Begleittext einer Rückschau - "Über den deutschen Schlager"
Diese Biografie und historische Aufarbeitung des deutschen Schlagers wurde in 1978 von der Journalistin Monika Sperr geschrieben. Frau Sperr beschreibt in ihrem Vorwort ihre Sichtweise der Geschichte und der Ereignisse aus dem Blickwinkel des Arbeitermillieus. Aus Sicht des Rezensenten ist die gesellschaftspolitische Färbung mancher Absätze etwas zu einseitig und öfter die Tatsachen verfälschend. Diese Biografie sollte mit Bedacht und auch nachdenklich gelesen werden.
Überhaupt sollte man zum Vergleich der geschichtlichen Tatsachen um 1932/1933 herum das Buch des Amerikaners "H. R. Knickerbocker "German crisis" mit einbeziehen. Auch die "Aufzeichnungen von 1943 bis 1945" von Hans-Georg von Studnitz sind lesenswert.
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Wüstes Kriegsgebrüll auf allen (Berliner) Bühnen
Zur gleichen Zeit schallten aus den Theatern, Kabaretts und feudalen Vergnügungsbuden ganz andere Töne. Bei Kriegsausbruch schlossen fast alle Bühnen erst einmal verwirrt die Pforten. Als sie dann wieder zu spielen begannen, übertrumpften sie sich gegenseitig mit wüstem Kriegsgebrüll.
Die Schauspielbühnen zeigten Stücke wie >Vorwärts mit Gott!<, >Heiliger Kampf !<, >Nun aber wollen wir sie dreschen!<, >Lieb Vaterland magst ruhig sein<; die Musiktheater befanden sich im Wettlauf um den ersten Platz in Sachen Kriegsoperette.
Das perfide Wettrennen gewann der smarte Rudolf Nelson, dessen »patriotische Revue« >Der Kaiser rief!< sich bereits am 3. September 1914 im Residenztheater austoben konnte. Danach folgte Schlag auf Schlag: >Krümel vor Paris!<, >Die Waffen her!<, >Kamerad Männe<, >Immer feste druff!<
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Die Naivität des Walter Kollo - ist nicht mehr entschuldbar .....
Die Musik zu diesem »vaterländischen Volksstück«, betitelt nach einem herrischen Kronprinzenwort - er meinte damit das Dreinschlagen auf die Elsässer durch preußisches Militär - schrieb der unbekümmerte Walter Kollo. Solche Naivität war nicht mehr entschuldbar, handelte es sich doch nicht um einen kecken Operetten-Krieg mit leckeren Praline-Soldaten, sondern um das Leben vieler Millionen Menschen.
- Anmerkung : Achtung, hier wird sehr "unglücklich" - also falsch - beschrieben bzw. angemerkt, was "wir" erst nach dem Krieg wußten, das mit den Millionen Toten von Verdun.
Was Kollos Texter, auch Rudolf Bernauer und Rudolph Schanzer, zwei äußerst erfolgreiche Bestsellerautoren der Zeit, an chauvinistischen Knüppelversen und dummdreisten Durchhalteparolen zu bieten hatten, nahm die spätere faschistische Propagandasprache teilweise schon vorweg:
»So lang der Storch den deutschen Müttern/ Noch immer stramme Jungens bringt / Braucht unser Volk noch nicht zu zittern / Wenn es der Feind voll List umringt.«
Was hier auf treudeutsche, noch ziemlich biedermännische Weise zum Ausdruck kam, steigerten die Nazis dann zum blindwütigen Haß gegen alles und jeden, der nach ihrer Meinung nicht deutsch genug war oder sich nicht deutsch genug verhielt.
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Das dicke Ende kam dann später - im 3. Reich
Ihre lebensgefährliche Naivität mußten die deutschen Unterhaltungskünstler, egal ob sie schrieben, komponierten, sangen oder spielten, später bitter bezahlen.
Viele von ihnen waren Juden, mußten wie Jean Gilbert, Rudolf Nelson, Oscar Straus, Victor Hollaender, Fritzi Massary, Gitta Alpar emigrieren oder kamen in den Gaskammern der neuen Machthaber um.
Während Jean Gilbert, der sich wieder Max Winterfeld nannte, denn jetzt war Französisch verständlicherweise überhaupt nicht mehr »in«, die Musik zu dem heldischen Machwerk >Woran wir denken - Bilder aus großer Zeit< schrieb, mit Weihnachtsfeier im Schützengraben und Fritzi Massary mittenmang, notierte ein unbekannter deutscher Soldat in sein Kriegstagebuch:
»Unser Bataillon kommt direkt aus der Stellung, die Leute haben nicht geschlafen ..... 800 Mann zählt das Bataillon - 800 Mann hat das Bataillon verloren, das wir ablösen sollen ..... Kein Laufgraben führt hinüber, also im Maschinengewehrfeuer über das freie Feld weg ..... Müde und verdrossen, von oben bis unten mit Schmutz überzogen, ein grauer Haufen Elend, rücken die Kompanien ein und legen sich zu Tode erschöpft ins Gebüsch. Post wird verteilt. Fast jeder zweite Brief geht zurück: Gefallen, verwundet, vermißt ...«
Während die Arbeiterinnen und Arbeiter - da die Männer »im Feld« waren, mußten immer mehr Frauen in die Fabriken der Rüstungsindustrie - in immer größerem Umfang gegen den Krieg streikten, verkündete der Chor des Metropol seinem nicht mehr ganz so spendierfreudigen Publikum:
»Hoch soll die Fahne schweben / Die Fahne schwarz-weiß-rot / Wir geben Gut und Leben/ Wir fürchten nicht den Tod!«
Der Krieg nahm eine ungeplante Wende - die Verliererstraße
Die gegen den Krieg kämpften, waren alles andere als schneidige Operetten-Helden: abgearbeitete, frierende, hungernde Menschen. Als der Kaiser noch immer den Sieg - was hieß: Beute! - begehrte, wollte das Volk längst nur noch Überleben. Es wollte Frieden, sonst nichts.
Doch selbst als in Rußland (1917) die Revolution ausbrach, der Zar abdanken mußte und Lenin den Krieg gegen Deutschland/Österreich sofort beendete, machte Wilhelm nicht Schluß. Über die Härte der Friedensbedingungen, die das Deutsche Reich den Russen diktierte, hatte die Welt den Atem angehalten, um danach mit neuer Wut gegen den größenwahnsinnigen Monarchen zu kämpfen.
Lenin hatte akzeptiert, weil er mußte: Sein erschöpftes Volk konnte nicht länger Krieg führen. Lenin damals: »Die Masse hat die Wahrheit begriffen, daß wir den schwersten, den erniedrigendsten Friedensvertrag unterzeichnen müssen, weil wir keine Armee haben und neben uns ein Räuber steht ... Fort mit den Illusionen, für die euch das Leben gestraft hat und noch mehr strafen wird.«
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Irgendwann war das restliche Volk den Krieg leid - Revolution
Des Kaisers mörderische Illusionen trafen und straften ihn am wenigsten, um so mehr dafür das deutsche Volk, das den verlorenen Krieg zu bezahlen hatte: mit seinem Elend, seinen Toten, seinen Tränen.
Gegen Ende des großen Krieges verweigerte das deutsche Volk dem Kaiser und seinen Militärs endgültig den Gehorsam. Von den Schiffen der kaiserlichen Hochseeflotte aus, wo sich die Mannschaften dem Befehl »zum letzten Gefecht« entschlossen widersetzten, sprang der revolutionäre Funke aufs Festland über. Von den deutschen Hafenstädten aus verbreitete sich im November 1918 die Revolution übers ganze Land, vor allem in den großen Städten.
Nach mehr als tausendjähriger Herrschaft über das deutsche Volk traten seine Könige, Herzöge und Fürsten - alle wohl mehr verblüfft als erschrocken - ohne größeren Widerstand ab. Nirgends gab es Mord und Totschlag. Das deutsche Volk schrie nicht nach Rache, es wollte nur sein Recht: auf Leben, Freiheit, Gleichberechtigung.
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Aufgeben wollte der Kaiser nicht - selbt ohne Reichswehr
Als Kaiser Wilhelm von der Revolution erfuhr, wollte er erst die Frontsoldaten gegen die »aufrührerische« Heimat marschieren lassen. Weil ihm seine Generäle da aber gestehen mußten, daß sich selbst seine scharf gedrillten Garderegimenter mit dem »roten Mob« verbündet hatten, ließ er sich schließlich doch zur Abdankung bewegen.
Selbst Deutschlands Kriegsgegner, wozu seit April 1917 auch die USA gehörten, wollten über die Beendigung dieses größten Krieges in der bisherigen Menschheitsgeschichte nicht mit »den militärischen Beherrschern und monarchistischen Autokraten Deutschlands« verhandeln, sondern nur mit »den Vertretern des deutschen Volkes«.
Bis die ängstlichen Generäle ihren querköpfigen Kaiser endlich zur Abdankung überredet hatten, wurde überall an der Front noch weiter gekämpft, weiter gestorben ...
Nach seiner erzwungenen Abdankung ging der kaiserliche Held dann
nicht etwa doch noch vor zu den Soldaten an der Front, sondern machte
sich still und heimlich davon ins neutrale Holland. Dabei hätten
ihn nicht nur die kaiserstrammen Militärs, sondern auch alle brav
gewordenen Sozialdemokraten gern behalten.
Inzwischen nämlich gab's brave (das war die Mehrheit) und böse (das war die Minderheit) sozialistische Buben und Mädchen in Deutschland. Die braven waren auch unter Friedrich Ebert weiter in der SPD geblieben.
Die bösen hatten die Mutterpartei im Zorn verlassen. An der Spitze dieser Rebellen, die sich jetzt Kommunisten nannten, standen zwei ebenso heiß geliebte wie erbittert bekämpfte Arbeiterführer: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Und nur weil der vorlaute Liebknecht, Sohn von Bebels Kampfgefährten Wilhelm, mal wieder seinen Mund nicht halten konnte und sofort nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis dem jubelnden Volke »die freie sozialistische Republik Deutschland« versprach, gab's kein Zurück zu Kaiser Wilhelm mehr.
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1919-1932
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Vorerst hatte sich eigentlich doch nichts geändert
Jetzt nämlich mußte auch Philipp Scheidemann, einer der brav gewordenen Sozialisten, der riesigen Menschenmenge, die vorm Reichstag immer ungeduldiger auf Entscheidungen aus dem hohen Hause wartete, endlich ein klares Wort sagen.
Er wagte es auf eigene Verantwortung, wofür er hinterher vom noch braveren Vorsitzenden Ebert denn auch tüchtig geschimpft wurde: »Es lebe die Republik!«
Danach blieb dann so ziemlich alles beim alten. Durch »absolut zuverlässige« Truppen der Reichswehr, ergänzt durch neu aufgestellte Freikorps, bestehend aus haßerfüllten, obrigkeitshörigen Militärs, wurden »Ruhe und Ordnung« im republikanischen Lande genauso gewaltsam wiederhergestellt wie früher unter den tyrannischen Patriarchen.
In Berlin wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg von einer wildgewordenen Soldateska brutal erschlagen, in München die Räterepublik Kurt Eisners erbarmungslos zusammengeschossen, die Arbeiter- und Soldatenräte im ganzen Land mit Waffengewalt entmachtet.
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Ein Wort zur SPD von 1991-1920
Was die SPD einst so stark, trotz aller Verfolgungen so unaufhaltsam gemacht hatte, war unwiderruflich dahin: in Zukunft konnte sie nie mehr im Namen der ganzen Arbeiterschaft sprechen. Friedrich Ebert und Gustav Noske (»Einer muß der Bluthund sein!«) hatten die Reichswehr gegen Arbeiter, darunter viele Genossen, marschieren lassen; das spaltete die SPD endgültig in zwei große Lager, in Sozialdemokraten und Kommunisten:
»Bei Leuna sind viele gefallen/ Bei Leuna floß Arbeiterblut...«
Es war der folgenreichste, der fürchterlichste Fehler der jungen Republik, daß sie die Militärs nicht nur nicht entmachtete, sondern gegen das eigene Volk marschieren ließ. Die Geister, die sie in ihren ersten Anfängen selbst gerufen, in Freikorpsverbänden zusammengefaßt hatte, wurden nur 14 Jahre später ihr eigener Untergang.
Wie unaufhaltsam die alten Mächte nach Wiederherstellung von »Ruhe und Ordnung« zurück in den Vordergrund, zurück in die wichtigsten Positionen drängten, zeigt u. a. die Reihenfolge der 12 (!) Kanzler in den 20 (!) Regierungskabinetten der kurzlebigen Weimarer Republik.
Die ersten waren Philipp Scheidemann, Gustav Bauer, Hermann Müller-Franken, die letzten Kanzlernamen hatten dann wieder das vertraute »von« vorm Namen: Franz von Papen, General Kurt von Schleicher.
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Und wieder kamen die Adligen ans Ruder
Da Adel bekanntlich verpflichtet, wurden die Ministerposten entsprechend besetzt. Zu Papens Herrenclub, spöttisch das »Kabinett der Barone« genannt, gehörten: Graf Lutz von Schwerin-Krosigk als Reichsfinanzminister, Paul Freiherr Eltz von Rübenach als Post- und Verkehrsminister, Dr. Hermann Warmbold - Vorstandsmitglied des größten deutschen Chemiekonzerns, IG Farben - als Wirtschafts- und Arbeitsminister, Heinrich Ritter von Kauffmann-Asser als Pressechef. Mit dem wichtigsten Ressort, dem Auswärtigen Amt, wurde Herr Konstantin Freiherr von Neurath beehrt.
Und wie bei der Papstwahl, ein schwacher Kandidat muß her
Als der biedere Friedrich Ebert, der immer nur das Beste fürs Volk gewollt, ihm von seinen schlimmsten Prüfungen aber nicht das geringste erspart hatte, am 28. Februar 1925 starb, stellte die vereinigte Rechte den damals bereits 77jährigen »Retter des Vaterlands«, Generalfeldmarschall Paul von Hinden-burg, als Präsidentschaftskandidaten auf und brachte ihn, da die verfeindete Linke sich auf einen gemeinsamen Kandidaten nicht einigen konnte, mit knappem Vorsprung und weit weniger als der Hälfte aller abgegebenen Stimmen tatsächlich durch.
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Die ungesühnten Verbrechen der Vergangenheit
Die ungesühnten Verbrechen der Vergangenheit machten auch die wenigen Errungenschaften der Revolution, die nicht rückgängig gemacht werden konnten - darunter Achtstundentag, Aufhebung der Gesindeordnung, gleiches und geheimes Wahlrecht für Männer und Frauen - nicht wieder gut.
Die Ermordung Karl Liebknechts, Rosa Luxemburgs, Kurt Eisners und so vieler anderer war nur der Anfang eines immer tobsüchtigeren Terrors, der Hitler den Weg bereitete und geradewegs zu den Vernichtungslagern der Nazis und in die Hölle des 2. Weltkrieges führte.
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- Anmerkung : Eine sehr pauschalisierte und oberflächliche Feststellung von Frau Sperr, die aber in den 40 Jahren nach 1978 relativiert und geschichtlich ganz anders recherchiert wurde.
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Warner gab es viele, darunter so unermüdliche und weitsichtige wie Kurt Tucholsky, der schon 1922 schrieb:
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- »In den Soldatenzimmern wimmelt es von kaiserlichen Abzeichen, von Kaiserbildern, von nationalistischen Broschüren und Zeitungen. Die Offiziere, ältere Generalstäbler oder sehr junge Herren, pflegen genau dieselbe Lebens- und Staatsauffassung, deren Rückständigkeit uns in jenes Unglück gestürzt hat ... Fast gänzlich unbeachtet, in aller Stille, reift hier ein Werk, das heute noch abzutöten ist. Über die Notwendigkeit einer Reichswehr läßt sich streiten - über die Beschaffenheit dieser Reichswehr gibt es nur eine Meinung: sie muß geändert werden.«
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Dann kam der 29. Oktober 1929
Zwischen dieser eindringlichen Warnung und der Machtergreifung Hitlers liegen jene kurzen Jahre, die von Künstlern, Dichtern, Denkern ebenso schwärmerisch wie unrichtig bis auf den heutigen Tag die »Goldenen Zwanziger« genannt werden.
In Wirklichkeit teilten sich jene gefahrvollen, für die meisten eher dreckigen als goldenen Jahre in vier große Abschnitte: das hungernde Elend der unmittelbaren Nachkriegszeit; die galoppierende Schwindsucht des deutschen Papiergeldes von 1921-23; den hektischen Scheinaufschwung durch ausländische Anleihen in der Zeit von 1925-29; sowie den nachfolgenden Zusammenbruch des schönen Scheins in einer gigantischen Weltwirtschaftskrise, ausgelöst durch die Kursstürze an der New Yorker Börse vom 29. Oktober und 13. November 1929.
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Und es ging weiter abwärts
Statt in den (Anmerkung : von wem ?) versprochenen »herrlichen Zeiten« saß das deutsche Volk nach dem verlorenen Krieg sozusagen wieder in seinem alten Pisspott. Futsch waren die emsig erworbenen und gegen die aufständischen Wilden so wacker verteidigten Kolonien.
Futsch das im Kriege 1870/71 den Franzosen abgenommene Elsaß-Lothringen, futsch auch Posen und der größte Teil Westpreußens. Danzig wurde Freie Stadt, das Saargebiet kam vorläufig unter Völkerbundsverwaltung, Nordschleswig fiel aufgrund eines Volksentscheids an Dänemark.
Im ganzen verlor Deutschland rund ein Achtel seines Bodens (nicht mitgerechnet die Kolonien) mit 6,5 Millionen Einwohnern, dazu ein Drittel seiner Kohlen-, die Hälfte seiner Blei- und drei Viertel seiner Eisenerzvorkommen.
Die Reparationskosten wurden im ersten Zorn auf 269 Milliarden Goldmark festgesetzt, kurze Zeit später auf 132 Milliarden, mit den Jahren und abnehmendem Haß weiter ermäßigt.
Versailles - einer der größten Fehler der Weltgeschichte
Die Friedensbedingungen, die der jungen Republik als Nachfolgerstaat des Deutschen Kaiserreiches in Versailles von den Siegern diktiert wurden, waren äußerst hart. Präsident Wilson, der keinen »Sieger« -, sondern einen Verständigungsfrieden mit Deutschland/Österreich gewollt hatte, setzte sich bei seinen europäischen Verbündeten, hauptsächlich Frankreich, nicht durch.
Den Franzosen ging es dabei nicht so sehr um Rache wie um ihre nationale Sicherheit. Sie hatten Preußen-Deutschland inzwischen (und viel genauer als ihnen recht war!) kennen- und fürchtengelernt. Jetzt wollten sie sich vor einem neuen Überfall mit allen Mitteln schützen.
So wurden mit dem »Schandvertrag« (Anmerkung : ein Ausdruck der Nationalsozialisten) von Versailles den deutschen Faschisten wirksame Argumente für ihre Aufrüstungs- und Angriffspolitik gegen eine den Deutschen angeblich von vornherein feindlich gesinnte Welt frei Haus geliefert.
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- Anmerkung : Die Bücher der beiden Amerikaner (Pearl Harbor 1941 und German crysis 1932) sind beide in unserem Bereich Wahrheit komplett enthalten.
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Gerade deshalb hätte die erste demokratisch gewählte Regierung Deutschlands die vielen alten und neuen Kriegshetzer und die krachende Militärmusik ringsum nicht dulden dürfen. Statt dessen tat sie, was alle braven Bürger im Lande taten: Sie hörte einfach nicht hin.
Dabei war es bestimmt nicht leicht, die kommende Gefahr zu überhören, denn die wilden Krieger marschierten ja nicht schweigend zu ihrer militärischen Blasmusik, sondern brüllten dazu ebenso fanatisch wie laut: »Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau!«
Die Ermordung Rathenaus, Außenminister der Weimarer Republik, war der 376ste politische Mord seit Bestehen der Republik. Es sollte noch viel schlimmer kommen.
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Dann marschierten die Braunhemden mit Springerstiefeln
Während draußen auf den Straßen das uniformierte Grauen vorüberzog, ertönten in den sangesfrohen großstädtischen Vergnügungsbuden und Unterhaltungshallen die alten Lieder und Scherze. Noch mehr als je zuvor wurde Berlin zum Mittelpunkt der funkelnden Glitzerwelt des schönen Scheins.
Die einst so mächtige Habsburger Monarchie Österreich/Ungarn war in viele unabhängige Nationalstaaten zerfallen, war ein armseliger (und jetzt armer) Alpenwinzling von nur 6 Millionen Einwohnern geworden.
Deshalb zog es auch immer mehr Wiener Unterhaltungskomponisten und Künstler ins vielgelobte Paradies Berlin. Das Deutsche Reich war zwar auch geschrumpft, war viel kleiner und magerer geworden, lag besiegt am Boden wie der nachbarliche Freund. Doch gemessen am total zerschlagenen und verarmten Österreich lag Deutschland viel besser, ja geradezu großartig da. Ein schwer getroffener Riese sicherlich, doch immer noch ein Riese.
Nur ein bißchen Zeit, ein bißchen Futter, Auslandshilfe, Fleiß, Energie, Frechheit, versteckte und offene Gewalt - und schon war Deutschland wieder da. Mit Hurra und mit Musik.
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Die Erziehung "der Deutschen" konnte man nicht umdrehen
Die hörte sich jetzt allerdings ganz anders an als vor dem Krieg, wenn auch viele der alten Meister vorläufig noch weiter machten wie gehabt. Auch von der schönen Marschmusik mochte so recht noch keiner lassen.
Wie aber hätten sie das auch können sollen, waren sie damit doch aufgewachsen. Nicht nur die Berliner, auch die Wiener Unterhaltungskomponisten.
Franz Lehär beispielsweise, schon vor dem Krieg mit seiner >Lustigen Witwe> erfolgreich, war ebenso der Sohn eines Militärkapellmeisters wie sein Kollege Leo Fall. In unvergeßlichen Jugendtagen hatten sie einst selbst, zeitweilig sogar nebeneinander, in einer Militärkapelle gegeigt und gespielt. Der Marschrhythmus ließ sie ebensowenig los wie die ach so herrliche Kaiserzeit.
Mochte die feudale Herrscherwelt auch im Granatenfeuer des großen Krieges wie Pappmache hinweggefegt worden, auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein, in ihren Operetten lebten sie unversehrt weiter: die Fürsten, Grafen, Barone, Prinzen, Prinzessinen und Zarewitsche. Die rauschenden Feste, knisternden Roben, stolzen Verführer und liebestrunkenen "Damen".
Im Herbst 1919, da sich viele Menschen ihr Heizmaterial auf Aschenhalden zusammenklauben und für das Lebensnotwendigste stundenlang Schlange stehen, sich tagaus tagein von wäßriger Kartoffelsuppe ernähren mußten, in nicht geheizten Räumen, bot das Wallner-Theater seinem hochverehrten Publikum eine rauschende >Ballnacht< von Vorkriegsqualität.
Worüber ein nachdenklicher Zeitgenosse denn auch gebührend staunte:
- »Die Welt ist aus den Fugen geraten, aber die Operette steht noch. Throne sind gestürzt; aber in der Operette erfreuen sich die Fürsten einer Hochachtung, die nur von ihrer Trottelhaftigkeit ein bißchen gefährdet wird. Nein, wahrhaftig, bis ins Hirn der Operettendichter ist die Revolution noch nicht gedrungen!«
So ein Berliner Kritiker über die Uraufführung einer neuen alten Fürstenoperette von Oscar Straus.
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Vergessen war angesagt
Die noch einmal "Davongekommenen" suchten nichts mehr als Vergessen, da kamen ihnen die vielen neuen technischen Errungenschaften und Verbesserungen gerade recht.
Das schönste von allem war das Kino, bot es doch Ersatz für die zertrümmerten Ideale, die in Blut und Tränen weggeschwemmten Träume vom großen Sieg in mannesmutiger Schlacht. Kintopp war viel schöner als Theater.
Da konnte man den Alten Fritz in superkolossalen Fridericus-Rex-Filmen durch echten Pulverdampf reiten, nach altem schönem Herrscherbrauch befehlen, beten, siegen sehen. Da zeigte der elegante Harry Liedtke mit seinem kantigen Nick-Knatterton-Gesicht, wie ein herbes Männerlächeln jedes Frauenherz beglückt.
Wer aber Asta Nielsen oder Henny Porten auf der Leinwand leiden sah, der schmolz vor Mitgefühl wie ein Schneemann in der Sonne. Der vergaß bei diesem großen Weh und Ach, das diese wundervollen Frauen auszuhalten hatten, vorübergehend alle eigene Not und Bitternis.
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Die neuen Stars kamen aus dem Film
Neben den berühmten Opern- und Operettenstars wurden die neuen Kinostars immer mehr zu den legitimen Nachfolgern der entschwundenen Fürstlichkeiten. Sie wurden hofiert, mit Perlen behängt, mit Traumgagen bezahlt.
Ihrer Bedeutung und Berühmtheit entsprechend, hießen viele der neuen Kinos "Paläste": Gloria-Palast, Lichtspielpalast, Ufa-Filmpalast. Die deutsche Filmindustrie hatte im 1. Weltkrieg einen ungeheuren Aufschwung genommen.
Das lag einmal am General Erich von Ludendorff, der den Film zur vaterländischen Propaganda einsetzen wollte, weshalb er für die Gründung der Ufa im vorletzten Kriegsjahr acht Milliarden Goldmark aus der Staatskasse spendierte.
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Keine Devisem mehr für ausländische Filme
Noch zwingender aber war, daß die deutsche Filmwirtschaft, die vorm großen vaterländischen Krieg 80 bis 90 Prozent aller Filme vom Ausland bezogen hatte, jetzt selbst produzieren mußte.
Möglichst schnell und möglichst viel, denn Filme wurden im Krieg mehr als je zuvor gebraucht: zur Unterhaltung, Ablenkung, Beeinflussung.
Noch war der Film stumm
Trotzdem war er schon eine ernstzunehmende Konkurrenz für alle Unterhaltungshäuser, hauptsächlich das Tingeltangel und die billigen Varietes. Wie banal wirkten jetzt all die abgedroschenen Operettenscherze, gemessen an den pfiffigen Eulenspiegeleien von Pat und Patachon im Film.
Wenn die alten Vergnügungsbuden und Tanzlokale, die sich jetzt häufig »Dielen« nannten, weiterhin gut im Geschäft bleiben wollten, mußten sie sich etwas einfallen lassen. Da kamen Foxtrott und Shimmy, zwei schnelle Tänze made in USA, gerade recht.
Es gab eine raffinierte Shimmy-Mode mit Shimmy-Frisuren, Shimmy-Schuhen und Shimmy-Tricks. Trumpf wurde jetzt Amerika. Alles Gute kam von dort: das Fließband, die Reklame im großen Stil, das neben dem viel später entwickelten deutschen VW erfolgreichste Auto der Welt - der Ford, Modell T.
Über diesen größten Schlager der amerikanischen Automobilindustrie, von 1908-27 wurden davon 15.070.033 Stück gebaut, alberte Bert Brecht:
»Ford hat ein Auto gebaut /Das fährt ein wenig laut / Es ist nicht wasserdicht / Und fährt auch manchmal nicht.«
Gemessen an den luxuriösen Straßenbrummern von heute waren das ziemlich unkomfortable Rumpelkisten auf vier Rädern, damals aber die Sensation auf der Straße. Autofahrer waren eine ganz besondere Sorte von Menschen, zählten sie doch zu einer relativ kleinen Gemeinde von Auserwählten, die sich ein Automobil überhaupt leisten konnten. Der gewöhnliche Mensch fuhr Rad oder Bus oder ging zu Fuß.
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Und dann der amerikanische Rundfunk - der war anders
Aus Amerika kamen mit dem Rundfunk auch bestimmte Programmethoden, kamen immer mehr, immer eindrucksvollere Filme. Übern großen Teich kam außerdem der kleine Mann in den viel zu weiten Hosen: Charlie Chaplin.
Auch kam mit den amerikanischen Soldaten, unter denen viele Schwarze waren, die größte musikalische Herausforderung seit den frühen Walzertagen, die ausdrucksvolle, jedes musikalische Korsett sprengende Jazzmusik.
Geheimrat Alfred Hugenberg - einer der Mächtigsten im Staat
Weil kein Kaiser mehr da war, sein Volk vor diesem »artfremden Niggerjazz« zu schützen, mußten diese heroische Aufgabe andere übernehmen. Sie taten es mit gewohnter Unverfrorenheit.
Den weitaus größten Einfluß auf die öffentliche Meinung hatte in der Weimarer Republik ein gigantischer Pressekonzern, den ein einziger Mann beherrschte:
Geheimrat Alfred Hugenberg.
Über diese graue Eminenz, die sich aus dem Hintergrund immer mehr ins Rampenlicht der politischen Bühne drängte, steht im fünf bändigen Brockhaus von 1974:
- » ... War 1903 im preußischen Finanzministerium tätig. 1909-18 Vorsitzender des Direktoriums der Firma Krupp. Von 1916 an baute er den Hugenberg-Konzern auf; bestehend aus dem Scherl-Verlag, der Telegraphen-Union, dem Ala-Anzeigenunternehmen, der UFA u. a., dessen publizistische Organe Hitlers national-konservative bis reaktionär- antirepublikanische Auffassungen formulierten und ihm großen Einfluß auf die öffentliche Meinung sicherten. Mit Hitler u. a. bildete er 1931 die Harzburger Front. Nach der Machtübernahme Hitlers war er bis 16.6.1933 Wirtschafts- und Ernährungsminister, seitdem ohne politischen Einfluß ...«
In den 1920er Jahren aber war er wer. Was Hugenberg befahl, das wurde geschrieben, das wurde im Ufa-Imperium mit seinem filmischen Programmaufbau: Ufa-Vorfilm, Wochenschau, Hauptfilm, gezeigt. In den vielen zum Hugenberg-Konzern gehörenden oder von ihm abhängigen Blättern wurde den Lesern neben vielen anderen Ängsten auch die Angst vor der »Verseuchung der deutschen Jugend« durch die neuen amerikanischen Rhythmen und Schlager, diese »barbarischen Urwaldstänze«, unaufhörlich eingebleut.
Um wieviel mehr hätten diese Gift und Galle spuckenden Deutschnationalen und Faschisten wohl erst getobt, hätten sie gewußt, ja nur geahnt, daß diesem »artfremden Niggerjazz« u. a. auch ihre so heiß geliebte militärische Marschmusik zugrunde lag.
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