Begleittext einer Rückschau - "Über den deutschen Schlager"
Diese Biografie und historische Aufarbeitung des deutschen Schlagers wurde in 1978 von der Journalistin Monika Sperr geschrieben. Frau Sperr beschreibt in ihrem Vorwort ihre Sichtweise der Geschichte und der Ereignisse aus dem Blickwinkel des Arbeitermillieus. Aus Sicht des Rezensenten ist die gesellschaftspolitische Färbung mancher Absätze etwas zu einseitig und öfter die Tatsachen verfälschend. Diese Biografie sollte mit Bedacht und auch nachdenklich gelesen werden.
Überhaupt sollte man zum Vergleich der geschichtlichen Tatsachen um 1932/1933 herum das Buch des Amerikaners "H. R. Knickerbocker "German crisis" mit einbeziehen. Auch die "Aufzeichnungen von 1943 bis 1945" von Hans-Georg von Studnitz sind lesenswert.
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Zwei Außenseiter: Kurt Weill und Bert Brecht kamen
Daß dies nicht an den neuen Medien, sondern allein an der musikalischen wie inhaltlichen Rückständigkeit der Operette lag, bewiesen zwei Außenseiter: Kurt Weill und Bert Brecht.
Sie allerdings ließen sich mit ihrer >Dreigroschenoper< auf alle bestehenden Normen und Regeln der bürgerlichen Unterhaltungsindustrie - brav, artig und gefällig sein - gar nicht erst ein. Hielten sich weder an die vorliegenden Operettenmodelle noch die gängige Tanzmusik.
Sie wagten kompromißlos das Neue, das ganz und gar Unerhörte: den Sprung ins 20. Jahrhundert. Zu diesem Zweck griffen sie weit, griffen sie bis zu den Quellen zurück. Eine wesentliche Wurzel der so schnell vergreisten Operette war die 200 Jahre alte >Bettler-Oper<.
Eine von Johann Christoph Pepusch und John Gay geschriebene Parodie auf die höfische Oper ihrer Zeit. Die derb-realistische Handlung, in deren Dialog populäre Lieder eingestreut waren, die spöttisch, witzig, kritisch der heilen Opernwelt zu Leibe rückten,
dabei unüberhörbar Anklage erhoben gegen bestehende Armuts- und Unrechtsverhältnisse, war eine Sensation der Zeit. Die >Bettler-Oper< wurde Beispiel und Vorbild für die ganze Kunstgattung.
Auch musikalisch ließen sich Weill/Brecht auf alle geltenden Harmonie-Ideale nicht ein. Setzten sich hier ebenfalls über die ganze, oft bis zum Verwechseln ähnliche, kommerzielle Gebrauchsmusik hinweg.
Sie schrieben auch keine Schlager, sie schrieben Songs. Die waren eine Mischung aus Jazz, Gassenhauer, Moritatengesängen, karikierender Opern- bzw. Operettenparodie. Diese Lieder waren nicht für Sänger, sondern für Schauspieler geschrieben.
Den beiden einsatzfreudigen Spitzbuben im treudeutschen Unterhaltungsgeschäft kam's nämlich beileibe nicht aufs »schöne« Singen an, dafür umso mehr auf den milieugerechten, ehrlichen Ausdruck. Die Glaubwürdigkeit der Töne und Worte.
Im Gegensatz zu fast allen ihren Vorgängern wollten Weill/Brecht ihrem Publikum keine heile Welt vorgaukeln, weshalb sie es nicht einzuschläfern brauchten. Sie wollten wache, aufmerksame Leute. Der Erfolg gab ihnen recht.
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Die Uraufführung der >Dreigroschenoper< am 31. August 1928
Die Uraufführung der >Dreigroschenoper< am 31. August 1928 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm schlug wie ein reinigendes Gewitter ein. Das Publikum war aufgeschreckt. Empört und hingerissen. Viele geradezu euphorisch begeistert. Andere ernsthaft geschockt. Gleich nach dem Theaterbesuch auf dem Weg zur Polizei.
Was Weill/Brecht da geschrieben und auf die Bühne eines Theaters gebracht hatten, war das andere, das so gern verdrängte, das vergessene Berlin: die Bettler, Dirnen, Penner. Zerlumpte Hinterhof-Existenzen. War das sogenannte Lumpenproletariat.
Was das in einer Unterhaltungswelt hieß, in der Tom Mix, Rudolf Valentino, Greta Garbo oder der Alte Fritz die Leinwand, Shimmy, Fox, Charleston, Black Bottom oder Tango die Tanzlokale, Richard Tauber und Fritzi Massary die Operette beherrschten, ist heute kaum noch nachvollziehbar.
Der schöne Erfolg überrannte selbst die Täter. Weill/Brecht waren auf alles mögliche, selbst auf Prügel vorbereitet gewesen, nur nicht auf solchen Beifall. Besonders der aggressive Mackie-Messer-Song wurde weltweit zum Hit. Überraschung und Freude hielt Lotte Lenya-Weill fest:
»Wir ahnten nicht, daß dieses Lied auf der ganzen Welt zu einem Schlager werden sollte. Sein Vorbild waren die Zugstücke der Bänkelsänger, die auf den Jahrmärkten so umständlich wie nur möglich die heimlichen Verbrechen berüchtigter Missetäter ans Licht zu rücken pflegten. Weill schrieb nicht nur über Nacht die Melodie dazu, er machte auch sofort den Drehorgelmann ausfindig, der die Handorgel für die Aufführung stellen konnte.«
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Der Mackie-Messer-Song
Bis heute hat der Mackie-Messer-Song seine faszinierende Lebenskraft, oft mit geradezu beängstigendem Erfolg, tausendfach bewiesen. Seit seiner ersten Interpretation durch Kurt Gerron sind rund 200 verschiedene Aufnahmen dazugekommen. Zu seinen berühmtesten Interpreten gehören neben Brecht, Lotte Lenya-Weill, Ernst Busch auch Louis Armstrong, Ella Fitzgerald oder Hildegard Knef und Curd Jürgens.
Als Bobby Darin 1962 in New York den Song so ausdrucksvoll vortrug, daß nach der Veranstaltung einige Jugendliche mit Messern auf Passanten losgingen, verboten die Funkstationen CBS und WCBS New York die Sendungen sämtlicher Vokalversionen des Mackie-Messer-Songs.
Der schönen Schein von Mitte 1925 bis Ende 1926
Die Uraufführung der >Dreigroschenoper< fiel in die wirtschaftliche Blütezeit des schönen Scheins. Von Mitte 1925 bis Ende 1926 waren drei Milliarden Dollar, hauptsächlich aus Amerika, nach Deutschland eingeströmt. Es waren politisch relativ ruhige Jahre; Hitlers neugegründete NSDAP hatte nur 27.000 (1931: 806.000!) Mitglieder.
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- Anmerkung : Schauen Sie mal in das Buch von Hubert Renfro Knickerbocker "German crisis" rein. Er wurde 1922 bis 1933 mehrmals nach Deutschland "gesendet", um den Verbleib dieser fast 4 Millarden Dollar und den möglichen Verlust durch eine erneute Rrevolution zu recherchieren und den Geldgebern einen authentischen Bericht über die Zustände in Deutschland zu berichten. Er hatte 1932 ungefähr das Gleiche herausgefunden, wie Frau Sperr es beschreibt. Das Buch ist komplett abgebildet
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Den Arbeitern ging es auch in dieser schwungvollen Dollarzeit alles andere als rosig. Selbst nach Währungsreform, Stabilisierung der neuen Reichsmark (1 Dollar = 4.20 RM) und dem zweiten deutschen Wirtschaftswunder nach der tollen Gründerzeit lag das Durchschnittseinkommen vieler kleiner Leute kaum über dem Existenzminimum. Er hatte 1932 ungefähr das Gleiche herausgefunden, wie Frau Sperr es beschreibt.
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Der Zustand in der Berliner Bevölkerung
Damals, Anfang 1926, verdiente ein Berliner Maurer 1,26 in der Stunde; das war absoluter Spitzenlohn. Ein Maßschneider kriegte 96 Pfennige (Anmerkung : der Opa des Autors Gert Redlich war solch ein Maßschneider und die Oma erzählte uns Kindern, wie es damals war mit Kohlrübengemüse und Kartoffelsupe ohne Fleisch), ein Bäcker 1,02 Mark, ein Schuhmacher 70, eine ungelernte Metallarbeiterin sogar nur 44 Pfennige.
Der durchschnittliche Studenlohn in der ersten deutschen Republik lag bei 87,1 Pfennigen, der Durchschnittswochenverdienst der männlichen Arbeiter bei 41,75 Mark brutto. Die Angestellten, worunter viele Frauen waren, verdienten häufig noch viel weniger: eine gelernte Verkäuferin in Frankfurt an der Oder ganze 80 Mark brutto im Monat, eine Berliner Kontoristin 128 Mark.
Natürlich war das Leben viel billiger als heute. Trotzdem waren 32 Pfennige für den Liter Milch kein Pappenstiel. Wobei zu berücksichtigen ist, daß vier, fünf, sechs Kinder in den Arbeiterfamilien damals nicht Ausnahme, eher die Regel waren. Schallplatten, eine kleine Schellackplatte kostete 1928 3,75 RM, gehörten in den 20er Jahren für viele Arbeiterfamilien zum unerschwinglichen Luxus. Ganz zu schweigen vom Grammophon.
Diese Zahlen muß man kennen, um die katastrophale Verelendung des Volkes nach der Weltwirtschaftskrise richtig zu begreifen. Die Arbeiter hatten nichts, was sie jetzt noch hätten zu Geld oder Nahrung machen können. Sie hatten nichts zuzusetzen. Die Menschen in den düsteren Wohnlöchern der abgelegenen Arbeiterviertel im Osten und Norden der Stadt hatten auch wenig vom strahlenden, vom leuchtenden Berlin, wie der Franzose Fernand Leger es 1928 begeistert beschrieb:
»Berlin ist modern, modern durch sein Licht, das heißt seinen Kampf gegen die Nacht. Bin jetzt acht Tage in Berlin: habe nichts von der Nacht bemerkt. Licht um sechs Uhr, um Mitternacht, um vier Uhr, unaufhörlich Licht. Paris wirkt wie eine Stadt aus intermittierendem Grau. Berlin ist ein einziger Lichtblock. Die entsetzliche wilhelminische Architektur verschwindet, aufgesaugt, maskiert, absorbiert von Elektrizität. Die Stadt ist wie eine scharfe Säure, alles ist viel zu neu, das Auge wird müde vom Übermaß an Intensität ... Eine schöne Stadt, frisch, sauber, modern. Vielleicht die erste wirklich moderne Stadt auf dem Kontinent.«
- Anmerkung : Auch hier ist wieder ein Blick in die Beschreibungen der nächtlichen Aktivitäten Knickerbockers bei seinen Recherchen in den Armenvirteln von Berlin und in deren Arbeiter-Kneipen lesenswert, auch wenn es bereits Herbst/Winter 1932 war.
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Anscheinend gab es in den 1920er Jahren so viele Berlins in Berlin, daß das eine Berlin das andere nicht sah: das Vergnügungszentrum nicht das arbeitende, das arbeitende Berlin nicht die »Welthauptstadt des Geistes«, das lichte Berlin nicht das dunkle, die Theaterstadt nicht die Fabrikviertel.
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Bis 1933 ging es nur noch abwärts in noch mehr Chaos
Auf die Weltwirtschaftskrise und die schnelle Verelendung des Volkes, 1932 gab es mehr als 6 Millionen Arbeitslose, von denen nur ein Teil unterstützt wurde, reagierte der Schlager auf seine Weise. Er wurde langsam und sentimental.
Aus dem schnellen Fox wurde ein langsamer Slowfox, der schleichende English Waltz kam in Mode, das weiche Stimmungslied sollte Trost spenden. Ein typischer Schlager der Zeit: >Schöner Gigolo, armer Gigolo<. Beklagt wird darin nicht die bittere Not des Volkes, sondern der bejammernswerte Abstieg der einst so feudalen, so schmucken Husaren-Herrlichkeit zu Eintänzer-, zu Gigolo-Strapazen.
Damals war es üblich, daß verarmte Herren, vor allem Adlige und Offiziere, sich für Geld als Tanzpartner zur Verfügung stellten. Sich sozusagen an die meistbietenden Damen, häufig reiche Touristinnen aus Übersee, verkauften. Es wurde auch Mode, Dauertanzwettbewerbe durchzuführen. Im Lunapark verbrauchte der Dauertänzer Fernando während seines 150stündigen Tanzes 60 Liter Limonade, 400 Zigaretten, 11 Paar Schuhe.
Um diese mörderische Anstrengung überhaupt durchstehen zu können, darüber hinaus dem Publikum, für das dieses Dauertanzen eine Art sportlicher Sensationsdarstellung war, mehr zu bieten als nur sich selbst in einem immer größeren Dämmerzustand, mußte er seine Partnerinnen ständig wechseln. In diesen 150 Stunden halfen ihm 1642 Tänzerinnen über die Runden.
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Das gebräunte gesicht war ordinär, ja »pöbelhaft«
Mit zunehmender Industrialisierung, Fabrikarbeit, Berufstätigkeit von bürgerlichen Frauen war seit der Jahrhundertwende neben der lebhaften Unterhaltungs- und Vergnügungsindustrie auch eine immer größere Freizeitindustrie zur Erholung und Entspannung entstanden. Fußball-, Rad-, Ski-, Schwimm-, Segel-, Box- und andere Sportarten spielten eine immer wichtigere Rolle.
Mit wachsender Entfernung und Entfremdung von traditionellen Lebensweisen und Gemeinschaftsformen, dem unerbittlichen Anpassungszwang an Maschinen und Fließbandnormen wurde der eigene Körper, die verlorengegangene Natur neu entdeckt. Bis Mitte der 1920er Jahre galt es in feinen Kreisen als äußerst unfein, eine von Luft, Wind und Sonne gebräunte oder gar gegerbte Haut zu haben.
Das war ordinär, ja »pöbelhaft«, weil Bauern, Landarbeitern, Mägden, Knechten, Fischern und all denen vorbehalten, die sich vor Wind und Wetter nicht schützen konnten, weil sie darin harte Arbeit taten.
Jetzt aber wurde Bräune schick. Was früher in der feinen Gesellschaft verpönt war, wurde nun zum Privileg: der braungebrannte Körper. Jetzt wies eine sonnenverbrannte Haut aber auch nicht mehr auf schwere Arbeit hin, sondern auf Erholung. Käsig waren nun die abgehärmten Elendsgesichter der Mietskasernenbewohner, die weder auf Capri noch am Wolfgangsee Urlaub machen konnten.
Der Traum der kleinen Leute
Der Traum der kleinen Leute, die sich damals das heute so beliebte Häuschen im Grünen alle nicht leisten konnten, wurde der Schrebergarten mit Laube.
- Anmerkung : Der Berliner Opa der Redlichs kaufte damals für 50 Goldmark ein Grundstück in Berlin Karow - für die Frau, die Tochter und für seine kleine Laube.
Es gab einen wahren Heißhunger auf Luft, Sonne und Natur. Wer immer konnte, versuchte, ihn irgendwie zu stillen, und sei es im überfüllten Strandbad Wannsee.
Die Volksbäder im Freien hatten sich am Anfang schwer durchgesetzt, waren von der Obrigkeit nur ungern geduldet worden. Mit der Zeit aber wurde es selbstverständlich, zum Baden und Schwimmen zu gehen. 1930 wurde das moderne Strandbad Wannsee neu eingeweiht, es hatte Platz für mehr als 60.000 Besucher.
Trotzdem war es meistens so überfüllt, daß zwischen den dicht nebeneinander liegenden und stehenden Menschen selbst eine Stecknadel nur schwer hätte zu Boden fallen können. Im selben Jahr 1930 wurde zum erstenmal ein nicht amerikanischer Boxer Weltmeister im Schwergewicht. Der 25jährige Max Schmeling wurde damit zu einem der populärsten Volkshelden, die Deutschland je hatte. Der tapfere Junge, der das Selbstvertrauen so vieler Mutloser im Lande dank seiner »eisenharten« Fäuste kräftig gestärkt hatte, wurde sofort von der Unterhaltungsindustrie vermarktet.
Selbst singen mußte er, natürlich einen Marsch: »Das Herz eines Boxers kennt nur eine Liebe / Den Kampf um den Sieg ganz allein / Das Herz eines Boxers kennt nur eine Sorge / Im Ring stets der Erste zu sein...«
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Der Marsch kam wieder in Mode
Der Marsch, in den kurzen Jahren der wirtschaftlichen Hochkonjunktur vom tanzwütigen Großstadtpublikum wegen der reizvolleren Rhythmen aus Amerika schnöde mißachtet, war jetzt überhaupt wieder groß im Kommen.
Nicht nur auf der Straße, auf der SS, SA und Rotfront in gewaltigen Massenaufmärschen ihre enorm gewachsene Kraft lautstark demonstrierten, sondern allüberall. Auch, ja gerade im Schlager.
Während er einerseits in rührselige Stimmungsromanzen auswich, schlug er andererseits mit echtem Mannesmut zu. Dieser Schlager verbreitete - auf viel raffiniertere, mitreißendere Weise als die biedermännischen Versuche vorm ersten Krieg - ein welteneroberndes Siegergefühl. Für diese nach allen Himmeln und Höllen greifenden Heldengesänge gab es keinen besseren, überzeugenderen Interpreten als den ungestümen Draufgänger mit den kernigen Nimm-dir-die-Welt-Parolen, Hans Albers: »Hoppla! Jetzt komm ICH! Alle Türen auf, alle Fenster auf! Und die Straßen frei für MICH!«
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Die NAZIs propagierten Visionen
Alles, was die Nazis propagierten, was sie - vor allem ihre schmächtigen, wenig attraktiven Schreihälse wie Hitler oder Goebbels an der Spitze - so gern sein wollten, das verkörperte Hans Albers in Reinkultur: den großen, starken, blonden Recken in voll erblühter Mannespracht.
Wenn irgendeiner in dieser Völkermühle Deutschland, durch die von altersher unzählige Soldatenheere und Söldnertruppen aus aller Welt gezogen waren (wobei die Krieger die Mädchen und Frauen des Volkes immer als Freiwild betrachteten und sich rücksichtslos nahmen, was sie als ihr gutes Beuterecht ansahen), als »nordisch-germanischer Arier« gelten konnte, dann sicher er. Albers war nie ein Nazi. Er war nur einer von vielen deutschen Unterhaltungskünstlern, die auch unter der Nazidiktatur im Lande blieben und sich redlich nährten. Das hieß konkret: gut bezahlte Karriere machten, während Millionen unschuldige Menschen in den Konzentrationslagern verschwanden. Darunter viele Kollegen.
Im Gegensatz zu dem unpolitischen großen blonden Hans von der Hamburger Waterkant war der große blonde Ernst Busch von der Kieler Waterkant, gelernter Schlosser und Schauspieler, durchaus politisch.
Er hatte in Kiel, Frankfurt an der Oder und bei Piscator in Berlin Theater gespielt. Hatte zwischendurch, oft außerhalb von Theater und Kabarett, immer auch gesungen. Mit den von Hanns Eisler vertonten, von Brecht, Tucholsky, Erich Mühsam oder Erich Kästner geschriebenen Liedern, die im ursprünglichen Sinne - am
Erfolg des »Einschlagens« gemessen - natürlich Schlager waren, wurde er in den weltweiten Elendsjahren der großen Wirtschaftskrise als Sänger berühmt. Zuerst hauptsächlich bei der deutschen Arbeiterschaft, nach seiner Emigration in ganz Europa.
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Die NAZIs propagierten Visionen
Alles, was die Nazis propagierten, was sie - vor allem ihre schmächtigen, wenig attraktiven Schreihälse wie Hitler oder Goebbels an der Spitze - so gern sein wollten, das verkörperte Hans Albers in Reinkultur: den großen, starken, blonden Recken in voll erblühter Mannespracht.
Wenn irgendeiner in dieser Völkermühle Deutschland, durch die von altersher unzählige Soldatenheere und Söldnertruppen aus aller Welt gezogen waren (wobei die Krieger die Mädchen und Frauen des Volkes immer als Freiwild betrachteten und sich rücksichtslos nahmen, was sie als ihr gutes Beuterecht ansahen), als »nordisch-germanischer Arier« gelten konnte, dann sicher er. Albers war nie ein Nazi. Er war nur einer von vielen deutschen Unterhaltungskünstlern, die auch unter der Nazidiktatur im Lande blieben und sich redlich nährten. Das hieß konkret: gut bezahlte Karriere machten, während Millionen unschuldige Menschen in den Konzentrationslagern verschwanden. Darunter viele Kollegen.
Im Gegensatz zu dem unpolitischen großen blonden Hans von der Hamburger Waterkant war der große blonde Ernst Busch von der Kieler Waterkant, gelernter Schlosser und Schauspieler, durchaus politisch.
Er hatte in Kiel, Frankfurt an der Oder und bei Piscator in Berlin Theater gespielt. Hatte zwischendurch, oft außerhalb von Theater und Kabarett, immer auch gesungen. Mit den von Hanns Eisler vertonten, von Brecht, Tucholsky, Erich Mühsam oder Erich Kästner geschriebenen Liedern, die im ursprünglichen Sinne - am
Erfolg des »Einschlagens« gemessen - natürlich Schlager waren, wurde er in den weltweiten Elendsjahren der großen Wirtschaftskrise als Sänger berühmt. Zuerst hauptsächlich bei der deutschen Arbeiterschaft, nach seiner Emigration in ganz Europa.
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Der »Barrikaden-Tauber«
Der »Barrikaden-Tauber«, wie ihn seine Feinde höhnend nannten, wurde eine, vielleicht die meistgehörte Stimme des deutschen Widerstands. Über einen Busch-Abend in der Neuen Welt, einem Saal in der Hasenheide im Berliner Arbeiterviertel Neukölln, im Jahr 1931 berichtete der sowjetische Schriftsteller Sergej Tretjakow:
»... Dann nennt der Ansager zwei Namen: Busch und Eisler. Auf die Namen folgt sofort das Prasseln von Beifall; es klingt, als liefen Elefanten über Reisig. Verstummt sind die Zeitungsverkäufer. Die Männer in den Kiosken recken die Hälse. Die Zuschauer kommen hinter den Säulen hervor, lehnen sich gegen die vor ihnen Stehenden, um die Bühne wenigstens mit einem Auge sehen zu können.
Der Sänger Busch. In Hemdsärmeln. Das Hemd in die Hosen gesteckt. Hände in den Hosentaschen. Herausfordernde Haltung. So stehen gern deutsche Arbeiterjungen und betrachten spöttisch einen Herrn mit Melone, Atembeschwerden und Siegelring, der ihnen vorsichtig aus dem Wege geht und an der Haustür klingelt, wo ein Emailleschild angebracht ist: Eingang nur für Herrschaften ...
Und am Flügel ein Zwerg, breitschultrig, mit großem Kopf, blitzender Glatze und Hosen, deren Harmonikafalten bis zu den Fersen gehen. Das ist der Komponist der Lieder, die Busch singen wird: Hanns Eisler...
Da ist eine äußerst sanfte, sentimentale Melodie, naiv wie ein Gretchen mit zwei abstehenden Zöpfen. Und schon verschluckt sich das Publikum vor Lachen, weil das Lied von einem Radieschen erzählt, außen rot und innen weiß. Die letzte Strophe des Liedes enthüllt, daß mit dem Radieschen die Sozialdemokraten gemeint sind.
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Im Jahr 1931 in Deutschland - Resignation pur
Das Lied der streikenden englischen Bergarbeiter. Drohend. Finster... Das Stempellied. Ein zerquälter, abgearbeiteter, ausgesogener Mann, der den Rest jedes Glaubens verloren hat; er heult wie ein Hund vor dem letzten wütenden Ausbruch, wenn er mit den Nägeln Steine aus dem Pflaster kratzen wird. Und mitten in diesem Geheul eine Parodie auf ein gefühlvolles Volkslied.
>Baumwolle!< ruft man aus dem Publikum, >Baumwollpflücker!< Und wieder die quälenden, erregenden Einleitungsakkorde in Moll, Musik wie aus Knochen und Nägeln, und die Stimme von Busch...«
Im deutschen Schlager der anderen, der vernebelnden statt aufklärenden Unterhaltung sang man zur selben Zeit im schwülstig dahingleitenden Tangorhythmus: »So ein Tanz, der hat Glut / Der hat Feuer / Und ist in diesen schweren Zeiten doch nicht teuer / Darum reizt so ein Tango / Die meisten / Einen Tango kann sich schließlich jeder leisten...«
Millionen verzweifelter Menschen muß so billiger Trost wie Hohn geklungen haben. Im Jahr 1931, als der Schlager >Ein spanischer Tango und ein Mädel wie du< viel gegeigt und geklimpert wurde, registrierte die Statistik des Volkselends 18.625 Frauenselbstmorde. Allein im Dezember 1931 wurden mehr als eine Million Frauen arbeitslos.
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1928 - Der deutsche Film im Aufwind und auch die Nazis
Im deutschen Film aber feierte in dieser Zeit Metternichs tödliche Patriarchenwelt als tanzender Kongreß fröhliche Wiederauferstehung. Die deutsche Kintopp-Wirklichkeit war schon in allerschönster Ordnung, wenn der Willy Fritsch am Ende nur seine blonde Traumfrau Lilian Harvey fürs Happy End bekam.
Die Nazis, die bei den Wahlen von 1928 ganze 2,6 Prozent der Stimmen erhalten hatten, konnten am 13. Oktober 1930 mit johlender Freude und 107 Abgeordneten als zweitstärkste Partei in den Reichstag einziehen.
Die Stimmen hatten sie nicht der SPD, nicht den Kommunisten (diese gewannen bei jeder Wahl hinzu, hatten 1932 dann schon 100 Sitze im Reichstag) abgenommen, sondern ihren Freunden und Gönnern im deutschnationalen Lager.
Die wollten zwar eigentlich gar nicht den Hitler, sondern ihren Kaiser Wilhelm wieder haben, doch ebensowenig wie nur ein Jahrzehnt zuvor die SPD, wurden sie die Geister, die sie für ihre eigenen Zwecke zur Hilfe gerufen und so nachdrücklich unterstützt hatten, jetzt nicht wieder los.
Gute Miene zum bösen Spiel - eine tödliche Entscheidung
So blieb nur die gute Miene zum bösen Spiel, und die machten die Herren von »von und zu«, die großen Bosse von Wirtschaft, Industrie und Bankgewerbe dann ja auch. Dabei war, was Deutschland von den Nazis zu erwarten hatte, nicht zu übersehen.
Gleich am Tage ihres ersten Einzugs in den Reichstag, da sie von der absoluten Macht noch ein ganzes Stück entfernt, noch lange nicht am Ziele waren, es auf demokratischem Wege auch nicht erreichen sollten, boten sie sofort eine Kostprobe von dem, was sie vorhatten:
Mit dem Ruf >Deutschland erwache, Juda verrecke!< zogen die 107 Abgeordneten der Hitler-Partei in den Plenarsaal ein und entledigten sich ihrer Jacketts, so daß die darunter getragenen - von der preußischen Regierung verbotenen - braunen Uniformhemden, Koppel und Schulterriemen sichtbar wurden. Gleichzeitig schlugen SA-Trupps im ganzen Berliner Westen die Schaufensterscheiben derjenigen Geschäfte und Warenhäuser ein, von denen sie annahmen, daß sie in jüdischem Besitz seien.
Dabei verprügelten sie Passanten und Verkäufer,die an den Zerstörungen und den sie begleitenden Plünderungen Anstoß nahmen, und mißhandelten einige Leute, die sie für Juden hielten.
Organisator und Leiter dieser Aktion war der ehemalige Berufsoffizier und Freikorpsführer Wolf-Heinrich Graf von Helldorff, der schon am Kapp-Lüttwitz-Putsch teilgenommen hatte und nun oberster SA-Führer von Berlin-Brandenburg sowie NSDAP-Fraktionsvorsitzender im preußischen Landtag war. Dieser gefürchtete Rowdy und in allen einschlägigen Clubs bekannte Berufsspieler wurde zweieinhalb Jahre später Polizeipräsident, erst in Potsdam, dann von Groß-Berlin ..« (Bernt Engelmann in >Einig gegen Recht und Freiheit).
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Vieles wurde im Deutschland von 1933 selbstverständlich
Solche »Karrieren« wurden in Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers im März 1933 selbstverständlich. Selbstverständlich wurden Mord und Totschlag und alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die vorstellbar sind. Selbst die bis dahin nicht oder nur in kranken Köpfen vorstellbaren Untaten wurden alltäglich. Kurt Tucholskys Stoßseufzer - »Laß endlich schweigen, o Republik - Militärmusik, Militärmusik!« - war nicht erhört, seine und anderer entschiedener Demokraten frühen Warnungen waren nicht beachtet worden. Von nun an war es zu spät zur Umkehr.
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Deutschland war 1933 eine baufällige Ruine
Als Hitler fast zehn Jahre nach seinem mißglückten (Münchner-)Putsch erneut nach der Macht im Staate griff, diesmal mit Erfolg, begrub er unter seinem Schreckensregiment keine intakte, widerstandsfähige Republik, sondern eine baufällige Ruine.
Wie hoffnungslos der Weimarer Staat bereits vor Hitlers Machtergreifung am Ende war, wie ausgehöhlt die demokratischen Grundrechte längst waren, konnten im letzten Jahr des ersten Demokratieversuchs auf deutschem Boden selbst wundergläubige Optimisten nicht mehr übersehen.
1932 wurde das erst vierzehn Jahre zuvor so mühsam erkämpfte demokratische Wahlrecht endgültig zur Farce. In jenem chaotischen Schicksalsjahr trieb eine bankrotte Regierung das zum wehrlosen Stimmvieh degradierte deutsche 60-Millionen-Volk alle paar Monate zur Stimmabgabe. Im ganzen fünfmal, zuletzt am 6. November 1932.
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Auch 5 Wahlen halfen nicht. die NSDAP verlor Stimmen
Trotz Massenelends und tiefer Entmutigung des Volkes sowie einer bis dahin nicht gekannten Propaganda- und Einschüchterungsmaschinerie, welche die Nationalsozialisten dank der großzügig gespendeten Gelder ihrer reichen Gönner mit viel Pomp und Pathos (mit dem Flugzeug und der Parole »Hitler über Deutschland« jagte der Führer von Stadt zu Stadt und hielt in einer Woche bis zu 20 Reden) in Szene setzen konnten, ging der Stimmenanteil der NSDAP von 37 auf 33 Prozent zurück.
Hitlers Partei, die bei den vier vorausgegangenen Wahlen des Jahres stets Stimmen dazugewonnen hatte, verlor diesmal fast zwei Millionen ihrer Wähler wieder. Statt 230 Abgeordnete wie bei den Juli-Wahlen stellten die Nationalsozialisten jetzt nur noch 198.
Eine vereinigte Linke, die Sozialdemokraten kamen auf 121, die Kommunisten auf 100 Abgeordnete, wäre unangefochten die stärkste Fraktion im Reichstag gewesen. Das war ein alarmierender Rückschlag für Hitler, der von seinem Ziel - die absolute Mehrheit (Anmerkung : legal) zu erreichen - nun wieder weiter entfernt war als noch im Sommer.
Der Mythos vom unaufhaltsamen Vormarsch der Nationalsozialisten war auch dahin, von jetzt an konnte es mit den fanatischen Radaubrüdern in den Braunhemden eigentlich nur noch bergab gehen.
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Die Zeichen der Zeit standen eigentlich gegen Hitler
Auch die Zeichen der Zeit standen jetzt gegen den »Trommler«. Der Höhepunkt der weltweiten Wirtschaftskrise war überschritten - das Allerschlimmste schien überstanden.
Da ernannte der 85jährige greise und senile Reichspräsident von Hindenburg, im kaltschnäuzigen Intrigenspiel der eigentlich Mächtigen im Lande (die Gruppe um Hugenberg) sowieso nur noch als ebenso nützliche wie erpreßbare Galionsfigur dabei, am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler.
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- Anmerkung : Hitler kam also nicht mit einer Mehrheit des Volkes-Stimme oder der gewählten Parlamentarier an die Macht, wie es allzuoft geschrieben steht, es war ein Intrigenspiel mit einem senilen Reichspräsidenten von Hindenburg.
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Der Aufstieg des gebürtigen Österreichers vom berufslosen Habenichts über den fanatischen Soldaten und politischen Agitator zum Kanzler und - nach Hindenburgs Tod 1934 - zum Führer des Reiches ist in der neueren Geschichte ohne Beispiel.
Bis zu seiner Ernennung zum Kanzler durch den greisen Hindenburg und dessen intriganten Altherrenclub, die Adolf Hitler alle als eine Art Hampelmann für eigene diktatorische Herrscherpläne benutzen wollten, hatte der politische Aufsteiger eigentlich immer nur versagt:
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- »Er beendete die Realschule nicht, scheiterte an der Aufnahmeprüfung für die Kunstakademie und führte von seinem 18. bis zu seinem 25. Lebensjahr, erst in Wien, dann in München, ohne Beruf und Berufsziel, eine Frührentner- und Bohemeexistenz. Seine Waisenrente und gelegentlicher Bilderverkauf hielten ihn über Wasser. Bei Kriegsausbruch 1914 meldete er sich freiwillig zur bayerischen Armee. Es folgten vier Jahre Frontdienst, in denen er sich durch Tapferkeit das Eiserne Kreuz beider Klassen erwarb, aber wegen mangelnder Führungsfähigkeiten nicht über den Rang eines Gefreiten hinauskam. Nach Kriegsende, das er als Gasversehrter in einem Heimatlazarett erlebte, blieb er ein Jahr lang ein >Kasernenbewohner<. Berufspläne und -aussichten hatte er auch jetzt nicht. Er war nun dreißig Jahre alt. In diesem Alter schloß er sich, im Herbst 1919, einer kleinen rechtsradikalen Partei an, in der er bald eine tonangebende Rolle spielte...«
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(Sebastian Haffner in >Anmerkungen zu Hitler<, München 1978).
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Und so täuschten sich fast alle in dem Möchtegernpolitiker
Mit der Kanzlerwürde für diesen eher bemitleidenswerten als furchteinflößenden Möchtegernpolitiker, der wie so viele andere ehemalige Frontkämpfer nach dem verlorenen Krieg nicht ins zivile Leben zurückfand, hatte von Hitlers Gegnern und Verächtern im Grunde niemand ernsthaft gerechnet.
Zu Hitlers Gegnern zählte nicht nur die große Mehrheit des Volkes, sondern - von wenigen Ausnahmen abgesehen - auch die gesamte geistige Elite des Landes: seine Wissenschaftler, Forscher, Dichter, Denker und Künstler. Sie alle hatten den ehrgeizigen Gefreiten und seine tollwütige Anhängerschar lange unterschätzt. Kaum einer von ihnen hatte Hitlers pathetisches Glaubensbekenntnis >Mein Kampf< gelesen oder ihn und sein Liebäugeln mit der Macht wirklich ernst genommen.
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Thomas Mann schreibt in einem Brief
Nur kurze Zeit vor Amtsantritt des neuen Kanzlers hatte der Nobelpreisträger Thomas Mann in einem Brief an den von Papens »Kabinett der Barone« abgesetzten preußischen Kultusminister Adolf Grimme (SPD) noch geschrieben:
- »Was heute in Deutschland wieder sein Haupt erhebt, die Mächte der Vergangenheit und Gegenrevolution, wäre längst ausgetilgt worden, wenn nicht die deutsche Revolution von einer Gutmütigkeit gewesen wäre, die echt deutsch war und die wir nicht tadeln, sondern bewundern wollen. Aber die deutsche Republik muß den Glauben an ihre Kraft und ihr Recht lernen; sie soll wissen, wie stark sie im Grunde ist und welche unerschütterten moralischen und geistigen Kräfte ihr auch heute zur Seite stehen, wo scheinbar das Feindliche triumphiert. Das ist Episode.«
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Welch folgenschwerer Irrtum.
Hitler kam nicht nur wider alle Vernunft und gegen den erklärten Mehrheitswillen des deutschen Volkes an die Macht, er benutzte diese gewaltige Macht auch sofort als fürchterliche Waffe gegen alle Antinazis und ihm verhaßten Menschen.
Der erklärte Hauptfeind waren die Juden, die nach Hitlers krankhaften Vorstellungen in einer trickreichen Verschwörung zum Zwecke der Weltherrschaft steckten. Deshalb galt es, sie ohne Rücksicht auf irgendwelche »Humanitätsduseleien« auszurotten.
Seinen Judenhaß schleppte Hitler wie ein angeborenes Verbrechen mit sich herum. Schon in >Mein Kampf< hatte er »die Judenfrage« nach tyrannischem Urteilsspruch entschieden: »Weil sie anders sind, müssen sie weg.« Vier Wochen nach Hitlers Machtergreifung brannte der Reichstag. Gleich danach wurden alle Grundrechte außer Kraft gesetzt und die Jagd - grausamer und mörderischer als jemals zuvor in der an Unrecht und Gewaltherrschaft wahrhaftig nicht armen deutschen Geschichte - auf alle Andersgläubigen und -denkenden freigegeben.
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»arisch« sein gehörte zurr Herrenrasse
Wer »arisch« war, zählte ab sofort zu den »Herren«-, wer das nicht oder nur teilweise war, zu den »Untermenschen«. Wer aber gegen die Nazis und ihren tolldreisten Rassenwahn seine Stimme erhob, dem nützte sein ganzes »arisches Herrenmenschentum« nichts. Selbst dann nicht, wenn er ein direkter Nachkomme des berühmten Germanenhelden Hermann der Cherusker sein sollte, der einst im noch wilden Teutoburger Wald die siegreiche Schlacht gegen die römischen Eroberer geschlagen hatte.
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Allen "Gegnern" ging es "an den Kragen"
Mit den Juden ging es auch Kommunisten, Sozialisten, Demokraten, Pazifisten, Intellektuellen und »Novemberlingen«, kurz allen, die sich seit November 1918 nachdrücklich zur Republik und einer demokratischen oder gar sozialistischen Gesellschaftsordnung bekannt hatten, an den Kragen. Sie wurden verhaftet, in Lager gesperrt, ohne Prozeß gefangen gehalten.
Axel Eggebrecht, relativ kurz in KZ-Haft und den späteren Massenmorden in diesen Lagern rechtzeitig entgangen, berichtete später:
- »Im April 1933 wußte schon jedermann, daß es >Schutzhaftlager< gab, doch niemand nannte sie so. Auch folgsame Staatsbürger, die roten >Volksfeinden< einen Denkzettel gönnten, spürten die Heuchelei der amtlichen Bezeichnung. Schutzhaft wurde nicht, wie Lexika definieren, >zur Verhütung von Gewalttaten gegen einen Festgenommenem verhängt. Sie war eine Strafe ohne Urteil, eine unmißverständliche Drohung gegen alle Mißliebigen. Das Kurzwort KZ drückte es sinnfällig aus, ein harter Schlag, ein tückisches Zischen, Signal der brutalen Gewalt ... Überall im Lande entstanden, oft durch Initiative lokaler Parteistellen, kleinere Lager. Noch war der Terror nicht organisiert, Willkür herrschte, Mord und Marter erschienen als Exzesse, nicht als Merkmale eines Systems.«
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Eine beispiellose Emigration in alle Länder der Welt folgte
Der beispiellosen Menschenjagd und Intellektuellenhetze folgte ein beispielloser Flüchtlingsstrom ins europäische und amerikanische Exil. Auch Nicht-Juden, Nichtgefährdete und solche, die keine erklärten Nazigegner waren, verließen das zur Diktatur gewordene Land, in dem sie sich nicht mehr zu Hause fühlen konnten.
Allein über anderthalbtausend bekannte Schriftsteller, Männer und Frauen, gingen nach Hitlers Machtergreifung über die deutschen Grenzen in die Emigration. Da die Entflohenen schlecht in >Schutzhaft< zu nehmen waren, straften die Nazis sie symbolisch: ihre Bücher wurden verbrannt.
Auch der schon zu Metternichs Zeiten verfolgte Heinrich Heine war wieder dabei. Zwar war er lange tot, doch schien er den neuen Machthabern noch immer so gefährlich, daß sie ihm auch jetzt seine Ruhe nicht gönnten.
- »Dort, wo man Bücher verbrennt«, hatte Heine einst geschrieben, »verbrennt man am Ende auch Menschen.«
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