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Aus der Funkschau 1978 Heft Nr. 10 kommt hier
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 13

von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977

Für einen „Groschen" Musik

Lassen Sie uns in der Berichterstattung wieder einen Zeitabschnitt zurückgehen, auf den Beginn der 1890er Jahre, als der technisch funktionierende Phonograph und das Grammophon gerade erfunden waren, und Ihnen erzählen, wie das breite Publikum danach an das neue Medium „Musikspeicher" herangeführt wurde.

Von der Konzeption her hätte man annehmen müssen,
daß Berliners Grammophon diese Aufgabe zugefallen wäre. Ihm hatte von Anfang an ein Gerät vorgeschwebt, das gespeicherte Musik überall hinbringen sollte. Da er auch schon vorgeführt hatte, wie man seine Platten vervielfältigen konnte, wäre auch von dieser Seite her gesehen eine gewisse Voraussetzung für die breitere Einführung der Musikkonserve gegeben gewesen. Dem stand aber die technisch unbefriedigende Durchbildung seiner Spieler für ein solch breites Anwendungsgebiet im Wege.

Bild 63. Vorführung von Berliners Gramophon im Jahr 1891. Auch das Grammophon ... das bekanntlich laut spricht und sich als eine geniale und durchaus selbständige Nebenerfindung neben Edisons Phonographen produziert, findet stets andächtige Zuhörer. Neben dem Apparat sieht man einige Schallplatten auf dem Tische liegen. (Leipziger Illustrierte. 4. Juli 1891)

Nicht mehr als Spielzeug sollten die ersten kleinen Geräte sein, die von der Thüringer Firma Kämmerer und Reinhard mit Zelluloid„plättchen" von nur 7.5 cm Durchmesser fabrikatorisch hergestellt wurden, und nicht mehr als bessere Spielzeuge. Mehr oder minder physikalische Demonstrationsmodelle waren die anderen beiden, in Amerika fabrizierten Spieler.

Alle hatten Handantrieb und verlangten bei der Vorführung (Bild 63) einen geübten Bediener, wenn die wiedergegebene Musik nicht „jaulen" sollte. Dazu kam aber noch, daß die ersten vom geätzten Zinkmaster hergestellten Plattem ein sehr viel stärkeres Störgeräusch hatten als die in Wachs geschnittenem Walzen von Edison.

Die Zukunft lag bei der Musikmaschine

Bild 64. Edisons Musik- automat mit Hörschläuchen der 1890er Jahre

Erst um die Jahrhundertwende wurden die Platten auch in Wachs geschnitten, und dann stand auch erst der durchkonstruierte Plattenspieler mit Eldridge R. Johnsons Federwerk zur Verfügung.

So fiel es Edison zu, der breiten Masse als erster den Musikspieler vorzustellen. Und es war ausgerechnet der Mann, der, wegen seiner partiellen Taubheit wenig musikalisch, seinen Phonographen eigentlich als Diktiergerät entwickelt hatte und dessen Interesse oder Hobby ganz speziell der Sammlung von Stimmen großer Persönlichkeiten zugewendet war.

Edison mußte sich überzeugen lassen, daß die Zukunft bei der Musikmaschine lag. 1890 hatte sein Gerät schon alle Voraussetzungen für gute Musikwiedergabe. Also warum sollte man damit nicht das große Geschäft machen, aber wie ?

Auch er ahnte schon, was für uns heute eigentlich selbstverständlich sein sollte, daß man ein Konsumgerät dieser Art auf dem Markt nur einführen kann, wenn beim Start, modern gesprochen, sowohl genügend „Hardware" als auch reichlich „Software" zur Verfügung stehen.

Mangelnde "Software" - Ein Vergleich mit der TED Bildplatte

Die TelefunkenTED Bildplatte entwickelte sich 1977 zu einem sehr teuren Flop

Der erste Versuch, die Telefunken TED Bildplatte als ein neues Medium zu starten, ist vor Jahren (etwa 1976 kam das Aus) bekanntlich vornehmlich daran gescheitert, daß man keine ausreichende Auswahl von attraktiven Platten zur Verfügung hatte.

Edison stand 1890 vor einer ähnlichen Situation, zumal er erschwerend seine Originalaufnahmen selbst in die Geräte einsetzen mußte oder, wie wir später sehen werden, anfangs nur wenige Kopien davon auf einem ganz umständlichen Weg machen konnte.

Auch die Fabrikation der an sich konstruktiv schon einigermaßen vollendet durchgebildeten Spieler konnte nur nach und nach gesteigert werden.

Ein Musikautomat müsste es sein

Bild 65. „Salon" mit einer „Straße" von Musikautomaten

Da erinnerte man sich an die Zeit, da der erste Phonograph schon als eine Art Wunderding auf den Jahrmärkten gezeigt worden war, und entschloß sich, Musikautomaten aufzustellen, für die man genügend Musikwalzen mit attraktiver Bespielung zur Verfügung stellen konnte, um dann daneben das Heimgerätegeschäft aufzubauen.

Die ersten Musikautomaten wurden in Amerika mit „Jukebox", „Coin in the Slot"- oder „Nickel in the Slot"- Automaten bezeichnet, der Berliner würde „Groschenautomaten" sagen, die waren jeweils nur für das Abspielen einer einzigen Walze bestimmt (Bild 64). Wollte man ein anderes Musikstück hören, so mußte man sich an einen anderen Automaten begeben. Wie die Glücksautomaten in modernen Spielkasinos waren sie in speziellen „Salons", in einer Art von Straße, nebeneinander aufgestellt (Bild 65).

Das Musik-Hören mit "Hörschläuchen"

Über seine Hörschläuche konnte nur derjenige, der den Nickel eingeworfen hatte, sein Musikstück hören. Wie gut sich über Hörschläuche Musik hören läßt, kann jeder selbst feststellen, der in modernen Überseeflugzeugen während des Fluges Stereomusik hört, ohne daß er seinen Nachbarn dabei stört. Anders als damals werden, den heutigen Hygieneansprüchen gemäß, die Schläuche vor jedem Flug desinfiziert.

In meiner Jugend (sinniert Walter Bruch), noch vor der Einführung der elektrischen Plattenabtastung, konnte man sich an der Theke von ganz großen Schallplattengeschäften seine Schallplatten, ungestört vom Nachbarn, mechanisch abgetastet über Hörschläuche vorführen lassen.

Bild 66. Werkstätte in West Orange (1890) (für die Endmontage von

In West Orange entstand nach und nach eine beachtliche Fabrik für diese Geräte (einen ersten Montageraum zeigt Bild 66). Eine amerikanische Statistik [43] zählt schon für das erste Jahr (1890) die beachtliche Zahl von 1449 aufgestellten Walzen-Musikautomaten.

Die Vervielfältigungsmethoden müssen optimiert werden

Die beachtlichen Einnahmen von diesen Automaten wurden für den Ausbau der Fertigungseinrichtungen für Heimgeräte und für neue Walzen verwendet.

Der große Verschleiß von Musikwalzen zwang andererseits die Ingenieure, sich Vervielfältigungsmethoden auch für die Walzen einfallen zu lassen. Die Musikaufnahmen wiederum mußten von ausreichender Qualität und ansprechend sein, damit möglichst viele Walzen in einem Salon einen Nickel wert waren. Auf diese Weise haben die Musikautomaten stimulierend für "das Werden" des Mediums Tonträger gewirkt; konstruktiv erweitert auf mehrere wählbare Musikstücke wurden sie dann zum Prototyp für die Musikautomaten von heute, bei denen man sich aus bis zu 100 Schallplatten eine gegen Einwurf einer Münze wählen kann; weltweit ein Millionengeschäft.

(Die Fortsetzung folgt auf der nächsten Seite)
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Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39

finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.

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