Begleittext einer Rückschau - "Über den deutschen Schlager"
Diese Biografie und historische Aufarbeitung des deutschen Schlagers wurde in 1978 von der Journalistin Monika Sperr geschrieben. Frau Sperr beschreibt in ihrem Vorwort ihre Sichtweise der Geschichte und der Ereignisse aus dem Blickwinkel des Arbeitermillieus. Aus Sicht des Rezensenten ist die gesellschaftspolitische Färbung mancher Absätze etwas zu einseitig und öfter die Tatsachen verfälschend. Diese Biografie sollte mit Bedacht und auch nachdenklich gelesen werden.
Überhaupt sollte man zum Vergleich der geschichtlichen Tatsachen um 1932/1933 herum das Buch des Amerikaners "H. R. Knickerbocker "German crisis" mit einbeziehen. Auch die "Aufzeichnungen von 1943 bis 1945" von Hans-Georg von Studnitz sind lesenswert.
.
Über 60.000 führende Intellektuelle verließen Deutschland
Bis 1939 flohen rund 60.000 führende Wissenschaftler, Forscher, Ingenieure, Techniker, Politiker und Künstler ins Ausland. Von Albert Einstein bis zu Richard Tauber, von Thomas, Heinrich, Klaus und Erika Mann bis zu Elisabeth Bergner, war es eine lange Liste berühmter, verdienstvoller Namen. Gleichzeitig sank an den deutschen Universitäten die Anzahl der Studierenden zwischen 1933 und 1939 von 127.920 auf 58.325.
An den Technischen Hochschulen gingen die Einschreibungen von 20.474 auf 9.554 zurück. Dieser rapide Rückgang war den neuen Herren im Lande nur recht, lag ihnen doch gerade daran, den Bildungsstand des Volkes möglichst niedrig zu halten.
.
Eine Grundphilosophie der neuen Herren im Lande
Wissende, selbständig denkende und handelnde Staatsbürger konnten ihnen viel zu schnell gefährlich werden. Sie brauchten unwissende, gläubige Untertanen, die sich für »Führer und Vaterland« willig in Kriege hetzen und »heldenmütig« abschlachten ließen. Schule und Universität waren in erster Linie Zuchtanstalten für den »neuen Menschen«, eine Art germanischer Winnetou: »Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, flink wie die Windhunde.«
Darüber hinaus hatte dieser »neue Mensch« viel Haß und Mordlust in seiner gestählten Heldenbrust zu tragen und nicht nur vom völkischen NS-Gedan-kengut, sondern auch »vom Verlangen nach Vernichtung der anderen« erfüllt zu sein.
Hitlers Zukunftsvorstellung vom »organisierten Feldlager« wurde schreckliche Wirklichkeit.
.
Ein ganzes Volk in Uniform
Ein ganzes Volk wurde in Uniform gesteckt, das ganze öffentliche Leben militarisiert. Von kleinauf wurden die Menschen zum Strammstehen in Reih und Glied abgerichtet, dazu immer und überall Fahnenappelle und zum »deutschen Gruß« emporgereckte Arme. Der Sport wurde zur paramilitärischen Ausbildung benutzt; selbst Krankenschwestern präsentierten sich wie Brigaden.
Die 10- bis 14jährigen Jungen wurden ins Jungvolk, die 10- bis 14jährigen Mädchen zu den Jungmädeln gesteckt. Die 14- bis 18jährigen Burschen waren in der Hitlerjugend (HJ), die 14- bis 18jährigen Mädchen im Bund Deutscher Mädel (BDM) organisiert.
Die zu »gestählten Kämpfern« gedrillten jungen Männer wurden von SA oder SS und der Partei, die zum »Ganz-Frau-Sein« erzogenen jungen Frauen von der NS-Frauenschaft oder Arbeitsgemeinschaften mit blumigen Namen wie »Glaube und Schönheit« übernommen. Mit dem Äußeren wurde auch der innere Mensch uniformiert: »Führer befiehl, wir folgen!«
Hitlers Wille wurde Gesetz, Führers Befehl oberstes Glaubensbekenntnis. Parteien und Gewerkschaften wurden zerschlagen; Presse, Funk, Kunst und Wissenschaft durch die neugegründete Reichskulturkammer im Sinne der barbarischen NS-Herrenmenschen-Ideologie gleichgeschaltet. Die Massenmedien hatten nur die eine große nationale Pflicht: die totale Manipulation des Volkes.
Damit die Massen die Stimme ihres Herrn und seines Hexenmeisters Joseph Goebbels nicht nur bei Massenaufmärschen und Großveranstaltungen, sondern auch in Stube und Küche hören konnten, mußte !! ein Radio her, daß sich jede Familie leisten konnte. Schon 1933 kam der preiswerte Volksempfänger, das Stück zu 76 (später 35) Reichsmark, auf den Markt. Bis 1934 war die erste Million davon schon unter die Leute gebracht.
.
Der Schlager im 3. Reich - gleichgeschaltet
Mit Funk und Film wurde auch der Schlager gleichgeschaltet. Das hieß hier wie überall vor allem eins: Juden und alle jüdisch »Versippten« raus. Die Lieder und Werke jüdischer Komponisten und Texter hatten aus allen Tanzkapellen und Unterhaltungshäusern zu verschwinden.
Für die deutsche Operette war das ein vernichtender k.o.-Schlag, denn damit war es u.a. aus mit der Aufführung von Stücken Paul Abrahams, Leo Falls, Jean Gilberts, Victor und Friedrich Hollaenders, Leon Jessels, Emmerich Kaimans oder Jacques Offenbachs. Da auch die Textbücher zu manchen Lehar-, Kollo- und vielen anderen Operetten von Juden stammten, blieb für den Spielplan der Musiktheater nicht viel übrig.
.
Zum Glück - jedenfalls für die Nazis - gab es den Paul Linke
Da waren die neuen Machthaber natürlich froh, wenigstens ihren Paul Lincke noch zu haben. Nachdem von den vier alten Meistern der Berliner Operette (Lincke, Victor Hollaender, Jean Gilbert und Kollo) nur Paule beides, nämlich arisch und noch am Leben war, kam der alte Herr zu ganz neuen, zu ebenso hohen wie gefährlichen Ehren.
Sein 75. Geburtstag am 7. November 1941 wurde zu einem kraftstrotzenden Jubelfest, der populäre Musikus zu einem frühen Vorkämpfer der NS-Diktatur erklärt: »Wer Meister Lincke als bekennenden Patrioten sehen will, der schaue auf seine Militärmärsche und soldatischen Lieder wie >Deutsche Meereswacht< oder >Der Landwehrmann<, die schon früher in ernster Zeit Licht und Kraft ins deutsche Herz brachten!«
Ende 1941 war Hitlers »großer Lebensraum-Krieg« zwar noch nicht verloren, doch klappte es seit dem Rußlandfeldzug mit dem Siegen und Erobern nicht mehr ganz so reibungslos wie nach dem Überfall auf Polen und den ersten, beuteträchtigen »Blitzsiegen«.
Trotz der neuen »ernsten Zeit«, in der Deutschland dank seiner »großen« Führer wieder einmal war, wurden die alten frischfröhlichen Lincke-Weisen munter gegeigt und gesungen. Der von den Nazis so hochgeschätzte Meister Lincke wurde zum Ehrenbürger der Stadt Berlin ernannt, außerdem mit der Goethe-Medaille und einer goldenen Ehrenkette ausgezeichnet.
Am Abend seines 75. Jubeltages fand im Theater des Volkes dann eine Aufführung der >Frau Luna< statt, in der es von kernigen Propaganda-Sprüchen und Witzen nur so wimmelte. Wenn Mond-Tourist Lämmermeier beispielsweise staunte, wie groß das große Deutschland da unten doch sei, antwortete der kleine Steppke keck: »Bis wir zurückkommen, ist es noch größer!«
.
Die Glossen eines emigrierten deutschen Dichters
Was ein emigrierter deutscher Dichter zur Eroberungswut und Beutegier der an vielen europäischen Fronten kämpfenden und siegenden Hitler-Soldaten zu sagen hatte, konnte zu Hause leider erst nach dem Krieg gesungen und gehört werden:
»Und was bekam des Soldaten Weib /
Aus der alten Hauptstadt Prag? /
Aus Prag bekam sie die Stöckelschuh /
Einen Gruß und dazu die Stök-kelschuh /
Das bekam sie aus der Stadt Prag /...
Und was bekam des Soldaten Weib /
Aus Warschau am Weichselstrand? /
Aus Warschau bekam sie das leinene Hemd /
So bunt und so fremd, ein polnisches Hemd /
Das bekam sie vom Weichselstrand /...
Und was bekam des Soldaten Weib /
Aus der Lichterstadt Paris? /
Aus Paris bekam sie das seidene Kleid /
Zu der Nachbarin Neid das seidene Kleid /
Das bekam sie aus Paris / ...
Und was bekam des Soldaten Weib/
Aus dem weiten Rußland?/
Aus Rußland bekam sie den Witwenschleier /
Zur Totenfeier den Witwenschleier /
Das bekam sie aus Rußland.«
.
Paul Lincke wurde 1942 sogar zum Professor ernannt
Als der nationalbewußte, noch von Wilhelms kaiserlichen Herrscherzeiten her stramm deutsch denkende und fühlende Paul Lincke 1942 zum Professor ernannt wurde, kämpfte die bei Stalingrad eingeschlossene 6. Armee unter General Paulus schon um keinen Sieg und keine Beute mehr, sondern nur noch ums Überleben.
1943 nahm der patriotische Lincke eine Einladung ans Stadttheater von Marienbad an, weil er Berlin - durch ständige schwere Bombenangriffe längst zur lebensgefährlichen Frontstadt geworden - nur zu gern verlassen wollte. Nach Kriegsende, als seine Situation in Marienbad wegen seiner nazifreundlichen Haltung unhaltbar geworden war, verhalf ihm ein amerikanischer Offizier zur Ausreise nach Bayern.
Als auch hier eine Pressekampagne gegen ihn begann, setzte sich der verstörte alte Herr in den Harz ab, wo Freunde ihm Schutz und Unterkunft gewährten. Der fast 80jährige starb am 3. September 1946, ohne seine zerbombte Heimatstadt wiedergesehen zu haben.
Angeblich soll einen Tag nach Linckes Tod aus Berlin die Nachricht eingetroffen sein, daß er den Zuzug, um den er sich immer wieder bemüht hatte, erhalten habe und ihm für seine Heimkehr in die Ruinenstadt Berlin eine Villa zur Verfügung stehe.
.
Die einen gewinnen, die anderen verlieren
Während die einen im NS-Staate belobigt und gefeiert wurden, unbehindert arbeiten und gut, oft besser als vor Hitlers Machtergreifung, verdienen konnten, weil alle jüdische Konkurrenz ausgeschaltet war, wurden die anderen verteufelt und gejagt. Der staatlich verordnete Rassenwahn muß in den Köpfen derjenigen, die sich nicht gleichschalten ließen, verheerende Verwirrungen angerichtet haben.
Victor Klemperer, einer der wenigen Juden, die - von ihrer arischen Frau nicht verlassen - bis 1945 im Lande blieben und überlebten, notierte am 17. Juni 1933 in sein Tagebuch:
»Was ist Jan Kiepura eigentlich für ein Landsmann? Neulich wurde ihm ein Konzert in Berlin verboten. Da war er der Jude Kiepura. Dann trat er in einem Film des Hugenbergkonzerns auf. Da war er >der berühmte Tenor der Mailänder Scala<. Dann pfiff man in Prag sein deutsch gesungenes Lied >Heute nacht oder nie!< aus. Da war er der deutsche Sänger Kiepura. Daß er Pole war, erfuhr ich erst viel später...«
.
Im 3. Reich herschte ein Hauen und Stechen
1934 - Noch herrschte eher Verwirrung als Bespitzelung, Denunziation und Todfeindschaft im Land. Noch glaubten die wenigsten daran, daß Hitler seine bestialischen Drohungen gegen die Juden tatsächlich wahrmachen könnte, denn in Deutschland bewegten so viele so vieles erst einmal bestens voran. Die Autobahnen, schon während der Weimarer Republik geplant, wurden jetzt tatsächlich gebaut.
Mit der Rüstungsindustrie wurde die gesamte Wirtschaft so schwungvoll angekurbelt, daß Hitler für unzählige Menschen im Reich, die nur die Wirkung und nicht die folgenschweren Zusammenhänge - dei Ursachen - sahen, bestaunenswerte Wunder zu vollbringen schien. Was alle Parolen und propagandistischen Großeinsätze nicht vermocht hatten, das schafften diese sichtbaren Taten: Hitler im Volke populär zu machen.
Immer mehr Menschen fühlten sich der pathetisch verkündeten großen nationalen Volksgemeinschaft tatsächlich zugehörig. Nicht zuletzt deshalb, weil sie dem Führer gläubig vertrauten. Selbst später, als der Nationalsozialismus seine biedermännische Verbrüderungsmaske endgültig fallen ließ und sein wahres Raubtiergesicht zeigte, hieß es bei verstörten Mitläufern oft: »Wenn das der Führer wüßte.«
.
Den kommerzielle Schlager berührte das alles nicht
Von allen Ereignissen und Schrecken der Zeit blieb der kommerzielle Schlager der bürgerlichen Unterhaltungsindustrie ziemlich unberührt. Auch das Verbot seines jüdischen Teils interessierte ihn herzlich wenig. Seit Ende der 1920er Jahre kam er sowieso überwiegend aus dem Tonfilm und nicht mehr wie im ersten Viertel des Jahrhunderts hauptsächlich aus der Operette.
In den 1930er und frühen 1940er Jahren wurde der Tonfilm, von Anfang an ein Massenmedium und nicht wie die Operette auf ein wohlhabendes Bummelpublikum in Frack und großer Garderobe beschränkt, auf dem Gebiet der städtischen Unterhaltungsmusik absolut führend.
Für die neuen technischen Unterhaltungsmedien aber war längst eine Generation tüchtiger Gebrauchsmusiker herangewachsen, von denen sich manche, wie Werner Bochmann, Franz Grothe, Michael Jary, Theo Mackeben oder Peter Kreuder, hauptsächlich auf die schnelle Produktion kurzer Musiknummern für den Film spezialisierten.
Von jetzt an gab's außer E- und U- auch noch spezielle Schlagerkomponisten. Mit der Zeit wurde der Anteil der Schlager an der übrigen Unterhaltungsmusik immer größer, bis die U-Musik schließlich fast ganz von der Schlagermusik beherrscht wurde.
Die leichte Musik, ursprünglich nichts anderes als leicht verständliche Musik, verkam zur seichten Schlagereinheitssoße. Diese von vornherein für ein Massenpublikum geschriebene, auf größtmöglichen Erfolg getrimmte Tanz- und Stimmungsmusik klang häufig so, als würde sie in Serie am Fließband hergestellt.
.
Anfänglich die Komponisten .... dann die Interpreten .....
Demzufolge ließ das Interesse des Publikums an den Komponisten immer mehr nach, während die schon immer große Bedeutung der Interpreten noch weiter zunahm. Erst der Sänger oder die Sängerin gab diesen Schlagern ihren eigenen, unverwechselbaren Ausdruck, so daß sich das Publikum jetzt nicht mehr wie zu Zeiten von Johann Strauß oder in Linckes und Kollos Glanztagen heftig für den Komponisten, sondern fast ausschließlich für die Interpreten interessierte.
Solange der Schlager hauptsächlich aus dem Tonfilm kam, waren das singende Filmstars wie Zarah Leander, Marika Rökk, Ilse Werner, Willy Forst, Hans Albers oder Johannes Heesters. Die Schallplatte wurde für den Schlager erst nach dem Kriege wirklich wichtig, dann allerdings zu einem gigantischen Massengeschäft mit ständig steigenden Umsatzzahlen.
.
Die Künstler, die weder ganz Ja noch laut Nein sagen wollten
Das neue Medium Tonfilm - faszinierend, massenwirksam, Ruhm und Geld versprechend - zog die deutschen Unterhaltungskünstler in Scharen an. Besonders nach Hitlers Machtergreifung, als der Film, u. a. auch ein Exportartikel fürs Ausland, weshalb er nie so drakonisch gleichgeschaltet werden konnte wie Funk oder Theater, zur beliebtesten Zufluchtsstätte für all diejenigen Künstler wurde, die zur Nazidiktatur weder ganz Ja noch laut Nein sagen wollten.
Devisen waren im Hitlerreich immer knapp, jeder Export - auch der im Grunde nicht sehr bedeutende von Filmen - war deshalb wichtig. Während im alltäglichen Leben überall mit »Heil Hitler« gegrüßt und gedankt werden mußte (wobei im Volke bald der Gegengruß »Heil du ihn doch!« die Runde machte), grüßten sich die Leute auf der Leinwand auch weiterhin mit »Guten Tag« und »Auf Wiedersehen«.
Während Hitler und seine Nationalsozialisten mit dem öffentlichen auch das private Leben militärischen Drillnormen unterwarfen - (typischer Witz der Nazizeit:
»Mein Vater ist bei der SA, mein älterer Bruder bei der SS, mein jüngerer Bruder bei der HJ, meine Mutter in der NS-Frauenschaft und ich selbst bin im BDM.«
»Ja, seht ihr euch da überhaupt noch bei dem vielen Dienst?«
»Doch, wir treffen uns jedes Jahr beim Reichsparteitag in Nürnberg.«)
- blieb mit dem Film auch der Schlager auffallend zivil. Zwar häuften sich bald nach der Machtübernahme Schlager wie >Wir ziehn durch die Heimat mit Musik< oder >Heut marschiert die Garde auf<, die auf ihre Weise zur Stärkung von Nationalbewußtsein und bekennender Heimatliebe beitragen sollten, doch hatten im übrigen HJ, SA oder SS ihre eigenen wüsten Kampf- und Marschlieder:
»Es zittern die morschen Knochen/ Der Welt vor dem roten Krieg / Wir haben den Schrecken gebrochen / Für uns war's ein großer Sieg/ Wir werden weitermarschieren/ Wenn alles in Scherben fällt / Denn heute gehört uns Deutschland / Und morgen die ganze Welt.«
.
Und dann "passierte" Stalingrad - Feb. 1943
Dieser Text, schon 1934, bald nach Hitlers Regierungsantritt in >Singkamerad, Schulliederbuch der deutschen Jugend<, erschienen, als der Führer in unzähligen Friedensreden immer wieder seinen angeblichen Friedenswillen betonte, wurde nach der Niederlage von Stalingrad, als immer weniger vom »großen Sieg«, dafür immer verzweifelter vom »Endsieg« die Rede war, mit neuem Refrain gesungen:
»... Und heute, da hört uns Deutschland /
Und morgen die ganze Welt.« (Zitiert nach >Das deutsche Lied, Lieder der Bewegung<, herausgegeben vom Winterhilfswerk des deutschen Volkes, 1942/43). Eine Nuance nur, und schon wurde aus einem eroberungswütigen Heldengesang ein fast harmloses Kriegerliedchen.
.
Viele Schlager mit ähnlichen Hintergedanken
Neben solchen ausgesprochenen Naziliedern gab's eine nicht unbedeutende Minderheit von Schlagern, die in dieselbe Kerbe schlugen. Im Nazifunk viel gespielt, erreichten und beeinflußten sie die Massen erbarmungslos. Für Schlager wie >Wir fahren gegen Engeland<, >Panzer rollen in Afrika von, >Von Finnland bis zum Schwarzen Meen oder >Wir hängen unsere Wäsche an der Siegfriedlinie auf< verweigerten die zuständigen Verlage die Abdrucksgenehmigungen.
.
Nicht Peitsche, sondern Zuckerbrot
Als typisch für den deutschen Schlager in der Nazidiktatur können sie nicht gelten. Der Schlager wurde wie der Film nicht in erster Linie als Peitsche, sondern als Zuckerbrot benutzt.
Je mehr er aus der harten Wirklichkeit in traumverlorene Seligkeiten entfleuchte, desto besser ließ sich mit ihm eine gemütvolle Liebesleid- und Lust-Idylle vortäuschen, die das wahre Gesicht Nazideutschlands hinter vielen sanften Molltönen geschickt verbarg.
Zur Frage der Verkäuflichkeit des deutschen Spielfilms ans Ausland kam die Frage des Publikumserfolges und damit der Einnahmen im Inland. Heroische Propagandafilme wie >Hitlerjunge Quex< oder >SA-Mann Brand< wurden so katastrophale Mißerfolge, daß Propaganda-Chef Goebbels mehr Vorsicht walten lassen mußte.
Statt der direkten wurde die unterschwellige Beeinflussung gewählt. Außerdem hatte die deutsche Filmwirtschaft viele schöne lustige oder auch schöne traurige Kintopp-Wirklichkeitsattrappen zu bieten, die vom immer unerträglicheren Druck im Alltagsleben ablenken sollten.
Daneben Kriegs- und Spionagefilme zur psychologischen Vorbereitung auf den nächsten Waffengang, filmische Portraits großer Deutscher zur Stärkung des Nationalbewußtseins und historische Stoffe, die Emotionen für oder gegen ausländische Staaten und Völker wecken sollten.
.
Goebbels wechselhaften Anordnungen - mal so, mal so
Da Hitlers Außenpolitik bald in diese, bald in jene Richtung schwankte, kam der Film mit Goebbels wechselhaften Anordnungen nicht immer schnell genug mit.
Die Sowjetunion und der Kommunismus wurden erst in zahlreichen Filmen verteufelt. Dann aber durfte der 1939 entstandene antirussische Film >Kadetten< nicht gezeigt werden, weil damals gerade der Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin abgeschlossen worden war.
Statt dessen kam 1940 >Der Postmeister< (mit Heinrich George und Hilde Krahl) ins Kino. Er zeichnete ein sehr freundliches Bild vom russischen Menschen. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die UdSSR wurde >Der Postmeister< aus dem Verleih genommen und >Kadetten< freigegeben.
Mit der jetzt anrollenden Propagandawelle gegen den »russischen Untermenschen« stimmte Heinrich Georges prachtvoller Postmeister viel zu wenig überein, als daß man diese herzerweichende russische Schicksalsstory noch hätte dulden können.
.
Viele Künstler waren abgehaun, zu viele ...... Marlene Dietrich
Gern dagegen hätte die NS-Führungsspitze manche von denen geduldet, ja mit größter Freude im Lande behalten, die nach der Machtergreifung freiwillig aus Deutschland gegangen waren. Die Flucht seiner jüdischen Opfer war Hitler egal, und angeblich störte ihn auch der Weggang von Deutschlands besten Schriftstellern und Wissenschaftlern kaum, doch Marlene Dietrichs Entscheidung für Hollywood versuchten die Nazis noch jahrelang rückgängig zu machen.
Seit der Premiere von Sternbergs Film >Der blaue Engel< - nach dem Roman >Professor Unrat< von Heinrich Mann - am 1. April 1930 im Berliner Gloria-Palast war Marlene Dietrich berühmt. Berühmter als je eine andere deutsche Schauspielerin zuvor, denn die gebürtige Berlinerin war die einzige Schauspielerin von Weltruf und Ruhm, die Deutschland bisher hervorgebracht hatte.
Schon 1930 war die Dietrich, eigentlich Marie Magdalena von Losch, übern großen Teich nach Hollywood gereist, um dort den Film >Morocco< zu drehen. Dem ersten Hollywood-Film folgte ein zweiter.
Bei ihrer Rückkehr nach Berlin mußte die Dietrich dann feststellen, wie sehr ihre Heimatstadt inzwischen zum Tummelplatz uniformierter Nazis geworden war. In ihrer Marlene-Dietrich-Biographie schreibt Leslie Frewin:
»Es war das Jahr 1932. Daß eine neue Ordnung, die Ordnung der Nazipartei, bevorstand, war nicht zu übersehen. Marlene ging im Frack und mit einem Zylinder auf einen Maskenball; auf dem Ball waren auch Parteimitglieder, in Uniformen und mit Stiefeln: das war keine Maske.«
.
Marlene Dietrich war konsequent
Als Marlene Dietrich, mehr menschlich als politisch motiviert, hatte sie in den 1920er Jahren doch viel mit jüdischen Kollegen zusammengearbeitet, denen jetzt das Schlimmste drohte, diesmal wieder nach Hollywood zurückkehrte, war das eine klare Entscheidung gegen den SS-Staat. 1933 war über den abtrünnigen Star in der Berliner Lichtbildbühne zu lesen:
»Eine deutsche Künstlerin, und noch dazu eine von Weltruf, wünscht man in deutschem Geist und in deutscher Produktion tätig zu sehen! Es ist nach der nationalen Revolution absurd, daß unsere berühmteste Filmschauspielerin in fremdem Land nach fremden Direktiven in englischer Sprache statt in ihrer Muttersprache Filmrollen spielt, statt ohne Rücksicht auf Gagenforderungen ihre Kunst und ihren Ruhm dem Film des eigenen Volkes zur Verfügung zu stellen.«
Da die mahnenden Worte nichts nutzten, versuchten die Nazis, Marlene Dietrich mit eben den Mitteln zu ködern und heim ins Reich zu locken, die sie ihr vorwarfen: mit Geld. 1936 schickte Goebbels die Schauspielerin Mady Soyka als Unterhändlerin nach London, wo die Dietrich zu der Zeit gerade einen Film drehte: für 50.000 Pfund, steuerfrei, zahlbar in jeder von ihr gewünschten Währung, solle sie in Berlin einen Film drehen, Stoff und Regisseur könne sie selbst bestimmen.
Die Antwort der standfesten Preußin: in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, nahm sie die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Später versuchte es Joachim von Rippentrop, damals deutscher Botschafter in England, noch einmal. Er versprach der Dietrich einen triumphalen Empfang in Berlin und ein begeistertes Heil Hitler-Willkommen durch den Führer persönlich. Wieder lehnte Marlene ab, wollte sich nicht einmal zum Essen vom Botschafter Nazideutschlands einladen lassen.
.
Die Rache der Nazis
Noch später, als die unbestechliche Emigrantin während des Krieges vor amerikanischen Frontsoldaten sang, in Nordafrika, Sizilien, England, Frankreich und der Tschechoslowakei, als ihre Lieder übersetzt und über die Front hinweg den Deutschen zugespielt wurden, da lockten und drohten die Nazis nicht mehr, da schlugen sie mit aller Grausamkeit zu.
Marlenes Schwester Elisabeth verschwand im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Erst 1945 kam die Dietrich in ihre Heimatstadt Berlin zurück - auf der Seite der amerikanischen Sieger. Sie besuchte ihre Mutter, und sie fuhr nach Bergen-Belsen, wo sie ihre Schwester fand: eine der wenigen Überlebenden.
Danach setzte sie ihre Arbeit, obwohl nicht bei bester Gesundheit, mit großem persönlichen Einsatz fort: in Krankenhäusern, in Kasernen. So viel persönliche Tapferkeit einer im Grunde völlig unpolitischen Frau wurde nach dem Kriege nicht von den Deutschen, sondern von Amerikanern und Franzosen anerkannt.
In Los Angeles wurde Marlene Dietrich vom amerikanischen Kriegsministerium mit einer Freiheitsmedaille geehrt; in New York zeichnete sie der französische Botschafter Henri Bonnet mit einer Medaille der Ehrenlegion aus.
.
Der Ersatz für Marlene Dietrich war Zarah Leander
Der Star im deutschen Film und Schlager während der NS-Diktatur, der Marlene Dietrich auf gar keinen Fall sein wollte, wurde dann in Schweden gefunden und von dort aus nach Deutschland importiert: Zarah Leander. Sie ließ sich kaufen, zwar teuer aber nicht konsequent wie Marlene Dietrich.
Der massenwirksame Reiz, den diese in ihrem Heimatland noch ziemlich unbekannte Operettensängerin für eine große UFA-Karriere mitbrachte, lag neben ihrer dunklen, sehr ausdrucksvollen und sinnlichen Stimme vor allem darin, daß sie den eingesperrten Deutschen etwas vom betörenden Freiheitsduft der großen weiten Welt außerhalb des nationalsozialistischen Käfigs vermittelte.
Gegen Schweden hatten die Nazis nichts. Für ganz Skandinavien hatten sie im Gegenteil viel Sympathie, auch wenn sie Norwegen und Dänemark nach Kriegsbeginn trotz gern beschworener arisch-germanischer Blutsverwandtschaft einfach überrennen und besetzen sollten.
.
Die in Kairo geborene singende Tänzerin Marika Röck
Der Aufstieg ausländischer Künstler, sofern sie nur hübsch brav und artig und ohne eigene Meinung waren, zu hohem Ruhm und Staatsehren während der so deutschbetonten Nazizeit ist überhaupt bemerkenswert. Die in Kairo geborene singende Tänzerin Marika Röck war ungarischer Herkunft, die Filmschauspielerin Olga Tschechowa russische Emigrantin. Rosita Serrano, neben Marika Rökk und Ilse Werner die bekannteste Schlagersängerin zwischen 1938 und 1943, kam aus Chile, der charmante Johannes Heesters aus Holland.
Österreicher wie Willy Forst gehörten - nachdem die kleine Alpenrepublik, 1938 ihrer Selbständigkeit enthoben, zu einem Teil des Großdeutschen Reiches geworden war - sowieso zur großen deutschen Volksgemeinschaft, so daß die tiefen Löcher, die durch die Flucht der Emigranten im künstlerischen Bereich aufgerissen worden waren, nicht allzu kraß auffielen.
Mit den Künstlern aus »artgemäßen« und »befreundeten« Staaten waren auch entsprechende Schlager und Tänze willkommen. Als »artfremder« Tanz wurde anfangs nur die Rumba verboten. Noch vor Kriegsbeginn mußte allerdings auch der Swing vor den immer heftigeren Naziattacken in den musikalischen Untergrund ausweichen.
Die schnelle Rumba, ein afrokubanischer Tanz mit lustvollen, sexbetonten Hüftbewegungen, in Amerika schon lange, in Europa erst seit 1930 ein weit verbreiteter Gesellschaftstanz, paßte den Nazis von vornherein nicht in ihr moralisches Aufrüstungskonzept.
Der Swing dagegen, eine eher konservative Entwicklung im Jazz, bei der Spontaneität und freie Improvisation des einzelnen Spielers der straffen Disziplin des orchestralen Satzspiels weichen
mußten, wurde erst geduldet, dann doch verboten.
Zwar war der Swing längst nicht so herausfordernd sexy wie die unbekümmerte Rumba, doch war er auf keinen Fall länger zu dulden, nachdem immer mehr junge Leute lieber Benny Goodmann oder Louis Armstrong auf Platte hören wollten als das sturmerprobte Horst-Wessel-Lied im Original: »Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen...«
.
Es wurde noch viel mehr verboten
Verboten wurden außerdem das »Hot-Spielen« und das »übermäßige Ziehen und Jaulen der Instrumente«. Was pflichtbewußte musikalische Ordnungshüter von der ganzen schrecklichen amerikanischen »Unkultur» hielten - von 1940 an war dann mit der englischen und französischen so ziemlich alle ausländische Musik verboten - ist u. a. in Siegfried Schefflers >Deutsche Unterhaltungsmusik> erschienen 1941, nachzulesen:
»Wir brauchen die schwüle Atmosphäre gedämpfter Blechbläser, die überhitzten Rhythmen, die Schlagzeugorgien nicht, die als Selbstzweck unerträglich sind. Wir lehnen die fremden Einflüsse ab, weil wir stark genug geworden sind, unserer eigenen Kraft zu vertrauen.«
Keine Verbote nötig hatten Fox, English-Waltz oder Tango. Diese Rhythmen waren längst so brav und bieder, so sehr zum musikalischen Allgemeingut geworden, daß sie auch den neuen Machthabern vertraut, damit deutsch genug klangen, weshalb sie ohne Einschränkung geduldet werden konnten. Außerdem paßten diese musikalischen Gefühlsaufblähungen, die den Zuhörer mühelos in einen illusionären Glückszustand versetzen konnten, den Nazis nur zu gut ins Konzept.
Einen enormen Aufschwung nahmen Walzer, Rheinländer oder Polka als »artgemäße« Tänze, wobei sich Komponisten und Texter keineswegs scheuten, diese »altdeutsche«, im Volke tief verwurzelte Musik für Titel wie >Ein Hitlermädel tanzt Polka< oder >Kleines blondes Hitlermädel du< zu mißbrauchen.
.
Die totale Humorlosigkeit des Schlagers im Dritten Reich
Bei den Nazis mit ihrer sentimentalen Hinwendung zum deutschen Gemüt hatte die frech-witzige Schnoddrigkeit, hervorstechendes Merkmal des internationalisierten deutschen Schlagers in den wirtschaftlichen Blüte jähren der Weimarer Republik, keine Chance.
Auffallend ist denn auch, von wenigen Ausnahmen wie Peter Kreuders musikalischer Lustspieleinlage >Ich wollt', ich war' ein Huhn< und ähnlichen Erheiterungsversuchen einmal abgesehen, die totale Humorlosigkeit des Schlagers im Dritten Reich.
Als der helle Wahnsinn offensichtlich wurde
Im Jahre 1939, als Hitler nach schneller, erst heimlicher, dann immer provozierenderer Aufrüstung daran ging, seine Wahnidee von der Herrschaft Deutschlands (wir waren ja die Herrenmenschen) über Europa in die Tat umzusetzen, kamen den Nazis naßforsche Männerschlager wie >Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern< gerade recht:
»Und wenn die ganze Erde bebt/
und die Welt sich aus den Angeln hebt:/
Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern!«
Einen heroischen Nazi erschütterte keiner und nichts, weder die zum Sklavendasein bestimmten polnischen und russischen »Untermenschen« noch die um ihr Leben bangenden jüdischen Frauen, Männer und Kinder, die hingemordet wurden, wie's der Führer befahl:
»Der umfangreichste Massenmord Hitlers ist bekanntlich an den Juden begangen worden, und zwar zuerst, seit Mitte 1941, an den Juden Polens und Rußlands, dann, seit Anfang 1942, auch an den Juden Deutschlands und des ganzen besetzten Europa, das zu diesem Zweck von Westen nach Osten durchgekämmt wurde ...
Gemordet wurde bis 1942 durch Massenerschießungen vor Massengräbern, die die Opfer vorher ausheben mußten; später, in den sechs Vernichtungslagern Treblinka, Sobibor, Maidanek (Lublin), Belzec, Chelmno (Kulmhof) und Auschwitz, durch Vergasung in eigens dafür konstruierten Gaskammern, denen riesige Krematorien angeschlossen waren.« (Sebastian Haffner, >Anmerkungen zu Hitler<).
.
.

