit hoher Kopiergeschwindigkeit bauten und uns bereits als Lieferant der Synchronmotoren der Neumann Schneidanlagen bekannt waren.
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Und es ging weiter aufwärts

Der rapide wachsende Bedarf an Kassetten verlangte weitere Investitionen. Zunächst brauchten wir neue Formen, die wir in Portugal kauften, wo die Erfahrung vorhanden war und die Preise weit unter denen der deutschen Formenbauer lagen.

Dann mussten wir uns auch unabhängig machen von den Leuten, die uns die Teile spritzten. Das war teuer und wir waren abhängig. So kauften wir zunaechst eine Gebrauchtmaschine in Deutschland und dann mit Finanzierung durch den Hersteller eine BATTENFELD in Brasilien.

Davor brauchten wir auch ein entsprechendes Lokal mit Erweiterungsmoeglichkeiten. Dies fanden wir in Chorillos. Die teilweise vorhandenen Gebäude boten Platz für die Sprizgussmaschinen, die Lagerung des Rohmaterials und in beschränkter Form, die Montage der Kassetten.
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Ein zweistöckigen Gebäude für Fertigung und Verwaltung

Gleichzeitig begannen wir aber auch mit dem Bau eines zweistöckigen Gebäudes fuer Fertigung und Verwaltung. Die Spritzgussabteilung arbeitete rund um die Uhr und sieben Tage in der Woche.

Beim Industrieministerium beantragten wir eine besondere Devisenzuteilung zum Ausbau der Produktion. Die Genehmigung erhielten wir rund 2 Jahre !!! später.
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Der Export innerhalb Südamerikas wurde gestartet

Neben dem peruanischen Markt exportierten wir auch nach Bolivien, Chile und Ecuador. Da die Einfuhrzölle sehr hoch waren, konnte nur exportiert werden, wenn eine entsprechende Rückerstattung der Zölle erfolgte. Dies erfolgte durch die sogenannten CERTEX – Exportzertifikate, die einen zusätzlichen Vorteil dadurch hatten, dass dem Exporteur 50% des Devisenerlöses für zusätzliche Importe von Rohmaterialien oder Maschinen zugestanden wurden. Das war bei den damaligen knappen Devisenkontingenten eine gute Sache.
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Das Wachstum des Kassettenmarktes in ganz Südamerika

Das Wachstum des Kassettenmarktes galt natuerlich fuer alle Länder und damit auch der Wunsch oder die Notwendigkeit einer lokalen Fertigung.

Schon 1972 hatten wir Einrichtungen für die erste Kassettenfertigung in Brasilien an die Firma SOM Industria e Comercio geliefert und später dann auch Anlagen und Formen nach CHILE, ECUADOR und VENEZUELA.

Nach Venezuela lieferten wir sogar einen kompletten Formensatz fuer VHS Kassetten, denn in den 1980er Jahren wurde auch die Herstellung von Videokasseten und deren Bespielung immer wichtiger.

Oktober 1973 - die erste Ölkrise

Im Oktober 1973 brach die erste Ölkrise als Konsequenz des Krieges zwischen Israel und Ägypten / Syrien aus und brachte die gesamte Weltwirtschaft durcheinander.

Peru, das ja eine Planwirtschaft eingeführt hatte, verarbeitete diese Krise auf eine sehr eigene Weise. Preiserhöhungen – obwohl weltweit eine Tatsache – wurden nicht anerkannt oder intern zugelassen. Dafür wurde z. B. der Autoverkehr eingeschränkt.

Autokennzeichen mit einer geraden Endziffer durften z. B. Nur Montags, Mittwochs und Freitags zirkulieren, solche mit einer ungeraden Endziffer nur Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. Sonntags durften alle fahren.
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Wir brauchten ganz schnell ein 2. Auto

Eine der Folgen dieser Massnahme war, dass alle, die es sich leisten konnten, schnell ein weiteres Auto kauften. So auch wir.

Es war unser erster TOYOTA Corona. Auch die Flugpreise ex LIMA wurden eingefroren. Deswegen empfahl mir mein rotarischer Freund Gerhard „Jerry“ Astruk, der ein Reisebuero hatte, auch, die nächste Europareise über RIO zu buchen und von dort aus mit der CONCORDE zu fliegen, die sonst mehr als ein entsprechender erster Klasse Flug kostete, von Lima aus aber kaum mehr als ein Economyklasse-Flug. Das habe ich dann auch mehrfach ausgenutzt.

Und dann Präsident des Rotary Club San Isisdro

Mitten in der Aufbauphase der Kassettenfabrik wurde ich vom Rotary Club San Isisdro zum Präsidenten für das Jahr 1974-75 gewählt und übernahm diese Aufgabe am 1. Juli 1974.

Die durch die erste Ölkrise veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse wurden durch die sozialistisch orientierte Politik der Militaerdiktatoren weiter verschärft und das wirkte sich auch auf unsere rotarischen Aktivitäten aus.
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Januar 1975 - Pech gehabt - aus 5m Höhe ...

Im Januar 1975 stürzte ich bei der Inspektion der Fabrikerweiterung aufgrund eines defekten Dachdeckenkanals zusammen mit diesem 5 Meter in die Tiefe und brach mir dabei 3 Lumbarwirbel. Zunächst musste ich 10 Tage auf einem Streckbett im Krankenhaus beiben und musste danach dann fast 3 Monate in Huachipa verbringen.

Zum Glück war es Hochsommer und ich konnte jeden Tag Schwimmen. Das hat nach Ansicht der Ärzte die Heilung sehr günstig beeinflusst. Meine rotarischen Aktivitäten mussten allerdings durch meinen Stellvertreter übernommen werden und so konnte ich  meine eigentliche Planung nicht realisieren.

Es war auch wegen der wirtschaftlichen Lage nicht möglich, die notwendigen Spendengelder aufzubringen. Letztendlich haben wir dann in Eigenleistung zusammen mit Familienmitgliedern verschiedener Rotarier die staatliche Primaria Schule in San Isidro völlig überholt und neu gestrichen, so dass sich doch noch eine Serviceleistung für die Gemeinde ergab.

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