1980 - Wer "sichert" sich den Weltstandard für die CD ?
von Gert Redlich im März 2017 - Nach den PCM Audio-Aufzeichnungen auf Videoband wurde heftig um den neuen Weltstandard für eine zukunftsweisende digitale Schallplatte gekämpft, teilweise unter der Gürtellinie, teilweise auch mit fairen sachlichen Argumenten. In den weltweiten Normungsgremien blieb die Variante von Philips (noch ohne SONY) und Telefunken übrig. Alle anderen (über 20) Entwicklungen hatten so große Macken oder Schwächen, daß die Ingenieure diese beiden letzen Konzepte forcieren wollten.
Aus heutiger Sicht hatte die Telefunken CD damals schon so gut wie keine Chance, denn die mechanische Abtastung war mitnichten weitgehend verschleißfrei, eher im Gegenteil, sehr verschleißanfällig. Das war den Fachleuten (und den Wettbewerbern) natürlich nicht verborgen geblieben, daß in dem so hochgejubelten TED Bild-Plattenspieler nachträglich eine kleine "Diamantschleifmaschine" eingebaut (eher reingebastelt) worden war, um die Kufe periodisch wieder glatt zu schleifen. Aus meiner Sicht eine völlige Fehlkonstruktion - aus heutiger Sicht sowieso. Doch lesen Sie selbst, wie das "Telefunken Digital-System" angepriesen wurde.
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"Ein Traum wird Wirklichkeit" - aus stereoplay 1/1980
Jetzt steigt auch Telefunken in die Digital-Zukunft ein. Die Platten sind kaum größer als ein Bierdeckel.
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Das Hannoveraner Zukunftsgerät
Gerade noch rechtzeitig zum 100. Geburtstag von Thomas Alva Edisons Phonographen-Erfindung beginnt die moderne Digitaltechnik, den Plattenspieler zu revolutionieren. Nachdem der niederländische Philips-Konzern im März 1979 seine Digital-Platte „Compact Disc" erstmals präsentierte und einige (angeblich mehr als 18) japanische Firmen eigene Audio-Versionen ihrer Bildplattenspieler vorführten, zeigte jetzt auch als erster deutscher Hersteller Telefunken seinen Digital-Beitrag.
Das Hannoveraner Zukunftsgerät unterscheidet sich allerdings von der Philips-Konkurrenz in einigen Punkten wesentlich. So setzte Telefunken auf eine piezoelektrische Abtastung der Digital-Information auf der Platte, während Philips sich für eine berührungslose Abtastung per Laserstrahl entschied.
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- Anmerkung : Die "piezoelektrische" Abtastung ist die geschickt verschleierte Umschreibung für eine uralte mechanische Abtastung !!
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Vom (gefloppten) „TED" Bildplattenspieler "abgeleitet"
Verständlich, denn der deutsche Konzern wandte dieses Verfahren schon bei seinem Bildplattenspieler „TED" aus 1972 an, der erste übrigens, der als Seriengerät dann endlich 1975 auf den Markt kam.
Wie bei der piezoelektrischen Abtastung tastet ein feiner Diamant (Anmerkung : mechanisch !!) die Oberfläche der Platte ab, auf der die Toninformation als Tiefenschrift gespeichert ist (im Gegensatz zur Seitenschrift der konventionellen Mono-Platte). Die Nadelbewegungen, die viel geringer sind als beim heute üblichen Abspielvorgang, wandelt ein Kristall in elektrische Signale um (piezoelektrischer Effekt).
Zwar digital aber immer noch mechanisch
Da die Information auf der Platte digital gespeichert ist, die Nadel beim Abtasten also immer nur eine Ja-Nein-Entscheidung zu treffen braucht (die Musiksignale setzen sich aus der kodierten Anordnung dieser bits zusammen), reagiert das Verfahren weitgehend unempfindlich auf Oberflächenfehler und Verschmutzungen.
Trotzdem scheint das Philips-Gerät unanfälliger zu sein; denn im Gegensatz zu den Holländern liefert Telefunken die Platte in einer fest verschlossenen Cassette. Erst wenn die Cassette in das Abspielgerät eingeschoben ist, öffnet der Spieler automatisch die Schutzhülle und beginnt die Platte abzutasten.
Telefunken-Vorstandsmitglied Bernhard Husmann ist von der Sicherheit dieses Systems fest überzeugt: „Die Telefunken PCM-Platte hat eine praktisch unbegrenzte Lebensdauer."
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- Anmerkung : Diese Aussage hatte der Chef im vollen Wissen um die dicken existenziellen Probleme des auch von der Lebensdauer her gefloppten TED Abspielers gemacht. Weder die TED Bildplatte noch der Abspieler haben weder theoretisch noch praktisch eine (die oft propagierte) unbegrenzte Lebensdauer.
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Einiges steht der weltweiten Standardisierung im Wege
Ein Problem sieht Husmann allerdings in der Standardisierung der Digital-Plattenspieler. Einig scheint man sich weltweit darüber zu sein, daß es nur eine einheitliche Norm geben kann. Wie sie letztlich aussehen wird, weiß bislang noch niemand. Und hier ist die Einigkeit auch schon zu Ende - jeder Konzern versucht, sein Konzept durchzuboxen.
Aus dem (analogen) Quadro-Desaster der vergangenen Jahre haben die Hersteller immerhin gelernt. „Neben etwa 20 japanischen Firmen", weiß Husmann, „treffen sich regelmäßig die Konzerne EMI, Philips, Polydor, Telefunken und Thomson aus Europa, außerdem CBS, MCA und RCA aus Amerika sowie aus Japan die Firmen Aiwa, Akai, Hitachi, JVC, Matsushita, Mitsubishi, Onkyo, Pioneer, Sansui, Sanyo, Sony und Toshiba."
Der Verbraucher kann nur hoffen, daß möglichst rasch und wirklich nur eine Norm verabschiedet wird.
115 Millimeter oder 125 Millimeter ? 12cm sind es geworden
Denn an der Normierung hängt die weitere Entwicklung und damit auch die Markteinführung des Super-Plattenspielers. Bei einigen strittigen Punkten scheinen die Würfel gefallen zu sein. So sind sich die Kontrahenten einig, daß der Plattendurchmesser klein sein soll (Philips-Vorschlag: 115 Millimeter, Telefunken-Entwurf: 125 Millimeter). Auch die Austauschbarkeit der Audio-Platte mit der Bild-Platte scheint nicht mehr diskutiert zu werden. Husmann: „Wir glauben, daß wir eine separate Lösung für jeden Anwendungsfall brauchen."
(Nur) die 14-bit Technik war machbar und bezahlbar
Ganz klar scheint auch die Frage nach der Quantisierungsgröße* beantwortet zu sein. Offensichtlich werden 14-bit-Worte von den meisten Herstellern favorisiert. Daß diese Zahl vernünftig ist, zeigen die Klangergebnisse, die damit erzielt werden können: Der Fremdspannungsabstand beispielsweise, der bei konventionellen Platten höchstens 60 Dezibel beträgt (bei 78er Platten waren es 30 Dezibel), schnellt beim 14-bit-Laufwerk auf 85 Dezibel hoch.
* Gibt die Zahl der bits pro Kodewort an. Ein Maß für die Genauigkeit der Musikreproduktion.
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Ein Beispiel :
Wie gewaltig der Unterschied ist, zeigt ein Beispiel: Wenn bisher der Geräuschpegel auf Platten ein Tausendstel der lautesten Stelle ausmachte, so wird der Störpegel in Zukunft noch rund 16mal geringer sein. In Pausen wird dann wirklich Totenstille herrschen. Hand in Hand geht damit auch die Dynamik, also der Unterschied zwischen lautester und leisester Stelle eines Musikstücks. Auch sie liegt bei 85 Dezibel, was bedeutet, daß ein Pianissimo nicht mehr vom Rauschen überdeckt wird.
Zu diesen Traumwerten, die übrigens von allen 14-bit-Verfahren erreicht werden, gesellen sich aber noch weitere phantastische Daten: Die Übersprechdämpfung zwischen den beiden Stereo-Kanälen, die zur Zeit höchstens bei 30 Dezibel liegt, schraubt der Digitalplattenspieler mühelos auf über 85 Dezibel. Die räumliche Definition einzelner Instrumente eines Orchesters wird damit extrem präzise werden. Tonhöhenschwankungen, die sich besonders unangenehm beim Klavier zeigen, gehören ebenfalls der Vergangenheit an, denn Gleichlaufschwankungen kennt die neue Technik nicht.
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Die Digitaltechnik hat gewaltige Vorteile
Auch der praktische Gebrauch verbessert sich. Knistergeräusche durch elektrostatische Aufladungen oder Schmutz entfallen.
Telefunken geht aber noch einen Schritt weiter. Neben der 125-Millimeter-Platte für Stereo schlägt das Werk eine Quadro-Variante vor, die dann einen zehn Millimeter größeren Durchmesser haben soll. Alle übrigen Daten behalten das gleich hohe Niveau der Stereo-Platte. Neben absoluter Kanaltrennung für die Quadrofonie - die damit neue Dimensionen in diesem Verfahren eröffnet -, leistet die 135-Millimeter-Variante noch eine ganze Menge mehr.
Immer noch im Gespräch - die Vierkanal-(Quadro-) Platte
Wird diese Vierkanal-Platte nämlich nur stereofon eingesetzt, so kann neben dem Stereosignal auf den beiden freien Spuren die Rauminformation einer Aufnahme aufgezeichnet werden. Der Benutzer kann sie dann individuell dem Stereosignal zumischen, um Akustikfehler seines Abhörraums zu kompensieren. Außerdem kann ein Solopart getrennt vom Orchester aufgezeichnet werden, um ihn dann optimal über die heimische HiFi-Anlage zu reproduzieren oder um selber das Solo zur Orchesterbegleitung zu arrangieren.
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- Anmerkung : Die digitale Vierkanal-Platte war nie eine ernsthafte Diskussionsgrundlage, alle "Mitmacher" wollten zuerst ein verkaufsfähiges Medium für die in riesigen Mengen vorhandenen Stereo-Masterbänder in den diversen Schallplatten- Studio-Archiven.
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Verzichtet der Plattenproduzent auf diese Möglichkeiten, so kann er die beiden zusätzlichen Spuren für die doppelte Spieldauer (zweimal 120 Minuten Stereo) einsetzen.
Und wann kommt das System? Husmann weicht aus: „Die Markteinführung hängt unter anderem entscheidend von der Standardisierung ab." Bleibt nur zu hoffen, daß Edisons Erfindung sich nicht noch allzuoft jähren muß, bis die heißersehnten Geräte vollendete High-Fidelity in die gute Stube bringen.
Gerald 0. Dick (im Dezember 1979)