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(Unerwünschte) Verzerrungen aller Art - Was ist hörbar?

von Arndt Klingelnberg im Herbst 1982

Als Aussteuerungsgrenze bei Tonbandgeräten betrachtet man üblicherweise den Pegel, bei dem 3% "kubischer Klirrgrad" erreicht werden. Bei Verstärkern liegt der Aussteuerungsgrenzwert meßtechnisch gesehen tiefer, er liegt bei 1%, oft genug jedoch auch schon bei 0,1% Klirrgrad.

Wieso werden hier unterschiedliche Grenzwerte definiert
und was ist beim Vergleich von Klirrwerten unterschiedlicher Komponenten zu beachten?

Wie müssen Verzerrungswerte - insbesondere bei PCM- Systemen - bewertet werden im Vergleich zu Verstärkern oder „üblicher" Magnetbandaufzeichnung?

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1% Klirrfaktor ist nicht gleich 1% Klirrfaktor

Arndt Klingelnberg im Hifi-Labor

1% Verzerrungen bei einem Verstärker jeglicher Art können überaus unangenehm klingen, 1% Verzerrung bei einem Tonbandgerät werden dagegen von vielen Hörern noch nicht einmal festgestellt. Röhrenverstärker mit ihren doch vergleichsweise geringen Ausgangsleistungen und für heutige Verhältnisse schlechten Meßdaten produzierten laut und angenehm Musik. Frühere Transistorverstärker klangen trotz besserer Meßwerte und deutlich höherer Ausgangsleistung unsauberer und konnten auch oft nicht so laut spielen.

Beim Vergleich von Verzerrungsmeßwerten unterschiedlich arbeitender Systeme muß beachtet werden, ob die Verzerrungen „weich" oder „hart" sind und inwieweit sich der Aussteuerungsbereich noch oberhalb der festgelegten Aussteuerungsgrenze in der Praxis nutzen läßt (kurzzeitig, für Extremfälle).

Bei der Bewertung der Meßdaten muß also beachtet werden, ob die nichtlinearen Verzerrungen auf Grund der Physiologie des menschlichen Gehörs unangenehm auffallen und ob im praktischen Betrieb (z.B. bei der Wiedergabe von Musik) der vom System gegebene Dynamikbereich problemlos ausgenutzt werden kann.

Wir unterscheiden "weiche" und "harte" Verzerrungen

Spielt man einem größeren Zuhörerkreis Sinustöne vor, die auf unterschiedliche Weise nichtlinear verzerrt wurden, so zeigt sich, daß eine Vielzahl der Testpersonen sehr oft bereits unterhalb von 0,1% Klirrgrad eine unangenehme Klangfarbenänderung feststellt, während in einer anderen Testreihe durchaus noch von einer Vielzahl der Testpersonen über 10% Klirrgrad toleriert werden.
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Im ersten Fall wird es sich um harte Verzerrungen handeln, im zweiten
Fall um weiche Verzerrungen. Die Attribute hart und weich beziehen sich dabei auf die Art der Klangfarbenänderung, weisen aber auch auf die Veränderung des Sinuskurvenzuges auf dem Oszillographen hin.

Bei einer harten Verzerrung wird ein scharfer Knick im Sinuskurvenzug für das Auge sichtbar. Bei weichen Verzerrungen wird dagegen die Kurvenform nur sanft, oft genug auch für das Auge kaum merklich verändert. Es ist wirklich fast so, daß die visuelle Erkennbarkeit von Verzerrungen der Sinuskurvenform auf dem Oszillographenschirm recht gut mit der Hörbarkeit des entsprechenden Tones übereinstimmt.
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Für eine echte Analyse braucht man einen Spektralanalysator

Analysiert man einen verzerrten Ton mit einem Niederfrequenz-Spektralanalysator, so wird man immer feststellen, daß hauptsächlich Klirrfaktoren 2. und 3. Ordnung vorhanden sind. Klirrfaktoren höherer Ordnung sind gegenüber diesen deutlich leiser, Klirrfaktoren der Ordnung 6 und höher kaum mehr feststellbar. Anders verhält es sich bei harten Verzerrungen, Klirranteile hoher Ordnung sind kaum schwächer als die zweiten bzw. dritten Grades.

Beim Klirrgrad 2. Ordnung wird immer die positive Halbschwingung gegenüber der negativen Halbschwingung verändert, d. h. der Kurvenzug wird relativ zur Bezugs-Nullinie unsymmetrisch.

Bei Klirrfaktoren 3. Grades wird der positive und negative Schwingungszug in gleicher Weise, also symmetrisch verändert. Die Sinuskurve könnte z. B. spitzer werden, üblicherweise wird sie allerdings sowohl an der positiven wie auch an der negativen Kuppe flacher (Kompressionseffekte).

Die harmonischen Verzerrungen

Mit dem Klirrgrad werden die harmonischen Verzerrungen gemessen. Bei
dieser Art der nichtlinearen Verzerrungen werden Obertöne gebildet, die der natürlichen Obertonreihe bei Instrumenten entsprechen. Der Klirrfaktor 2. Grades (k2, quadratisch) entspricht der Oktave über dem Grundton, der Klirrfaktor 3. Grades (k3, kubisch) entspricht der Duodezime bzw. der Quinte über der Oktave des Grundtons. Diese Obertöne sind bei vielen Instrumenten von vornherein vorhanden, deshalb klingen sie für das Ohr auch kaum ungewöhnlich bzw. unangenehm. Aus diesem Grund werden selbst Werte von über 10% vom Ohr noch toleriert.

Die harten Verzerrungen

Bei harten Verzerrungen zeigt eine Spektralanalyse, daß auch Klirrfaktoren 9., 10., 11., 12., ... Grades noch mit nennenswertem Pegel vorhanden sind. Das Ohr empfindet diese Obertöne als ungewöhnlich und daher auch als unangenehm.

Solche hohen Obertöne werden von natürlichen Instrumenten nur mit geringem Pegel erzeugt, und das meistens auch nur kurzzeitig (z. B. beim Anreißen einer Saite). Werte von 0,1% Klirrgrad höherer Ordnung sind daher durchaus schon als unangenehm zu bezeichnen.

Das liegt auch an den speziellen Pegelverhältnissen harter Verzerrungen. Während bei weichen Verzerrungen der Signalfehler relativ kontinuierlich vorhanden ist, tritt bei harten Verzerrungen der Übertragungsfehler nur an kurzzeitigen Stellen des Kurvenzuges auf, dafür aber mit einer besonders hohen Intensität. Dies ergibt zwar meßtechnisch gesehen (über die gesamte Zeitdauer gemittelt) nur einen relativ geringen Verzerrungswert, das Ohr reagiert aber auf die Intensitäts-Spitze.

Es wurden von verschiedenen Seiten Meßverfahren vorgeschlagen, die die Verzerrungen entsprechend ihrer Hörbarkeit bewerten sollen, jedoch zeichnet sich hier noch keine in der Praxis zuverlässige Lösung ab.

Die weichen Verzerrungen

Es bleibt also festzuhalten, daß weiche Verzerrungen, das sind Verzerrungen niedrigen Grades, vom Ohr auch bei größeren Meßwerten durchaus toleriert werden. Harte Verzerrungen, das sind Verzerrungen höheren Grades, werden dagegen vom Ohr auch schon bei niedrigen Meßwerten erkannt.

Weiche Verzerrungen treten auf bei der analogen Magnetbandaufzeichnung (k3), bei der mechanischen Schallabtastung (Plattenspieler; k2 und k3), beim Lautsprecher (k2 und k3; selten auch höhere harmonische oder subharmonische Frequenzen unterhalb des Grundtones, was dann allerdings sofort sehr auffällig ist), bei nur schwach gegengekoppelten Verstärkern (k2) wie auch bei Röhrenendstufen (k3).

Harte Verzerrungen liegen dagegen vor bei der Übersteuerung heute üblicher Transistor-Verstärker, als Übernahmeverzerrungen bei schlecht konstruierten Verstärkern im geringen Leistungsbereich sowie bei mechanischen Abtastfehlern des Plattenspielers oder Anschlag oder „Knicken" einer Lautsprechermembran. Hierbei werden immer auch Obertöne hoher Ordnung erzeugt.

Nichtharmonische Verzerrungen

Könnten in einer HiFi-Anlage harte Verzerrungen weitgehend vermieden werden, so ließen sich prinzipiell höhere Klirrgradwerte noch tolerieren. Hierdurch würde sich der Obertongehalt der zu reproduzierenden Musik lediglich in geringem Umfang verändern, was nur wenig auffallen würde.

Man darf jedoch eine sehr wesentliche Tatsache nicht vergessen: Die harmonischen Verzerrungen sind nur eine der möglichen Erscheinungen von nichtlinearem Verhalten bei HiFi-Komponenten.

Dissonanzen

Durch das nichtlineare Verhalten werden nicht nur Obertöne gebildet, sondern bei gleichzeitigem Vorhandensein mehrerer Töne (wie in der üblichen Musik) werden Mischtöne erzeugt, die in keinerlei harmonischer Beziehung zu den Ausgangstönen stehen, also sozusagen krasse Dissonanzen darstellen.

Bei der Übertragung eines Tones von 220 Hz (a) und eines Tones von 274 Hz (d1, Quart) würden durch das nichtlineare Verhalten des Verstärkers auch noch die Töne von 55 Hz (A1) und 495 Hz (h2) gebildet werden. Wenn auch bei diesem speziellen Beispiel (Quarte) der eine Differenzton (A1) sich noch harmonisch in den Gesamtklang einfügen wird, so wird der Summenton (h1) durch sein dissonantes Frequenzverhältnis auffallen. Bei anderen Tonintervallen und wirklicher Musik werden sich natürlich noch sehr viel lästigere Mischtöne bilden.

Weiterhin werden nicht nur Summen-und Differenztöne erzeugt (durch quadratische Verzerrungen), sondern auch die Differenztöne zwischen dem doppelten Wert der einen Frequenz und der einfachen anderen Frequenz sowie dem doppelten Wert der anderen Frequenz und der einfachen einen Frequenz.

Das wären in unserem Beispiel (2 x 220 Hz) - 275 Hz = 185 Hz (ca. fis) und (2 x 275 Hz) - 220 Hz = 330 Hz (e1). Auch diese beiden durch Verzerrungen 3. Grades gebildeten Mischtöne werden auffallen.

Intermodulations- und Differenztonfaktor

Summen- und Differenztöne sind üblicherweise auffälliger als die harmonischen Verzerrungen selbst. Die harmonischen Verzerrungen stellen daher nur eine Meßgröße dar, mit der das nichtlineare Verhalten der HiFi-Komponente erfaßt werden kann. Aus diesen Meßwerten kann dann auch auf die Bildung von Mischtönen geschlossen werden. Eine direkte Messung solcher Mischtöne wurde bisher schon vorgenommen durch die sogenannte Intermodulationsmessung, bei der eine verhältnismäßig tiefe Frequenz mit hohem Pegel und eine höhere Frequenz mit kleinerem Pegel gleichzeitig in das Meßobjekt gespeist wurden.

Weiterhin werden wir in zunehmendem Maße bei unseren Messungen auch den Differenztonfaktor bestimmen, dieses sind die Mischprodukte aus zwei Tönen relativ hoher Frequenz. Auch hier sind natürlich harte Verzerrungen leichter wahrnehmbar als weiche Verzerrungen. Die Mischtöne von Verzerrungen höheren Grades ergeben sich z. B. für Nichtlinearitäten 4. Grades durch die Mischfrequenzen (3 f1 ± f2); (±f1 +3 f2); (2 f1 ± 2 f2); usw.

Wie man sieht, ergeben sich hier Mischtöne, die frequenzmäßig weiter entfernt von den Ausgangstönen liegen und die in noch größerem Maße disharmonisch empfunden werden, selbst wenn die Ausgangstöne in einem harmonischen Frequenzverhältnis standen.

Zusammenfassung

Der Klirrgrad ist nur eine der möglichen Meßmethoden zur Feststellung von Nichtlinearitäten in HiFi-Komponenten. Der Klirrgrad bzw. die durch Geräteunzulänglichkeiten neu hinzugebildeten Obertöne werden vom Gehör nicht immer als unangenehm empfunden. Gehörphysiologisch wichtiger sind Verzerrungseffekte, wie sie bei Bildung von nichtharmonischen Mischtönen mit der Summen- oder Differenzfrequenz der Ausgangsfrequenzen oder deren Vielfachen gebildet werden. Diese Verzerrungsgrößen nennt man Intermodulations- oder Differenztonfaktor. Diese Größen können mit entsprechendem Meßgeräteaufwand auch direkt ermittelt werden.

Da Klirrfaktor, Intermodulationsfaktor und Differenztonfaktor verschiedene Meßgrößen ein und derselben Verstärkernichtlinearität darstellen, lassen sie sich theoretisch ineinander umrechnen, praktisch gilt dies allerdings nur in grober Annäherung, da die nichtlinearen Verzerrungen von HiFi-Komponenten sehr vielschichtig sind und Frequenzgangeigenschaften eine Rolle spielen.

Prinzipiell kann man aber hieraus ersehen
, daß aus dem Klirrfaktor auf ein günstiges oder schlechtes Verhalten bezüglich der Mischtonbildung geschlossen werden kann.

Besonders wichtig ist aber die Art der Nichtlinearität. Weiche Verzerrungen niedrigen Grades werden vom Ohr sehr viel leichter toleriert als harte Verzerrungen höheren Grades. Meßwerte sind daher ohne diese Zusatzinformationen kaum vergleichbar, es sei denn, es handelt sich um sehr ähnliche Komponenten (z.B. Vergleich üblicher Verstärker untereinander).

von Arndt Klingelnberg im Herbst 1982

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