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In der Hifi-Stereophonie 1980 Heft 09 sinniert
Jürg Jecklin über diverse Gesichtspunkte bei der Aufnahme von Musik

Jürg Jecklin, Cheftonmeister von Radiostudio Basel, Erfinder und Entwickler (z. B. Kopfhörer Jecklin-Float), Musikkenner und trotz seines Berufes immer noch Musikfreund, Autor des „Lautsprecherbuches", Stuttgart 1967, und des soeben im Franzis-Verlag erschienenen Buches „Musikaufnahmen", München 1980, ist, wenn man so will, ein professioneller HiFi-Fan. Er hat seinen Beitrag in Kenntnis der Nisius'schen Ausführungen in diesem Heft geschrieben.

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Was ist los mit unseren Musikaufnahmen ?

Heft 09 / 1980
Jürg Jecklin in Action

Im Gespräch mit Schallplatten- und Rundfunkhörern, aber auch mit Musikern, Tonmeistern und Toningenieuren tritt immer wieder ein Unbehagen über die heutigen Musikaufnahmen zutage. Das ist eigentlich erstaunlich, denn die technischen Verbesserungen auf dem Audiogebiet gegenüber der Situation von vor zwanzig oder dreißig Jahren sind unübersehbar.

Von der rein technischen Seite
können Musikaufnahmen heute so gut sein, daß man sich dieses Unbehagen eigentlich nicht erklären kann.

Betrachtet man aber die heutigen Musikaufnahmen nur musikalisch- klangästhetisch, so hat man oft das Gefühl, daß eine mediengerechte Arbeitsweise noch nicht gefunden wurde.

Da es sich dabei anscheinend um ein prinzipielles Problem handelt, sollte man die Schuld dafür nicht je nach Betrachtungsstandpunkt beim Produzenten, Tonmeister oder gar bei den Unzulänglichkeiten der Wiedergabelautsprecher suchen.
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Den Augenblick der Konzertaufführung festhalten

Man sollte sich vielmehr zuerst die Frage stellen, ob und wie man ein musikalisches Ereignis aufnehmen, speichern und wiedergeben kann.

Ein musikalisches Ereignis ist etwas
, das im Augenblick entsteht, wobei die Interpreten und die Zuhörer mitbeteiligt sind. Das ist bei jeder Konzertaufführung der Fall.

Für Musiker und „Zuhörer" unnatürlich:

Bei einer Aufnahme ist die Situation für die Musiker und die späteren „Zuhörer" unnatürlich:

  • Die Musiker müssen ihre Bestleistung für die „Ewigkeit" erbringen, und zwar in der sterilen Atmosphäre eines Aufnahmestudios.
  • Für die Rundfunk- und Schallplattenhörer fällt zwangsläufig der Kontakt mit den Musikern und das Gemeinschaftserlebnis weg.
  • Die konventionelle klassische Musik ist vom Komponisten für die Konzertaufführung in einem entsprechend großen Saal geschrieben worden. Die Aufnahme muß in einem viel kleineren Abhörraum (Wohnraum) wiedergegeben werden.

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Der Tonmeister soll ein Ereignis festhalten

Bei der Aufführung eines musikalischen Werkes findet im Saal einerseits ein akustisches, andrerseits ein musikalisches Ereignis statt. Das akustische Ereignis läßt sich nun nicht naturgetreu in den viel kleineren Wiedergaberaum übertragen, schon gar nicht mit einer nur zweikanaligen Stereotechnik. Deshalb muß der Tonmeister darauf achten, daß wenigstens das musikalische Ereignis auf der Aufnahme festgehalten wird. Das erfordert eine mediengerechte Transformation.

„Mediengerecht" ist natürlich im Fall einer Mono-, einer Stereo- oder einer Quadroaufnahme jeweils etwas anderes.

Der Kernpunkt des Problems

Die heutige Situation des allgemeinen Unbehagens ist einerseits darauf zurückzuführen, daß diese Tatsachen nicht genügend berücksichtigt werden, daß die Konsumenten von einer Aufnahme zu viel erwarten und daß andererseits die Aufnahmeleute (Produzenten, Musiker, Tonmeister etc.) oft nicht mediengerecht und musikalisch arbeiten.

Die Kritik von Nicht-, Halb- und Ganzfachleuten bezieht sich meist nur auf die Übertragung des akustischen Ereignisses und befaßt sich mit rein technischen Fragen (Anzahl der Mikrophone, Anwendung von Filtern, Verwendung von künstlichem Hall, Impulswiedergabe durch die Lautsprecher etc.). Sie berührt den Kernpunkt des Problems oft nicht.

Dabei weiß eigentlich jedermann aus eigener Erfahrung, daß ein musikalisches Ereignis auf einer alten Monoschallplatte ebenso gut festgehalten werden kann wie mit einer Digitalaufnahme. In beiden Fällen ist einzig und allein wichtig, ob das musikalische Ereignis durch irgendwelche Manipulationen berührt worden ist oder nicht.

Nicht nur der Tonmeister "könnte" manipulieren

Die Möglichkeit zu Manipulationen hat aber nicht nur der Tonmeister. Oft manipuliert der Konsument mit, wenn er die zum Teil unsinnigen Klangbeeinflussungsmöglichkeiten seiner Wiedergabeanlage extensiv benutzt. Von diesem Standpunkt aus betrachtet sind die neuerdings auf dem Markt erschienenen Hall-und Verzögerungsgeräte abzulehnen. Die heutige Situation kann nur verbessert werden, wenn sich die Tonmeister, die Gerätehersteller und die Konsumenten auf folgende Arbeitsteilung einigen:

• Die Tonmeister machen die Aufnahme so, daß sie bei der Wiedergabe in einem normalen Wohnraum, wiedergegeben mit einer normalen Anlage, musikalisch richtig klingt. Der Tonmeister hat eine musikalisch-technische Doppelfunktion.

Ein Beispiel soll dies erläutern:

Bei Aufnahmen mit einem Kiavierduo standen eine Sonate von Schumann und ein Stück von Ives für Vierteltonklavier auf dem Programm. Die Sonate von Schumann ist für zwei Klaviere geschrieben. Auf der Aufnahme müssen die zwei Instrumente getrennt sein, das heißt, man muß bei der Wiedergabe den musikalischen Wechsel zwischen den beiden gleichwertig behandelten Instrumenten hören.

Das Stück von Ives dagegen muß mit zwei Klavieren gespielt werden, da es praktisch keine Vierteltonklaviere gibt. Deshalb wird eines der beiden Instrumente um einen Viertelton tiefer gestimmt, und die beiden Pianisten spielen quasi „Hand in Hand", das heißt, ihr Spiel muß sich gegenseitig ergänzen. Der Wechsel zwischen den zwei Instrumenten ist nur aufführungsbedingt.

Bei einer Aufnahme hat man nun die Möglichkeit, beide Instrumente als ein einziges Instrument klingen zu lassen. Bei der Aufnahme wurden deshalb die beiden Klaviere übereinandergeschoben.

Und was ist die Konsequenz ?

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  • • Manipulationen müssen medienbezogen sein, wobei die technischen Möglichkeiten sinnvoll und sparsam eingesetzt werden müssen. Eine Aufnahme darf nie Selbstzweck sein. (Dies scheint allerdings im Fall der Direktschnittplatten nicht zu gelten.) Es geht ja letztlich nicht darum, ein Klavier oder ein Orchester aufzunehmen, sondern eine Klaviersonate und eine Symphonie. Wenn sich ein Tonmeister zu dieser Betrachtungsweise durchringt, wird eine Diskussion über richtige und falsche Aufnahmetechniken überflüssig. Er wird je nach der Art der Musik mit nur wenigen Mikrophonen oder mit einer aufwendigen Technik arbeiten.
  • • Die Geräte- und Lautsprecherhersteller einigen sich auf einen bestimmten Standard. Teure und billigere Anlagen sollten sich nur durch die Wiedergabequalität, nicht aber prinzipiell unterscheiden. Wenn das der Fall wäre, wüßte der Tonmeister endlich genau, wie er eine mediengerechte Aufnahme machen muß. Zu wünschen wäre eine Situation, wie sie auf dem Fernsehsektor heute bereits vorhanden ist.
  • • Der Konsument betrachtet seine HiFi-Anlage nur als „Vehikel" für die Musikwiedergabe und nicht als Selbstzweck. Er benutzt die klangbeeinflussenden Möglichkeiten seiner Anlage nur zur Korrektur der akustischen Eigenheiten seines Wohnraumes und um eine zu geringe Abhörlautstärke auszugleichen.

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Wenn sich die drei Beteiligten: der Tonmeister, der Hersteller und der Konsument, an diese Vorschläge hielten, wäre eine wesentliche Verbesserung der heutigen Situation möglich.
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Kommerzielle Gesichtspunkte

Natürlich gibt es außerdem noch weitere Faktoren, die eine unbefriedigende Aufnahme zur Folge haben können:

Die Schallplattengesellschaften denken kommerziell, sie wollen und müssen mit Musikaufnahmen Geld verdienen. Das bringt in der Praxis Sachzwänge mit sich, die sich künstlerisch auswirken können.

Musikaufnahmen werden „produziert". In die Produktion wird viel Geld investiert. Musikaufnahmen müssen deshalb immer rationell durchgeführt werden, auch wenn dabei unter Umständen wesentliche musikalische Faktoren leiden. Weiter benutzen die Musiker die technischen Möglichkeiten der heutigen Aufnahmetechnik oft nicht nur künstlerisch. Das Zusammenschneiden einer Aufnahme aus Teilaufnahmen muß musikalisch gerechtfertigt sein und darf nicht aus Gründen der Bequemlichkeit oder der Eitelkeit erfolgen.

Forderungen an die Fachpresse

Zum Abschluß möchte ich noch eine Bitte an die Fachpresse richten, die meiner Meinung nach am ehesten zur Klärung der Situation der „gespeicherten" Musik beitragen kann:

Die Rezensenten der Schallplattenzeitschriften müßten die Aufnahmequalität vermehrt im Hinblick auf die musikalische Richtigkeit beurteilen. Sie sollten sich nicht kritiklos von einem spektakulären, aber äußerlichen Klang beeindrucken lassen.

Die technischen Journalisten von Audiozeitschriften müßten sich auf die eigentliche Aufgabe und den eigentlichen Zweck von HiFi-Anlagen und von Schallplatten besinnen. Sie würden dann technischen Spielereien kritischer gegenüberstehen.
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Der langen Rede kurzer Sinn:

Alle, die sich aktiv oder passiv mit Musikaufnahmen beschäftigen, müssen sich darüber im klaren sein, was der Rundfunk und die Schallplatte kann und was nicht. Die aktiv Tätigen müssen versuchen, ihre Arbeit musikalisch und mediengerecht zu tun. Die Schallplatten- und Rundfunk-Musikkonsumenten, die die medienimmanenten Grenzen nicht akzeptieren können, sollen doch ab und zu ein Konzert besuchen.

Jürg Jecklin im Herbst 1980
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